Januar 2010

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ENERGIE-CHRONIK


Vorerst noch keine Entscheidung über Laufzeiten-Verlängerung für Kernkraftwerke

Kernkraftwerksbetreiber und Bundesregierung trafen am 21. Januar zum ersten Mal seit dem Regierungswechsel zusammen. Sie setzten damit die "Monitoring"-Runden fort, die im Atomkonsens-Papier vom 14. Juni 2000 vereinbart wurden und in der Regel einmal jährlich stattfinden sollen, um die gemeinsame Umsetzung des Ausstiegsbeschlusses zu bewerten (010602). Inzwischen stimmen alle Beteiligten darin überein, daß die damalige Vereinbarungen über die Reststrommengen revidiert und die Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke verlängert werden sollen. Keine Einigung gibt es bisher aber über den Zeitpunkt und die Einzelheiten der Neuregelung, die nach der Koalitionsvereinbarung den KKW-Betreibern einen "Vorteilsausgleich" abverlangen wird (091001). Anscheinend kam es auch bei der "Monitoring"-Runde im Kanzleramt noch nicht zum Einstieg in die Verhandlungen, obwohl die Runde mit den zuständigen Vorstandsmitgliedern der vier KKW-Betreiber und den Staatssekretären des Umwelt- und Wirtschaftsressorts kompetent besetzt war. Stattdessen scheint das Bundesumweltministerium den Energiekonzernen definitiv klargemacht zu haben, daß sie vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai keine Entscheidung erwarten dürfen und eventuell sogar bis zur Vorlage des neuen Energiekonzepts warten müssen, das laut Koalitionspapier noch in diesem Jahr erarbeitet werden soll (091001).

Neckarwestheim 1 und Biblis A haben nur noch geringe Reststrommengen

Vor allem die EnBW (Neckarwestheim 1) und RWE (Biblis A) stehen unter Zeitdruck, weil die Reststrommengen für ihre Reaktoren fast abgearbeitet sind. Ende November 2009 betrug die Reststrommenge in Neckarwestheim gerade noch 2446 Gigawattstunden (GWh). Normalerweise würde der Reaktor rund 6000 GWh im Jahr abarbeiten. RWE verfügte Ende November 2009 in Biblis noch über 4196 GWh, was ebenfalls nicht der möglichen Jahresproduktion von rund 7000 GWh entspricht. Dabei haben beide Energiekonzerne schon im vergangenen Jahr die Produktion stark gedrosselt, um die Reststrommengen der beiden Reaktoren möglichst weit über die Bundestagswahl hinaus zu strecken.

E.ON könnte Gutschrift für Stade auf alle anderen Reaktoren übertragen

Etwas größere Polster besaßen Ende November 2009 Vattenfall bei Brunsbüttel (10.992 kWh) und E.ON bei Isar 1 (10.506 GWh). E.ON ist dabei in der komfortablen Situation, noch über 4786 GWh Reststrommenge für das Kernkraftwerk Stade zu verfügen, das Ende 2003 vorzeitig abgeschaltet wurde (031107). Die Übertragung dieser Reststrommengen vom 1972 vollendeten Reaktor Stade könnte sogar ohne Zustimmung der Bundesregierung erfolgen, da die noch in Betrieb befindlichen 17 Reaktoren durchweg jüngeren Datums sind. Die Überlassung von Reststrommengen an die Konkurrenten würde sich E.ON aber sicher gut bezahlen lassen. EnBW und RWE besitzen dagegen keine noch älteren Reaktoren, von denen sie Reststrommengen auf Neckarwestheim 1 und Biblis A übertragen könnten. Sie müßten deshalb einen Antrag stellen, diese Mengen von ihren jüngeren Reaktoren abzweigen zu dürfen, etwa von Neckarwestheim 2 oder Biblis B. Im Unterschied zur Vorgänger-Regierung würde die jetzige schwarz-gelbe Koalition diese Anträge sicher genehmigen. Insofern ist die Lage für die KKW-Betreiber nicht so dramatisch, wie es mitunter in den Medien dargestellt wird.

Stadtwerke und Bundeskartellamt befürchten Nachteile für den Wettbewerb

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) verlangte inzwischen, auch die Stadtwerke in die Verhandlungen einzubeziehen. Es sei "nicht hilfreich, wenn zum Auftakt einer solchen Debatte in einem kleinen, exklusiven Kreis über das Thema Laufzeiten von Kernkraftwerken gesprochen wird", kritisierte VKU-Präsident Stephan Weil am 21. Januar die an diesem Tag stattfindende Gesprächsrunde zwischen KKW-Betreibern und Bundesregierung. Die Stadtwerke seien der energiewirtschaftliche Mittelstand Deutschlands und der einzig ernstzunehmende Wettbewerber des Oligopols der vier großen Energiekonzerne. Eine Laufzeitverlängerung ohne stimmiges Energiekonzept festige diese Marktmacht auf Dauer und behindere Innovationen auf dezentraler Ebene.

Das Bundeskartellamt verfolgt die geplante Laufzeitverlängerung ebenfalls mit gemischten Gefühlen. Das Thema habe eine "stark wettbewerbliche Komponente", sagt der neue Behördenchef Andreas Mundt am 19. Januar am Rande der Handelsblatt-Jahrestagung "Energiewirtschaft 2010" in Berlin. Man dürfe "nicht allein auf die monetäre Seite schauen". Bei einem planmäßigen Ausstieg aus der Kernenergie würden die vier großen Energiekonzerne am Ende etwa 22 Prozent der Erzeugungskapazitäten in Deutschland verlieren, wodurch kleinere Anbieter die Chance hätten, diese Lücke zu füllen. Durch die Vertagung des Ausstiegs blieben die Erzeugungsstrukturen dagegen zunächst unverändert in den Händen der vier großen Konzerne konzentriert. Möglicherweise müsse man deshalb die Kraftwerkskapazitäten anders verteilen, durch Verkauf oder über Strombezugsrechte.

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