September 2024 |
240902 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe verhandelte am 24. September über die Verfassungsbeschwerde gegen die "Abschöpfung von Überschusserlösen", die mit den §§ 13 bis 19 des Strompreisbremsegesetzes vom 20. Dezember 2022 eingeführt wurde. Die Klage war im März 2023 durch den Stromhändler Lichtblick gemeinsam mit 25 Betreibern von Solar-, Wind- und Biomassekraftwerken eingereicht worden, weil es sich bei dieser Abschöpfung um eine "unzulässige Sonderabgabe" handele, welche die Berufsfreiheit und Eigentumsgarantie der betroffenen Unternehmen verletze (230304). Mit einer Entscheidung des Gerichts ist voraussichtlich erst in mehreren Monaten zu rechnen.
In der Verhandlung verwies Ministerialdirektor Philipp Steinberg vom Bundeswirtschaftsministerium darauf, dass die Einführung eines solchen Abschöpfungsinstruments auch von der EU-Gesetzgebung vorgegeben wurde. Die überhöhten Gewinne der Kläger und anderer Stromerzeuger seien "nicht das Ergebnis unternehmerischer Leistungen gewesen, sondern von Marktverzerrungen". Der Abschöpfungsmechanismus in Teil 3 des Strompreisbremsegesetzes sei überdies noch das "mildeste Mittel" gewesen, um das Marktversagen einzugrenzen und die Verbraucher zu entlasten.
Der Rechtsanwalt Christian von Hammerstein bestritt dagegen als Vertreter der Kläger, dass die von den Stromerzeugern erzielten Übergewinne aufgrund eines Marktversagens zustande gekommen seien. Im Gegenteil: Der Markt habe durch hohe Knappheitspreise für Gas die richtigen Signale gesendet, auf erneuerbare Energien zu setzen. Die Abschöpfung sei deshalb eine unzulässige Sonderabgabe gewesen.
In Wirklichkeit verhielt sich es so, dass der seit zwei Jahrzehnten etablierte Börsenmechanismus zur Bestimmung der Großhandelspreise ab Ende 2021 plötzlich völlig verrückt spielte und Preissignale sendete, die bei Menschen wohl zur Einweisung in die Psychiatrie geführt hätten (siehe Phelix). Das lag daran, dass er allen Stromerzeugern die "Grenzkosten" zubilligt, die sich bei der Abarbeitung der "Merit Order" ergeben, wobei in der Regel Gaskraftwerke die Höhe des "Markträumungspreises" bestimmen (siehe Hintergrund Januar 2023 und Hintergrund Oktober 2021). Die historisch einzigartige Gaspreiskrise trieb deshalb auch die Strompreise in schwindelerregende Höhen, die in keinerlei vernünftigem Verhältnis zu den tatsächlichen Stromgestehungskosten und zum vergleichsweise geringen Gas-Anteil am Strom-Mix standen. Dies bedeutete, dass alle Stromerzeuger ungewöhnlich hohe Gewinne erzielten, wenn ihre Stromerzeugungskosten unter denen der Gaskraftwerke lagen. Besonders galt das für die Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen, bei denen durch die Nutzung von Wind, Sonne oder Wasserkraft keinerlei Brennstoffkosten anfallen.
Da die EU-Kommission es nicht wagte, an den außer Rand und Band geratenen Börsenmechanismus zu rühren (211003), verfiel sie auf die Idee mit der nachträglichen Abschöpfung von Zufallsgewinnen, um mit den Erlösen die enorm gestiegene Belastung der Stromverbraucher sowie den daraus resultierenden politischen Unmut zu mindern. Die dazu erlassene Rahmengesetzgebung war an sich schon sehr zahm und nicht geeignet, sämtliche Milliarden zurückzuholen, die als "Windfall-Profits" die Bilanzen von Stromerzeugern zu Lasten der Verbraucher vergoldet hatten. Ihre Umsetzung in Deutschland war dann aber noch unzureichender und in der Tat das "mildeste Mittel", wie es der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums jetzt in Karlsruhe formulierte.
Die Abschöpfung erfolgt nämlich nur vom 1. Dezember 2022 bis zum 30. Juni 2023. Sie erfasste also nicht rückwirkend jenen Zeitraum, in dem der langjährige stundengewichtete Durchschnittspreis am Spotmarkt, der bis April 2021 bei durchschnittlich 38 Euro pro Megawattstunde gelegen hatte, bis August 2022 auf 465 Euro explodiert war. Sie erfolgte erst ab jenem Zeitpunkt, zu dem die Großhandelspreise auf weniger als die Hälfte des Höchststandes zurückgegangen waren und war auch dann sehr unzulänglich. Die Grenzen, bis zu denen keine Abschöpfung erfolgte, wurden nämlich sehr hoch angesetzt. Größere Bedeutung erlangte die Regelung deshalb nur noch für den Monat Dezember 2022, in dem sie in Kraft trat (221201).
Konkret sah das beispielsweise beim RWE-Konzern so aus, dass er für das Gaspreiskrisenjahr 2022 einen Jahresüberschuss von 1.335 Millionen Euro und einen Bilanzgewinn von 670 Millionen Euro auswies, während er die Gewinnabschöpfung mit lediglich etwa 250 Millionen Euro veranschlagte (230304). Insgesamt wurden so von den deutschen Stromerzeugern anstelle von geschätzten 13 Milliarden Euro "Windfall-Profits" lediglich 417 Millionen Euro zurückgefordert – geradezu ein "Klacks", wie der DIW-Präsident Marcel Fratzscher das Ergebnis charakterisierte (230804).