Februar 2006 |
060203 |
ENERGIE-CHRONIK |
(Auszug aus dem amtlichen Bundestagsprotokoll)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:
Übernahme ehemaliger Regierungsmitglieder in Vorstände und Aufsichtsräte
deutscher Energiekonzerne
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen
Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in unserer Volkswirtschaft
kaum eine Branche, die derartig monopolistisch strukturiert oder - so könnte
man auch sagen - derartig vermachtet ist wie die Energiebranche. Vier Konzerne kontrollieren
im Strombereich 80 Prozent der Produktion und 100 Prozent der Netze, Jahresumsatz:
80 Milliarden Euro. Allein Eon und RWE kontrollieren zwei Drittel der Stromerzeugung.
Auf dem Gasmarkt sieht es im Grunde genommen noch schlimmer aus: Ein Unternehmen kontrolliert
zwei Drittel des deutschen Erdgasmarktes. Es ist zufällig auch der größte
Stromkonzern: Eon Ruhrgas.
Im Braunkohlesektor haben wir es mit drei Unternehmen - im Wesentlichen ist es ein
großer Spieler, nämlich die RWE-Tochter Rheinbraun - zu tun. Bei der Steinkohle
haben wir es mit einem Unternehmen zu tun - der Deutschen Steinkohle AG, die ihrerseits
eine Tochter der Ruhrkohle AG ist, deren Hauptanteilseigner Eon und RWE sind.
Insofern sind im Bereich der Energieanbieter extrem monopolistische und vermachtete
Strukturen und ein eklatanter Mangel an Wettbewerb zu verzeichnen. Selbst wenn die
Wettbewerbsbehörde bzw. das Kartellamt über entsprechende Instrumente verfügen
und diese auch sehr gut nutzen, fällt es sehr schwer, Transparenz zu schaffen.
Ich glaube, in dieser Situation ist es die Aufgabe der Politik, für fairen Wettbewerb
zu streiten und das Einstreichen von Monopolrenditen dieser marktbeherrschenden Konzerne
zu bekämpfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen mehr Ordnungspolitik und Wettbewerbspolitik im Interesse der Verbraucher
und weniger Industriepolitik, die sich als verlängerter Arm der Stromkonzerne
begreift. Es gibt kaum einen Bereich, in dem politische Entscheidungen so unmittelbar
durchschlagen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch nicht das Thema der Aktuellen Stunde!)
- Ich komme sofort dazu. Das ist jetzt ein kleines Prélude. Hören Sie
zu, Herr Kampeter! Vielleicht können Sie noch etwas lernen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein Präludium von Bach ist mir lieber!)
Politisches Handeln schlägt unmittelbar durch. Das Energiewirtschaftsgesetz setzt
den Ordnungsrahmen. Der Emissionshandel hat Einfluss auf den CO2-Ausstoß. Kraft-Wärme-Kopplung
und erneuerbare Energien werden in eigenen Gesetzen geregelt.
Gerade weil das der Fall ist, sollte die Verquickung von Politik und Energiewirtschaft
in äußerst engen Grenzen gehalten werden, und zwar sowohl im Interesse
der Verbraucher, die keine Lobbypolitik wollen, die sie teuer zu stehen kommt, als
auch im Interesse der Politik selbst. Denn wenn beim Bürger der Eindruck entsteht,
Energiepolitik sei vor allem Gefälligkeitspolitik für die großen Konzerne,
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Reden wir doch mal über Windkraft!)
dann ist das verheerend für das Ansehen der Politik insgesamt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht nicht darum, eine Art chinesische Mauer
zwischen der Welt der Wirtschaft und der Welt der Politik hochzuziehen. Es geht auch
nicht darum, die Berufsfreiheit von Abgeordneten und ehemaligen Ministern einzuschränken.
Im Gegenteil: Ich glaube, dass der Wechsel zwischen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft
und Publizistik sogar eher gefördert werden sollte.
Unzulässig ist aber der unmittelbare Wechsel aus Regierungsämtern in Vorstände
und Aufsichtsräte von Energiekonzernen, mit deren Regulierung man früher
selbst zu tun hatte. Das geht nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das hat mehr als einen Beigeschmack. Wir erinnern uns an den Fall Werner Müller,
der aus dem Ministeramt zur Ruhrkohle AG - das ist, wie gesagt, eine Tochter von Eon
und RWE - gewechselt ist,
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo waren Sie damals eigentlich?)
nachdem er sich vorher jahrelang gegen Wettbewerb auf den Energiemärkten, das
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und das Erneuerbare-Energien-Gesetz profiliert hat.
Des Weiteren gab es den Fall Alfred Tacke, der nach der Genehmigung der Fusion von
Eon und Ruhrgas, die bekanntlich gegen das Votum des Kartellamtes zustande kam, zu
STEAG, einer Ruhrkohle-Tochter - deren Hauptanteilseigner, wie gesagt, Eon und RWE
sind -, gegangen ist.
Der ehemalige Bundeskanzler Schröder wechselt jetzt in den Aufsichtsrat der Betreibergesellschaft
der neuen Ostseepipeline, deren Hauptanteilseigner Gasprom und Eon sind. Außerdem
berät er jetzt die Ruhrkohle AG - angeblich unentgeltlich - dabei, wie bei der
Übernahme der Ewigkeitskosten der Bund am stärksten he-rangezogen werden
kann.
Wolfgang Clement wiederum wechselt in den Aufsichtsrat von RWE Power, nachdem er in
seiner Zeit als Minister zunächst ein sehr schwaches Energiewirtschaftsgesetz
zur Regelung des Wettbewerbes vorgelegt hat und vor allem durch Angriffe auf das EEG
und den Emissionshandel aufgefallen ist.
Ich glaube, das alles zusammengenommen ist keine gute Visitenkarte für die Politik
und es verschärft deren Glaubwürdigkeitskrise, und zwar unabhängig
von Parteigrenzen. Das möchte ich betonen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen klare und kodifizierte Regeln. Notwendig ist eine Karenzzeit, wie es
sie auf europäischer Ebene längst gibt, sodass ein unmittelbarer Wechsel
aus dem Bereich, in dem man vorher im Rahmen politischer Ämter regulierend tätig
gewesen ist, in die Unternehmen nicht mehr möglich ist. Das ließe sich
im Rahmen eines Ehrenkodexes erreichen. Ich glaube, das ist zwingend. Wenn das nicht
gelingen sollte, dann bedarf es eines Gesetzes.
Es reicht nicht aus, in jedem Fall eines unmittelbaren Wechsels aufs Neue zu lamentieren.
Ich möchte Sie bitten, das nicht als Polemik zu verstehen. Es schadet dem Ansehen
der Politik enorm, wenn der Eindruck entsteht, dass Grenzen nicht eingehalten werden
und Insiderwissen mitgenommen wird, was letzten Endes zulasten der Verbraucher geht.
Wir brauchen vor allen Dingen freie und unabhängige Abgeordnete, die das thematisieren.
Ich bitte Sie, darüber nicht nur entlang der parteipolitischen Grenzen zu diskutieren,
sondern das Strukturproblem ernst zu nehmen. Dieser extrem vermachtete Sektor unserer
Volkswirtschaft braucht klare Scheidelinien gegenüber der Politik. Sonst bekommen
wir ein riesengroßes Glaubwürdigkeitsproblem.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Andreas Schmidt von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der heutigen Aktuellen
Stunde ist wichtig, aber auch schwierig.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie so oft!)
Es ist ganz sicher kein energiepolitisches Thema. Ich will versuchen, es sehr grundsätzlich
und ohne Polemik zu behandeln; denn ich glaube, dass es in der Öffentlichkeit
eine gewisse Sensibilität bezüglich dieses Themas gibt. Deswegen haben wir
eine große Verantwortung, wenn wir über dieses Thema sprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bei diesem Thema geht es um die Akzeptanz, ja sogar um die Reputation von Parlamentariern
sowie von aktiven und ehemaligen Ministern, aber auch um die Reputation der parlamentarischen
Demokratie als Institution insgesamt. Herr Loske, grundsätzlich haben Sie Recht:
Das Fehlverhalten eines Einzelnen schadet nicht nur dem Betreffenden selber, einer
politischen Partei oder einer Fraktion, sondern der parlamentarischen Demokratie als
Institution. Bei diesem Thema geht es aber auch um die Frage nach der zukünftigen
Qualifikation der Parlamentarier, darum, wie viel Berufs- und Lebenserfahrung wir
in Parlamenten organisieren können. Welcher Politikertypus soll das Bild des
Parlaments in Zukunft prägen: der Berufspolitiker, der direkt von der Universität
ins Parlament einzieht, lebenslang Parlamentsmitglied ist und dann in Pension geht,
oder derjenige, der mit Berufserfahrung ins Parlament einzieht und vielleicht wieder
in seinen Beruf zurückgeht? Ich plädiere dafür, dieses Thema sehr differenziert
zu betrachten.
Ich möchte drei Eckpunkte nennen.
