Juni 2008

080607

ENERGIE-CHRONIK


ENTSCHEIDUNG DES RATES

vom 14. Dezember 1987

über Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleunigten Informationsaustausch im Fall einer radiologischen Notstandssituation

(87/600/Euratom)

 

DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN -

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 31,

auf Vorschlag der Kommission im Anschluß an die Stellungnahme der Gruppe der Persönlichkeiten, die der Ausschuß für Wissenschaft und Technik ernannt hat,

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments (1),

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

Nach Artikel 2 Buchstabe b) des Vertrages hat die Gemeinschaft einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufzustellen.

Der Rat hat am 2. Februar 1959 Richtlinien zur Festlegung von Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen (3) erlassen, die zuletzt durch die Richtlinie 80/836/Euratom (4) und die Richtlinie 84/467/Euratom (5) geändert worden sind.

Artikel 45 Absatz 5 der Richtlinie 80/836/Euratom erfordert bereits, daß jeder Unfall, der eine Strahlenexposition der Bevölkerung zur Folge hat, unverzueglich den benachbarten Mitgliedstaaten und der Kommission zu melden ist, wenn die Umstände es erfordern.

Gemäß Artikel 35 und 36 des Vertrages haben die Mitgliedstaaten bereits die notwendigen Einrichtungen zur ständigen Überwachung des Gehalts der Luft, des Wassers und des Bodens an Radioaktivität zu schaffen und die einschlägigen Auskünfte der Kommission zu übermitteln, damit die Kommission ständig über den Gehalt an Radioaktivität unterrichtet ist, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist.

Gemäß Artikel 13 der Richtlinie 80/836/Euratom haben die Mitgliedstaaten die Kommission regelmässig über die Ergebnisse der in diesem Artikel genannten Kontrollen und Schätzungen zu unterrichten.

Der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl in der Sowjetunion hat deutlich gemacht, daß der Kommission im Falle einer radiologischen Notstandssituation sämtliche einschlägigen Informationen gemäß einem vereinbarten Schema zugehen müssen, damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen kann.

Einige Mitgliedstaaten haben bilaterale Modalitäten vereinbart; ferner haben alle Mitgliedstaaten das IÄO-Übereinkommen über die schnelle Unterrichtung bei nuklearen Unfällen unterzeichnet.

Mit diesen Gemeinschaftsvereinbarungen wird sichergestellt, daß alle Mitgliedstaaten im Fall einer radiologischen Notstandssituation unverzueglich informiert werden, um dafür zu sorgen, daß die in den Richtlinien gemäß dem Zweiten Titel Kapitel III des Vertrages festgesetzten einheitlichen Normen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung in der ganzen Gemeinschaft angewendet werden.

Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleunigten Informationsaustausch berühren nicht die sich aus bilateralen oder multilateralen Verträgen oder Übereinkommen ergebenden Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten.

Zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit wird die Gemeinschaft sich an dem IÄO-Übereinkommen über die schnelle Unterrichtung bei nuklearen Unfällen beteiligen -

HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN:

Artikel 1

(1) Diese Regelung gilt für die Bekanntgabe und Erteilung von Informationen, wenn ein Mitgliedstaat umfassende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung im Falle eines radiologischen Notfalls beschließt, und zwar

a) nach einem Unfall in seinem Gebiet, durch den Anlagen oder Tätigkeiten im Sinne von Absatz 2 betroffen sind und der in signifikantem Masse zur Freisetzung von radioaktiven Stoffen führt oder führen kann, oder

b) nach der Feststellung - innerhalb oder ausserhalb seines Gebietes - anomaler Radioaktivitätswerte, die für die öffentliche Gesundheit in diesem Mitgliedstaat schädlich sein könnten, oder

c) nach anderen als den in Buchstabe a) genannten Unfällen, durch die Anlagen oder Tätigkeiten im Sinne von Absatz 2 betroffen sind und die in signifikantem Masse zur Freisetzung von radioaktiven Stoffen führen oder führen können, oder

d) nach anderen Unfällen, die in signifikantem Masse zur Freisetzung von radioaktiven Stoffen führen oder führen können.

(2) Bei den in Absatz 1 Buchstaben a) und c) genannten Anlagen und Tätigkeiten handelt es sich um folgende:

a) Kernreaktoren jedweden Standorts;

b) sonstige Anlagen des Brennstoffkreislaufs;

c) Anlagen zur Entsorgung radioaktiver Abfälle;

d) Beförderung und Lagerung von Kernbrennstoffen oder radioaktiven Abfällen;

e) Herstellung, Verwendung, Lagerung, Beseitigung und Beförderung von Radioisotopen für landwirtschaftliche, industrielle, medizinische und verwandte wissenschaftliche und Forschungszwecke;

f) Verwendung von Radioisotopen zur Stromerzeugung in Weltraumobjekten.

Artikel 2

(1) Ergreift ein Mitgliedstaat Maßnahmen im Sinne des Artikels 1, so muß dieser Mitgliedstaat

a) die Kommission und die Mitgliedstaaten, die betroffen sind oder sein könnten, von diesen Maßnahmen und den Gründen hierfür unverzueglich in Kenntnis setzen;

b) der Kommission und den Mitgliedstaaten, die betroffen sind oder sein könnten, umgehend die verfügbaren einschlägigen Informationen liefern, um gegebenenfalls die voraussichtlichen radiologischen Folgen in diesen Staaten möglichst gering zu halten.

