Juni 2008

080606

ENERGIE-CHRONIK


Für eine Schließung des Forschungsendlagers Asse II unter Atomrecht und eine schnelle Rückholung der Abfälle

(Der Antrag wurde am 29. März 2007 im Plenum des Bundestags debattiert und mit den Stimmen der Regierungskoalition an den Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen)

 

Deutscher Bundestag
Drucksache 16/4771
16. Wahlperiode
21. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine Schließung des Forschungsendlagers Asse II unter Atomrecht und eine schnelle Rückholung der Abfälle

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Zustände im sogenannten Forschungsendlager Asse II sind besorgniserregend. Obwohl als reines Forschungsendlager konzipiert, wurden in das ehemaligen Bergwerk Asse II zwischen 1965 und 1978 125 787 Fässer mit leicht- und mittelradioaktivem Atommüll unterschiedlicher Herkunft verbracht. Heute, knapp 30 Jahre nach Ende der Einlagerung, ist die Sicherheit dieses Endlagers nicht mehr gewährleistet. Seit mindestens 20 Jahren sickert eine Salzlösung in das Endlager. Herkunft und exakter Verbleib der Flüssigkeit sind bislang ungeklärt. Die eindringende Salzlösung kann die eingelagerten Fässer angreifen und Radionuklide herauslösen. Da die Asse von verschiedenen grundwasserleitenden Gesteinsformationen umgeben ist, kann der Kontakt der Salzlösung zum Grundwasser nicht ausgeschlossen werden. Auf diesem Weg kann Radioaktivität ins Grundwasser gelangen.

Das zuständige Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF) plant durch die Einbringung gesättigter wässriger Magnesiumchloridlösung, die Gefährdung zu stoppen. Diese Lauge soll die Standfestigkeit des Grubengebäudes stabilisieren. Danach soll das Forschungsendlager umgehend geschlossen werden. Der Zustand der Müllfässer wird weder derzeit überwacht, noch ist ein zukünftiges Monitoring geplant. Einen adäquaten Sicherheitsnachweis für die Wirksamkeit dieses Vorgehens hat das GSF bislang nicht erbringen können.

Verschiedene Experten zweifeln an, dass die geplanten Maßnahmen das Problem überhaupt wirksam beheben können. Einige gehen sogar davon aus, dass das von der GSF anvisierte Vorgehen das Gefahrenpotential noch erhöht. Zuerst einmal ist das Eintreten von Flüssigkeiten in das Endlager generell brisant, egal ob Salzlösung oder Magnesiumchloridlauge. Beides kann die Korrosion der Fässer beschleunigen. In der Folge würden durch unvermeidbar ablaufende Lösungs- und Transportprozesse Radionuklide aus den Abfallgebinden remobilisiert und dann aus dem Nahfeld des Endlagers transportiert. Je mehr Flüssigkeit, desto größer die Gefahr, da sich die Kontaktfläche von Lösung und Abfallgebinde erhöht. Zudem können Veränderungen von pH-Werten und Redoxbedingungen sowie die Radiolyse und die Behälterkorrosion zur Bildung von Wasserstoff, Sauerstoff und gelösten Chloriten führen. Zusammen mit in der Nachbetriebsphase austretendem Methan, Schwefelwasserstoff sowie weiteren Spaltgasen entsteht ein brennbares, explosives und toxisches Gemisch, welches bei steigendem Gasdruck die gelösten Radionuklide über unbekannte Wegsamkeiten in den Grundwasserbereich pressen oder bei Undurchlässigkeit desWirtsgesteins die Stabilität des gesamten Grubengebäudes gefährden kann. Hinzu kommt ein unbekanntes Gefährdungspotential durch mangelhafte Erkenntnisse über chemische und physikalische Prozessabläufe wässriger Magnesiumchloridlauge bei Kontakt mit Plutonium und anderen Transuranen. Diese gefährliche Gemengelage am Standort Asse II ist weder jetzt noch in 100 oder 10 000 Jahren hinnehmbar.

Gegen die Einbringung der wässrigen Magnesiumchloridlösung spricht jedoch auch, dass sie unumkehrbar Fakten schaffen würde. Denn nach dem Zusatz dieser wässrigen Lauge wäre eine Rückholung nicht mehr möglich. Aufgrund der lückenhaften Kenntnisse über die möglichen chemischen und physikalischen Folgeprozesse in der Nachbetriebsphase von Asse II sowie aufgrund der fehlenden Sicherheitsnachweise durch die GSF müssen umgehend Alternativen geprüft werden. Die GSF hat jedoch bislang alternative Lösungswege weder ernsthaft erwogen, geschweige denn unabhängige Gutachter stichhaltig prüfen lassen. Die unklare Situation im Grubengebäude legt nahe, dass nur durch eine Rückholung der Abfallgebinde der drohenden radioaktiven Kontamination umfassend entgegengewirkt werden kann. Diese Option ziehen weder das Bundesministerium für Bildung und Forschung noch die GSF in Erwägung. Es ist nicht zu erkennen, ob dieser Auffassung finanzielle Erwägungen oder Sicherheitsbedenken zu Grunde liegen.

