März 2008

080308

ENERGIE-CHRONIK


Dena warnt vor Kraftwerkslücke durch Atomausstieg – Umweltbundesamt widerspricht

In der derzeitigen Auseinandersetzung um den Bau neuer Kohlekraftwerke und das Festhalten am Atomausstieg haben die Kraftwerksbetreiber Unterstützung von der "Deutschen Energie-Agentur" (Dena) erhalten, die Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) untersteht. Am 18. März berichteten "Frankfurter Allgemeine" und "Handelsblatt" erstmals über eine "Kurzanalyse" der Agentur, derzufolge bereits im Jahr 2015 die in Deutschland installierte Kraftwerksleistung nicht mehr zur Deckung der Jahreshöchstlast ausreichen wird, sofern die Laufzeiten der Kernkraftwerke nicht verlängert werden. Bis 2020 werde sich diese Kapazitätslücke um das drei- bis vierfache erhöhen. Dies gelte sowohl bei Berücksichtigung der Stromverbrauchssenkungen, welche die Bundesregierung mit ihrem Energieprogramm erzielen will, als auch unter der Annahme einer konstant bleibenden Jahreshöchstlast (siehe Tabelle). Nach den Vorab-Berichten in den beiden wirtschaftsnahen Blättern veröffentlichte die Dena das Papier, das vom 12. März datiert und zwanzig Seiten umfaßt, auch auf ihrer Internetseite.

Das Umweltbundesamt (UBA), das Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) untersteht, war dagegen ganz anderer Auffassung und sorgte postwendend ebenfalls dafür, daß dies publik wurde. Wie die Wochenzeitung "Die Zeit" in ihrer Ausgabe vom 27. März berichtete, widerspricht das Amt in einer noch nicht veröffentlichten Studie "der vor allem von RWE und von E.ON geschürten Angst, es drohten Engpässe bei der Stromversorgung, wenn es beim Atomausstieg bleibe". Gemäß dieser Studie gefährde das Festhalten am Atomausstieg weder die Versorgungssicherheit noch das Ziel, die Emission von Treibhausgasen bis zum Jahre 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Voraussetzung sei allerdings unter anderem, daß der Stromverbrauch bis dahin gegenüber dem Jahr 2005 um elf Prozent sinke und daß keine zusätzlichen Kohlekraftwerke über die heute schon im Bau befindlichen Kraftwerke hinaus in Betrieb genommen würden.

Politik und Wirtschaft sollen für notwendige Akzeptanz von Kohlekraftwerken sorgen

Die Grundaussage der Studie, daß bis 2020 die Leistung von etwa 15 Großkraftwerken fehlen werde, wurde von Dena-Chef Stephan Kohler auch in mehreren Interviews mit Medien vertreten. Er vermied es allerdings, die Verlängerung der KKW-Laufzeiten als einzigen Ausweg darzustellen. Es sei durchaus möglich, die Kraftwerkslücke durch den vermehrten Bau von Kohlekraftwerken zu schließen. Voraussetzung sei aber, daß es Politik und Wirtschaft gelinge, für die notwendige Akzeptanz von Kohlekraftwerken zu sorgen.

Nachdem RWE-Chef Jürgen Großmann bereits Ende Februar die Leser der "Bild-Zeitung" mit der Warnung vor drohenden Stromausfällen erschreckte (080210), begab sich nun auch E.ON-Chef Wulf Bernotat persönlich an die mediale Front: In der Osterausgabe der "Welt am Sonntag" warnte er vor politischen Blockaden gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke. Die von der Dena vorhergesagte Stromknappheit könne man indessen am einfachsten und günstigsten durch eine Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke vermeiden. Die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, warf E.ON daraufhin vor, mit Angstmache vor Stromausfällen die eigenen finanziellen Interessen durchsetzen zu wollen. Staatssekretär Michael Müller vom Bundesumweltministerium ließ verlauten, den Energiekonzernen gehe es nur um ihre abgeschriebenen Kraftwerke, mit denen sich bei längerer Laufzeit sehr gute Geschäfte machen ließen.

Links (intern)

 

Die Entwicklung der Jahreshöchstlast und der Kraftwerkskapazitäten in Deutschland von 2005 bis 2020

laut "Kurzanalyse" der Deutschen Energie-Agentur (Dena) vom 12. März 2003

(Der für den Fall des Atomausstiegs prophezeite Fehlbedarf an Kraftwerksleistung in MW ist rot markiert)



Energieprogramm Bundesregierung

Konstante Stromnachfrage
bei Atomausstieg
mit Laufzeitverlängerung
bei Atomausstieg
mit Laufzeitverlängerung
[MW] 2005 2010 2015 2020 2010 2015 2020 2010 2015 2020 2010 2015 2020
Jahreshöchstlast 76.700 75.933 74.399 72.865 75.933 74.399 72.865 76.700 76.700 76.700 76.700 76.700 76.700
Benötigte gesicherte Leistung 82.700 81.873 80.219 78.565 81.873 80.219 78.565 82.700 82.700 82.700 82.700 82.700 82.700
Gesicherte Leistung Kraftwerksbestand 82.700 74.657 56.821 40.328 77.189 64.576 56.819 74.657 56.821 40.328 77.189 64.576 56.819
Gesicherte Leistung durch Kraftwerke Kategorie A* 0 6.248 9.623 9.623 6.248 9.623 9.623 6.248 9.623 9.623 6.248 9.623 9.623
Gesicherte Leistung durch geplante Kraftwerke Kategorie B** 0 0 5.491 5.491 0 5.491 5.491 0 5.491 5.491 0 5.491 5.491
Gesicherte Leistung durch Ausbau der Erneuerbaren 0 2.732 4.089 5.693 2.732 4.089 5.693 2.732 4.089 5.693 2.732 4.089 5.693
Gesicherte Leistung durch KWK-Ausbau (25%-Ziel) 0 497 1.358 5.766 497 1.358 5.766 497 1.358 5.766 497 1.358 5.766
Noch benötigte gesicherte Leistung 0 -2.261 2.837 11.664 -4.793 -4.917 -4.827 -1.434 5.318 15.799 -3.966 -2.436 -692


* Kategorie A – fossil befeuerte Kraftwerke derzeit im Bau oder nach 2005 in Betrieb gegangen
** Kategorie B - fossil befeuerte Kraftwerke mit hoher Realisierungswahrscheinlichkeit: Genehmigungen bereits erteilt oder absehbar, Anlagentechnik bestellt, Baubeginn steht unmittelbar bevor