April 2016

160417

ENERGIE-CHRONIK


Niederländisches Gericht erklärt Yukos-Schiedsspruch für ungültig

Das für Den Haag zuständige niederländische Bezirksgericht hat am 20. April die drei Schiedssprüche für ungültig erklärt, mit denen der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag am 18. Juli 2014 den ehemaligen Aktionären des russischen Ölkonzerns Yukos eine Entschädigung von insgesamt rund 50 Milliarden Dollar zugesprochen hat, weil sie von der russischen Regierung willkürlich enteignet wurden (140701). Es gab damit der Beschwerde statt, die Rußland gegen diese Urteile eingelegt hatte. In einer Pressemitteilung begründete es die Entscheidung damit, daß der Schiedsgerichtshof unzuständig gewesen sei, weil er in diesem Fall gar nicht befugt war, auf der Grundlage der "Europäischen Energiecharta" (ECT) zu urteilen.

Unterschiedliche Auslegung von Artikel 45 der Europäischen Energiecharta

Rußland hat die Europäische Energiecharta zwar nach langem Zögern unterzeichnet (980405), aber nie von von der Duma ratifizieren lassen, weshalb der Vertrag für den Kreml nicht völkerrechtlich verbindlich wurde. Dies war auch bei dem Verfahren vor dem Schiedsgerichtshof von Anfang an klar. Bei der Eröffnung des Verfahrens am 31. Oktober 2005 waren aber alle Beteiligten übereingekommen, den Streit dennoch auf Basis der ECT-Regeln zu schlichten. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hatte der Schiedsgerichtshof ferner den Einwand zurückgewiesen, daß Artikel 45 der Charta deren Anwendung im Wege stehen könnte. Gemäß diesem Artikel ist die Charta schon vor ihrer Ratifizierung von jedem Unterzeichner-Staat vorläufig anzuwenden, aber nur in dem Maße, "in dem die vorläufige Anwendung nicht mit seiner Verfassung und seinen Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften unvereinbar ist". Nach Meinung des Haager Schiedsgerichts ergab sich aus dieser Einschränkung kein Verfahrenshindernis.

Das Bezirksgericht interpretiert diesen Artikel 45 jedoch anders. Seiner Ansicht nach erfordert er, daß jede einzelne Bestimmung des Energiecharta-Vertrags daraufhin überprüft wird, ob sie im Widerspruch zum nationalen Recht stehen könnte. Diese Prüfung habe nicht stattgefunden. Der Artikel 26 der Charta, der die Beilegung von Streitigkeiten zwischen einem Investor und einem der Unterzeichnerstaaten regelt, sei aber mit geltendem russischen Recht unvereinbar gewesen.

Pfändung russischen Staatseigentums im Westen kaum noch möglich

Der Kreml hat sich von Anfang geweigert, den Spruch des Schiedsgerichts anzuerkennen, der den russischen Staatshaushalt mit einer enormen Summe belasten würde. Die ehemaligen Aktionäre des Yukos-Konzerns haben deshalb in verschiedenen westlichen Staaten die Pfändung russischen Staatseigentums beantragt, um doch noch an die zuerkannte Entschädigung zu kommen (150513). Der Kreml reagierte darauf im November vorigen Jahres mit einem Gesetz, das die Beschlagnahme ausländischer Vermögenswerte in Rußland erleichtert, sofern in dem betreffenden Land russisches Staatseigentum konfisziert wurde. Nach dem jetzt ergangenen Urteil dürfte es für die ehemaligen Yukos-Aktionäre kaum noch möglich sein, irgendwo einen Pfändungsbeschluß zu erwirken. Sie haben bereits angekündigt, daß sie das Urteil anfechten werden.

"Der Westen hat beschlossen, seinen Druck zu verringern", kommentierte der frühere Yukos-Chef Michail Chodorkowskij das Urteil des niederländischen Bezirksgerichts. "Meine Freunde werden ihre Bemühungen fortsetzen. Ich werde nach anderen Möglichkeiten suchen, um einen Regimewechsel herbeizuführen." Chodorkowskij ist seinen Angaben zufolge nicht persönlich an dem Rechtsstreit beteiligt, da er seine Unternehmensanteile einem Mitaktionär übertragen habe.

Kreml will auch das Straßburger Urteil nicht respektieren

Unberührt von der Entscheidung des niederländischen Bezirksgerichts bleibt das im August 2014 ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strasbourg, das den früheren Yukos-Aktionären bzw. deren Erben Schadenersatz in Höhe von 1,9 Milliarden Euro zuspricht (140801). Die Verurteilung erfolgte in diesem Falle, weil die von Kremlchef Putin angeordnete Zerschlagung des Yukos-Konzerns von Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention begleitet wurde. Auch dieses Urteil will der Kreml nicht anerkennen, obwohl er dazu als Mitunterzeichner der Konvention und Mitglied des Europarats verpflichtet wäre.

 

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