März 2011 |
110301 |
ENERGIE-CHRONIK |
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) charakterisierte das KKW-Moratorium der schwarz-gelben Koalition gegenüber dem BDI als wahltaktisches Manöver und verteidigte sich am 24. März im Bundestag mit der Behauptung, das Protokoll der Sitzung habe seine Äußerung falsch wiedergegeben
(Auszug aus dem Plenarprotokol des Deutschen Bundestags vom 24. März 2011)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gregor, musst du eigentlich zu jedem Thema reden?)
Ja, Herr Trittin, ich weiß, dass Sie mich gerne hören; deshalb rede ich zum zweiten Mal. Aber ich verspreche Ihnen, heute und morgen nicht wieder zu reden, zumindest nicht hier.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Morgen auch nicht? Das ist gut!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zur Katastrophe von Fukushima. Wie schlimm das ist, wissen wir alle. Der Super-GAU ist noch nicht abgewendet. Ich habe in einer Stellungnahme von Pflugbeil gelesen, dass der Unfall jetzt schon den Grad von Tschernobyl erreicht hat. Das Ganze ist also eine beispiellose Katastrophe.
Was hat die Regierung gemacht? Sie hat ein Moratorium von drei Monaten beschlossen. Sie hat die Laufzeitverlängerung ausgesetzt, will prüfen und sagt, danach werde man weitersehen. Nun lese ich heute in der Süddeutschen Zeitung, Herr Brüderle, Folgendes
(Zurufe von der SPD)
- es tut mir leid; das muss ich Ihnen vorlesen; das ist doch wirklich ein starkes Stück -:
(Peter Friedrich (SPD): Wir freuen uns ja darauf!)
Was es denn mit den Meldungen von dem Moratorium auf sich habe, will BDI-Präsident Hans-Peter Keitel wissen. - Sie, Herr Brüderle, saßen da ja mit lauter Industriebossen zusammen. -
Ausweislich des Protokolls der Sitzung gibt Brüderle darauf eine folgenschwere Antwort: "Der Minister bestätigte dies", - also das Moratorium - steht darin, "und wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien."
(Thomas Oppermann (SPD): Unerhört!)
Im Übrigen sei er, Brüderle, ein Befürworter der Kernenergie, auch mit Rücksicht auf Branchen, die besonders viel Energie verbrauchen. "Es könne daher keinen Weg geben, der sie in ihrer Existenz gefährde", befindet Brüderle laut Protokoll.
(Thomas Oppermann (SPD): Unerhört!)
Wissen Sie, Herr Brüderle: Wenn man sich mit so reichen Knöppen einlässt, dann sollte man bedenken - das haben Sie wohl vergessen -, dass das deutsche Knöppe sind und deshalb ein Protokoll geführt wurde.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da stimmt Herr Brüderle Ihnen zu!)
Herr Brüderle, ich rate Ihnen, das nicht zu bestreiten.
Ich will aber auf etwas anderes hinweisen: Auch die Kanzlerin spricht immer von Restrisiko. Restrisiko bedeutet, dass wir, wenn wir je so etwas erleben wie das, was jetzt in Japan geschehen ist, in diesem Land wahrscheinlich gar nicht mehr leben könnten. Niemand hat das Recht, auch nur bei kleinstem Restrisiko die Bevölkerung dieses Landes einer solchen Gefahr auszusetzen. Sie nicht und auch nicht die Bundeskanzlerin. Niemand.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie, Herr Brüderle, nun wegen der Landtagswahlen die Laufzeitverlängerung aussetzen, aber danach Ihre Politik im Kern weiterverfolgen wollen, kann ich Ihnen nur sagen, dass das ein verantwortungsloses Spiel mit den Bürgerinnen und Bürgern ist.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt komme ich auf den Ursprungsfehler. Wir müssen uns in unserer Gesellschaft über ein paar Fragen verständigen. Zunächst einmal: Mit wem muss eigentlich eine Einigung erzielt werden, wenn eine bestimmte Politik durchgesetzt werden soll? Ich habe das schon einmal gesagt und wiederhole es: SPD und Grüne haben mit dem Ausstieg begonnen - das ist ein Verdienst -; aber die Bedingungen hierfür haben sie mit der Atomlobby ausgehandelt. Warum hatten Sie nicht die Kraft, ihr einmal zu sagen, dass der Bundestag der Gesetzgeber ist und nicht die Atomlobby? Aber weil Sie alles nur mit ihr ausgehandelt haben, war der Kompromiss so unzureichend.
