Februar 2012 |
120210 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die RWE Deutschland AG, die seit einem Jahr sämtliche deutschen Aktivitäten des Konzerns in den Bereichen Netz, Vertrieb und Energieeffizienz bündelt, hat erstmals die Konzession für ein örtliches Verteilnetz in Schleswig-Holstein erworben. Am 11. Januar schloß sie mit der Gemeinde Timmendorfer Strand rückwirkend zum Jahresbeginn einen auf 20 Jahre laufenden Konzessionsvertrag für die Stromversorgung. Sie tritt damit an die Stelle des bisherigen Netzbetreibers E.ON Hanse, mit dessen Vorläufer Schleswag (030916) die Gemeinde 1990 einen ebenfalls auf zwanzig Jahre befristeten Konzessionsvertrag abgeschlossen hatte. Zu den jetzt getroffenen Vereinbarungen gehört auch die mögliche Gründung einer gemeinsamen Strom-Netzgesellschaft, an der die Gemeinde aber nur eine Minderheitsbeteiligung von 49 Prozent halten würde.
Zur Unterzeichnung des neuen Konzessionsvertrags mit dem stellvertretenden Bürgermeister von Timmendorfer Strand begab sich der Vorstandsvorsitzende der RWE Deutschland AG, Arndt Neuhaus, am 11. Januar persönlich an die Ostsee. Der Vorgang ist auch deshalb bemerkenswert, weil die kleine Gemeinde Timmendorfer Strand (knapp 9000 Einwohner) zunächst die Gründung eigener Gemeindewerke ins Auge gefaßt hatte, dann aber auf weitere Verhandlungen mit möglichen Partnern verzichtete, weil das Bundeskartellamt ein Mißbrauchsverfahren gegen sie einleitete.
Der alte Konzessionsvertrag mit E.ON Hanse endete bereits am 26. Dezember 2010. Die Gemeinde Timmendorfer Strand hatte das Auslaufen des Vertrags gemäß § 46 Abs. 3 EnWG am 22. Oktober 2008 im Elektronischen Bundesanzeiger bekanntgemacht und um die Einreichung von Angeboten für den Neuabschluß bis zum 31. Januar 2009 gebeten. Nachträglich kam ihr dann aber die Idee, die Situation zur Gründung eigener Gemeindewerke zu nutzen. Anscheinend stammte die Anregung dazu von der Gesellschaft für Kommunalberatung und -entwicklung mbH (Gekom), an der der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag beteiligt ist.
Am 24. Dezember 2009 erschien deshalb im Elektronischen Bundesanzeiger eine weitere Bekanntmachung, wonach die Gemeinde "darüber hinaus an der Gründung eines eigenen Stromversorgungsunternehmens oder an gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen für die Stromversorgung interessiert" sei. Wörtlich hieß es weiter: "Die Gemeinde ist offen sowohl für den Abschluß eines neuen Konzessionsvertrages (Wegenutzungsvertrag) für die Stromversorgung als auch für die Einbringung der Stromversorgung in ein noch zu gründendes kommunales Wirtschaftsunternehmen (Stichwort: Gemeindewerke), das der Gemeinde ganz oder teilweise gehört, oder auch an der Einbringung der Stromversorgung in eine GmbH, die der Gemeinde ganz oder teilweise gehört. Eine Beteiligung interessierter Versorgungsunternehmen ist gewünscht." Falls die Bildung juristischer Personen vorgeschlagen werde, bitte sie um Angabe von Mehrheitsverhältnissen und beabsichtigte vertragliche Regelungen. Bewerbungen seien bis zum 28. Februar 2010 an die Gekom zu richten.
Bei der Siebung der eingegangenen Bewerbungen kamen neben vier kommunalen Unternehmen auch RWE und die E.ON Hanse in die engere Wahl. Bei den kommunalen Interessenten handelte es sich um die Stadtwerke Eutin, Lübeck und Neustadt sowie die ZVO Energie, eine Tochter des Zweckverbandes Ostholstein, an der die Stadtwerke Kiel mit 49,9 Prozent beteiligt sind. Im zweiten Durchgang blieben die drei Stadtwerke und RWE übrig.
