September 2015 |
150912 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Etikett "Ökostrom" ist billig
zu haben und noch immer werbewirksam. Die Anzahl der Haushalte, die
sich ihren ganz normalen Strombezug sozusagen spirituell veredeln lassen,
ist deshalb in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Dabei
dürften die wenigsten "Ökostrom"-Bezieher eine halbwegs
zutreffende Vorstellung davon haben, wie dieses Etikett zustande kommt
und wie folgenlos es für die tatsächliche Zusammensetzung
des Stromerzeugungs-Mixes ist.
Quelle: BNA-Monitoringbericht 2014
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Der Energievertrieb Lichtblick hat zum 1. September die Strom- und Gaskunden der Einzelhandelskette Tchibo übernommen. Das Geschäft wurde bereits im Juli beim Bundeskartellamt angemeldet und von diesem genehmigt. Zum Kaufpreis gibt es keine Angaben. Unbekannt ist auch die Zahl der Strom- und Gaskunden, die damit den Lieferanten wechseln. Lichtblick will die neu gewonnenen Kunden weiterhin mit "zertifiziertem Ökostrom und Ökogas versorgen". Das heißt, daß der übliche Strom aus der Steckdose durch den Zukauf irgendwelcher Zertifikate zu "Ökostrom" aufgehübscht wird (siehe Hintergrund).
Der "Öko"-Spezialist Lichtblick schluckt damit innerhalb von drei Jahren den vierten Konkurrenten (140410). Vorherige Erwerbungen waren die kommunalen "Ökostrom"-Vertriebe Nordland (Stadtwerke Kiel, Lübeck u.a.), Clevergy (N-Ergie und enercity) und Secura (MVV). In allen drei Fällen handelte es sich um eher notleidende Vertriebe, von denen sich die kommunalen Unternehmen wieder trennen wollten, weil es sich für sie nicht mehr lohnte, spezielle "Ökostrom"-Marken zu pflegen. Ähnlich dürfte es sich mit dem jetzt erworbenen Geschäft von Tchibo verhalten. Daß die Anzahl der "Ökostrom"-Bezieher von Jahr zu Jahr zunimmt (siehe Grafik), ändert nämlich nichts daran, daß sich in diesem Marktsegment nur noch minimale Aufpreise erzielen lassen, von denen dann auch noch die Kosten für die Zertifikate abgehen.
Nach Angaben der Bundesnetzagentur lag 2014 der durchschnittliche mengengewichtete Preis, den ein Haushaltskunde für den Verbrauch von jährlich 3500 Kilowattstunden "Ökostrom" zahlen mußte, bei 28,41 Cent pro Kilowattstunde. Damit war der sogenannte Ökostrom sogar um 1,34 Cent/kWh billiger als der über alle Tarifkategorien mengengewichtete Gesamtpreis von 29,53 Cent/kWh. Im Vergleich mit dem Durchschnittspreis der Grundversorgung (30,5 Cent/kWh) kostete die Kilowattstunde sogar 2,09 Cent weniger, und auch die Sonderverträge beim Grundversorger (29,3 Cent/kWh) waren weniger günstig. Nur wenn Stromkunden den Lieferanten wechselten und dabei auf die Augenwischerei mit dem Etikett "Ökostrom" verzichteten, konnten sie mit 28,3 Cent/kWh einen minimal günstigeren Durchschnittspreis erzielen. Das heißt, daß sich für die grün dekorierte Kilowattstunde gerade mal 0,11 Cent mehr verlangen ließ.
Bei diesen minimalen Preisunterschieden läßt sich der illusionäre Mehrwert für den Kunden kaum noch in realen Mehrwert für den Lieferanten umsetzen. Hinzu sorgt die EEG-Förderung für einen steigenden Anteil an echtem Ökostrom, der freilich nicht als solcher deklariert und vermarktet werden darf. Im vergangen Jahr wurden schon rund 26 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Die Regenerativen haben damit sowohl die Kernkraft (16 Prozent) als auch Erdgas (9,6 Prozent) überrundet. Tendenziell werden sie irgendwann auch Braun- und Steinkohle (zusammen knapp 44 Prozent) auf ein bescheidenes Maß zurechtstutzen und die Hauptquelle der Stromversorgung darstellen. Selbst unter stromwirtschaftlichen Laien spricht sich allmählich herum, daß diese enorme Veränderung des Erzeugungs-Mixes durch die EEG-Förderung und nicht etwa durch Ökostrom-Lieferverträge bewirkt wurde. Es gehört deshalb schon einige Weltfremdheit dazu, wenn ein Stromkunde noch immer glaubt, er würde mit seiner Entscheidung für "Strom aus norwegischer Wasserkraft" oder ein ähnliches Zertifikat einen Beitrag zum Ausbau der Erneuerbaren leisten.
Die Tchibo GmbH betreibt eine bundesweite Ladenkette, deren Kerngeschäft der Verkauf von Kaffee ist, die aber kurzfristig oder längere Zeit noch allerlei andere Artikel anbietet. Vor gut sieben Jahren wurde dieses Non-Food-Sortiment erstmals auf den Energiebereich ausgedehnt: Anfang 2008 machte Tchibo unter dem Motto "Starten Sie grün ins neue Jahr" den Werber für Lichtblick, wobei der Vertragsabschluß mit vier "Energiesparlampen" belohnt wurde. Im Frühjahr 2010 surfte der Aktionsanbieter vier Wochen lang in ähnlicher Weise auf dem Solarboom, indem er seinen Kunden ein "kostenloses Beratungsgespräch" mit Vertretern einer Solarstrom-Firma zur Installation einer Photovoltaik-Anlage offerierte. Im Oktober 2010 startete das Unternehmen dann dauerhaft den Vertrieb von "Ökostrom", der angeblich "zu 100% aus norwegischer Wasserkraft gewonnen" wurde (101013). Das Geschäft scheint sich zumindest anfangs rentiert zu haben, denn zwei Jahre später wurde mit der Gründung der Tchibo Energie GmbH sogar ein eigener Rechtsrahmen dafür geschaffen. Mit insgesamt sechs Beschäftigten blieb dieser neue Unternehmensbereich freilich sehr überschaubar. Im übrigen sind den Jahresabschlüssen der Tchibo Energie GmbH keine brauchbaren Informationen zu entnehmen, da die neue Vertriebsfirma schon kurz nach ihrer Gründung in den Jahresabschluß der Maxingvest AG einbezogen wurde. Dabei handelt es sich um die Holding-Gesellschaft, mit der die Gebrüder Michael und Wolfgang Herz das Tchibo-Imperium zu hundert Prozent und die Beiersdorf AG (Nivea, Tesa u.a.) mehrheitlich kontrollieren.