September 2001

010904

ENERGIE-CHRONIK


Kernkraftwerke sind nur bedingt gegen Terroranschläge geschützt

Nach den Terroranschlägen, die am 11. September das World Trade Center in New York und einen Teil des US-Verteidigungsministeriums zerstörten, wird erneut über die Sicherheit von Kernkraftwerken diskutiert. Dieses Mal geht es um die Frage, ob z.B. deutsche Kernkraftwerke solchen gezielten Attacken mit Flugzeugen standhalten könnten. Bei den derzeit laufenden Erörterungsverfahren zum Bau von Zwischenlagern an den deutschen Kernkraftwerken (000106) führen Kernkraftgegner nun ebenfalls ins Feld, daß die Anlagen nicht hinreichend gegen Terroranschläge gesichert seien.

Die Kernkraftwerksbetreiber verweisen darauf, daß nach den Richtlinien der Reaktorsicherheitskommission die Kuppeln der Reaktoren dem Aufprall einer senkrecht abstürzenden, 20 Tonnen schweren und 774 Stundenkilometer schnellen Phantom-Düsenmaschine widerstehen müssen. Diese Bedingung wird allerdings nur von den zuletzt gebauten Kernkraftwerken erfüllt. Dagegen seien die drei ältesten deutschen Kernkraftwerke Stade, Obrigheim und Brunsbüttel noch nicht einmal gegen den Absturz eines kleineren Flugzeugs geschützt, meinte der RSK-Vorsitzende Lothar Hahn gegenüber der "Financial Times Deutschland" (19.9.). Im übrigen seien "alle deutschen Kernkraftwerke für den gezielten Absturz einer großen Passagiermaschine nicht ausgelegt".

Ähnlich äußerte sich der Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), Heinz-Peter Butz, gegenüber der "Deutschen Presse Agentur" (12.9.) und der "Rhein-Main-Zeitung/Frankfurter Allgemeine" (19.9.). Auch nach Einschätzung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) können Kernkraftwerke einem Terroranschlag mit gezielten Flugzeugabstürzen nicht standhalten. An ein derartiges Szenario habe man bei Errichtung der Kernkraftwerke nicht gedacht, sagte IAEO-Sprecher David Kyd dem Berliner "infoRadio" (17.9.). Eine nachträgliche Verstärkung der Schutzhüllen würde sehr viel Geld kosten, ohne totale Sicherheit gewähren zu können.

Die Electricité de France (EDF) verschärfte noch am Tag des New Yorker Terroranschlags die Sicherheitsvorkehrungen für ihre Kernkraftwerke. Unter anderem wurden die Informationszentren der Kernkraftwerke geschlossen, Besichtigungen gestoppt und die Eingänge stärker kontrolliert.

Besondere Risiken in La Hague und Sellafield?

Ein gezielter Flugzeugabsturz auf die Wiederaufarbeitungsanlagen im französischen La Hague oder im britischen Sellafield hätte noch weit schlimmere Folgen als seinerzeit die Katastrophe von Tschernobyl. Dies behauptete der kernkraftkritische Energie-Informationsdienst "Wise" in Paris, der im Auftrag der Generaldirektion Forschung des Europäischen Parlaments eine Studie zu La Hague erstellt hat. Eine bessere Abschirmung der Brennstäbe- und Plutonium-Lager durch bauliche Maßnahmen sei nicht durchführbar. Institutsleiter Mycle Schneider empfahl deshalb, die Anlagen in La Hague und Sellafield behelfsweise mit Flugabwehrgeschützen auszurüsten (FR, 19.9.; VDI-Nachrichten, 21.9.).

Die Cogema, die La Hague betreibt, wies die "Wise"-Darstellung zurück: Bei dem Institut handele sich um eine bekanntermaßen kernkraftfeindliche Organisation. Es sei von der EU lediglich beaufragt worden, die Umweltauswirkungen der Anlage von La Hague zu untersuchen. Der Bericht befasse sich in keiner Weise mit dem Risiko des Absturzes einer zivilen Passagiermaschine.