(Beifall bei der LINKEN - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe damals gefragt, wie Sie eigentlich darauf kommen, zu glauben, dass Sie in 30 Jahren noch regieren, um das Ganze zu kontrollieren. Da haben Sie mir gesagt: Auch eine nachfolgende Regierung kann von diesem Beschluss nicht abweichen. Aber sie konnte abweichen, wie Frau Merkel ja nun bewiesen hat.
(Thomas Oppermann (SPD): Das werden wir sehen! - Peter Friedrich (SPD): Das werden wir noch sehen, Herr Gysi! Warten wir einmal Karlsruhe ab!)
Union und FDP begingen den schweren Fehler, diesen Kompromiss, so unzulänglich er war, nun auch noch aufzukündigen. Damit haben Sie eine völlig überflüssige gesellschaftspolitische Auseinandersetzung provoziert. Worum ging es? Sagen Sie doch einmal die Wahrheit: Es ging darum, dass die vier Atomkonzerne einen zusätzlichen Profit in Höhe von 120 Milliarden Euro erzielen wollten. Das haben Sie ihnen zugebilligt.
Jetzt kommt der Höhepunkt. Dann sagt Frau Merkel zu den Bossen, sie wolle aber auch für den Bund etwas haben, und zwar 2,3 Milliarden Euro. Darauf erwidert die Atomlobby, das sei zu viel. Letztendlich einigen sie sich auf 1,5 Milliarden Euro.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Quatschkopf!)
Der Punkt ist doch, dass Sie den Bundestag ausschalten.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie könnten als Märchenerzähler auftreten!)
Herr Kauder, stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten einen selbstständigen Gedanken gegenüber der Bundeskanzlerin
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)
und sagten, Sie wollten mehr als 1,5 Milliarden Euro haben. Dann würde Ihnen die Bundeskanzlerin sagen, dass das gar nicht geht, weil sie ja etwas anderes vereinbart hat. Der Bundestag wird von Ihnen zu einem Abnickorgan gemacht. So etwas geht nicht. Das gefährdet auch die Demokratie.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Gysi, das haben wir gestern Abend schon gehört!)
Herr Kauder, bei der Bankenlobby ist es dasselbe gewesen. Die Bankenlobby hat doch entschieden, wie wir die Krise angeblich lösen. Es entscheidet nicht Frau Merkel, was Herr Ackermann macht, sondern Herr Ackermann entscheidet, was Frau Merkel macht. Selbst wenn sie ihm ein Essen ausgibt, entscheidet nicht etwa sie, sondern er, welche 18 weiteren Personen eingeladen werden. Das ist eine Verkehrung der demokratischen Verhältnisse in diesem Land.
(Beifall bei der LINKEN)
Übrigens war es bei der Gesundheitsreform mit der Pharmaindustrie und den privaten Krankenversicherungen nicht anders. Die haben ebenfalls entschieden, was hier passiert.
(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können Sie etwas zum Thema Atom sagen?)
Bei Hartz IV war es genauso. Sie haben an den illegalen Kungelrunden doch teilgenommen.
(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gregor, gestern war es zu Afghanistan!)
Herr Beck, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, hat dort etwas Verfassungswidriges vereinbart, immer unter Ausschluss der Linken. Es stört Sie, wenn wir von Ihren Nebendeals erfahren. All das gefährdet die Demokratie. Das müssen Sie sich überlegen.
(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Von den Linken müssen wir uns über Demokratie nichts erzählen lassen!)
