Januar 2023 |
230102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Demonstranten bei ihrem Zug durch den Nachbarort Keyenberg, der langfristig ebenfalls dem Braunkohle-Tagebau weichen sollte. Aufgrund einer vor vier Monaten mit RWE getroffenen Vereinbarung wird nun aber nur noch Lützerath abgebaggert. Foto: Christoph Schnuell
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Am 11. Januar begann die Polizei damit, das von Klimaaktivisten besetzte Dorf Lützerath an der Abbruchkante des Braunkohletagebaus Garzweiler II zu räumen. Daraufhin kam es am 14. Januar zu einer Großdemonstration im benachbarten Dorf Keyenberg, an der sich nach Schätzung der Polizei rund 15.000 Menschen beteiligten. Die Veranstalter sprachen dagegen von mehr als 35.000 Teilnehmern. Aufgerufen hatten unter anderen der BUND und "Fridays for Future". Hauptrednerin bei der Kundgebung war die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Ein Teil der Demonstranten versuchte, auf das abgesperrte Gelände von Lützerath und bis zur Abbruchkante des Tagebaues vorzudringen, wobei es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Beide Seiten warfen sich unzulässige bzw. unverhältnismäßige Gewaltanwendung vor. Die Aktivisten klagten vor allem über Kopfverletzungen, die durch Pfeffersprays, Schlagstock- und Faustangriffe der Polizisten zustande gekommen seien. Die Polizei sprach ihrerseits von mehr als 70 verletzten Polizisten. Zugleich räumte sie ein, dass deren Verletzungen nicht unbedingt auf Gewalt durch Demonstranten zurückzuführen waren, sondern beispielsweise auch darauf, dass sie im schlammig-aufgeweichten Gelände umgeknickt waren. Nach Angaben eines Polizeisprechers wurden etwa 150 Strafverfahren wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, Körperverletzung und Landfriedensbruchs eingeleitet. Der RWE-Konzern kündigte zivilrechtliche Schritte gegen Demonstranten an, die bei der Räumung Widerstand geleistet hatten. Er hat das ehemalige Dorf Lützerath, dessen Häuser zum Teil schon abgerissen waren, inzwischen ganz beseitigt, um vollendete Tatsachen zu schaffen und mit der Abbaggerung beginnen zu können.
Bei Lützerath handelt es sich um das letzte Dorf, das dem Tagebau Garzweiler II zum Opfer fällt. Die Abbaggerung ist Bestandteil der Vereinbarung, die am 4. Oktober vorigen Jahres die grünen Wirtschaftsminister in Berlin und Düsseldorf mit RWE getroffen haben (221004). Darin verpflichtet sich der Konzern, den Ausstieg aus der Kohleverstromung acht Jahre früher zu vollziehen. Dafür darf er die Braunkohle-Blöcke D und E im Kraftwerk Neurath, die aufgrund des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes zum Jahresende 2022 stillgelegt werden sollten, noch bis Ende März 2024 weiter betreiben. Wie es in der Vereinbarung heißt, ist die Abbaggerung von Lützerath notwendig, "um standsichere Böschungen herzustellen und die notwendige Verfüllung des östlichen Restlochs von Garzweiler II zu gewährleisten". Wegen der dafür benötigten Abraummengen sei es nicht mehr möglich, "mit der Nichtinanspruchnahme von Lützerath praktisch eine Insellage für die Siedlung im Tagebau Garzweiler II herzustellen". Erhalten bleiben aufgrund dieser Vereinbarung nun jedoch die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath sowie drei Feldhöfe, deren Bewohner bislang bis 2030 umgesiedelt werden sollten (siehe Karte).
Nach Ansicht von Kritikern erbringt RWE mit dem Vorziehen der Beendigung der Kohleverstromung um acht Jahre keine echte Gegenleistung, weil der Preis für die CO2-Emissionszertifikate ab 2030 eine Höhe erreichen werde, der die Braunkohleverstromung ohnehin unwirtschaftlich mache. Die Abbaggerung von Lützerath und die Verlängerung der Laufzeiten für die beiden Kraftwerksblöcke ermögliche es deshalb dem Unternehmen, mehr Braunkohle mit höherem Gewinn zu verstromen.