Der erste Eckpunkt ist: Berufliche und parlamentarische Tätigkeit schließen
sich nicht aus; das haben Sie schon gesagt. Ich stimme Ihnen zu und halte es für
wichtig, dass das in dieser Debatte gesagt wird. Beispielsweise kann eine nebenberufliche
Tätigkeit eines Freiberuflers seine Unabhängigkeit als Parlamentarier während
der Mandatsausübung sichern, weil sie die Voraussetzung dafür ist, später
wieder in den Beruf zurückzukehren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Des Weiteren gilt auch für ehemalige Minister - das haben Sie schon erwähnt
- Art. 12 des Grundgesetzes; das will ich unterstreichen. Es ist selbstverständlich
möglich, dass ein Minister nach seiner Tätigkeit in der Politik zu einem
Unternehmen geht. Warum auch nicht? Politische Erfahrungen können für ein
Wirtschaftsunternehmen von großer Bedeutung sein. Grundsätzlich gilt schließlich
- darin werden wir uns sicherlich einig sein -: Unternehmen, auch Energieunternehmen,
sind keine kriminellen Vereinigungen. Unternehmen sind Voraussetzung für Wirtschaftswachstum
und Arbeitsplätze.
Der zweite Eckpunkt ist: Ich bin in diesem Zusammenhang grundsätzlich gegen die
Normierung eines gesetzlichen Verbotes. Das wird nicht funktionieren. Wir haben mit
§ 331 des Strafgesetzbuches - Verbot der Vorteilsannahme - bereits ein gesetzliches
Verbot. Dieser Strafrechtsparagraph gilt zweifellos auch für aktive und ehemalige
Minister. Aber ich sehe weder eine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung
noch eine rechtsstaatliche Chance für ein gesetzliches Berufsverbot.
Der dritte Punkt ist - er ist genauso bedeutsam -: Nicht alles, was legal ist, ist
auch legitim.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Nicht alles, was nicht verboten ist, ist auch erlaubt. Wir erwarten von aktiven und
ehemaligen Ministern und Parlamentariern Selbstbeschränkung, Sensibilität
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Anstand!)
- richtig, auch Anstand - und die Bewahrung der eigenen Reputation. Natürlich
ist immer eine Einzelfalleinschätzung notwendig. Man muss auf jeden Fall die
Trennschärfe bewahren.
Wir sollten versuchen, die Trennlinie zu definieren. Das ist in der Tat schwierig.
Ich will versuchen, eine Definition vorzunehmen - sie ist vielleicht noch sehr oberflächlich
und diskussionswürdig -: Wenn Gefahr besteht, dass der Anschein entsteht, dass
die berufliche Übernahme in einem nachträglichen Zusammenhang mit früheren
politischen Entscheidungen steht, ist die Selbstbeschränkung eines ehemaligen
Ministers geboten. Das ist die zu definierende Trennlinie. Wenn wir das in dieser
Differenziertheit tun, dann können wir auch über einen Verhaltenskodex reden.
Ich bin nur dagegen, dass wir diese Debatte parteitaktisch instrumentalisieren. Es
geht nicht um einen kurzfristigen parteitaktischen Vorteil, sondern um das Ansehen
des Parlaments als Institution. Deswegen sind wir aufgefordert, die Debatte zu führen,
aber in aller Sachlichkeit, ohne Polemik und mit der gebotenen Verantwortung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin von der FDP-Fraktion.
Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir eigentlich für
diese Aktuelle Stunde eine Rede überlegt.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ganz was Neues! Sonst reden Sie doch einfach los!)
Aber nachdem Sie, Kollege Loske, hier gesprochen haben, lasse ich meine Rede da, wo
sie ist, und sage: Herzlich willkommen in der Opposition! Mir kam Ihre Rede sehr bekannt
vor. Damals, in der Aktuellen Stunde am 10. April 2003, waren das allerdings die Argumente
der FDP-Fraktion. Rainer Brüderle und Frau Kopp haben damals gesprochen. Die
Argumente wurden von den Grünen vehement abgelehnt. Ihre Kollegin Hustedt hat
damals zu diesem Thema gesprochen. Es war teilweise wirklich sehr peinlich. Sie hat
gesagt, die Aktuelle Stunde sei völlig überflüssig. Ich finde es schön,
dass Sie heute zu den gleichen Erkenntnissen kommen wie wir. Damals hat die Kollegin
Kopp gesagt: Liebe Frau Hustedt, Sie haben es versäumt, sich klar zu der Frage
zu äußern, wie die Grünen dazu stehen, dass Herr Müller zur RAG
wechselt.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war denn die Antwort?)
Heute, nach drei Jahren, haben Sie die Frage beantwortet. Ganz herzlichen Dank! Das
hat allerdings etwas lange gedauert.
(Beifall bei der FDP - Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
ist nur die halbe Geschichte!)
Ich finde, das, was der Kollege Schmidt hier gesagt hat, ist sehr nachdenkenswert.
Ich will das aufgreifen. Ich sage das deshalb, weil wir als FDP-Bundestagsfraktion
in dieser Woche einen Antrag eingebracht haben, in dem die Bundesregierung aufgefordert
wird, einen Ehrenkodex zu entwerfen, und zwar analog zu der entsprechenden Gesetzgebung
für die Bundesbeamten. Allerdings stellen wir uns nicht eine Frist von fünf
Jahren vor, sondern eine von zwei Jahren. Wir richten diese Aufforderung bewusst an
die Bundesregierung, weil die Fälle überwiegend die Bundesregierung betreffen.
Müller, Tacke, Koch-Weser und Schröder sind bekannte Beispiele.
Nun weiß ich allerdings auch, Kollege Schmidt, dass ein solcher Ehrenkodex nicht
unbedingt greifen wird. Trotzdem sollten wir es machen. Was wollen Sie machen, wenn
Sie vielleicht neuer Bundeswirtschaftsminister sind, die Tür aufgeht und nicht
nur der ehemalige Wirtschaftsminister Müller hineinkommt, sondern auch der gerade
aus dem Amt geschiedene und von zwei Sicherheitsbeamten begleitete Bundeskanzler Schröder,
der sagt: Die berate ich nur.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich würde denen eine Tasse Kaffee anbieten!)
Er erhält übrigens kein Geld dafür. Darüber ist das also auch
nicht zu greifen. Ich darf eine Agenturmeldung zitieren, wonach eine Mitarbeiterin
von Gerhard Schröder gesagt hat, Schröder und RAG-Chef Werner Müller
seien alte Weggefährten. Das heißt natürlich, dass er seine Erfahrungen
als Altkanzler einbringt. Ich hätte fast mit Heinz Rühmann gesagt: "Ein
Freund, ein guter Freund, das ist das Schönste, was es gibt auf der Welt".
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das ist doch peinlich.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Koppelin ohne Freude und ohne Freunde!)
Da muss man doch auch als Sozialdemokrat dem ehemaligen Parteivorsitzenden und Bundeskanzler
sagen - -
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ihr Freundeskreis passt in eine Telefonzelle!)
- Ich weiß nicht, warum Sie krakeelen. Sie sind zwar bekannt fürs Krakeelen,
aber ich finde, Sie sollten selber einmal überlegen, ob sich ein ehemaliger Bundeskanzler,
der immer noch auf der Gehaltsliste der Bundesrepublik Deutschland steht, einen solchen
Stil leisten kann. Ich glaube nicht. Er schadet uns allen.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Insofern ist das richtig, was in einer anderen Aktuellen Stunde von der Union gesagt
wurde. Solche Leute gehören erst einmal - das ist ein wörtliches Zitat -
auf die Wartebank. Diese Meinung teilen wir. Ich sehe, dass die Union jetzt etwas
anbietet, was sie aber nicht gesetzlich regeln will. Die Grünen kommen nun auf
unsere Seite. Da haben wir schon fast die Mehrheit. Lassen Sie uns doch einen Ehrenkodex
entwerfen! Denn, Kollege Schmidt, es ist genau richtig, was Sie sagen. Es trifft zwar
in erster Linie Minister - es kann auch in den Ländern passieren -, aber das
ganze Parlament und das ganze politische Geschehen sind von diesen Dingen betroffen.
Insofern sollten wir aus dem Parlament heraus Druck auf die jeweilige Regierung ausüben,
egal wie diese zusammengesetzt ist. Ich sage in diesem Zusammenhang ausdrücklich
auch in Richtung der Grünen: Jeder hat da sein Päckchen zu tragen, auch
meine Partei, die FDP.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da verraten Sie auch kein Geheimnis)
- Natürlich, aber Sie können uns doch nicht für jeden haftbar machen.
Machen wir doch endlich einmal Druck! Ich habe keine Lust mehr, seit drei Jahren dieses
Thema zu diskutieren. Ich könnte auch zitieren, was die Bundesregierung zum Fall
Koch-Weser gesagt hat. Das ist noch nicht lange her. Wenn Sie in diesen Genuss kommen
wollen - ich habe das Zitat hier. Damals hat die Bundesregierung gesagt, es seien
nie Gespräche geführt worden. Ende 2004 ist in einer Fragestunde gefragt
worden, was mit Herrn Koch-Weser sei. Die Antwort für die damalige Bundesregierung
gab Staatssekretär Diller:
Staatssekretär Koch-Weser hat zu keinem Zeitpunkt Anstellungsgespräche mit
der Deutschen Bank AG geführt, richtig ist, dass es in den vergangenen Jahren
gelegentlich Anfragen aus der privaten Wirtschaft gegeben hat. Herr Koch-Weser ist
der Bundesregierung fest verbunden. Es bestanden und bestehen keine Wechselabsichten.
(Abg. Rolf Hempelmann [SPD] verursacht Geräusche mit seinem Sitz)
- Bei solchen Antworten fällt man vom Stuhl. Das kann ich gut verstehen. Das
ging uns damals auch so.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind schuld mit Ihrer starken Wortwahl! Sie bringen
den Saal zum Beben!)
Die alte Bundesregierung hat das Parlament teilweise hinters Licht geführt.
Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken! Fordern wir die Bundesregierung dazu auf, einen
Ehrenkodex zu schaffen! Wir von der FDP sind es einfach leid, dass sich das Parlament
damit beschäftigen muss, was ehemalige Bundeskanzler, Minister und Staatssekretäre
machen.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Lange von der SPD-Fraktion.
Christian Lange (Backnang) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, mir ging es
so ähnlich wie fast allen hier im Saal, als ich den Titel dieser Aktuellen Stunde
las. Ausgerechnet die Grünen haben es aufs Tapet gebracht. Ich dachte: Eingeklemmt
in der Opposition zwischen PDS und FDP, erinnern sie sich an ihre Tradition als Protestpartei.
Ich will ausdrücklich sagen: Herr Schmidt, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie dieses
Thema auf das reduziert haben, was es ist: Es ist in der Tat kein energiepolitisches.
Herr Kollege Loske, dennoch muss ich Sie schon an ein paar energiepolitische Aspekte
erinnern. Im Jahr 1998, als der Bundeskanzler sein Kabinett berief, habe ich vonseiten
der Grünen keinen Protest gehört, obwohl Herr Minister Müller schon
damals in der Energiebranche tätig war, und zwar in einem Vorstand, also an führender
Stelle.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir nichts dagegen
gesagt!)
Noch einmal: Ich habe keinen Protest gehört. Wo war er denn?
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum auch?)
- In der Tat: "Warum auch?".
Stattdessen haben Sie Herrn Minister Müller eine Parlamentarische Staatssekretärin
zur Seite gestellt, die ihm eifrig zugearbeitet hat.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch mit der Frage
überhaupt nichts zu tun!)
Es drängt sich schon der Eindruck auf: Kaum in der Regierung, bedienen Sie sich;
kaum in der Opposition, wollen Sie sich davon distanzieren. Diesen Vorwurf muss ich
Ihnen schon machen.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist ein ganz
schlechtes Argument! Das ist überhaupt kein Argument!)
Sie müssen sich der Politik, die sowohl Herr Müller als auch Ihre Staatssekretärin
gemacht haben, nicht schämen, ganz im Gegenteil. Sie versuchen, einen halbseidenen
Faden zu spinnen,
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn, dann ein roter Faden
und kein halbseidener!)
wodurch der Eindruck erweckt wird, als wäre von langer Hand die Abfolge "berufliche
Tätigkeit in der Energiebranche, Ministeramt, danach wieder berufliche Tätigkeit
in der Energiebranche" vorbereitet. Davon kann doch überhaupt keine Rede
sein.
Das gilt insbesondere für Fragen, die uns alle beschäftigt haben, etwa die
Ministererlaubnis. Erinnern wir uns doch: Eine Ministererlaubnis ist in Deutschland
ein Rechtsakt. Eine Ministererlaubnis wurde auch unter Rot-Grün gerichtlich überprüft
und bestätigt. Hier zu sagen, es werde Gefälligkeitspolitik betrieben, nach
dem Motto "Erst regieren, dann kassieren", fördert den Politikverdruss
in Deutschland. Was Sie behaupten, können Sie noch nicht einmal beweisen, weil
es falsch ist. Deshalb bitte ich Sie, damit aufzuhören.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie schaden allen, die politisch tätig sind. Diesbezüglich haben Sie, Herr
Dr. Loske, mit Ihren Bemerkungen Recht.
Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen. Ich muss an dieser Stelle
einfach an Folgendes erinnern: Sie hatten einmal eine Sprecherin namens Gunda Röstel.
Jetzt ist sie Managerin der Gelsenkirchener Gelsenwasser AG; das ist Deutschlands
größer privater Wasserkonzern.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit Regierungshandeln
nichts zu tun! Jetzt geht aber alles durcheinander hier!)
Pikant an dieser Sache ist für die Grünen, dass Gunda Röstel den Atomausstieg
mit ausgehandelt hat und dann ausgerechnet bei einer Tochterfirma des Energiekonzerns
Eon - das ist Deutschlands größter Atomkraftwerkbetreiber - anheuerte.
Sie wollen einen halbseidenen Faden spinnen, auch wenn Sie zu Recht angemahnt haben,
dass es eine Scheidelinie bezüglich dessen, was man nach dem Ausstieg aus der
Politik tut, geben muss. Sie sollten deshalb ganz vorsichtig sein.
Ich habe von Ihnen erwartet - ich will an das anknüpfen, was Herr Schmidt gesagt
hat -, dass Sie ein paar Gedanken zum Thema Kodex äußern. Wir haben im
Parlament angefangen, darüber zu sprechen. Ich bin sehr glücklich darüber,
dass wir in der Frage der Transparenz einen Weg für uns Parlamentarier gegangen
sind, der richtig ist. Leider gibt es auch in unserem Haus einige, die dagegen klagen.
Ich denke an einige aus der FDP-Fraktion; vielleicht gibt es noch ein paar andere
mehr. Ich wiederhole: Das ist der richtige Weg für uns aktive Parlamentarier.
Es gibt eine Regelung für amtierende Minister: Sie dürfen überhaupt
keiner Nebentätigkeit nachgehen.
Wir müssen uns differenzierte Gedanken darüber machen - da bin ich ganz
bei Ihnen -, wie es sich mit ehemaligen Regierungsmitgliedern verhält. Was machen
wir zum Beispiel mit einem Herrn Müller, der in einer bestimmten Branche tätig
gewesen war, dann für nur vier Jahre einen Ausflug in die Politik gewagt hat
und danach wieder in seinen alten Beruf zurückkehren will, wenn auch zu einer
anderen Firma? Was machen wir mit solchen Personen? Wollen wir ein Berufsverbot aussprechen?
Ist das die Antwort, die wir geben? Was machen wir mit denjenigen, die als Rechtsanwälte,
Unternehmensberater oder Publizisten tätig sind, Herr Loske? Welchen Weg gehen
wir? Das ist in der Tat interessant.
Ich bin gern bereit, mit Ihnen in die Diskussion einzusteigen, weil auch ich glaube,
dass wir einen Kodex brauchen. Wenn wir die Diskussion so führen, wenn wir zu
Berufsverboten Nein sagen, wenn wir die Kirche im Dorf lassen und zugleich an das
denken, was moralisch vertretbar ist, dann, glaube ich, werden wir für die nächste
Zukunft auch für ehemalige Minister einen guten Weg finden. In diesem Sinne wünsche
ich mir eine Diskussion mit der Opposition wie auch mit den beiden Regierungsfraktionen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch von der Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte
Gäste auf den Rängen! Es gibt eine Massenflucht von ehemaligen Politikern
in die Wirtschaft. Exwirtschaftsminister Müller wechselte zur RAG AG, Exkanzler
Schröder zum Konsortium der Nordeuropäischen Gaspipeline und Exstaatssekretär
Caio Koch-Weser will zur Deutschen Bank. Dafür gibt es nur zwei mögliche
Erklärungen: Erstens. Einige Politiker glauben nicht mehr daran, dass man mit
der SPD noch einen Blumentopf gewinnen kann. Zweitens. Die ehemaligen Politiker haben
augenscheinlich politische Vorleistungen gegenüber Unternehmen erbracht, die
jetzt mit Vorstands- und Aufsichtsratsposten versilbert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass ehemalige Politiker in die Wirtschaft
gehen. Ich habe aber sehr wohl etwas dagegen, dass Mitglieder der Bundesregierung
Entscheidungen zugunsten von Unternehmen treffen - Stichwort: Ministererlaubnis -,
um sich ihre zukünftigen Jobs in der Wirtschaft zu sichern. Das ist eine Form
von Korruption, die in Deutschland leider legal ist.
(Dr. Rainer Wend [SPD]: Das ist strafbar, was Sie da sagen! - Christian Lange
[Backnang] [SPD]: Unglaublich!)
Wir müssen das im Bundestag gesetzlich ändern.
Offensichtlich betrachten einige Politiker die Zeit in der Bundesregierung nur als
so etwas wie das Qualifying für die Poleposition,
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Uwe Küster [SPD]: Mit Frau Lötzsch in
den Pool! - Weitere Zurufe)
um sich dann beim Rennen einen Spitzenplatz in der Wirtschaft zu sichern - nach dem
Motto "Erst die Macht, dann das Geld" oder, wie Kollege Lange sagte: Erst
regieren, dann kassieren. Das zeugt, finde ich, von einer gewissen Verachtung gegenüber
den Wählerinnen und Wählern. Man hat fast den Eindruck, dass die Herren
ihren Eid auf das Grundgesetz bei ihrer Entlassung an der Garderobe des Bundespräsidenten
abgegeben hätten.
Niemand glaubt doch ernsthaft, dass Herr Clement aufgrund seiner wirtschaftlichen
Kompetenz in den Aufsichtsrat von RWE Power berufen wurde.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Clement wurde als Wirtschafts- und Arbeitsminister nicht nur von den Wählerinnen
und Wählern, sondern auch von seiner eigenen Partei wegen Unfähigkeit in
die Wüste geschickt - und das zu Recht.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ehrlich? Wie kommen Sie auf solche Ideen? Wer
hat Ihnen das aufgeschrieben?)
Alles, was Herr Clement als Minister angefangen hat, ist unfertig, unausgereift und
aus dem Ruder gelaufen. Er hat die wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst, sondern
uns unzählige Probleme hinterlassen. Er trägt die Verantwortung für
die unsäglichen Hartz-Gesetze.