Ich will Ihnen auch sagen, warum die Demokratie gefährdet wird: weil nichtzuständige Einrichtungen die Entscheidungen treffen. Die Kungelrunde von Herrn Beck ist nicht zuständig. Angerufen war der Vermittlungsausschuss. Er hatte noch gar nicht getagt. Ich möchte gerne, dass der Bundestag, der Bundesrat und der Vermittlungsausschuss wieder die Entscheidungsgremien werden. Entscheidungen dürfen nicht in den illegalen Kungelrunden getroffen werden, an denen Sie sich beteiligen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sind uns einig - zumindest in der Opposition -, dass die acht ältesten und pannenreifen AKW sofort und für immer vom Netz genommen werden müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Streitfrage ist: Was wird mit den weiteren neun AKW? Ich sage Ihnen: Was Sie hier bieten, ist willkürlich. Die SPD schreibt, bis 2020 sollten sie abgeschaltet werden. Ursprünglich war von einer Laufzeit bis 2023 die Rede. Jetzt sagen Sie: bis 2020.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Lesen Sie einmal den Gesetzentwurf!)
Die Grünen sagen: bis 2017. Ich halte das alles für willkürlich.
Wir schlagen etwas ganz anderes vor: dass wir uns mit unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit Umweltverbänden und mit kommunalen Energieerzeugern beraten und dass die Abschaltung unverzüglich, ohne schuldhaftes Verzögern, das heißt so schnell wie möglich, erfolgt,
(Ulrich Kelber (SPD): Herzlich willkommen! Das haben wir schon vor Jahren gemacht!)
und zwar auf der Grundlage der Berechnungen von Fachleuten und nicht basierend auf den willkürlichen Gedanken, die Sie hier in den Raum bringen.
(Beifall bei der LINKEN - Hubertus Heil (Peine) (SPD): Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, Herr Gysi!)
Zu Baden-Württemberg kann ich Ihnen auch noch etwas sagen. Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 müssen dauerhaft abgeschaltet bleiben. Auch Philippsburg 2 und Neckarwestheim 2 werden unverzüglich und unumkehrbar abgeschaltet und können nicht am Netz bleiben. Da die EnBW mehrheitlich dem Land gehört, ist es gar kein Problem, das umzusetzen, egal welche Regierung in Baden-Württemberg gebildet wird.
(Zuruf von der SPD: Warten wir es ab!)
- Ja, warten wir das ab.
(Thomas Oppermann (SPD): Atom-Mappus!)
Das ist aber nur das eine, was wir fordern.
Wir fordern darüber hinaus, den Verzicht auf Atomenergie und Atomwaffen in das Grundgesetz aufzunehmen. Das ist dringend erforderlich. Es gibt das schöne Beispiel Österreich. Dort steht das in der Verfassung. Folgt man diesem Beispiel, gibt es auch keine Debatte mehr.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Dort benutzt man Atomstrom, um das Wasser hochzupumpen!)
- Herr Kauder, haben Sie doch einmal den Mut und tragen Sie zur Zweidrittelmehrheit bei. Dann nehmen wir das ins Grundgesetz auf. Danach wird sich im Bundestag nie wieder eine Zweidrittelmehrheit finden, die es ändert. Dann wären wir endlich endgültig ausgestiegen. Genau das brauchen wir.
(Beifall bei der LINKEN)
Übrigens liegen in Rheinland-Pfalz noch 20 Atombomben der USA. Die müssten abgezogen werden. Der Kalte Krieg ist seit über 20 Jahren vorbei. Wir brauchen keine Atomwaffen in Deutschland.
(Beifall bei der LINKEN)
Des Weiteren brauchen wir ein Exportverbot für die Technik, die für die energetische und militärische Nutzung der Atomkraft eingesetzt wird. Es geht wirklich nicht an, dass wir weiterhin damit Profit machen und daran verdienen, dass wir diese Technik weltweit verkaufen.
Mit dem, was Sie hier zu den Hermesbürgschaften gesagt haben, haben Sie recht: Die Bundesregierung kann den Bau von Atomkraftwerken nicht auch noch finanziell begleiten. Hier muss ein Umdenken stattfinden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen ein Sofortprogramm hinsichtlich der erneuerbaren Energien, gerade in Bayern und in Baden-Württemberg, wo der Anteil der Atomenergie so groß ist. Dort muss jetzt wirklich einmal etwas passieren.
