Nach vollzogenem Brexit werden englische Muttersprachler innerhalb der Europäischen Union nur noch eine kleine Minderheit sein. Unabhängig davon bleibt Englisch aber die wichtigste der drei sogenannten Arbeitssprachen, weil die meisten EU-Dokumente erst einmal auf Englisch verfaßt werden, bevor sie auch in französischer und deutscher Sprache erscheinen. Das liegt daran, dass sich die Bürokraten und Politiker der Europäischen Union untereinander vor allem auf Englisch oder allenfalls auf Französisch verständigen. Deutsch spielt dagegen eine drittrangige Rolle, obwohl es innerhalb der EU die meistgesprochene Sprache ist. Nach dem Brexit tritt also der kuriose Zustand ein, dass Englisch faktisch als sprachliche Matrix für Gesetze, Verlautbarungen und sonstige EU-Texte dient, obwohl in den jetzt noch 27 Ländern der Gemeinschaft kaum jemand in dieser Sprache zuhause ist und nur wenige sie tatsächlich mühelos beherrschen.
Wohin das führen kann, zeigt anschaulich der dümmliche Anglizismus "Der europäische Grüne Deal", mit dem die vom 11. Dezember 2019 datierte Mitteilung der Kommission in ihrer deutschen Fassung überschrieben ist. Es handelt sich dabei um eine mißglückte Übersetzung des englischen Begriffs "European Green Deal", der selber fragwürdig ist, weil das Wort Deal schon im Englischen – je nach Kontext – einen anrüchigen Beigeschmack hat. Im Deutschen ist es als Anglizismus aber noch negativer konnotiert. Hier verwendet man es hauptsächlich für zweifelhafte Absprachen, die früher als "Kuhhandel" bezeichnet worden wären. Schlimmstenfalls kommt einem der "Dealer" in den Sinn, der die Drogenszene mit Nachschub versorgt.
Der designierten deutschen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hätte dieser Ausdruck deshalb sauer aufstoßen müssen, als sie am 10. September den "European Green Deal" als das wichtigste Projekt ihrer Amtszeit vorstellte. Zumindest hätte sie die schiefe Übersetzung "Grüner Deal" verhindern müssen, die für deutsche Ohren nach einem dubiosen Schachzug der Grünen oder einem unsauberen Geschäft zu Lasten der Umwelt klingt. Schließlich will die EU-Kommission keinen Kuhhandel vorschlagen, sondern die leuchtende Vision einer Europäischen Gemeinschaft beschwören, die weltweit den Vorreiter beim Klimaschutz macht. Was veranlaßt sie also, dieses hehre Vorhaben in derart ungeschickter Weise vorzustellen? Wie kommt sie ausgerechnet auf das Wort "Deal", dessen schillernder Assoziationsgehalt sich in keine andere Sprache übersetzen lässt?
Tatsächlich ist die deutsche Version der EU-Mitteilung die einzige, in der das Wort "Deal" umstandslos aus der englischen Fassung übernommen wird. Außerdem taucht es noch in der niederländischen und italienischen Fassung auf. Hier wird dann freilich der Ausdruck "Green Deal" als Ganzes übernommen ("de europese Green Deal" bzw. "il Green Deal europeo"). Ferner wird er durch Großschreibung als begrifflicher Fremdkörper aus dem Englischen kenntlich macht. Nur die deutsche Fassung tut so, als ob es sich bei "Deal" um einen Ausdruck handele, der keiner weiteren Erklärung bedürfe. Nur hier erfolgt ein derart radikaler Griff in die Ramschkiste der Anglizismen. Dabei sind die Englischkenntnisse der Niederländer sicher besser als die der Deutschen.
In den restlichen zwanzig Amtssprachen der EU taucht "Deal" überhaupt nicht auf. Die Übersetzer fanden auch keinen deckungsgleichen Begriff in der jeweiligen Landessprache. Ersatzweise verwendeten sie meistens ein Wort, das vom lateinischen "pactus" (Übereinkunft bzw. Vertrag) abgeleitet ist. Zum Beispiel wurde aus dem "European Green Deal" auf französisch "le pacte vert pour l'Europe" . Auf spanisch heisst er"el Pacte Verde Europeao", auf portugiesisch "o Pacto Ecologico Europeu", auf dänisch "den europaeiske gronne pakt" oder auf rumänisch "Pactul ecologic european". Auch auf englisch wäre es sicher sinnvoller gewesen, von einem "green pact" zu sprechen. Ebenso auf deutsch – falls tatsächlich nur ein "grüner Pakt" gemeint gewesen sein sollte.