(Dr. Rainer Wend [SPD]: Dafür ist er mit einem Aufsichtsratsposten belohnt
worden! Jetzt wissen wir es!)
Wir haben in der vergangenen Woche darüber diskutiert und festgestellt, dass
nichts Positives eingetreten ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich glaube nicht, dass RWE einen solchen Mann wirklich zur Lösung der eigenen
Probleme braucht. Nein, die Erklärung kann nur sein, dass der Posten als Dankeschön
für frühere Entscheidungen des Ministers vergeben wurde.
Wenn wir als Politiker nicht an Glaubwürdigkeit verlieren wollen, müssen
wir - das ist schon angesprochen worden - gesetzliche Regelungen schaffen, die eine
nachgelagerte Bestechung - ich sage ausdrücklich: nachgelagert - ausschließen.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Was heißt denn "nachgelagerte Bestechung"?)
- Das ist sehr gut verständlich. Auch Sie verstehen das sehr gut. Sie haben sich
mit solchen Fragen schon auseinander setzen müssen.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist ein Straftatbestand! Wollen Sie damit
unterstellen, dass die strafbar geworden sind? Wollen Sie das unterstellen? Unglaublich,
solche Behauptungen!)
Bekanntlich gibt es in anderen Ländern wie Schweden, aber auch in den USA ganz
klare gesetzliche Regelungen, die eine große Transparenz garantieren. Warum
sollten wir in Deutschland nicht auch solche Regelungen schaffen können? Das
würde uns, glaube ich, sehr gut tun.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir können aber auch ganz klein bei uns anfangen. Der Kollege Koppelin hat es
schon angesprochen. Auch wir Abgeordneten sollten unsere Einkünfte so offen legen,
dass jeder genau weiß, woher und von wem wir unser Geld bekommen.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das machen wir doch schon! Offener kann man es
nicht legen! - Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das machen wir doch jetzt!)
Kollege Koppelin, wir alle werden Sie sicherlich unterstützen, dass Sie auch
in Ihrer Fraktion dafür eine große Mehrheit oder gar 100 Prozent Zustimmung
bekommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber Sie haben ja schon gesagt: Man kann nicht jeden für alles haftbar machen.
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)
- Oskar Lafontaine ist da, glaube ich, sehr offen.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht
sein!)
Er wird Ihnen alles vortragen. Wir in der Fraktion haben viele technische Möglichkeiten,
das im Internet zu veröffentlichen. Er wird das bestimmt gern tun, Herr Koppelin,
und Ihnen damit eine besondere Freude machen.
Ich möchte einen Vorschlag der deutschen Sektion von Transparency International
aufgreifen. Danach soll die Karenzzeitregelung, die für Beamte gilt, auch für
Parlamentarische Staatssekretäre, Minister und natürlich Kanzler gelten.
Das Bundesbeamtengesetz legt für solche Fälle eine Karenzzeit von fünf
Jahren fest. Eine solche Frist - man könnte sie auch Schamfrist nennen - sollten
auch Herr Schröder und Herr Clement einhalten. Ihre beachtlichen Ruhestandsbezüge
werden eine Verarmung dieser Herren in dieser Zeit weiß Gott verhindern.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN - Jürgen Koppelin [FDP]: Hätten Sie bei Oskar
Lafontaine auch fordern müssen!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Austausch zwischen Parlament, Regierung, Wissenschaft und Wirtschaft
ist notwendig. Er wird aber in Deutschland nach meiner Einschätzung viel zu wenig
gepflegt und sollte daher eher gefördert denn diskreditiert werden. Wir alle
können von den unterschiedlichen Lebenssphären der Kolleginnen und Kollegen,
die nicht aus dem rein politischen Geschäft in den Bundestag gewählt werden
oder in die Regierung eintreten, lernen. Wir sollten uns auch immer wieder deutlich
vor Augen führen, dass Politik ein endliches Geschäft ist und Macht auf
Zeit gibt. Somit sollten wir nach und vor der Parlamentszeit uneingeschränkt
beruflichen Tätigkeiten nachgehen können.
Ich habe mich allerdings schon etwas gewundert, dass die Sachverhalte, zu denen ich
im Einzelfall noch kurz Stellung nehmen werde, von den Grünen erst entdeckt worden
sind, nachdem sie die Stander ihrer Dienstwagen nach dem Regierungswechsel abgegeben
haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen nehme ich all das, was von dieser Seite kommt, nicht sonderlich ernst.
Ich will nun drei Gruppen voneinander unterscheiden: die Abgeordneten, das politische
Leitungspersonal und die Spitzenbeamten.
Wir Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages leisten ein Maximum an
Transparenz über unsere privaten und finanziellen Verhältnisse. Wir haben
uns gerade Verhaltensregeln gegeben, die, wie manche glauben, den Wechsel zwischen
Wirtschaft und Politik eher erschweren und die wir uns deshalb noch einmal kritisch
anschauen sollten. Der frei gewählte Abgeordnete ist also schon nahezu gläsern,
seine Einkünfte sind uneingeschränkt transparent.
(Zurufe von der LINKEN)
Im Übrigen ist jeder Abgeordnete - auch dazu möchte ich klar Stellung beziehen
- Lobbyist, nämlich Lobbyist seiner Region. Ich lasse mich nur ungern darin überbieten,
für das Gemeinwohl der Heimatregion, die ich hier als Abgeordneter vertrete,
das Optimum herauszuholen. Das ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere
verdammte Aufgabe. Daran ist auch nichts Anstößiges.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die zweite Gruppierung stellt das politische Leitungspersonal dar, insbesondere die
Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre. Diese sind im Gegensatz zu dem,
was die Kollegin Lötzsch hier vorgetragen hat, keine Beamten, sondern auch sie
haben ein Mandat auf Zeit, das vom Deutschen Bundestag legitimiert wurde. Auch hier
gilt: Austausch und Wechsel müssen positiv bewertet werden. Ich finde, es gab
viel zu wenige Wirtschaftsführer und leitende Geschäftsführer aus Wirtschaftsunternehmen
in politischen Leitungsfunktionen. Vom Grundsatz her halte ich es auch nicht für
schädlich, dass jemand, der ein Ministerium geführt hat, in der deutschen
Wirtschaft beweist, dass er Führungsverantwortung wahrnehmen kann. Ich möchte
an dieser Stelle ausdrücklich an die großartige Sanierungsleistung, die
Lothar Späth bei Jenoptik erbracht hat, erinnern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dass dieser Austausch zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft bestimmten Regeln
unterworfen werden sollte und es bestimmte Vorgänge gibt, die ich bei anderen
Konstellationen durchaus kritischer bewerten würde, als es die Zeit heute zulässt,
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das Sein bestimmt
das Bewusstsein, oder wie?)
zeigt sich ja daran, dass sich alle Redner der Koalitionsfraktionen offen und gesprächsbereit
für den Vorschlag gezeigt haben, über Verhaltensregeln wie einen Ehrenkodex
zu reden. Zugleich waren sie sich aber auch darin einig, keine zusätzlichen gesetzlichen
Regelungen zu schaffen. Nicht alles nämlich, was legal ist, ist auch legitim;
und nicht alles, was legitim ist, ist auch anständig. In diesem Sinne müssen
Regeln gefunden werden, die ausschließen, dass ein Wechsel zwischen Politik
und Wirtschaft korrumpierende Strukturen schafft, wie hier behauptet worden ist. Das
kann nicht unser Interesse sein und das ist auch nicht unser Interesse. Die Union
wird sich aktiv an diesem Diskussionsprozess beteiligen.
Ich will auch darauf hinweisen, dass ich ein ungutes Gefühl habe, was die Effektivität
parlamentarischer Kontrolle durch informelle Strukturen angeht. Hier muss auch Transparenz
herrschen. Deshalb sollten wir sehr sorgfältig über solche sinnvollen Kodizes
nachdenken. Wenn klare Regeln da sind, gibt es auch ausgesprochen wenig Missverständnisse.
Man muss auch prüfen, ob die Dienst- und Amtsausstattung nach der Dienstzeit
lediglich für entsprechende Zwecke genutzt wird. Das gilt für ehemalige
Bundeskanzler ebenso wie für andere.
Ich komme dann zu der dritten Gruppe, nämlich den Behördenleitungen. Hier
gibt es einige Vorgänge im Zusammenhang mit Staatssekretären, deren Wechsel
in Energie-, Versorgungs-, Transport- und Finanzwirtschaft zum gegenwärtigen
Zeitpunkt - wie es bei einem Regierungswechsel, glaube ich, ganz natürlich ist
- etwas intensiver ist. Hier ist ß 69 a Bundesbeamtengesetz einschlägig,
der eine Überprüfung dieses Wechsels vorsieht. Zu überlegen wäre,
ob man die Überprüfung nicht im eigenen Haus, sondern durch Innen- und Justizministerium
oder andere Administrationen durchführt, um Amtsbrüderschaften auszuschließen.
Aber im Kern gibt es in diesem Gesetz klare Regeln. Man muss schauen, dass sie effektiv
angewandt werden.
Dann gibt es noch die Vorteilsannahme nach § 331 StGB. Frau Kollegin Lötzsch,
es ist unanständig, wenn Sie hier einen Vorgang konstruieren, der nach dem geltenden
Strafrecht einschlägig bewehrt ist, und den Eindruck erwecken, es gäbe hier
eine Rechts- und Regelungslücke. Wenn Sie der Auffassung sind, dass ein solcher
Vorgang zu bestrafen ist, steht es Ihnen frei, die dafür vorgesehenen strafrechtlichen
Wege zu gehen. Aber denunzieren Sie hier bitte nicht, ohne Ross und Reiter zu nennen!