Im Übrigen führt die Verlängerung der Laufzeiten bei der Atomenergie zu verstopften Netzen. Dadurch wird die Entwicklung der erneuerbaren Energien gebremst. Ich sage das, weil Sie immer so tun, als ob dabei das Gegenteil herauskommen würde. Auch hier müssen wir also umdenken.
Ich füge hinzu, dass wir Stromnetze in öffentlicher Hand brauchen. Ich weiß, dass Sie sich darüber immer aufregen; Sie wollen alles privatisieren. Wenn die Stromnetze nicht in öffentlicher Hand sind, dann ist die Politik auch nicht zuständig. Wenn die Politik nicht zuständig ist, dann ist auch die Demokratie nicht zuständig. Wenn alles privatisiert ist, dann ist es eben bei bestimmten Fragen egal, ob man FDP oder Linke wählt, weil das Parlament gar nicht mehr darüber zu entscheiden hat.
(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja auch so schon egal!)
Wir brauchen auch bei der Energieversorgung eine Dezentralisierung und Kommunalisierung,
(Beifall bei der LINKEN)
weil kleinere Einheiten einfach übersichtlicher sind. Sie möchten, dass ein Bürgermeister nichts mehr zu entscheiden hat.
(Volker Kauder (CDU/CSU): So ein Blödsinn!)
- Ja, natürlich! Wenn Sie alles privatisiert haben, hat der Bürgermeister nichts mehr zu entscheiden, weder hinsichtlich der Energiepreise noch hinsichtlich der Wasserpreise oder der Mieten. Ich möchte, dass die Politik für die öffentliche Daseinsvorsorge zuständig bleibt, damit die Wahl zwischen uns beiden für die Leute Sinn macht.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist die Frage, die dahintersteckt.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Wir wollen keine Situation wie in der DDR!)
- Herr Kauder, quatschen Sie doch nicht immer von der DDR. Sie wissen doch gar nicht, wie es dort war.
(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Aber Sie! Sie wissen es!)
- Ja, ich weiß es; ich habe dort gelebt.
(Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Sie wissen sogar, wie es bei den anderen war, wo Sie geschnüffelt haben!)
Aber ich gebe Ihnen nicht auch noch ein Essen aus, um Ihnen den Osten zu erklären; das geht mir zu weit.
Herr Kauder, wir brauchen noch etwas - ich sage das auch der FDP, die das grundsätzlich ablehnt -: Wir brauchen natürlich einen Preisstopp und eine staatliche Preisregulierung. Das gab es in der Bundesrepublik jahrzehntelang. Was war denn daran so schlimm? Seitdem die Energieversorgung privatisiert ist, gehen die Preise nach oben. Die Konzerne telefonieren miteinander und besprechen das. Es gibt doch in diesem Bereich überhaupt keinen Markt. Wir haben vier Konzerne, die sich die Bundesrepublik Deutschland feudal aufgeteilt haben. Also brauchen wir auch hier einen anderen Weg.
Wieder geht es um die Frage der Zuständigkeit der Politik und der Demokratie. Sie begreifen eine einfache Tatsache nicht: Der Bundestag wird demokratisch gewählt; die Atomlobby wird nicht gewählt, die Chefs der Pharmaindustrie werden nicht gewählt, die Chefs der Banken werden auch nicht gewählt.
(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Natürlich werden die gewählt!)
Es macht einen Unterschied, dass die Bevölkerung den Bundestag wählen darf, aber nicht den Vorstand der Deutschen Bank. Insofern ist es eine Katastrophe, dass der Vorstand der Deutschen Bank mehr zu sagen hat als die Bundesregierung. Genau das müssen wir überwinden.
