September 2012 |
120902 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Bundesregierung will per Gesetz die Abschaltung von Kraftwerken verhindern, die zwar aus Sicht der Stromerzeuger unrentabel geworden sind, aber zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit weiterhin benötigt werden. Sie befolgt damit Ratschläge der Bundesnetzagentur, die in ihrem "Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/12" vor allem vor der drohenden Abschaltung von Gaskraftwerken im süddeutschen Raum gewarnt hat und die Stillegung konventioneller Kraftwerkskapazitäten durch eine entsprechende Änderung von § 13 Abs. 1a EnWG erschwert sehen möchte (120503). Der Gesetzentwurf sieht vor, daß die geplante Stilllegung von Kraftwerken künftig zwölf Monate vorher der Bundesnetzagentur mitgeteilt werden muß und notfalls untersagt werden kann. Die Betreiber der Übertragungsnetze müssen bis Ende März 2013 zusammen mit der Bundesnetzagentur eine Liste "systemrelevanter" Kraftwerke erstellen.
Der Gesetzentwurf wurde bisher nicht offiziell veröffentlicht. Er kursiert aber branchenintern. Obwohl er eine Entschädigung vorsieht, falls das betriebswirtschaftliche Kalkül hinter dem volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse an einer sicheren Stromversorgung zurücktreten muß, reagierte die Branche mit heftigem Protest. Der "Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft" (BDEW) sah "die Erfolge der Liberalisierung" gefährdet und legte am 27. September einen eigenen Vorschlag vor, der den "Vorrang marktkonformer Instrumente" gesetzlich verankern soll. Demnach könnten die Betreiber, bevor sie ein Kraftwerk aus Rentabilitätsgründen stillegen, dessen Leistung in einem Auktionsverfahren anbieten. Mit der Erteilung des Zuschlags würden sie sich verpflichten, diese Kraftwerke für mindestens zwei Jahre schnell anfahrbereit zu halten, ohne deren Leistung anderweitig zu vermarkten.
Nach Meinung des BDEW würde so "ein rasch umsetzbares, praktikables Modell einer Strategischen Reserve entwickelt", das die derzeit geplanten gesetzlichen Regelungen überflüssig macht. Die vorgeschlagene Lösung führe zu "höherer Transparenz" und "besseren Informationen über die Situation der angebotenen Kraftwerke". Hinzu komme aus Sicht der Branche, "daß es keine Beeinträchtigung des Marktes gibt und daß die Strategische Reserve langfristig, falls notwendig, zu einem Kapazitätsmarkt erweitert werden kann - ggf. auch grenzüberschreitend, also europatauglich". – Sicher ist freilich nur, daß eine solche "marktkonforme" Auktionslösung den Kraftwerksbetreibern höhere Ausgleichszahlungen bescheren würde, als wenn sie für die weitere Bereithaltung ihrer Anlagen aufgrund von Berechnungen der Bundesnetzagentur entschädigt würden.
Der Konflikt zeigt ein weiteres Mal, wie die "Liberalisierung" mit der notwendigen Umstellung der Stromwirtschaft auf erneuerbare Energiequellen kollidiert. Denn es ist der wachsende Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung, der den Einsatz von Kohle- und Gaskraftwerken zunehmend erübrigt und diese damit aus Sicht der Betreiber unrentabel macht. Trotz der sinkenden Auslastung konventioneller Kraftwerkskapazitäten kann aber auf die Vorhaltung bestimmter Gas- und Kohlekraftwerke nicht verzichtet werden. Sie werden für den Ausgleich der fluktuierenden Erzeugung von Wind- und Solarkraftanlagen benötigt, solange Pumpspeicherkraftwerke und andere Möglichkeiten der "Stromspeicherung" per Energieumwandlung nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Andernfalls bräche irgendwann die Stromversorgung zusammen. Das rein betriebswirtschaftliche Kalkül der "entflochtenen" Kraftwerksbetreiber tritt damit in scharfen Gegensatz zum gesamtwirtschaftlichen Interesse an einer sicheren und stabilen Stromversorgung. Und der krampfhafte Versuch, diesen Konflikt "marktkonform" zu lösen, führt nur zu genauso komplizierten wie teuren Lösungen, die den Strompreis weiter in die Höhe treiben. Von den "Erfolgen der Liberalisierung", die der BDEW gefährdet sieht, haben die Verbraucher jedenfalls bisher nichts bemerkt...
Ergänzend zum geplanten Abschaltverbot für Kraftwerke bereitet das Bundeswirtschaftsministerium weiterhin eine "Abschaltverordnung" vor, die kurzfristige Stromunterbrechungen für Industriebetriebe gegen Zahlung einer Entschädigung regelt (120109). Auch dieser Verordnungsentwurf kursiert bisher nur inoffiziell. Dem Vernehmen nach wird er Industriebetrieben, die zu kurzfristigen Abschaltungen fähig und bereit sind, vor allem die bloße Vorhaltung des Lastabwurfs vergüten. Hinzu kommen zusätzlich Prämien für die Megawattstunden, auf die ein Unternehmen im Falle der Abschaltung tatsächlich verzichten muß.