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Diese dritte Gruppe ist deswegen von den Parlamentariern sowie den Ministern und Parlamentarischen
Staatssekretären zu unterscheiden, weil sie im Gegensatz zu den ersten beiden
Gruppen eine sehr umfassende, lebenslange Versorgungsleistung erhält und nicht
zwangsläufig zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit gezwungen ist.
Von daher finde ich es nur recht und billig, dass wir als Parlament bei dieser Gruppe
besonders kritisch hinschauen; denn sie wird von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern
lebenslang alimentiert.
In diesem Sinne kann das der Anfang einer weitergehenden, tiefer schürfenden
Debatte sein. Aber wir müssen uns klar sein: Für vordergründige populistische
Anwürfe, wie von PDS und Bündnis 90/Die Grünen hier vorgetragen, bietet
das zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Anlass.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Berninger von Bündnis 90/Die Grünen.
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Freitag erschien im "Economist"
ein ziemlich umfangreicher Bericht über die aktuelle Situation in Deutschland.
Darin sind mehrere Probleme beschrieben worden. Ein Problem, das wir in Deutschland
haben, ist, dass der Arbeitsmarkt nicht genügend Durchlässigkeit für
diejenigen bietet, die draußen stehen. Als zweites Problem wird das Schulsystem
beschrieben, das insbesondere den sozial Schwachen nicht die gleichen Chancen einräumt
wie anderen.
Als drittes Problem haben die Journalisten des "Economist" die Cliquenwirtschaft
angeführt. Das sollte uns zu denken geben; denn ich glaube, dass das nicht nur
ein Problem des kölschen Klüngels ist, sondern ein generelles Problem, das
diesem Land erheblich schadet. Wenn es in bestimmten Branchen eine Nähe zwischen
dem Staat auf der einen Seite und den Unternehmen auf der anderen Seite gibt, dann
sind Wechsel von Politikerinnen und Politikern in diese Branchen grundsätzlich
sensibel. Wenn diese Politikerinnen und Politiker darüber hinaus wesentliche
Entscheidungen mit getroffen haben, die für diese Branchen Auswirkungen haben,
dann sind solche Wechsel in höchstem Maße bedenklich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen. Um die Kollegen der Sozialdemokratie etwas
zu entlasten und dem Kollegen Kampeter für seinen Beitrag einen zurückzugeben:
Dass der Kollege Wiesheu Wirtschafts- und Verkehrsminister war und einen Koalitionsvertrag
mit ausgehandelt hat, der sehr sensible Fragen bezüglich der Zukunft der Bahn
AG regelt, und unmittelbar danach in den Bahnvorstand gewechselt ist, gehört
genauso in die lange Liste wie eine ganze Reihe anderer Punkte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD)
Ich glaube, dass wir uns als Parlament über bestimmte Grundsätze verständigen
sollten, die das künftig nicht mehr erlauben.
Ich habe mich an der Stelle, lieber Kollege Christian Lange, sehr über die klare
Ansage gefreut, dass auch die SPD-Fraktion hier Verhaltensregeln für ehemalige
Minister, Bundeskanzler und Bundeskanzlerinnen - da haben wir noch die Hoffnung, dass
das einmal wieder ein Ende nimmt - festlegen will und dass auch das Kabinett sich
künftig solche klaren Regeln gibt.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Vom Kabinett habe ich nicht gesprochen!)
Der Kollege Schmidt hat in Moll genau das für die CDU/CSU-Fraktion erklärt.
Damit hat die Aktuelle Stunde, beantragt von meiner Fraktion, einen wesentlichen Sinn
erfüllt, nämlich dass diese Zustände in Deutschland ein Ende haben
und der Cliquenwirtschaft der Nährboden entzogen wird. Daran sollten wir weiter
arbeiten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Warum ist es so problematisch, wenn ein Bundeskanzler aus Freundschaft einen Unternehmenschef
dabei beraten will, wie er ein möglichst günstiges Ergebnis für sein
Unternehmen erzielt? Es wird in dem Moment problematisch, wenn ein für die Ruhrkohle
AG möglichst günstiges Ergebnis zulasten des Landes Nordrhein-Westfalen
und zulasten des Bundes ausgehandelt wird. Genau darum geht doch zurzeit die Auseinandersetzung:
Wie viel Geld überweist die Ruhrkohle dafür, dass die Ewigkeitskosten des
Bergbaus künftig nicht mehr von dem Unternehmen und dessen Aktionären getragen
werden, sondern vom Bund, also von uns, den Steuerzahlern.
Ich erwarte von einem ehemaligen Regierungschef, der noch nicht einmal 100 Tage aus
dem Amt ist, dass er - Freundschaft hin, Freundschaft her - an der Stelle nicht einem
Unternehmen dabei hilft, ein möglichst günstiges Ergebnis zu erzielen. Das
ist im Kern das Problem. Ich finde dieses Verhalten empörend, unabhängig
von der Partei, der der ehemalige Regierungschef angehört.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Dr.
Diether Dehm [DIE LINKE])
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Herr Tacke ein veritabler Experte im Bereich der
Energiewirtschaft ist. Er hätte natürlich in alle möglichen Positionen
wechseln können. Dass er aber ausgerechnet in ein Unternehmen wechselt, von dem
auch wieder Eon aufgrund einer Ministerentscheidung, die Herr Tacke zu verantworten
hat, massiv profitiert hat, ist ein Zeichen von mangelnder Sensibilität.
Uns Grünen ist vorgeworfen worden, dass wir das nicht laut gesagt haben, als
wir mit der SPD koaliert haben. Dass der Vorwurf von der FDP kommt, ist relativ verständlich.
(Gudrun Kopp [FDP]: Genau!)
Aber dass die CDU/CSU den gleichen Vorwurf erhebt, ist verwunderlich. Heute erleben
wir doch, wie schwierig die Situation für Sie ist. Eigentlich möchten Sie
mehr über die Person Koch-Weser sagen und eigentlich würden Sie sich gerne
mehr über den Bundeskanzler empören. Auch die Sache mit Müller - Sie
haben sich in der letzten Legislaturperiode sehr darüber empört - stinkt
Ihnen noch genauso wie vor der Bundestagswahl. Das bringt uns aber nicht weiter.
Ich meine, es gibt Grenzen. Die Häufung von solchen Wechseln - zuletzt der Wechsel
von Herrn Clement in den Aufsichtsrat eines RWE-Unternehmens - sollte endlich einmal
vom Deutschen Bundestag mit einem klaren Stoppsignal beantwortet werden.
Herr Lange hat heute einen mutigen Anfang gemacht. Nach seinem Vorschlag müssen
sich alle ehemaligen Mitglieder des Kabinetts, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit,
überlegen, ob sie sich gegen diese Linie der SPD-Bundestagsfraktion stellen.
Insofern begrüße ich diesen Vorschlag ausdrücklich.
Es gibt ein Unternehmen, bei dem eine ähnliche Diskussion in naher Zukunft droht,
nämlich die Bahn.
(Jürgen Koppelin [FDP]: Richtig!)
Nicht nur Herr Wiesheu, sondern gerüchteweise auch andere sind jetzt dabei, sich
als Berater bei der Bahn zu verdingen. Es funktioniert nicht, dass wir auf der einen
Seite über den Börsengang der Bahn im Sinne der Menschen, die die Bahn künftig
benutzen wollen, und im Sinne des Bundes, der Besitzer der Bahn ist - er will beim
Börsengang einen entsprechenden Ertrag erzielen -, entscheiden, wenn auf der
anderen Seite ehemalige Entscheidungsträger als Berater im Hochhaus von Herrn
Mehdorn sitzen. Das ist ein Weg, der die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Geld kostet
und diesem Land Lebensqualität nimmt. Gegen diese Cliquenwirtschaft sollten wir
alle gemeinsam zu Felde ziehen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Garrelt Duin von der SPD-Fraktion.
Garrelt Duin (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zunächst einmal an diejenigen, die für diese Aktuelle Stunde gesorgt haben,
ein paar Worte richten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, was Sie
hier veranstalten - Ihre beiden Redebeiträge haben das deutlich gemacht -, ist
der Versuch, sich weißer als weiß zu waschen. Es ist in meinen Augen Heuchelei.
Sie wollen den Versuch starten, sich als besondere Gutmenschen herauszukehren und
sich einen weißen Fuß zu machen.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so furchtbar billig!
- Gegenruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Loske, wo er Recht hat, hat er
Recht!)
Aber wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen.
In den letzten Tagen konnte ich entsprechende Aussagen von Herrn Kuhn lesen. Er sagt
beispielsweise, dass sich die SPD der Energiekonzerne als Versorgungsinstitut bediene.
Er macht damit den Versuch, ähnlich wie die PDS
(Zuruf von der LINKEN: Die Linke!)
- ich meine damit alles, was dazu gehört -,
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir kommen da nicht so schnell mit!)
eine Linie zwischen der hier zu diskutierenden Frage und dem Thema Hartz IV zu ziehen.
Das ist gerade in der Rede der Kollegin von der PDS gemacht worden. Aber auch Herr
Kuhn hat dies in den vergangenen Tagen getan. Auf der einen Seite werden Beschlüsse
im Rahmen der Agenda 2010 und von Hartz IV genannt und auf der anderen Seite wird
eine Verbindung zu den Einkommen von Aufsichtsräten hergestellt.