(Beifall bei der LINKEN)
Schließlich sage ich Ihnen: Am Samstag werden große Demonstrationen stattfinden. Ich bitte Sie - auch Sie, Herr Brüderle -, sie ernst zu nehmen. Die Bürgerinnen und Bürger werden dort ganz entschieden rufen: "Atomkraft? Nein, danke!" Nehmen Sie sie ernst! Veralbern Sie sie nicht mit einem Moratorium, das überhaupt nicht ernst gemeint war.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Bundesminister Rainer Brüderle.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und jetzt aufpassen, dass nicht wieder falsch protokolliert wird! - Hubertus Heil (Peine) (SPD): Das kann im Bundestag nicht passieren!)
Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi, Sie kritisieren, dass ein Zusammenhang zwischen unserer Politik und dem Wahlkampf besteht. Sie haben nur über Atomkraftwerke in Baden-Württemberg gesprochen; das nur nebenbei gesagt.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Nein! Der hat über alles geredet!)
Sie haben aus einem Protokoll zitiert, zu dem der BDI inzwischen erklärt hat, dass meine Ausführungen falsch wiedergegeben worden sind.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und die Erde ist eine Scheibe! - Hubertus Heil (Peine) (SPD): Narrenmund tut Wahrheit kund! - Rolf Hempelmann (SPD): Es ist noch schlimmer!)
Was ich kenne, ist meine Haltung und die Haltung der Bundesregierung: Wir wollen in das Zeitalter der erneuerbaren Energien einsteigen. Wir machen verantwortungsvolle Politik und halten Kurs. Es ist absurd, uns Wahlkampfmanöver vorzuwerfen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht!)
Einige von Ihnen stellen sich hin und fordern hier den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie. Das ist verantwortungslos. Sie wissen ganz genau, dass das unsere Netze überhaupt nicht aushalten können. Das, was Sie fordern, ist überhaupt nicht machbar.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Herr Trittin und Herr Gabriel, Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt, die Kernkraftwerke sofort abzuschalten; Sie haben es nicht getan. Sie sollten etwas mehr die Seriosität, Ruhe und Besonnenheit übernehmen, die die Japaner im Umgang mit der Atomkatastrophe und den beiden Naturkatastrophen gezeigt haben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Japan geht mit diesem Schicksalsschlag gelassen und besonnen um. Teile der Opposition meinen, in Deutschland Hysterie verbreiten zu müssen.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)
Das ist der Lage in Japan völlig unangemessen, und das ist der Lage in Deutschland völlig unangemessen.
(Beifall bei der FDP - Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sie sind der Regierung unangemessen! - Weitere Zurufe von der SPD)
Da wird versucht, aus jeder angeblichen Neuigkeit eine Sensation zu kreieren. Wir sollten uns auch in der politischen Debatte mit etwas mehr Ruhe und Sachlichkeit des Themas annehmen. Ja, was in Japan passiert ist, war ein Einschnitt:
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Und?)
für Europa, für Deutschland und für die Welt.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Aber nicht so schlimm?)
Wir überprüfen bei allen Kernkraftwerken in Deutschland die Sicherheit erneut umfassend. Die sieben ältesten Kernkraftwerke in Deutschland werden zunächst abgeschaltet.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Vorübergehend!)
Die Prüfung ist hart, fair und ergebnisoffen. Eine Vorfestlegung gibt es nicht. Aber eines ist klar: Sicherheit geht vor. Eine ähnliche Überprüfung führen die Vereinigten Staaten, China und Russland durch.
(Rolf Hempelmann (SPD): Schon vor einem halben Jahr!)
Sie können doch nicht behaupten, dass die Landtagswahlen im Süden der Republik das Verhalten dieser Länder, die genauso vorgehen, beeinflussen würden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Zeit während des Moratoriums wird genutzt, damit die neue Lage nach den japanischen Vorfällen seriös überprüft werden kann.
Zentral für den Umstieg in das Zeitalter der regenerativen Energien, den wir wollen, ist der Netzausbau. Wir müssen die Netze schneller ausbauen. Schon heute fehlen in Deutschland 3 600 Kilometer Stromleitungen - Tendenz steigend.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Ja, was tun Sie denn? - Gegenruf der Abg. Marie-Luise Dött (CDU/CSU))
- Wir stellen ein Konzept für den Netzausbau auf, um diesen zu beschleunigen.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe eine Netzplattform geschaffen, auf der wir auch mit NGOs einen Dialog führen, damit wir schneller zu einer Akzeptanz kommen.