Der gesamte Ablauf am Forschungsendlager Asse II fand bislang quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Planung, Bau und Betrieb des atomaren Endlagers wurden nicht nach Atomrecht, sondern nach Bergrecht durchgeführt. Damit wurde eine rechtliche Grundlage für die Beteiligung der Bevölkerung am Verfahren ausgeschlossen. Es wurde weder ein vernünftiges Auswahlverfahren durchgeführt noch wurde den umliegenden Gemeinden und anderen Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt, formelle und inhaltliche Einwände zu machen. Ein freier Zugang zu Studien der GSF bzw. zu deren Berichten oder Datenmaterial wurde nicht gewährt. Die GSF plant nun das Verfahren auf der gleichen Rechtsgrundlage fortzusetzen und damit die vitalen Interessen der betroffenen Bevölkerung erneut zu ignorieren.

Dabei wäre eine Schließung des Endlagers nach Atomrecht problemlos möglich und im Angesicht des Gefahrenpotentials überfällig. Da es sich bei dem enormen Volumen des eingelagerten Atommülls längst nicht mehr um Forschungsaufgaben, sondern um ein handfestes Endlagerproblem handelt, gehört es in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die für die Situation in Asse II hauptverantwortlichen Personen, so wie langjährige wissenschaftliche Berater müssen vom weiteren Verfahren ausgeschlossen werden.

Von den über 125 000 eingelagerten Fässern stammen über 20 000 aus Atomkraftwerken. Es ist unklar, ob alle AKWs, die in Asse eingelagert haben, ohne diesen Entsorgungsnachweis eine Betriebsgenehmigung erhalten hätten. Weitere circa 15 000 Fässer wurden von der Atomindustrie (Siemens KWU, Transnuklear, Nukem …) eingelagert. Es ist nicht nachvollziehbar, dass bislang keiner dieser Verursacher an den Endlagerkosten beteiligt wurde.

Die Erkenntnisse von Asse II müssen in die aktuelle Endlagerdebatte einbezogen werden. Würde das Schließungskonzept der GFS verwirklicht, würde erstmalig in derWelt ein nichtrückholbares Endlager für Atommüll durchgesetzt. Es widerspricht allen Prinzipien des AkEnd. Atommüll kann man nicht einfach per Dekret irgendwo im Erdreich vergraben, nur weil die Umstände günstig sind. Die Gefahr ist zu hoch, dass die Probleme wie jetzt bei Asse II nur Jahrzehnte später als Bumerang zurückkommen. Eine ernsthafte vergleichende, ergebnisoffene und transparente Suche nach dem bestmöglichen Endlagerstandort ist einer vorschnellen Wahl immer vorzuziehen. Bei der aktuellen Suche nach dem bestmöglichen Standort für schwach-, mittel- und hochradioaktiven Abfall darf ein solcher Missgriff nicht noch einmal unterlaufen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle geplanten Maßnahmen zur Einbringung gesättigter wässriger Magnesiumchloridlösung umgehend zu stoppen;

2. alle notwendigen Schritte einzuleiten, um das Grubengebäude der Asse II zu stabilisieren, alle Leckagen abzudichten und kontinuierlich Kontrollen durchzuführen;

3. die Rückholung der atomaren Abfälle im Endlager Asse, die sich momentan als einzig realistische Option darstellt sowie alle parallel dazu notwendigen Maßnahmen wie Zwischenlagerung und Umkonditionierung als erste Option zu veranlassen. Jeder Vergleich mit anderen Verfahrensweisen muss die Gefahr für Mensch und Umwelt transparent aufzeigen. Nur wenn das Gefahrenpotential gleichwertig oder geringer ist als das der Rückholung, darf diese Alternativmaßnahme erwogen werden;

4. anzuerkennen, dass es sich bei einem Endlager mit über 125 000 schwachund mittelradioaktiven Fässern nicht um Forschung handelt, sondern um die Endlagerung von Atommüll mit handfesten geologischen Problemen. Alle weiteren Maßnahmen am Standort Asse II müssen daher nach Atomrecht durchgeführt werden. Die Verantwortung für Asse II muss vom Bundesministerium für Bildung und Forschung auf das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit übergehen;

5. umgehend alle Schritte einzuleiten, die die Öffentlichkeitsbeteiligung nach Atomrecht einfordert. Dazu gehört ein umfassendes Planfeststellungsverfahren;

6. alle bisher erstellten Unterlagen zu Asse II öffentlich zugänglich zu machen;

7. zu überprüfen, inwieweit die Atomindustrie, die als Verursacher von mindestens 20 Prozent der eingelagerten Abfälle klar identifiziert ist, an der Finanzierung der Endlagerproblematik Asse II beteiligt werden kann;

8. die Lehren aus dem „Forschungsansatz“ Asse II zu ziehen und bei allen aktuellen und zukünftigen Endlagerplanungen ein ergebnisoffenes und transparentes Suchverfahren nach den Prinzipien des „Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagersuche“ (AkEnd) vorzuschalten.

Berlin, den 21. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion