Oktober 2024

241005

ENERGIE-CHRONIK


 


Dem neuen Stadtwerke-Geschäftsführer Falk-Wilhelm Schulz (2. v. l.) fällt nun die Aufgabe zu, das beschlossene Sanierungskonzept umzusetzen. Unterstützt wird er dabei von Bürgermeister Marcus Ehm als Vorsitzender des Aufsichtsrats, dem er gerade die Hand reicht, dessen Stellvertreter Manfred Storrer (rechts) sowie dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Anton Fetscher (links).
Foto: Stadtverwaltung

Sigmaringen muss seine Stadtwerke vor der Insolvenz retten

Die Kreisstadt Sigmaringen in Baden-Württemberg muss ihre Stadtwerke vor einer drohenden Insolvenz retten, weil der frühere Geschäftsführer eine verfehlte Einkaufs- und Preisstrategie betrieben hat. Wie die Stadtverwaltung am 27. September mitteilte, billigte der Gemeinderat einstimmig ein Sanierungskonzept, das mit Unterstützung externer Experten erstellt wurde. Es sieht vor, den Stadtwerken innerhalb der nächsten zwölf Monate eine Finanzspritze von 11,5 Millionen Euro zu gewähren, davon acht Millionen noch in diesem Jahr. Außerdem verzichtet die Stadt auf die Rückzahlung von Darlehen in Höhe von 14,5 Millionen Euro. Dadurch steigt steigt die Eigenkapital-Quote des Unternehmens, die in den einstelligen Bereich abgesunken war, auf rund 40 Prozent. Zugleich werden die Stadtwerke wieder kreditwürdig für die Banken, bei denen sie zuletzt mit rund 25 Millionen Euro in der Kreide standen.

"Die Nachricht über die finanzielle Situation der Stadtwerke hat uns hart getroffen", erklärte der Sigmaringer Bürgermeister Marcus Ehm. Für die Verantwortlichen habe nie ein Zweifel daran bestanden, dass sie die Stadtwerke mit ihren Mitarbeitern und Kunden als "unsere Werke der Daseinsvorsorge" nicht im Stich lassen dürften. Es werde aber künftig "eine engmaschigere Begleitung bei den betrieblichen Abläufen der Eigengesellschaft geben, um solch eine Situation nicht erneut aufkommen zu lassen".

Energie wurde zu spät, zu teuer und zu langfristig eingekauft

Der kommunale Versorger hatte trotz des bereits 2021 einsetzenden Preisanstiegs für Strom und Gas nicht rechtzeitig genügend Energie zur Belieferung seiner Kunden eingekauft. Als er dies im Sommer 2022 nachholte, musste er deshalb noch weitaus höhere Preise zahlen. Außerdem kaufte er sehr großzügig bemessene Mengen, und dies nicht nur zur Abdeckung des kurz- und mittelfristig absehbaren Bedarfs, sondern auch noch für die Jahre 2024 und 2025.

Anscheinend erwartete der Geschäftsführer eine länger andauernde Hochpreisphase, in der die Stadtwerke dann auf der sicheren Seite wären und "Überdeckungen" gewinnbringend verkaufen könnten. Stattdessen sanken die Preise schon 2023 wieder. Zudem verbrauchten die Kunden weniger Gas und Strom. Der Kommunalversorger blieb deshalb auf einem erheblichen Teil seines Einkaufs sitzen und konnte die überschüssigen Mengen nur mit erheblichen Verlusten weiterverkaufen.

Strompreisbremse blieb zur Hälfte ungenutzt

Hinzu kam, dass sich die damalige Geschäftsführung nicht traute, die überhöhten Einkaufkosten in vollem Umfang an die Kunden weiterzugeben bzw. dem Staat in Rechnung zu stellen, der von Januar 2023 bis April 2024 die Mehrkosten übernahm, wenn die Strom- und Gaspreisrechnungen bestimmte Grenzwerte überschritten. So wurden den Stromkunden anstelle der möglichen 60 Cent pro Kilowattstunde nur 50 Cent berechnet, obwohl die Kunden davon keinen Nutzen hatten, da die staatliche Kostenübernahme per "Strompreisbremse" bereits ab 40 Cent/kWh einsetzte.

