März 2019 |
190312 |
ENERGIE-CHRONIK |
In der Schweiz sorgt es für Unmut, wie sich die aus der Privatwirtschaft bekannte Selbstbedienungsmentalität von Spitzenmanagern nun auch unter mehrheitlich der öffentlichen Hand gehörenden Stromversorgern breitzumachen beginnt. Am 20. März berichtete das deutschschweizerische Fernsehen SRF, dass die Vorstandsvorsitzende der Bernischen Kraftwerke AG (BKW), Suzanne Thoma, ihr Gehalt binnen eines Jahres um 56 Prozent auf über zwei Millionen Schweizer Franken steigern konnte, was ungefähr 1,8 Millionen Euro entspricht. In den letzten vier Jahren hätten sich damit ihre Bezüge fast verdoppelt, während der Reingewinn des von ihr geleiteten Unternehmens im selben Zeitraum um ein Drittel gesunken sei.
Zwei Abgeordnete des Berner Kantonsparlaments kritisierten das Finanzgebaren des drittgrößten schweizerischen Energiekonzerns und verwiesen auf die besondere Verantwortung kantonaler Unternehmen gegenüber der Allgemeinheit. "Solche Lohnerhöhungen von einem Jahr auf das andere sind nicht erklärbar", meinte die Grünen-Abgeordnete Nathalie Imboden. "Zwei Millionen Franken im Jahr sind ein Betrag, wo kein Mensch mehr versteht, wie man soviel leisten kann."
Der Abgeordnete Raphael Lanz von der rechtspopulistischen SVP distanzierte sich ebenfalls: "Man muss sich bewußt sein, dass dort, wo staatliche Beteiligungen vorhanden sind, wie das hier der Fall ist, man nicht im gleichen Kontext ist wie bei rein privat gehaltenen Firmen. Das ist einfach so. So gesehen beinhaltet die Lohngestaltung auch immer eine politische Komponente."
Ein Sprecher der von schweizerischen Pensionskassen gegründeten "Ethos Anlagenstiftung" verwies auf das Beispiel Frankreichs: Das mehrheitlich dem Staat gehörende Riesenunternehmen Electricité de France habe sogar eine Begrenzung der Spitzengehälter auf 450.000 Euro verfügt.
Der Vorsitzende des BKW-Verwaltungsrats, Urs Gasche, verteidigte dagegen die Aufstockung der Vorstandsbezüge: "Der Hauptgrund ist, dass wir die Löhne der Konzernleitung insgesamt an den Markt führen wollen. Wir müssen fähige Leute auf dem Markt gewinnen und vor allem halten können." Hinzu bestehe ein hoher Anteil der Gesamtbezüge aus Boni in Form von Aktien. "Das ist eine gute Sache, denn vom Aktienkurs profitieren alle." Die BKW dürften sich in dieser Frage nicht von "politischen Wunschvorstellungen" leiten lassen, sondern müßten sich "am Markt" orientieren.
Die BKW-Chefin wollte sich zur Kritik an ihrem Gehaltssprung nicht äußern. Laut Geschäftsbericht 2018 sieht er im einzelnen so aus:
2018
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2017
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Feste Grundvergütungen |
780.000
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650.000
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Kurzfristige variable Vergütung |
234.000
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195.000
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Langfristige Erfolgsbeteiligung (aktienbasierte Vergütungen) |
568.000
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287.000
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Vorsorgeleistungen |
449.000
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169.000
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Bezüge insgesamt (in CHF) |
2.031.000
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1.301.000
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Die 57-jährige Suzanne Thoma steht seit 2013 an der Spitze der BKW, die 2017 von der Wirtschaftsberatung KPMG zur "aktivsten Schweizer Unternehmung" gekürt wurden. Die Medien präsentierten sie bisher eher als Strahlefigur und weibliche Vorzeige-Managerin. Daran stimmt zumindest, dass die BKW-Aktie, die Anfang 2008 einen Spitzenwert von 152 CHF erreichte, bei ihrem Amtsantritt auf 32 CHF gesunken war und mittlerweile wieder bei etwa 65 CHF notiert. Insgesamt konnten sich die BKW trotz des Verfalls der Strompreise in den vergangenen Jahren besser behaupten als die beiden führenden Konzerne Alpiq und Axpo, die ihren kantonalen Eigentümern teilweise schmerzhafte Gewinnausfälle bescherten. Das lag freilich ganz wesentlich daran, dass die BKW – im Unterschied zu den beiden Großstromerzeugern – zahlreiche Pflichtkunden im noch nicht liberalisierten Bereich des Strommarkts weiterhin direkt beliefern und damit über bessere Absatzmöglichkeiten verfügen.
