November 2005

051101

ENERGIE-CHRONIK


Tagelanger Stromausfall im Münsterland

Ungewöhnlich starke Eislast an den Hochspannungsleitungen in Verbindung mit "Seiltanzen" hat am 25. November einen großflächigen Ausfall des RWE-Versorgungsnetzes im Münsterland bewirkt. Insgesamt wurden im nördlichen Nordrhein-Westfalen und im südlichen Niedersachsen fast siebzig Hochspannungsmasten umgeknickt oder verbogen (siehe Fotos). Für rund 250.000 Menschen fiel stunden- und tagelang - im Extremfall bis zu einer Woche - der Strom aus. Darüber hinaus kam es am 25. November im Ruhrgebiet, am Niederrhein und in Westfalen zu Spannungseinbrüchen und kurzzeitigen Stromausfällen.

Als "Seiltanzen" werden Schwingungen der Leiterseile bezeichnet, die an Leitungen ab 110 kV bei bestimmten winterlichen Wetterlagen auftreten. Diese Schwingungen können zu Kurzschlüssen und Seilrissen führen und auf diesem Wege oder auch unmittelbar die Stabilität der Masten gefährden. Voraussetzung ist starker Eisansatz in Verbindung mit böigem Wind. Im vorliegenden Fall hatte ein Sturmtief für ungewöhnlich viel Schnee und Eis an den Freileitungen gesorgt, wodurch die zulässige Mehrbelastung der Leitungen weit überschritten und dem Wind zusätzliche Angriffsfläche geboten wurde.

Zehntausende von Menschen vier Tage lang ohne Strom

Hunderte von RWE-Mitarbeitern bemühten sich, die 110-kV-Leitungen vom Eis zu befreien und über Notstromaggregate Teile der Versorgung wieder herzustellen. Am stärksten betroffen waren die Kreise Coesfeld, Borken und Steinfurt. Es dauerte bis zum Abend des 27. November, ehe im größten Teil des Störungsgebiets die Stromversorgung wiederhergestellt werden konnte. Aber noch die Nacht zum 29. November verbrachten zehntausende von Menschen im Münsterland ohne Strom. Und in der Nacht zum 30. November waren es noch immer zweitausend. Die 18.000 Einwohner der Stadt Ochtrup blieben bis auf weiteres auf Notstromaggregate angewiesen, weil die Masten der einzigen 110-kV-Leitung, die diese Stadt versorgt, wie Dominosteine umgekippt waren.


RWE-Pressefotos von den Leitungsschäden


Verbraucher fordern Erweiterung der Haftungspflicht

Eine Haftung für die immensen Schäden, die durch den Stromausfall entstanden sind, lehnte RWE ab, da es sich um höhere Gewalt gehandelt habe. Die von der ehemaligen VEW übernommenen Anlagen hätten dem üblichen Stand der Technik entsprochen. Nach § 6 AVBEltV müssen die Stromversorger für Schäden durch Stromausfälle nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit haften, wobei die Haftungssumme im Einzelfall auf 2500 Euro begrenzt ist und zusätzlich durch Pauschalsummen gedeckelt wird. Im Falle des Regionalversorgers RWE Westfalen-Weser-Ems, der im Münsterland zuständig ist und mehr als eine Million Abnehmer hat, wäre die maximale Pauschalsumme von 10 Millionen Euro anzusetzen.

Der Bund der Energieverbraucher verlangte demgegenüber am 28. November, die Stromversorger auch dann haftbar zu machen, wenn ihnen kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Dies sei notwendig, um den finanziellen Anreiz zu Investitionen in die Stromnetze zu erhöhen. Der Stromausfall sei nämlich nicht durch Schneefall im November oder höhere Gewalt verursacht worden, sondern "Folge einer ausschließlich auf Gewinn ausgerichteten Geschäftspolitik von RWE". Während die Verbraucher jährlich etwa 18 Milliarden Euro für die Netznutzung zahlten, seien 2004 insgesamt nur zwei Milliarden Euro in die Netze investiert worden. Im selben Jahr hätten RWE 5,7 Milliarden und E.ON 4,3 Milliarden Euro Gewinn erzielt. Die Fortdauer der Haftungsbefreiung werde sich nachteilig auf die Versorgungssicherheit auswirken.

Die AVBEltV stammt noch aus der Zeit vor der Liberalisierung des Strommarktes. Das neue Energierecht enthält keine eindeutigen Vorschriften, wie eine Rechtsverordnung zur Neuregelung der Haftung auszusehen hätte. Es erlaubt aber in § 11 EnWG ausdrücklich, die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu beschränken. Unter Umständen kann die Haftung sogar vollständig ausgeschlossen werden.

Stromausfälle auch in Rheinhessen und Bingen

Am 2. November fiel im Versorgungsgebiet der RWE-Tochter Elektrizitätswerk Rheinhessen zwanzig Minuten lang der Strom aus. Betroffen waren rund 90.000 Privat- und Gewerbekunden in den Städten Alzey und Worms sowie etlichen kleineren Gemeinden, die über die beiden durch Rheinhessen führenden 110-kV-Leitungen versorgt werden. Die Ursache war ein Defekt in der Umspannanlage Holzhof bei Worms.

In der ebenfalls vom RWE versorgten Stadt Bingen fiel die Elektrizitätsversorgung am 24. November in drei Stadtteilen und einem Gewerbegebiet bis zu zwei Stunden lang aus. Ursache waren zwei Defekte im verkabelten Mittelspannungsnetz.

"Europameister in der Versorgungssicherheit"

Nach Angaben des Verbands der Netzbetreiber (VDN) kam es im Jahre 2004 pro Stromkunde zu 22,9 Minuten Stromausfall. Damit bleibe Deutschland "Europameister in der Versorgungssicherheit", hieß es in einer Pressemitteilung des VDN vom 4. November. Deutschland liege in dieser Hinsicht deutlich vor vergleichbaren europäischen Industrienationen wie Frankreich (59 Minuten), Großbritannien (78 Minuten) und Italien (91 Minuten). Die durchschnittlichen Ausfallzeiten in den USA würden sogar auf mindestens 200 Minuten geschätzt.