(Zuruf der Abg. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Aber Teile der Opposition sind gegen alles: gegen Kernkraft, gegen Kohlekraftwerke und gegen Leitungen.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Quatsch!)
Das ist unverantwortliche Politik.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Eine Deindustrialisierung, die gegen Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland gerichtet ist, können Sie mit Schwarz-Gelb nicht machen. Deshalb sollten Sie mit Besonnenheit und Vernunft an diese Themen herangehen.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Sie lügen ja schon wieder, Herr Brüderle!)
Wir bringen Schwung in den Netzausbau. Ich stelle mir vor, dass wir als Resultat dieser nationalen Aufgabe ein Konzept auf den Weg bringen, um diesen Ausbau erheblich zu beschleunigen. Ich lade Sie ein, mitzumachen. Sie können nicht hier im Bundestag Ja zum Netzausbau sagen, aber vor Ort bei den Blockierern dabei sein. Wenn konkrete Maßnahmen bei Pumpspeicherkraftwerken und Netzen anstehen, machen Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie fordern.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Rot-rot-grüne Energiepolitik ist eine Nullnummer. Sie blockieren beim Umbau des Kraftwerkparks.
(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Falsch!)
Sie sollten konsequent mithelfen, dass wir schneller in das Zeitalter der regenerativen Energien kommen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Hubertus Heil (Peine) (SPD): Deshalb haben Sie die Restlaufzeiten verlängert! Peinlich! - Christian Lange (Backnang) (SPD): Ist Ihre Rede schon rum? - Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): War das schon alles? Was war denn die Aussage?)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Hans-Josef Fell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Brüderle, da kommen Sie nicht mehr heraus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie haben beim BDI in Anwesenheit von RWE und Eon die Wahrheit zu Protokoll gegeben. Das jetzt als Fehler im Protokoll ausgeben zu wollen, macht Sie noch wesentlich unglaubwürdiger, als Sie es vorher schon waren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Christian Lange (Backnang) (SPD): Überführt sind Sie!)
Ihr angebliches Atommoratorium ist reine Wahlkampftaktik. Das haben Sie beim BDI klar zugegeben. Dabei brauchen wir heute doch keine Wahlkampftaktik, um auf diese Herausforderungen des Atomunfalls in Japan zu reagieren. Er ist es, der zur Deindustrialisierung Japans beiträgt. Es sind nicht die erneuerbaren Energien, sondern es ist die Atomenergie, die eine Deindustrialisierung befördert. Das können Sie in Japan genau sehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Vorsichtig!)
Nach dieser nuklearen Katastrophe in Japan sind zwei entscheidende Handlungen zwingend erforderlich: Zum einen müssen wir jetzt dem japanischen Volk in seiner großen Not nach Erdbeben, Tsunami und Atomunfall alle Hilfen geben, die uns möglich sind. Dabei sehe ich auch große Defizite dieser Regierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zum anderen braucht unser Planet endlich einen völlig neuen Entwurf für die Energieversorgung dieser Erde: ohne Atomenergie und wegen des Klimaschutzes auch ohne fossile Energien.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Diesen neuen Entwurf für die Energieversorgung dieser Welt gibt es bereits. Die renommierten kalifornischen Universitäten Stanford und Davis, die mit ihren Ausgründungen im Silicon Valley die dritte industrielle Revolution der Welt ermöglicht haben, haben jetzt einen Plan für die vierte industrielle Revolution der Welt geschaffen. Sie sagen: Der gesamte Weltenergiebedarf kann danach bis 2030 zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien gedeckt werden. Das ist technologisch möglich, industriell machbar und hat ökonomisch große Vorteile.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Doch statt nun auf die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu setzen, was Frau Merkel und Sie, Herr Brüderle, in der letzten Woche noch vollmundig erklärten, wurde in dieser Woche die Verkündung von neuen Maßnahmen abgesagt. Offensichtlich haben sich die Hardliner durchgesetzt. Offensichtlich haben Sie, Herr Brüderle, Herr Kauder und Herr Fuchs, die Verabschiedung eines Beschleunigungskonzeptes in Sachen erneuerbare Energien verhindert.
