Juli 2010 |
100706 |
ENERGIE-CHRONIK |
Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nun auch die enormen Vergünstigungen des Produzierenden Gewerbes bei der Energiebesteuerung ins Visier genommen. So will er die zu zahlenden Mindestbeträge um das Zehnfache erhöhen. Bei der Stromsteuer wären das 5.000 anstelle bisher 512,50 Euro. Die Entlastung durch den sogenannten Spitzenausgleich, die bisher 95 Prozent der verbliebenen Steuerschuld ausmacht, soll 2011 auf achtzig Prozent und 2012 auf 60 Prozent gesenkt werden. Durch beide Maßnahmen erhofft sich Schäuble Mehreinnahmen von über eine Milliarde Euro. Außerdem will er juristische Konstruktionen unterbinden, mit denen es bisher möglich ist, auch andere Wirtschaftszweige an den Steuervergünstigungen des Produzierenden Gewerbes teilhaben zu lassen. Das soll weitere 200 Millionen Euro erbringen (FAZ, 21.7. u. 28.7.).
Die Erhöhungen der Stromsteuer für das Produzierende Gewerbe sind in einem Referentenentwurf vorgesehen, den das Bundesfinanzministerium am 27. Juli zur Abstimmung an die anderen Ressorts versandte. Zunächst sollte der Sockelbetrag sogar um das Vierzigfache auf 20.000 Euro erhöht werden. Die Erhöhung des Mindestbetrags trifft vor allem das Handwerk. Die industriellen Großverbraucher schmerzt es dagegen weitaus mehr, wenn ihnen der sogenannte Spitzenausgleich gekürzt wird.
Die betroffenen Branchen mobilisierten bereits im Juni ihre Lobby, um die Beschneidung der Steuervorteile möglichst gering zu halten. Der Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) wandte sich am 28. Juni gegen den Vorschlag des Bundesrechnungshofs, den Sockelbetrag zu verzehnfachen. Mit einer solchen Mehrbelastung würden zugleich die Klimaschutzvereinbarungen zwischen Bundesregierung und Wirtschaft aufgekündigt, drohte die VIK-Geschäftsführerin Birgit Ortlieb. Der Hauptgeschäftsführer der WirtschaftsVereinigung Metalle, Martin Kneer, verlangte am 2. Juli, daß zumindest der Spitzenausgleich nicht angetastet werde.
In einem Papier mit dem Titel "Chancen zur Entlastung und Modernisierung des Bundeshaushalts" hatte der Bundesrechnungshof schon im November 2009 auf Mißbrauchsmöglichkeiten aufmerksam gemacht und die Abschaffung der Steuervergünstigung für sogenanntes Nutzenergie-Contracting empfohlen. Es geht dabei um Unternehmen, die aus Strom, Gas oder Öl sogenannte Nutzenergie in Form von Licht, Wärme, Kälte oder Antrieb erzeugen. Sie gelten ebenfalls als produzierendes Gewerbe und genießen dessen Steuervergünstigungen. In der Praxis führte dies aber zur Entstehung von Unternehmen, deren einziger Geschäftszweck die Nutzung der Steuervorteile ist. Beispielsweise bieten sie sich Supermärkten oder Hotelketten als juristisches Zwischenglied an, um die Steuervergünstigung für das Produzierende Gewerbe beantragen zu können. Die erstattete Geldsumme wird dann zwischen den Beteiligten aufgeteilt.
Im Referentenentwurf eines "Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer-
und des Stromsteuergesetzes", den das Bundesfinanzministerium im Februar versandte,
ging es vorläufig nur um die Beseitigung dieser Mißbrauchsmöglichkeit
und eine Reihe kleinerer Änderungen. Aber auch hier protestierte die Lobby: Der
Entwurf verhindere auch Geschäftsmodelle, die tatsächlich zu einer Energieeinsparung
führen, kritisierten der Verband für Wärmelieferung (VfW), die Arbeitsgemeinschaft
Fernwärme (AGFW) und das ESCO-Forum im ZVEI am 17. März in einer gemeinsamen
Stellungnahme.