September 2016

160910

ENERGIE-CHRONIK


Karlsruhe nimmt Verfassungsbeschwerde gegen Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung nicht an

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat es abgelehnt, sich mit der Kommunalverfassungsbeschwerde zu befassen, die Ende 2014 von der Schwarzwaldgemeinde Titisee-Neustadt erhoben wurde (141215). Damit wird es dem Bundeskartellamt und in letzter Instanz dem Bundesgerichtshof überlassen, wie das in § 46 des Energiewirtschaftgesetzes enthaltene Diskriminierungsverbot auszulegen ist (131208, 160412). Es kommt somit gar nicht erst zur Prüfung der Frage, ob und wieweit die bisher äußerst restriktive Auslegung dieses Paragraphen das grundgesetzlich garantierte Recht der kommunalen Selbstverwaltung verletzt. Ersatzweise wäre es nun Sache des Gesetzgebers, eine entsprechende Klarstellung vorzunehmen.

Die Verfassungsbeschwerde von Titisee-Neustadt richtete sich grundsätzlich gegen die Einschränkung der verfassungsmäßig garantierten kommunalen Selbstverwaltung durch das "kartellrechtliche Regime der Konzessionsvergabe", wie es über die Kartell- und Verwaltungsgerichte in die Rechtsprechung gelangte und 2013 auch höchstrichterlich abgesegnet wurde (131208). Konkret ging es um das Verlangen des Bundeskartellamts, die 2011 erfolgte Konzessionsvergabe an die Energieversorgung Titisee-Neustadt (evtn) rückgängig zu machen, weil die Kriterien für die Vergabe zu kommunalfreundlich gewesen seien. Die Schwarzwaldgemeinde sah in dieser Sichtweise einen Angriff auf das im Grundgesetz-Artikel 28 garantierte Recht der kommunalen Selbstverwaltung. Sie machte geltend, daß das so entstandene Gewohnheitsrecht am Gesetzgeber vorbei entstanden sei. Das Bundeskartellamt und die Rechtsprechung hätten "ein kategorisches Primat des Wettbewerbs" installiert, das verfassungsrechtlich nicht zulässig sei, weil damit das Recht der kommunalen Selbstverwaltung ausgehebelt werde. Ein derart gravierender Eingriff in verfassungsmäßige Rechte hätte zumindest vom Gesetzgeber ausdrücklich beschlossen werden müssen.

"Kommunen können nur Gesetze überprüfen lassen, nicht aber gerichtliche Entscheidungen"

In ihrem Beschluß vom 22. August, der am 9. September veröffentlicht wurde, begründet die zweite Kammer des zweiten Senats die Nichtannahme der Beschwerde mit Artikel 93 Abs. 4b des Grundgesetzes und Paragraph 91 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. Aus beiden gehe hervor, daß sich eine Kommunalverfassungsbeschwerde nur gegen ein Bundes- oder Landesgesetz richten könne. Neben formellen Gesetzen fielen darunter auch alle vom Staat erlassenen Rechtsnormen, die Außenwirkung gegenüber einer Kommune entfalten, wie Rechtsverordnungen und Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften. Gerichtliche Entscheidungen könnten dagegen nicht im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt werden.

Der Senat nimmt zwar den Hinweis der Beschwerdeführer auf die verfassungs- und verfassungsprozessrechtliche Literatur zur Kenntnis, in der durchaus die Auffassung vertreten wird, daß auch Richterrecht und Gewohnheitsrecht als zulässige Gegenstände einer Kommunalverfassungsbeschwerde in Betracht kommen. Er wendet sich aber dennoch gegen "eine generelle Anerkennung der Rechtsnormqualität gerichtlicher Entscheidungen", weil dadurch die vom Verfassungsgeber vorgenommene Beschränkung der Kommunalverfassungsbeschwerde auf materielle Gesetze unterlaufen und die Kommunalverfassungsbeschwerde in eine "Urteilsverfassungsbeschwerde" umgewandelt würde.

Richter halten Rechtsschutz dennoch für gewährleistet

Durch die mangelnde Angreifbarkeit gerichtlicher Urteile im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde entstehen nach Ansicht des Gerichts auch keine Rechtsschutzlücken: Zum einen seien die Fachgerichte dazu aufgerufen, in den ihnen zur Entscheidung vorgelegten Verfahren auch der besonderen Bedeutung der den Gemeinden gewährleisteten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung Rechnung zu tragen. Zum anderen bestehe in Fällen, in denen sich die Fachgerichte an eine verfassungsrechtliche Vorgaben nicht hinreichend berücksichtigende Gesetzeslage gebunden sehen, nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes die Verpflichtung, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

 

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