(Widerspruch bei der LINKEN)
Das ist unterhalb eines erträglichen Niveaus, zumal Sie an den entsprechenden
Beschlüssen beteiligt waren. Man muss sich wirklich die Augen reiben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Was kritisieren Sie eigentlich?
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch gerade
klar gemacht!)
- Das haben Sie eben nicht klar gemacht. - Sind es die Entscheidungen, die es in den
letzten beiden Legislaturperioden zu energiepolitischen Fragen gegeben hat und die
natürlich die in Rede stehenden Unternehmen berührt haben? Wenn das so ist,
dann möchte ich Sie ausdrücklich daran erinnern, dass es nicht nur eine,
sondern zwei Parteien gewesen sind, die die energiepolitischen Entscheidungen der
letzten sieben Jahre getroffen haben, und dass Sie bei allen Entscheidungen dabei
gewesen sind und sie in Ihrem Beisein stattgefunden haben.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind aber heute nicht
einer Meinung!)
Sie tun jetzt aber so, als ob Sie damit gar nichts mehr zu tun hätten.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, darum geht es doch
überhaupt nicht!)
Entweder Sie stehen zu Ihrer inhaltlichen Mitverantwortung in diesen Entscheidungen
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber haben wir
doch gar nicht geredet!)
oder es wird deutlich, dass Ihnen die Beteiligung an der Macht damals wichtiger war
als die Befolgung Ihrer hehren Grundsätze, mit denen Sie uns heute konfrontieren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Jürgen Koppelin [FDP]: Sagen Sie mal
etwas zu Schröder!)
Sie wollen angeblich eine moderne Wirtschaftspolitik machen, wie ich gelesen habe.
Im Rahmen Ihrer Klausurtagung haben Sie versucht, dies deutlich zu machen. Auch die
PDS spricht immer wieder davon. Aber ich habe den Eindruck, dass Sie manchmal in einem
Weltbild zu Hause sind, das den Karikaturen der 50er- und 60er-Jahre entspricht, in
denen der Unternehmer noch der fette Bonze mit der Melone auf dem Kopf gewesen ist.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so billig! Eine
so billige Rede! - Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war er
noch nicht auf der Welt!)
Da waren Sie wirklich schon sehr viel weiter.
Oder ist für Sie nicht die wirtschaftliche Tätigkeit an sich, sondern die
Branche das Entscheidende? Wollen Sie jetzt festschreiben, was politisch korrekt ist
und was nicht? Verleger zu werden, ist dann in Ordnung, weil man sich da zu den aktuellen
Fragen der Weltpolitik äußern kann. Aber Mitglied im Aufsichtsrat von RWE
zu werden, ist nicht in Ordnung. Wie stellen Sie sich das vor? Wonach wollen Sie das
entscheiden?
(Jürgen Koppelin [FDP]: Sagen Sie mal etwas zu Schröder!)
Sie eignen sich nicht zu besonderen Saubermännern oder Sauberfrauen; das hat
mein Kollege vorhin schon gesagt. Den Fall "Gunda Röstel" will ich
nicht vertiefen und auch über Herrn Volmer will ich nicht sprechen.
Von der Politik in die Wirtschaft und umgekehrt zu wechseln, ist nichts Ehrenrühriges.
Das können Sie auch durch diese Debatten nicht zu etwas Ehrenrührigem machen.
Wenn wir uns diese Wechsel ständig gegenseitig vorhalten, wird uns allen das
insgesamt mehr schaden, als dies vielleicht Einzelnen von Ihnen klar ist. Wir brauchen
eine Debatte darüber - Herr Lange hat dies schon angesprochen -, wie wir einen
möglichen Kodex ausformulieren, sodass er uns wirklich nach vorn bringt.
Ich war in den letzten fünf Jahren Abgeordneter des Europäischen Parlaments.
Auf der europäischen Ebene gibt es eine Reihe von Erfahrungen mit einem solchen
Kodex. Im Übrigen wird auf keiner anderen Ebene, zum Beispiel schon beim Amtsantritt
der Herren und Damen Kommissare, so darauf geachtet, welche Aktivitäten in der
Wirtschaft die Betreffenden vorweisen. Das bei den Aktiven - damit meine ich nicht
nur die Minister, sondern auch die Abgeordneten - zu betrachten, ist eine Debatte,
die sich zu führen lohnt und die wir an der einen oder anderen Stelle sicherlich
noch vertiefen werden.
Die Frage eines Kodexes werden wir ernsthaft miteinander zu besprechen haben. Lassen
Sie uns aber aufhören, anhand von Einzelfällen Aktuelle Stunden zu beantragen
und so zu tun, als ob man eine weißere Weste habe als andere. Das ist nicht
der Fall.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Geis von der CDU/CSU-Fraktion.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abgeordnete werden gewählt
und Minister bzw. Staatssekretäre werden in ihr Amt bestellt und berufen, damit
sie dem Gemeinwohl uneigennützig dienen. Dazu gehört, dass sie darauf achten,
dass, wenn sie aus dem Amt ausscheiden, die Interessen ihres früheren Amtes nicht
beschädigt werden. Wenn ein Minister bzw. ein Staatssekretär in eine lukrative
Stellung in der Wirtschaft wechselt, dann ist dies nicht zu beanstanden. Das ist Konsens
der hier Anwesenden. Das ist in den USA üblich. Es hat vielleicht auch einen
Nutzen, wenn es einen stärkeren Wechsel zwischen Wirtschaft und Politik sowie
Politik und Wirtschaft gibt - und wenn es nur der wäre, dass die Wirtschaftskapitäne
nicht so arrogant über die Unfähigkeit der Politik reden würden, wie
sie das manchmal tun,
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/ DIE GRÜNEN)
wenn sie selber am eigenen Leib erfahren würden, wie das so im politischen Geschäft
ist.
Wenn aber ein Staatssekretär bzw. ein Minister in einen wirtschaftlichen Bereich
wechselt, für den er in seinem Ressort zuvor unmittelbar Verantwortung getragen
hat - das ist das Problem -, dann bekommt die Sache einen anderen Akzent.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
Dann kann es so weit kommen, dass der Wechsel zu verneinen wäre, zumindest wenn
nicht eine bestimmte Karenzzeit eingehalten wird. Noch viel schlimmer aber ist der
Fall - den müssen wir uns auch vornehmen -, wenn ein Minister oder ein Staatssekretär
in einen Wirtschaftszweig wechselt, für den er nicht nur Verantwortung getragen
hat, sondern zu dessen Gunsten er Entscheidungen getroffen hat, die an sich durchaus
rechtmäßig und nicht zu beanstanden gewesen sind. Wenn dieser Übergang
dann ohne die Einhaltung einer vernünftigen Karenzzeit geschieht, bekommt er
den Geruch der Unlauterkeit. Das muss man hier beachten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN)
Ich meine, dass es wichtig ist - da müssen wir ehrlich miteinander sein -, eine
Grenzziehung zwischen wirtschaftlicher und politischer Betätigung vorzusehen
und auch eine Regelung dessen, was zu geschehen hat, wenn jemand aus seinem Amt ausscheidet.
Das muss diskutiert werden. Dies ist in der Rede von Herrn Schmidt, aber auch in den
Beiträgen aller Redner in dieser Debatte deutlich geworden.
Wir sind uns alle darin einig, dass Art. 12 Grundgesetz im Auge zu behalten ist. Einem
Minister oder einem Staatssekretär kann nicht verboten werden, nach dem Ausscheiden
aus seinem Amt eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Es gibt aber gesetzliche
Regelungen über das Verhalten nach dem Ausscheiden aus einem Amt. In ß
6 Ministergesetz ist vorgesehen, dass ein Minister, der aus seinem Amt ausgeschieden
ist, für eine bestimmte Zeit zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Darüber
hinaus gibt es natürlich auch Regeln des Anstandes. Es geht nicht an, dass ein
im Amt befindlicher Staatssekretär oder Minister nur noch darüber nachdenkt,
wer ihn nach dem Amt aufnehmen könnte. Ein solcher Staatssekretär oder Minister
kann nicht mehr nur dem Gemeinwohl dienen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nun stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen. Herr Schmidt hat vorgeschlagen -
dieser Vorschlag ist allgemein aufgenommen worden -, so etwas wie einen Ehrenkodex
einzuführen. Ich halte das für sehr richtig. Wir können uns nicht auf
ungeschriebene Regeln verlassen, sondern müssen uns, nachdem es in letzter Zeit
immer häufiger zu solchen Vorfällen gekommen ist, über solche Regelungen
Gedanken machen. Dabei würde ich nicht ganz ausschließen, auch über
eine gesetzliche Regelung nachzudenken. Ich meine keine strafrechtliche Regelung,
aber beispielsweise eine Ergänzung des Ministergesetzes, wie es in der Wissenschaft
bereits diskutiert wird. Danach hat ein ausscheidender Minister bzw. ein ausscheidender
Staatssekretär eine gewisse Karenzzeit einzuhalten, wenn zu befürchten ist,
dass er in seiner neuen Betätigung die Interessen seines alten Amtes beschädigt.
Diese Regelung ist vorhin schon aufgezeigt worden; sie gilt für Beamte, Richter
und Generäle. Die Regelung müsste nicht denselben zeitlichen Umfang beinhalten.
Aber ich denke, dass über eine gesetzlich geregelte Karenzzeit nachgedacht werden
müsste.