An dieser Stelle funkte jedoch das Bundeskartellamt dazwischen: Am 3. Februar 2011 ging bei der Gemeinde ein Schreiben ein, mit der ihr die Einleitung eines Verfahrens wegen Verdachts auf Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung mitgeteilt wurde. Die Behörde verlangte detaillierte Angaben zu den Gegenleistungen, von denen die Gemeinde den Abschluß des neuen Konzessionsvertrags abhängig machen wollte. In der Regel kommen solche Verfahren dadurch zustande, daß sich ein unterlegener oder mißgünstiger Konkurrent bei der Behörde beschwert.
Auf Empfehlung der Gedok veröffentlichte die Gemeinde Timmendorfer Strand daraufhin am 7. März 2011 im Elektronischen Bundesanzeiger eine dritte Bekanntmachung: Die Erweiterung des Verfahrens auf die Gründung von Gemeindewerken wurde damit für beendet erklärt. Stattdessen wurde nun – wie schon in der ersten Bekanntmachung vom Oktober 2008 – lediglich zur Abgabe von Angeboten für den Neuabschluß eines Konzessionsvertrages aufgefordert. Ebenfalls auf Empfehlung der Gedok kam es dann zu dem Abschluß mit der RWE Deutschland AG. Zur Begründung hieß es, daß das RWE-Angebot deutliche bessere Regelungen enthalte als der bisherige Konzessionsvertrag. Zudem habe der Konzern der Gemeinde "optional eine Beteiligung an einer örtlichen Netzgesellschaft angeboten, die für die Gemeinde finanzierbar und wirtschaftlich attraktiv ist".
Die Kritiker überzeugt das nicht. Nach Ansicht der SPD, die als einzige Gemeinderatspartei den Abschluß ablehnte, wären die Stadtwerke Lübeck der bessere Partner gewesen. Im Unterschied zu RWE seien diese bereit gewesen, der Gemeinde die mehrheitliche Beteiligung an einem Gemeinschaftsunternehmen einzuräumen. Daß der Vertrag mit RWE höhere Konzessionsabgaben einbringe – der Mehrbetrag soll sich auf 360.00 Euro jährlich belaufen – bedeute eine entsprechende Mehrbelastung der örtlichen Stromkunden, die sich im Verlauf von zwanzig Jahren auf 7,2 Millionen Kaufkraftverlust summiere. Der örtliche Kandidat der Piratenpartei zur bevorstehenden Landtagswahl in Schleswig-Holstein, Mike Weber, begehrte von den 19 Gemeinderäten sowie der Gedok-Geschäftsführerin Marlies Dewenter-Steenbock Auskunft darüber, ob sie eventuell RWE-Aktien besitzen würden...
Das Bundeskartellamt hat dem RWE-Konzern die Fortführung der 24-prozentigen Beteiligung an den Stadtwerken Unna erlaubt. Die Minderheitsbeteiligung war Ende der neunziger Jahre vom Vorgängerunternehmen VEW erworben worden, aber auf zwölf Jahre befristet. Die Genehmigung zur dauerhaften Fortführung begründete die Behörde am 9. Dezember 2011 damit, daß eine Abhängigkeit der Stadtwerke von RWE als Vorlieferant nicht mehr zu befürchten sei. Die Stadtwerke Unna hätten ihr langfristigen Lieferverträge mit RWE zur Vollversorgung mit Strom und Gas schon vor Jahren gekündigt und durch ein selbständiges, am Marktgeschehen orientiertes Beschaffungsmanagement ersetzt. Generell habe sich "durch die Liberalisierung das Produktportfolio erweitert und das Beschaffungsverhalten grundlegend verändert".