Zeitgleich mit der Kritik an dem überzogenen Gehalt stellte die Züricher "Handelszeitung" am 23. März nun auch die unternehmerischen Qualitäten der Managerin in Frage: Sie verfolge eine "Hunterstrategie", indem sie dutzendfach Firmen im In- und Ausland zugekauft habe, wie das seinerzeit die nationale Fluggesellschaft Swissair tat, bevor sie in die Pleite abstürzte und zu einem noch immer unbewältigten Wirtschaftstrauma der Eidgenossen wurde. Infolge dieser "aggressiven Akquisitionsstrategie" habe sich die Zahl der Konzern-Mitarbeiter mehr als verdoppelt. Dabei sei der Personalbestand in den angestammten Sparten Energie und Netze praktisch konstant geblieben. Das Wachstum sei einzig und allein auf den Ausbau des Dienstleistungsbereichs zurückzuführen, in dem heute 5200 von insgesamt 7300 Mitarbeiter tätig seien. Das Beteiligungsverzeichnis des Stromkonzerns fülle mittlerweile fünf Seiten im Geschäftsbericht und zähle über 110 Dienstleistungstöchter. Die Spannbreite reiche dabei vom Churer Ingenieurbüro über den Schweisstechniker in Rheinland-Pfalz bis hin zum Photovoltaik-Messdienstleister in Shanghai.
Mit dem Segen des Kantons Bern als staatlichem Mehrheitseigner hätten sich die BKW so in wenigen Jahren zum international agierenden Energiedienstleister diversifiziert. Das sei aber ein ordnungspolitischer Sündenfall: "Jenseits eines natürlichen Monopols und abseits des eigenen Versorgungsgebiets private Gewerbler in einem funktionierenden freien Markt zu konkurrenzieren, ist schlicht nicht Aufgabe eines Stromkonzerns im Mehrheitsbesitz der Berner Steuerzahler."
Selbst aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht sei diese Vorgehensweise bedenklich. Der aufgeblähte Dienstleistungsbereich steuere mit seinen niedrigen Margen lediglich rund 15 Prozent zum operativen Betriebsergebnis bei. Das eigentliche Geld verdienten die BKW weiterhin klassisch mit Strom, und dort vor allem mit den Netzen. "Das Monopolgeschäft ist mit einer Betriebsgewinn-Marge von 34 Prozent ein wahrer Goldesel und der wichtigste Ergebnispfeiler. Aus eben diesen Monopolgewinnen speisen die Berner ihre Feuerpower fürs Dienstleistungsabenteuer."
Ob das "Dienstleistungsabenteuer" der BKW eine Sackgasse oder ein Ausweg ist, wird sich wohl erst herausstellen, wenn in der Schweiz die geschlossenen Versorgungsgebiete auch für die kleineren Stromverbraucher aufgehoben werden und damit die kritisierten Monopolgewinne nicht mehr möglich sind. Ursprünglich sollte das bereits 2013 der Fall sein. Bisher blieb es aber bei der seit 2009 geltenden Regelung des Stromversorgungsgesetzes, wonach nur Großverbraucher mit einem Jahresbedarf ab 100.000 Kilowattstunden den Stromanbieter wechseln können (101208). Im Herbst vorigen Jahres unternahm die Regierung einen neuen Anlauf, um die Schweiz auch in punkto Strommarkt den umgebenden EU-Ländern anzupassen. Ihr Entwurf zur Änderung des Stromversorgungsgesetzes hat soeben das Stadium der "Vernehmlassung" (Anhörung) hinter sich gelassen. Wahrscheinlich wird es bis 2023 dauern, ehe das nun beginnende parlamentarische Verfahren abgeschlossen ist und die komplette Liberalisierung in Kraft treten kann – falls es nicht zu einer weiteren Verzögerung durch eine Volksabstimmung kommt.