März 2019 |
190310 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der abgeschaltete Block A des Kernkraftwerks Biblis wird nicht mehr benötigt, um Blindleistung für das Übertragungsnetz bereitzustellen. Wie RWE Power Ende Februar mitteilte, wurde die Netzdienstleistung "Phasenschieberbetrieb" nach sieben Jahren vertragsgemäß beendet. Inzwischen habe der Übertragungsnetzbetreiber Amprion in dieser Region mehrere moderne Anlagen zur Netzstabilisierung errichtet, die den rotierenden Phasenschieber in Biblis ersetzen und die notwendige Blindleistung für Stromtransporte liefern. Damit könnten nun auch die Räumlichkeiten im Maschinenhaus von Biblis A in die Planungen zum Abbau des gesamten Kernkraftwerks mit einbezogen werden.
Bei der Energieübertragung mit Wechselstrom wird die Kapazität der Leitungen durch die dabei auftretende Blindleistung mehr oder weniger stark beeinträchtigt. Dieser Effekt muss deshalb durch Bereitstellung von gegenläufiger kapazitiver oder induktiver Blindleistung kompensiert werden (siehe Energie-Wissen). Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel hat Amprion jetzt im Umspannwerk Kriftel einen mechanisch geschalteten Kondensator mit Dämpfungsnetzwerk (MSCDN) sowie eine leistungselektronische Kompensationsanlage (STATCOM) in Betrieb genommen. "Gemeinsam bilden diese beiden Anlagen zur Blindleistungskompensation die erste Hybrid-Anlage bei Amprion und die leistungsstärkste ihrer Art im deutschen Netz", hieß es in einer Pressemitteilung.
Das Problem einer ausreichenden Bereitstellung von Blindleistung gestaltet sich besonders krass im Jahr 2011, als die schwarz-gelbe Bundesregierung nach der Katastrophe von Fukushima ihre atompolitische Kehrtwende vollzog und per "Moratorium" die sofortige Stillegung der sieben ältesten Kernkraftwerke verfügte. Dabei handelte es sich um politischen Theaterdonner, für denn es weder eine überzeugende sicherheitstechnische Begründung noch eine ausreichende Rechtsgrundlage gab (siehe Hintergrund, Juni 2015). Der Block Biblis A gehörte damals zu den fünf am Netz befindlichen Kernkraftwerken, die infolge des netztechnisch riskanten "Moratoriums" von heute auf morgen abgeschaltet werden mußten. Nach der Festschreibung dieser Abschaltung durch die Revision des Atomgesetzes (110601) wurde das Problem der entfallenen Blindleistung dadurch gelöst, daß man den Generator von Block A (1225 MW) von der Turbine trennte und so umbaute, daß er im Motorbetrieb Blindleistung im Bereich von -400 Mvar bis +900 Mvar liefern konnte (110815). Um die Maschine auf die Nenndrehzahl von 1500 Umdrehungen pro Minute zu bringen, bei der die Synchronisation mit dem 380-kV-Netz möglich wird, mußte eine spezielle Anfahrhilfe installiert werden. Der Umbau kostete rund sieben Millionen Euro. Er wurde vom zuständigen Übertragungsnetzbetreiber Amprion unmittelbar nach der Änderung des Atomgesetzes im Juli 2011 beim Hersteller Siemens in Auftrag gegeben und bis Februar 2012 abgeschlossen. Zunächst sah die Vereinbarung zwischen Amprion und RWE nur einen Betrieb bis Ende 2013 vor. Es erwies sich dann aber als notwendig, die Laufzeit des Phasenschiebers bis Ende 2018 zu verlängern.
Auch die entfallende Blindleistung des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld, das aufgrund des Atomgesetzes bis Ende 2015 vom Netz gehen mußte, wurde auf diese Weise ausgeglichen. Allerdings erfolgte hier die Abschaltung nicht überstürzt, sondern planmäßig, wobei E.ON den Reaktor aus betriebswirtschaftlichen Gründen sogar ein halbes Jahr früher vom Netz nahm (150606). Außerdem wurde nicht der vorhandene Generator umgebaut, sondern speziell für diesen Zweck ein Synchrongenerator angefertigt, der mit einer Scheinleistung von 400 MVA im Leerlauf am Netz hängt und so Blindleistung bereitstellt (140811).