Es ist wie immer bei Ihrem Regierungshandeln: Eine leere Versprechung reiht sich an die andere. Statt Milliarden in den Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien zu stecken, wurden die Mittel für erneuerbare Energien im Haushalt 2011 gekürzt, und die Mittel für die Effizienzsteigerung wurden gleich mit gekürzt. Das widerspricht Ihren Worten doch völlig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Immer noch halten die Kanzlerin und Sie am uralten kerntechnischen Regelwerk fest, ebenso am Atommanager Hennenhöfer als Leiter der Atomaufsicht. Alles spricht dafür, dass Sie nach der Wahl am kommenden Sonntag wieder einen Pro-Atom-Kurs fahren werden.
Frau Merkel will sich heute auf dem EU-Gipfel für einen Stresstest der europäischen Atomkraftwerke einsetzen. Da muss sie Herrn Oettinger aber sagen, dass das nicht nach dem alten Euratom-Regelwerk geschehen kann. Dieses Regelwerk ist zur Analyse der Gefahren von Atomkraftwerken, die in Japan aufgetreten sind, untauglich. Wir brauchen eine Veränderung der Euratom-Regeln. Am besten wäre eine Abschaffung der Unterstützungsmodalitäten. Stattdessen brauchen wir einen neuen EU-Vertrag für erneuerbare Energien, Eurenew. Das wäre die richtige Antwort. Das müsste Frau Merkel jetzt in Brüssel auf den Weg bringen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir Grünen haben längst gezeigt, wie eine Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien gelingen kann. Das ist nachzulesen im Energiekonzept der Grünen und in den Vorlagen, die wir heute einbringen. Wir machen konkrete Vorschläge, wie dieses Land spätestens zum Ende der nächsten Wahlperiode vollständig aus der Atomenergie aussteigen kann. Mit dem unter Rot-Grün geschaffenen erfolgreichen Erneuerbare-Energien-Gesetz haben wir bewiesen, dass wir eine solche Politik gegen alle Widerstände aus den Reihen von Union, FDP und Atomwirtschaft machtpolitisch durchsetzen können.
Wir müssen den Ausbau der Windkraft, der Solarenergie, der Wasserkraft, der Bioenergie und der Erdwärme beschleunigen. Wir müssen den Kommunen mehr Energiehoheit geben. Wir müssen die Energieeinsparpotenziale heben und Bürgerakzeptanz für den notwendigen Netz- und Speicherausbau schaffen. Herr Brüderle, die Hauptengstellen liegen übrigens im 110-kV-Netz. Dort finden die Abschaltungen statt. Für den Ausbau dieses Netzes kann man Erdkabel nutzen. Doch die Deutsche Energie-Agentur und Sie, Herr Brüderle, sprechen fast nur vom Ausbau der großen 380-kV-Leitungen. Neue Kohlekraftwerke sind - das ist eine Mahnung an die andere Seite des Hauses, an SPD und Linke - für die Umsetzung unseres Energiekonzepts nicht notwendig. Wir müssen auch an den Klimaschutz denken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Brüderle, Sie wollen nur die großen Leitungen bauen, um den Windstrom von Nord nach Süd zu bringen. Fordern Sie lieber endlich Herrn Mappus in Baden-Württemberg und Herrn Seehofer in Bayern auf, die Genehmigungsblockaden in Sachen Windenergie abzuschaffen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Windstrom kann man auch mit neuen Windrädern in die südlichen Bundesländer bringen.
Sie haben in der Vergangenheit bewiesen, dass Sie den Blick nicht nach vorne richten. Ich will Ihnen Albert Einstein in Erinnerung rufen, der gesagt hat, dass man mit den Denkweisen, die ein Problem verursacht haben, das Problem nicht lösen kann. Das werden die Wählerinnen und Wähler am kommenden Sonntag erkennen. Sie sind mit Sicherheit in der Lage, die Konsequenzen zu ziehen. Die Konsequenz ist: Die Atomparteien müssen abgewählt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)