In dem 197 Seiten starken Schriftstück mit dem "Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende" und dessen Begründung taucht ungefähr hundertmal das Wort Rollout auf - entweder solo oder in Zusammensetzungen wie Rolloutstrategie, Rolloutansatz, Rolloutszenario, Rollout-Verpflichtung oder Full-Rollout. Das seit Jahren um sich greifende gesetzgeberische Dummdeutsch (081203) wird damit um ein weiteres Prachtexemplar vermehrt. Zugleich läßt sich erahnen, wie hierzulande Gesetze zustande kommen und wie die Lobby dabei Formulierungshilfe leistet.
Laut "Webster's Dictionary" gibt es den englischen Ausdruck "roll-out" seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Ursprünglich bezeichnete er die Vorstellung eines neuen Flugzeugs, das zu diesem Zweck aus dem Hangar gerollt wurde. Später wurde er auch im übertragenen Sinn für die Vorstellung bzw. Markteinführung eines neuen Produkts verwendet. Der "Duden" – der begeistert jeden neuen Anglizismus kolportiert – will außerdem wissen, daß mit diesem Wort speziell die "Veröffentlichung neuer Softwareprodukte und ihre Verteilung an Kunden sowie ihre Integration in schon bestehende Systeme" gemeint sei.
Wie dem auch sei: Ins normale Deutsch ist der "Rollout" noch nicht gelangt. Hier spricht man noch immer schlicht von "Einführung" oder "Markteinführung". Man kennt zwar den Rollator als neuere Wortschöpfung für eine fahrbare Gehhilfe, den Rollmops als traditionellen Bestandteil eines Katerfrühstücks oder das Rollkommando als mobile Schlägertruppe. Das Wort "Rollout" hat aber einen Bekanntheitsgrad nahe null. Es wird eigentlich nur in der Marketing-Szene verwendet, deren Sprache auch sonst zur Hälfte aus angloamerikanischem Kauderwelsch besteht.
Nun beruft sich ja die Bundesregierung bei der geplanten Zwangsbeglückung der deutschen Haushalts-Stromkunden mit digitalen Zählern auf die angeblich strikten Vorgaben der 2009 erlassenen EU-Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt. Es wäre deshalb zu prüfen, ob sie nicht auch den Ausdruck "rollout" dort gefunden und in sklavischer Pflicht-Übererfüllung ins Deutsche übernommen hat.
Diese Spur führt aber in die Irre: In der deutschen Fassung der Richtlinie ist durchweg nur von "Einführung" die Rede. Lediglich in der englischen Fassung taucht – ein einziges Mal – anstelle des sonst verwendeten Wortes "introduction" der Ausdruck "roll-out" auf. In der deutschen Fassung wird der Sinn aber auch an dieser Stelle konsequent mit "Einführung" oder in der französischen mit "mise en place" wiedergegeben.
Die EU-Richtlinie kann also für die Einführung bzw. den Rollout des Wortes Rollout in die deutsche Gesetzgebung nicht verantwortlich gemacht werden. Der Gesetzgeber eigentlich auch nicht, denn es wäre eine etwas naive Vorstellung, daß die dem Bundestag vorgelegten Gesetze von den Abgeordneten selber entworfen oder auch nur vollständig verstanden würden. Gesetzentwürfe werden vielmehr in aller Regel von der Ministerialbürokratie ausgearbeitet. Neben den Vorgaben der jeweils amtierenden Regierung spielt dabei der mehr oder weniger enge Kontakt zu den Lobbyisten von Branchenverbänden und Unternehmen eine wichtige Rolle. Mitunter war dieser Kontakt schon so eng, daß von der Lobby formulierte Passagen wortwörtlich zu Gesetzestexten wurden.
Bei diesem ungeschützten Verkehr muß es passiert sein: Mitsamt der unnötigen Zwangsdigitalisierung haben die Zähler-Lobbyisten den in ihren Kreisen gebräuchlichen Ausdruck "Rollout" in die Anhörungen zum Gesetzentwurf eingebracht. Mit Leichtigkeit überwand der sprachliche Killer-Virus die geschwächte Immunität von Ministerialbürokraten, die uns schon so grausliche Wortschöpfungen wie den "Monitoringbericht", die "Task Force Netzzugang", die "Best-Practice-Empfehlungen" oder die "Clearingstelle" beschert haben. So konnte er sich explosionsartig vermehren und das genauso schlichte wie treffende deutsche Wort "Einführung" gleich hundertmal aus einer Gesetzesvorlage verdrängen.