September 2012 |
120909 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) verfolgt mit großer Sorge, wie die derzeit noch rund 270.000 Arbeitsplätze in der deutschen Energiewirtschaft "immer mehr unter Druck geraten und einem andauernden Erosionsprozess unterliegen". Bei einem Pressegespräch am 17. September in Düsseldorf erklärte sie, daß seit Beginn der sogenannten Liberalisierung im Jahr 1998 bereits mehr als 100.000 Arbeitsplätze in der deutschen Energiewirtschaft verloren gegangen seien. Der größte Teil davon sei bei den vier großen Energiekonzernen abgebaut worden: RWE habe rund 30.000 Arbeitsplätze beseitigt, E.ON rund 15.000, Vattenfall und EnBW jeweils etwa 10.000. Aufgrund der derzeit geplanten Maßnahmen zum Personalabbau seien in den nächsten Jahren zusätzlich etwa 20.000 Arbeitsplätze bedroht.
Der Angriff der Arbeitgeber auf die bestehenden Konzerntarifverträge werde zunehmend schärfer. Um die Renditeerwartungen der Aktionäre auch über die Absenkung von Arbeitnehmereinkommen zu befriedigen, würden sie insbesondere in den Dienstleistungsbereichen der Konzerne (Shared Services, Business Services, Kundenservice, IT) auf Löhne und Gehälter drücken. Aus demselben Grunde komme es zu Ausgründungen, zur Bildung neuer Gesellschaften und zu Verkäufen. Es drohe die Ausgrenzung Tausender Arbeitnehmer aus den bestehenden Tarifverträgen.
Neben der Liberalisierung der Märkte berge die Energiewende die Gefahr eines zusätzlichen Arbeitsplatzabbaus, da sie in den nächsten Jahren zu einer Welle von Kraftwerksstilllegungen bei den konventionellen Wärmekraftwerken wie auch bei den Kernkraftwerken führen werde. Der Neubau von Gas- oder Kohlekraftwerken zur Absicherung der volatilen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien biete keinen hinreichenden Ersatz, da für diese Neuanlagen infolge der Anwendung modernster Technologien etwa 40 Prozent weniger Arbeitsplätze gegenüber vergleichbaren Altanlagen benötigt würden.
Allerdings biete die Energiewende zugleich auch Chancen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. So sei die kleinteilige, dezentrale Energieerzeugung per Photovoltaik, Blockheizkraftwerken oder Mikro-Kraft-Wärme-Kopplung mit einem hohen Bedarf an Wartung, Service und Vernetzung dieser Anlagen verbunden. Der notwendige Umbau der Verteilnetze zu sogenannten intelligenten Netzen (Smart Grids) – in diesem Bereich seien heute etwa 60.000 Beschäftigte tätig – werde nur mit diesen Beschäftigten zu realisieren sein. Eine Vielzahl neuer qualifizierter Arbeitsplätze ergebe sich ferner aus den Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz, um den Beratungsbedarf bei Haushaltskunden, Gewerbe und Industrie abzudecken.
Ver.di kritisierte ferner den anhaltenden Trend zur Fremdvergabe von Aufträgen an Dienstleister bei gleichzeitigem massivem Personalabbau. Dieser Trend beeinträchtige die Versorgungssicherheit in Deutschland, nehme den Beschäftigten jegliche Perspektiven und bedrohe eine nachhaltige Zukunftssicherung der Energieversorgungsunternehmen angesichts des demografischen Wandels und dem damit einhergehenden Fachkräftemangels. Das vorhandene Know-how des Personals müsse durch eine Qualifikationsoffensive der Unternehmen sichergestellt werden.
Auf energiepolitischem Gebiet trennt die Gewerkschaft aber nicht viel von den Positionen der Arbeitgeber: So hält sie eine Novellierung der Anreizregulierungsverordnung für dringend notwendig, damit "die Investitionskosten für den Netzausbau ohne zeitlichen Verzug in den Netzentgelten abgebildet werden können" und Investitionen in die Verteilnetze lohnender werden. Bei dieser Gelegenheit soll die Politik auch "Weiterbildungskosten" im Rahmen der Anreizregulierung berücksichtigen. Parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien sei ein kontinuierlicher Zubau von neuen fossilen Kraftwerkskapazitäten erforderlich. Unterstützt wird auch die Schaffung von sogenannten Kapazitätsmärkten: Die Bereitstellung von gesicherter Leistung müsse "einen Preis erhalten, der es den Betreibern wirtschaftlich erlaubt, ausreichend konventionelle, regelbare Kraftwerke zur Verfügung zu stellen, auch wenn aufgrund der zunehmenden Einspeisung der erneuerbaren Energien der durchschnittliche Kilowattstundenpreis weiter sinkt und die Betriebszeiten weniger werden". Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) müsse weiterentwickelt werden, "von einem System der Einzelförderung von Anlagen hin zu einem Strukturgesetz, das die Einbettung der erneuerbaren Energien in das Gesamtsystem der Energieversorgung im Blick hat".