Die Demokratie, die auf die Zustimmung der Bevölkerung angewiesen ist, sollte
keinen Schaden nehmen. Deswegen müssen die Spitzenrepräsentanten der Demokratie
immer darauf achten, dass ihr Verhalten nach dem Ausscheiden aus dem Amt akzeptabel
ist und dass sie dem Amt, das sie ausgeübt haben, Ehre machen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaas Hübner von der SPD-Fraktion.
Klaas Hübner (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskussion ist heute
unter einem sehr polemischen Titel von den Grünen aufgesetzt worden. Es ging
Ihnen offensichtlich - zumindest bei der Titelfindung - nicht darum, generell darüber
zu reden, welche Kodizes vielleicht für ehemalige Regierungsmitglieder angebracht
wären, sondern Sie haben einen konkreten Fall - Wolfgang Clement - zum Anlass
genommen und versucht, Herrn Clement zu diskreditieren.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich selber
diskreditiert!)
Wolfgang Clement zu unterstellen, dass er seine Entscheidungen als Wirtschaftsminister
in Bezug auf eine spätere Aufsichtsratstätigkeit bei RWE getroffen hat,
oder das auch nur zu suggerieren, ist unglaublich und entbehrt jeder Grundlage.
(Beifall bei der SPD)
Sie müssen sehen, dass viele Gesetzeswerke, die gerade für die Energiewirtschaft
wichtig gewesen sind, unter der Federführung des damaligen Umweltministers Jürgen
Trittin verabschiedet worden sind. Auch wenn manche Entscheidung in der alten Regierungskoalition
strittig war: Es ist mir nicht bekannt, dass Jürgen Trittin wütend das Kabinett
verlassen hätte, um dadurch seinem Protest Ausdruck zu verleihen. Viele Gesetzesvorhaben
kommen aus Ihrem Hause.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat keinen
Aufsichtsratsposten übernommen!)
Jetzt Wolfgang Clement dafür in Haftung nehmen zu wollen, halte ich für
ein starkes Stück.
Außerdem dürfen Sie eines nicht vergessen: Bei RWE ist Wolfgang Clement
zum so genannten neutralen Mitglied im Aufsichtsrat gewählt worden.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist aber nicht neutral!)
Das entspricht dem Montan-Mitbestimmungsgesetz. Dort ist vorgesehen, dass Arbeitgeber
und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat paritätisch vertreten sind. Um aber eine Entscheidungsfähigkeit
in diesem Gremium jederzeit sicherzustellen, hat man sich als Gesetzgeber darauf festgelegt,
einen neutralen Mann zu bestimmen. Wolfgang Clement ist von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
einstimmig in diesen Aufsichtsrat gewählt worden. Das spricht nicht gegen Wolfgang
Clement, sondern das spricht für die Person Wolfgang Clements.
(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder für die Cliquenwirtschaft!)
Einen ähnlichen Fall sehe ich bei Werner Müller. Werner Müller kam
aus einem ähnlich gearteten Großunternehmen der Privatwirtschaft, ehe er
in das Kabinett eingetreten ist. Er war nur vier Jahre Mitglied des Kabinetts. Ich
glaube, wir würden uns keinen Gefallen tun, wenn wir solchen Kabinettsmitgliedern,
die aus der Wirtschaft kommen, den Weg zurück zu ihrem ursprünglichen Beruf
verbauen würden.
Wenn wir schon eine Diskussion über Kodizes führen wollen, dann lassen Sie
uns darüber reden, unter welchen Rahmenbedingungen wir diese führen wollen.
Ich bin für eine ergebnisoffene Diskussion an dieser Stelle. Sie muss aber unter
bestimmten Prämissen geführt werden. Es muss klar sein, dass Gesellschaft
und Politik und auch Politik und Gesellschaft immer verwoben sein werden und auch
verwoben bleiben sollen. Es muss klar sein, dass auch ein eventuell mehrfacher Wechsel
zwischen gesellschaftlichen Funktionen und politischen Funktionen gleich welcher Art
nicht nur machbar, sondern in unseren Augen sogar wünschenswert ist.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
Das ist die eine Prämisse.
Die zweite Prämisse ist: Wir müssen darauf achten, dass wir nicht de facto
bestimmte Berufsgruppen von der Übernahme von Regierungsämtern ausschließen.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Wenn wir jemandem, der zum Beispiel Wirtschaftsminister geworden ist, verbieten würden
- und sei es auch nur für wenige Jahre -, später in einem Bereich tätig
zu werden, mit dem er sich als Wirtschaftsminister beschäftigt hat, entspräche
das de facto einem Berufsverbot für fast alle Bereiche, weil ein Wirtschaftsminister
natürlich Einfluss auf fast alle gesellschaftliche Bereiche hat. Das kann nicht
in unserem Sinne sein. So wird es auch schwierig sein, Menschen aus der Wirtschaft,
aus der Gesellschaft für das Parlament zu gewinnen. Ich denke, auch das muss
eine Grundprämisse sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Jürgen
Koppelin [FDP])
- Kollege Koppelin, weil Sie einen Zwischenruf gemacht haben: Sie erzählten,
wenn der Kollege Schmidt Wirtschaftsminister werden würde, träten der ehemalige
Kanzler Schröder oder der ehemalige Wirtschaftsminister Müller bei ihm auf.
(Jürgen Koppelin [FDP]: Ich habe zugerufen: Er sollte Gewerkschaftssekretär
werden!)
Ich persönlich glaube - das gilt auch für den Kollegen Schmidt -, dass sich
kein Minister davon übermäßig beeindrucken lässt, sondern sich
seiner Position als amtierender Minister bewusst ist. Ich weiß nicht, wie es
zu Ihren Zeiten gewesen ist. Wir haben ein anderes Selbstverständnis von unseren
Ministerinnen und Ministern.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
- Das ist so.
Wir müssen trotzdem Missbräuchen vorbeugen. Das ist keine Frage. Ich glaube,
dass solche Dinge immer nur im Einzelfall zu klären sind. Der Kollege Schmidt
hat darauf hingewiesen. Es ist relativ schwierig, einen sehr engen allgemeinen Rahmen
für einen Ehrenkodex zu stecken. Es muss ein weiter Rahmen sein, weil die Biografien
sehr unterschiedlich sind.
Ich bin offen für eine ergebnisoffene Diskussion. Meine Fraktion ist es auch.
Es kann aber auch sein - auch das heißt Ergebnisoffenheit -, dass wir nachher
zu dem Schluss kommen, dass ein Kodex - gleich welcher Art - eine derartige Beschränkung
bedeuten würde, dass man bestimmte Berufsgruppen von Regierungsämtern ausschließt.
Das kann nicht das Ziel sein. Da müsste man andere Mittel suchen und vielleicht
über einen Ombudsmann oder Ombudsrat nachdenken. Ich denke, diese Diskussion
sollten wir führen.
Meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Sie mutig gewesen wären, hätten
Sie hier einen entsprechenden Entschließungsantrag eingebracht
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Aktuellen Stunde kann
man keinen einbringen!)
und nicht diese polemische Debatte begonnen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer von der CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin erst seit dem Jahre
2002 im Bundestag, aber zu diesem Thema habe ich offensichtlich bereits alle Gefechtslagen
erleben dürfen. Ich habe in unterschiedlicher Zusammensetzung und Abfolge schon
alles gehört und mich auch an solchen Debatten beteiligen dürfen. In der
Tat: Dieses Thema eignet sich hervorragend für Populismus. Aber ich warne davor,
den Populismus bei diesem Thema auszuleben, weil wir am Schluss alle nur Verlierer
sein werden.
Herr Loske, ich will Folgendes ansprechen: In der Debatte am 10. April 2003 - Kollege
Koppelin hat sie bereits erwähnt; auch ich habe diese Passage des Protokolls
herausgesucht, da ich mitdebattiert hatte -, in der es um den Wirtschaftsminister
Müller ging, hat die von mir persönlich sehr geschätzte Kollegin Hustedt
gesagt, diese Debatte sei hochgradig scheinheilig. Weiter sagte sie: "Einen Anlass
für eine Aktuelle Stunde bietet das Ganze in keinem Fall."
Auch, Herr Berninger, auf die Anfrage der FDP 2004, als es um Herrn Tacke und um andere
Fragen ging, hat die Regierung - damals waren auch Sie mit von der Partie - geantwortet,
dass dienstliche Interessen keinesfalls beeinträchtigt werden. Es gibt im Übrigen
schon heute Regelungen - es ist angeklungen, Regeln zu fordern - gerade für Beamte,
Ruhestandsbeamte bzw. frühere Beamte, dass sie nach bestimmten Bedingungen Beschäftigungen
außerhalb des öffentlichen Dienstes nach drei bzw. fünf Jahren anzeigen
müssen, wenn diese im Zusammenhang mit der früheren dienstlichen Tätigkeit
stehen. Beim Verdacht der Vorteilsannahme kann diese neue Tätigkeit bis zu fünf
Jahre untersagt werden. Gerade dieses wurde von Ihnen im Jahr 2004 für Herrn
Tacke nicht getan. Herr Berninger, heute haben Sie das etwas anders dargestellt.
Auch der Ehrenkodex, Herr Loske, wurde damals - in diesem Zusammenhang muss man schon
sagen: Ehre, wem Ehre gebührt! - von der FDP gefordert und dann von Ihnen in
der Debatte und schriftlich auf Anfrage von der Regierung abgelehnt. Ich habe das
hier vorliegen.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Regierung und Parlament
sind zweierlei!)
