Juni 1991

910607

ENERGIE-CHRONIK


Transnuklear-Prozeß

In dem seit Februar 1990 laufenden Prozeß um den sogenannten Atommüllskandal hat das Hanauer Landgericht jetzt die beiden ehemaligen Abteilungsleiter von Transnuklear (TN) Hans-Günther Knackstedt und Wilhelm Bretag zu Haftstrafen verurteilt. Knackstedt erhielt zwei Jahre, die für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden, und eine Geldbuße von 100.000 DM, zu zahlen an die "Hilfe für Kinder von Tschernobyl". Dieses verhältnismäßig milde Urteil begründete das Gericht mit der Aussagebereitschaft Knackstedts, die von Anfang an zur Aufklärung des Skandals beigetragen habe. Bretag hingegen muß eine Haftstrafe von vier Jahren verbüßen, da ihm zusätzlich zu der Veruntreuung von Firmengeldern Selbstbereicherung nachgewiesen werden konnte.

Beide Abteilungsleiter waren nach Erkenntnissen des Gerichts an der Beschaffung von Schmiergeldern für leitende Mitarbeiter von Kernkraftwerken beteiligt. Den zusätzlichen Vorwurf des Betrugs - das falsche Deklarieren von Atommüllfässern - ließ das Gericht fallen, nachdem Vertreter der Atomindustrie äußerten, sich durch Transnuklear nicht geschädigt bzw. betrogen zu fühlen (u.a. FAZ, SZ, FR, 1.6.91). Bis 1987 hatte Transnuklear radioaktiven Abfall zur Konditionierung ins belgische Kernforschungszentrum Mol transportiert, obwohl bekannt war, daß dort die technischen Voraussetzungen für die von TN vertraglich zugesagte Abfallbehandlung (Konditionierung und Rücklieferung der Abfälle aus deutschen Kernkraftwerken ohne Vermischung mit Abfällen anderer Provenienz) nicht vorhanden waren. Für nicht erbrachte Leistungen soll TN Beträge in Millionenhöhe erhalten haben (dpa, 6.6.91).

Der ehemalige TN-Geschäftsführer und Hauptangeklagte Peter Vygen gab inzwischen zu, an den Bestechungen beteiligt gewesen zu sein. Ihm droht nun zusätzlich eine Anklage wegen Meineids. Überraschend belastete er zudem den früheren Geschäftsführer der Nukem (der damaligen Mutterfirma der TN) Manfred Stephany, gezielt Mitarbeiter eingestellt zu haben, um durch "ungewöhnliche Akquisitionsmaßnahmen neue Marktanteile für TN zu sichern" (FR, 20.6.; Welt, 21.6.91). Stephany sei jedoch nicht der einzige Mitwisser bei Nukem gewesen. Für sein Schweigen habe er von Stephany eine Summe von 255.000 DM erhalten, die offiziell als Abfindung deklariert worden sei (Welt, FAZ, FR, SZ, taz, 20.6.; Welt, 21.6.91).

Bei einer daraufhin angeordneten Hausdurchsuchung bei Stephany beschlagnahmte die Polizei in dessen Abwesenheit zahlreiche Aktenordner. Stephany wurde anschließend in Belgien festgenommen. Er steht unter dem Verdacht, Gelder veruntreut zu haben und unter Eid Falschaussagen vor Gericht und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gemacht zu haben. Er behauptete stets, von den Schmiergeldern nichts gewußt zu haben (Welt, FAZ, SZ, taz, 21.6.91). Das Hanauer Amtsgericht lehnte jedoch einem Haftbefehl ab, da kein dringender Verdacht gegen Stephany bestehe (FR, 22.6.91). "Nach dem Vygen-Geständnis werden die Strafverfolger nicht nur Stephany nachsteigen. Verwickelt in den Fall ist die gesamte deutsche Atomfamilie", vermutete der Spiegel (24.6.91).