(2) Ein Mitgliedstaat sollte möglichst die Kommission und die Mitgliedstaaten, die betroffen sein könnten, davon in Kenntnis setzen, daß er unverzueglich Maßnahmen im Sinne des Artikels 1 zu ergreifen gedenkt.

Artikel 3

(1) Die nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b) zu liefernden Informationen müssen, ohne Gefährdung der nationalen Sicherheit - soweit möglich und angezeigt - folgende Angaben umfassen:

a) Art des Ereignisses, den Zeitpunkt und die genaue Ortsangabe sowie die betroffene Anlage oder Tätigkeit;

b) Angaben zu der vermuteten oder festgestellten Ursache sowie zur voraussichtlichen Entwicklung des Unfalls hinsichtlich der Freisetzung radioaktiver Stoffe;

c) die allgemeinen Kennwerte der freigesetzten radioaktiven Stoffe einschließlich der Angaben zur Art, wahrscheinlichen physikalischen und chemischen Form sowie Menge, Zusammensetzung und effektiven Höhe der freigesetzten radioaktiven Stoffe;

d) Informationen über die bestehenden und zu erwartenden meteorologischen und hydrologischen Verhältnisse, die für eine Vorhersage der Verbreitung der freigesetzten radioaktiven Stoffe erforderlich sind;

e) die Ergebnisse der Umweltüberwachung;

f) die Ergebnisse der Messungen von Nahrungs- und Futtermitteln sowie des Trinkwassers;

g) Angaben zu den ergriffenen oder geplanten Schutzmaßnahmen;

h) Angaben zu den ergriffenen oder geplanten Maßnahmen zur Aufklärung der Bevölkerung;

i) Angaben zum voraussichtlichen Verhalten der freigesetzten radioaktiven Stoffe im Laufe der Zeit.

(2) Diese Informationen sind in angemessenen Zeitabständen durch weitere einschlägige Informationen, einschließlich Angaben über die Entwicklung der Notfallsituation und ihrer voraussichtlichen oder tatsächlichen Beendigung, zu ergänzen.

(3) Der in Artikel 1 genannte Mitgliedstaat hat die Kommission gemäß Artikel 36 des Vertrags in angemessenen Zeitabständen über die festgestellten Radioaktivitätswerte nach Absatz 1 Buchstaben e) und f) zu informieren.

Artikel 4

Nach Eingang der in Artikel 2 und 3 erwähnten Informationen muß jeder Mitgliedstaat

a) die Kommission unverzueglich über die nach Eingang dieser Informationen ergriffenen Maßnahmen und ausgesprochenen Empfehlungen informieren;

b) die Kommission in angemessenen Zeitabständen über die von den Überwachungseinrichtungen in Nahrungs- und Futtermitteln, im Trinkwasser sowie in der Umwelt gemessenen Radioaktivitätswerte in Kenntnis setzen. Artikel 5

(1) Nach Eingang der in den Artikeln 2, 3 und 4 erwähnten Informationen übermittelt die Kommission diese vorbehaltlich des Artikels 6 umgehend an die zuständigen Behörden aller anderen Mitgliedstaaten. Ausserdem leitet die Kommission sämtliche ihr zugehenden Informationen über jeden signifikanten Anstieg der Radioaktivitätswerte oder über nukleare Unfälle in Drittländern, insbesondere in Nachbarländern der Gemeinschaft, an alle Mitgliedstaaten weiter.

(2) Für die Weiterleitung der in den Artikeln 1 bis 4 genannten Informationen legt die Kommission nach Absprache mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten detaillierte Modalitäten fest, die in regelmässigen Zeitabständen erprobt werden.

(3) Jeder Mitgliedstaat nennt der Kommission die zuständigen innerstaatlichen Behörden und Kontaktstellen, die die in den Artikeln 2 bis 5 genannten Informationen entgegennehmen bzw. weiterleiten. Die Kommission übermittelt diese Angaben sowie die Bezeichnung ihrer zuständigen Dienststelle den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten.

(4) Die Kontaktstellen und die zuständige Dienststelle der Kommission müssen jederzeit erreichbar sein.

Artikel 6

(1) Die gemäß den Artikeln 2, 3 und 4 übermittelten Informationen können ohne Einschränkungen verwendet werden, es sei denn, sie werden von dem Mitgliedstaat, der die Angaben gemacht hat, als vertraulich bezeichnet.

(2) Der Kommission zugehende Informationen bezueglich einer Anstalt der Gemeinsamen Forschungsstelle dürfen nur mit Zustimmung des Mitgliedstaats, in dem sich diese Anstalt befindet, weitergeleitet werden.

Artikel 7

Diese Entscheidung berührt nicht die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten aufgrund bestehender oder noch zu schließender bilateraler oder multilateraler Abkommen oder Übereinkommen auf dem unter diese Entscheidung fallenden Gebiet, die mit ihrer Zielsetzung und ihrem Zweck in Übereinstimmung sind.

Artikel 8

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um dieser Entscheidung innerhalb von drei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.

Artikel 9

Diese Entscheidung ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu Brüssel am 14. Dezember 1987.

Im Namen des Rates

Der Präsident

U. ELLEMANN-JENSEN

(1) ABl. Nr. C 318 vom 30. 11. 1987.

(2) ABl. Nr. C 105 vom 21. 4. 1987, S. 9.

(3) ABl. Nr. 11 vom 20. 2. 1959, S. 221/59.

(4) ABl. Nr. L 246 vom 17. 9. 1980, S. 1.

(5) ABl. Nr. L 265 vom 5. 10. 1984, S. 4.