- Ja. - Ich will hier nicht als Scharfmacher weder in die eine noch in die andere
Richtung auftreten. Ich will wirklich nur davor warnen, dieses Thema zum Populismus
zu nutzen, weil wir dann alle Verlierer werden würden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir denken an neue gesetzliche Regelungen. Ich weiß nicht, ob das der richtige
Weg ist. Jeder - auch das ist heute angeklungen - ist für seinen Ruf verantwortlich.
Es ist eine Frage der Sensibilität, ob und wann ich politisches oder sonstiges
Insiderwissen in bare Münze umwandele. Das Beispiel des Altbundeskanzlers ist
sicher kein rühmliches. Wenn ich sechs Tage vor der Wahl noch einen Vertrag mit
weitreichenden Auswirkungen nicht nur für das Land, sondern auch für eine
bestimmte Branche unterzeichne und dann kaum 60 Tage nach Unterzeichnung dieses Vertrages
in den Aufsichtsrat des betroffenen Unternehmens gehe, dann ist das für mich
eindeutig zu kurz für eine Cooling-off-Phase, wie es im angelsächsischen
Bereich heißt, oder eine Karenzzeit, wie sie heute angesprochen wurde, oder
auch für eine politische Schamfrist.
Aber das muss jeder Einzelne selber wissen. Wir können solche Dinge nicht abschließend
gesetzlich regeln. Das zeigt sich in einem anderen Fall, in dem wir selber betroffen
sind und in guter Absicht gehandelt haben. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.
Wenn wir nämlich wirklich der Meinung sind - das ist zumindest meine Meinung
-, dass Politik kein Beruf ist, sondern eine Berufung auf Zeit, dann bedeutet dies,
dass man vor seiner politischen Tätigkeit seine Berufsbefähigung außerhalb
der Politik erhalten soll und muss, um dann das von Herrn Kollegen Loske eingeforderte
freie und unabhängige Abgeordnetendasein zu führen.
Wir werden auch hinsichtlich der Umsetzung der Verhaltensregeln, die wir uns selber
gegeben haben - jetzt können wir sehen, mit welchen Abgrenzungsschwierigkeiten
diese verbunden sind -, aufpassen müssen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade
ausschütten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Insofern denke ich, wir sollten diese Art von Debatten in Zukunft nicht in schöner
Regelmäßigkeit wiederholen, sondern uns überlegen, wie wir den schmalen
Grat, auf dem wir uns zweifelsohne bewegen, auf kluge Art und Weise begehen. Wie in
dem genannten Dreiklang angedeutet, sollten wir Regierungsmitglieder, also unsere
politische Spitze, sicherlich anders behandeln als die Mitglieder des Parlaments und
Beamte. Nun müssen wir uns überlegen, wie wir mit dieser Dreiteilung umgehen.
Ich halte es für überflüssig, auf den Gebieten, die bereits geregelt
sind, neue Regelungen zu schaffen. Auch die Einführung eines die Regierung selbst
verpflichtenden Ehrenkodexes - oder wie immer man das Kind nennen will - wäre
sinnvoll. Wenn man Politik als Berufung auf Zeit versteht, werden wir uns mit Sicherheit
schneller als uns lieb ist wieder mit der Frage befassen müssen, was wir Abgeordnete
unter unserem freien und unabhängigen Mandat verstehen und wie wir mit ihm umgehen.
Deshalb mahne ich in diesem Zusammenhang zu Besonnenheit und rate insbesondere bei
diesem Thema von Populismus ab, sowohl heute als auch in Zukunft.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Tabillion von der SPD-Fraktion.
Dr. Rainer Tabillion (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen
und am Ende dieser Aktuellen Stunde möchte ich auf unser oberstes Ziel hinweisen,
dem wir uns in dieser Legislaturperiode verpflichtet haben: Unsere Kernaufgabe ist
es, Deutschland wirtschaftlich wieder nach vorne zu bringen. Unser Land gehört
an die Spitze, nicht nur, wenn es um seine Außenwirtschaft geht, sondern auch,
was sein Innenverhältnis betrifft. Diesem Ziel sollten wir alles andere unterordnen.
Unsere Devise lautet: Handlungsfähigkeit und Mut. Die Leute haben bemerkt, dass
die große Koalition diese Devise praktiziert. Das finden sie gut. Weniger gut
finden sie allerdings, wenn immer wieder Sand ins Getriebe gestreut wird. Leider muss
ich sagen: Ich glaube, das ist die eigentliche Motivation, aus der das Bündnis
90/Die Grünen schon zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema beantragt hat.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje! Von euch kommen heute
aber wirklich keine guten Beiträge! Das ist unterkomplex!)
Über manche Kriterien muss man in der Tat reden. Aber ich unterstelle Ihnen,
dass dies nicht der Anlass für Sie war, diese Aktuelle Stunde zu beantragen.
Ihr Denken ist rückwärts gewandt. Sie sollten lieber positive Vorschläge
machen, wie wir die Wirtschaft in Deutschland stärken können. Das werden
die Leute dann auch gut finden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Da es darum geht, für den wirtschaftlichen Aufschwung unseres Landes zu sorgen,
sollten wir auf niemanden verzichten, der bereit ist, zu helfen. Erst recht sollten
wir auf niemanden verzichten, der einmal eine wichtige Funktion in der Politik hatte.
Wir sollten jedem, der sich einbringen will und der etwas zu bieten hat, ermöglichen,
sich zu engagieren, ob es sich nun um einen ehemaligen Politiker handelt oder nicht.
Mir ist es lieber, wenn ein ehemaliger Minister etwas Sinnvolles für unsere Gesellschaft
oder die Unternehmen in Deutschland tut, als wenn er zuhause seine Staatspension verfrühstückt.
Aktives Verhalten ist mir viel lieber als Passivität.
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der LINKEN: Die Betonung liegt auf "für
unsere Gesellschaft"!)
Deshalb will ich eine ganz klare Sprache sprechen: Das Engagement von Wolfgang Clement
finde ich in Ordnung. Bereits zu Beginn der 90er-Jahre war er Mitglied des Aufsichtsrats
von RWE Power. Dieses Unternehmen ist für unser Land wichtig.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für wen? Für unser Land?)
Es verfügt über hohe technologische Kompetenz und beschäftigt 18 000
Arbeitnehmer. Das darf man nicht vernachlässigen, es sei denn, man verfolgt eine
Deindustrialisierungsstrategie, wie sie zu Beginn dieser Debatte angeklungen ist.
Wenn dem so wäre, fände ich das schlimm.
(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr bringt heute vielleicht
Beiträge! Die sind ja wirklich unter aller Kanone!)
Wenn Herr Clement als neutraler Mann einen Beitrag dazu leisten kann, dass dieses
Unternehmen im Interesse seiner 18000 Beschäftigten und im Interesse unseres
gesamten Landes Erfolg hat, dann ist dies unser gemeinsamer Erfolg. So muss man das
sehen. Wenn es bei RWE Power gut läuft, ist das nicht nur ein Erfolg für
einige wenige Aktionäre, sondern ein Erfolg für unsere gesamte Wirtschaft.
Ich unterstelle Herrn Clement, dass er genau das will.
Eines möchte ich noch betonen: Wenn in diesem Unternehmen Leute aus der Region
tätig sind, ist das mit Sicherheit besser, als wenn jemand von irgendwoher angeflogen
kommt und dann im Aufsichtsrat über das Schicksal von Beschäftigten entscheidet,
mit denen er im Grunde gar nichts zu tun hat. Also: In den Unternehmen sollten Leute
tätig sein, denen die Region auch etwas bedeutet. Genau das ist hier der Fall.
(Beifall bei der SPD)
Wirtschaftliche Erfolgsmodelle - darauf hat der Kollege Kampeter hingewiesen - bauen
oft auf Partnerschaft auf. Man kann nicht wirtschaftlichen Erfolg wollen und dann
solche Stellungskriege führen. Wir müssen an einem Strang ziehen - ob Arbeitnehmer,
Gewerkschaften, Wirtschaft oder Politik -, anstatt einander zu bekämpfen bzw.
auszugrenzen, indem man das Engagement der einen gutheißt, das der anderen hingegen
nicht. Insofern glaube ich, dass wir dem, was Bündnis 90/Die Grünen vorschlagen,
nicht folgen sollten. Im Gegenteil, wir sollten froh sein, wenn es einen guten Austausch
zwischen der Politik und der Wirtschaft gibt; wir sollten diesen sogar fördern.
Es liegen, das ist hier angedeutet worden, gute Vorschläge auf dem Tisch, zum
Beispiel um einen Kodex aufzustellen, wie sich Politiker, die als solche ausscheiden,
verhalten sollen. Das ist alles in Ordnung; darüber kann man reden. Aber ich
bin der Auffassung, man sollte nicht mit typisch deutscher Gründlichkeit Hürden
aufbauen, die uns bei unserem Oberziel - die Wirtschaft voranzubringen - im Wege stehen.
Wenn ich Vorschläge von der FDP höre, Leute, die politische Funktionen innehatten,
für fünf Jahre sozusagen aufs Trockendock zu setzen, dann muss ich sagen:
Das finde ich lächerlich, das muss man verhindern; denn das schadet der Gesamtheit.
Wir müssen also ergebnisorientiert darüber reden. Aber wir müssen auch
den Mut aufbringen, nicht jedem populistischen Unsinn das Wort zu reden. Ich hoffe
und glaube, diese große Koalition hat dazu die Kraft.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Tabillion, im Namen des Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede
im Deutschen Bundestag herzlich.
(Beifall)
Die Aktuelle Stunde ist beendet.