Stadtwerke waren bis 2020 noch ein Eigenbetrieb

Die Stadtwerke Sigmaringen entstanden vor über 160 Jahren aus den Anfängen der kommunalen Gasversorgung in der einstigen Residenzstadt der Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen. Sie wurden bis 2020 als Eigenbetrieb geführt. Nach ihrer Umwandlung in eine GmbH mit der Stadt als alleiniger Gesellschafterin übernahm ab 1. April 2021 Markus Seeger die Geschäftsführung, der zuvor als Prokurist beim "Stadtwerk am See" in Friedrichshafen tätig war. Mitte August dieses Jahres wurde Seeger dann abrupt durch Falk-Wilhelm Schulz ersetzt, der seitdem als Interim-Geschäftsführer amtiert und zuletzt freiberuflich tätig war.

In einer Hausmitteilung an die Beschäftigten der Stadtwerke wurden keine Gründe für den Wechsel genannt. Es hieß lediglich, dass "die Krisen in Folge des Ukraine-Krieges nicht spurlos an den Stadtwerken vorübergegangen" seien. Zugleich wurde betont, dass der Nachfolger Schulz schon Geschäftsführer von verschiedenen Stadtwerken gewesen sei und über eine "ausgewiesene Expertise" in diesem Bereich verfüge.

Zweckoptimistischer Lagebericht vernebelte die tatsächliche Schieflage des Unternehmens

Der geschasste Geschäftsführer Seeger hatte den Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzenden Marcus Ehm erst am 18. Juni dieses Jahres in vollem Umfang über die desolate Finanzlage des Unternehmens unterrichtet. Die Stadt hatte bis dahin für das Geschäftsjahr 2023 nur mit einem Verlust von rund einer halben Million Euro gerechnet, nachdem im Vorjahr noch ein Gewinn von rund 750.000 Euro verbucht werden konnte. Inzwischen wird das voraussichtliche Minus auf etwa zehn Millionen Euro geschätzt.

In seinem Lagebericht zum Geschäftsjahr 2022 hatte Seeger für das Jahr 2023 sogar einen Gewinn von 916.000 Euro in den Wirtschaftsplan eingestellt, wobei er – paradoxerweise - es zugleich für wahrscheinlich hielt, "dass das geplante Ergebnis nicht erreicht werden kann". Und zwar liege dies daran, dass sich "Überdeckungen in der Beschaffung ergeben" und "gleichzeitig die Spotmarktpreis für Strom und Gas das gesamte Jahr auf niedrigem Niveau befinden" würden. Konkrete Abschätzungen hierzu könnten aber erst im Zuge der Jahresverbrauchsabrechnung gemacht werden.

Demnach glaubte Seeger wohl selber nicht mehr an den Gewinn, den er anscheinend als Folge eines länger andauernden Extremhochs der Spotmarktpreise erwartet hatte. Zugleich unterschätzte er aber noch immer gewaltig den tatsächlichen Verlust, der durch den Einkauf der sowohl überteuerten als auch überdimensionierten Energiemengen entstehen würde. Sein zweckoptimistischer Lagebericht endete mit folgenden Sätzen:

"Die Stadtwerke Sigmaringen GmbH blickt trotz der gegenwärtigen Energiekrise optimistisch in die Zukunft. Im Nachgang der 2020 erfolgten Ausgliederung wurden Strukturen geschaffen, die ein flexibles und unabhängiges Reagieren auf Entwicklungen der Märkte ermöglichen. Mit der großen Unterstützung des Gesellschafters Stadt Sigmaringen und dem Einsatz von zwischenzeitlich mehr als 80 qualifizierten Mitarbeitern verfügt das Unternehmen über genügend Schlagkraft, um nicht nur die durch die Krise gestellten Herausforderungen zu meistern, sondern die zweifellos vorhandenen Chancen zu erkennen und mit innovativen Konzepten zu nutzen."

Mit derart schönen Formulierungen hätte er in einem Seminar für PR-Strategen sicher jede "Challenge" glänzend gemeistert. Aber leider hatten sie nicht viel mit der Realität zu tun.