November 1991

911105

ENERGIE-CHRONIK


SPD will über Nutzungsdauer der laufenden KKW mit sich reden lassen

Für den Umweltexperten und stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfrak-tion Harald Schäfer ist das auf dem Nürnberger SPD-Parteitag 1986 beschlossene Ziel, innerhalb von zehn Jahren aus der Kernenergie auszusteigen, "keine starre Größe" mehr. Er ist vielmehr bereit, über die Nutzungsdauer der laufenden Kernkraftwerke zusprechen, "wenn ein neuer energiepolitischer Konsens mit allen Beteiligten erreicht wird, daß die Nutzung von Kernenergie beendet wird, also ein Neu- oder Ersatzbau von Kernkraftwerken nicht stattfindet". Dies erklärte Schäfer am 18.11. in Bonn vor Journalisten, denen er ein Zehn-Punkte-Programm für eine ökologische Energieversorgung im vereinten Deutschland vorlegte. Kernpunkte des Programms sind eine breitangelegte Förderung von Energiesparmaßnahmen und erneuerbaren Energien, der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung und die Ablösung des geltenden Atomgesetzes durch ein "Kernenergieabwicklungsgesetz". Die erforderlichen Mittel sollen durch Besteuerung des Energieverbrauchs aufgebracht werden (dpa, 18.11; FR, 19.11.; siehe auch 910802 u. 911006).

Die Frankfurter Rundschau (19.11.) meinte dazu: "Union und Energieversorgungsunternehmen fordern ständig einen parteiübergreifenden Konsens in Sachen Atomkraft. Erfolgreiche Überzeugungsarbeit in der eigenen Partei vorausgesetzt, könnte hierfür bald ein SPD-Angebot auf dem Tisch liegen. Für den Verzicht auf Neu- und Ersatzbauten könnte sich die Industrie eine längere Restnutzungszeit ihrer kostspieligen Meiler einhandeln. Dies ist für die E-Werke, denen bei einem Regierungswechsel in Bonn Schlimmeres drohen könnte, durchaus verlockend."

"Kernenergie bedarf des Konsenses"

Zwei Wirtschaftswissenschaftler der Universität Münster, Hans-Jürgen Ewers und Klaus Rennings, haben versucht, die volkswirtschaftlichen Kosten einer Reaktorkatastrophe mitten in Deutschland zu berechnen. Sie gelangten zu dem Ergebnis, im Falle eines GAU im KKW Biblis B würden "die volkswirtschaftlichen Schäden an Menschen, Natur und Vermögen mindestens vier Billionen Mark betragen und damit etwa zwanzigmal höher sein als die von Tschernobyl". Als Spätfolge einer solchen Katastrophe würden bis zu 4,8 Mio. Menschen an Krebs erkranken. Aus diesem Grund bedürfe die Kernenergie einer besonderen Legitimation bzw. des gesellschaftlichen Konsenses (Blick durch die Wirtschaft, 15.11.).

"Kernenergie läßt sich nicht ausklammern"

"Man kann die Kernenergie nicht ausklammern und gleichzeitig die jetzigen Wachstumsprognosen für die Wirtschaft beibehalten", meinte der Vorstandsvorsitzende der Esso AG, Thomas Kohlmorgen, bei der Vorstellung der neuen Energieprognose seines Hauses. Auch künftig werde man in Deutschland auf keinen der heutigen Energieträger verzichten können. Allerdings werde es bis zum Jahr 2010 zu einem starken Rückgang des Verbrauchs an Braun- und Steinkohle bei Anstieg des Erdgasverbrauchs kommen. Insgesamt werde der Energieverbrauch im Jahr 2010 bei einem angenommenen Wirtschaftswachstum von bis zu 3,5% jährlich mit 487 Mio. t SKE unter dem Wert von 1990 (505 Mio. t) liegen (Welt, 22.11.).