Klima-Demonstranten am 19. März 2019 in San Francisco: Ihre Forderung nach einem "Green New Deal" ist weltweit verständlich und wird auch von europäischen Umweltschützern geteilt. Die EU-Kommission hat sie jedoch zum "Grünen Deal" verkürzt und damit ihres eigentlichen Sinns beraubt. Foto: Wikipedia
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Weshalb dann "Green Deal"? Was mag die EU-Bürokraten bewogen haben, ausgerechnet diesen affektierten Ausdruck zu nehmen, der sich in keine andere Sprache übersetzen lässt? Haben sie sich überhaupt etwas dabei gedacht?
Ja, das haben sie. Das Rätsel löst sich nämlich, wenn man dem unansehnlichen Torso "Green Deal" noch ein kleines Wort hinzufügt, so dass daraus ein "Green New Deal" wird. – Schon verwandelt sich das häßliche Entlein in einen schönen Schwan. Es bedarf sogar nicht einmal großer Englischkenntnisse, um weltweit den Sinn dieses Ausdrucks zu verstehen. Man muss nur in der jüngeren Geschichte etwas bewandert sein. Das ist nun allerdings keineswegs selbstverständlich. Als sinnfälliges Beispiel kann der Begriff "Schwarzer Freitag" dienen, der in Europa seit 1929 für den Beginn der Weltwirtschaftskrise verwendet wird. Inzwischen ist er für die meisten Menschen so verblasst oder noch nie vorhanden gewesen, dass es der Einzelhandelswerbung tatsächlich gelungen ist, den aus den USA importierten "Black Friday" auch hierzulande als "Schwarzen Freitag" mit Schnäppchen-Preisen zu propagieren.
Der "New Deal", mit dem der neue US-Präsident Franklin D. Roosevelt vier Jahre nach dem "Schwarzen Freitag" auf die fortdauernde Weltwirtschaftskrise reagierte, war anfangs nicht mehr als ein unverbindliches Wahlversprechen. Es handelte sich um ein vages Schlagwort wie das "Yes, we can" von Barack Obama, das allzu große Hoffnungen weckte. Roosevelt ist es dagegen tatsächlich gelungen, dem US-Kapitalismus und seiner marktradikalen Ideologie die allerschlimmsten Giftzähne zu ziehen. Seine sozialen Reformen im Innern schufen die Grundlage dafür, dass die USA nach außen erfolgreich die Anti-Hitler-Koalition anführen und ihr zum Sieg verhelfen konnten. Roosevelt war das genaue Gegenteil jenes Kretins, der gegenwärtig als US-Präsident amtiert.
Die EU hat sich ähnliches vorgenommen, wenn sie nun weltweit den Vorreiter beim Klimaschutz machen möchte, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ohne Ressourcenvergeudung anstrebt oder das Finanzsystem so umbauen möchte, dass nicht nur die Plutokratie davon profitiert. Das sind durchweg löbliche Vorsätze. Damit gelänge eine Großtat, die sich mit Roosevelts "New Deal" vergleichen lässt. Mit etwas anderen Vorzeichen freilich, was die Rolle der USA dabei betrifft. Diese sind nämlich vom Motor zum Bremser geworden, und das nicht bloß auf klimapolitischem Gebiet.
Im gedanklichen Vorgriff auf eine solche Wende ist der "Green New Deal" entstanden – als Schlagwort und Wunschvorstellung von Teilen der weltweiten Umweltschutzbewegung. Und zweifellos hat die EU-Kommission sich von dieser Wunschvorstellung inspirieren lassen, als sie nach einer passenden Überschrift für das suchte, was sie jetzt in ihrer Mitteilung präsentiert. Allerdings blieb vom "New Deal" nur ein ganz banaler "Deal" übrig. Das ist nicht nur eine Verkürzung. Der ganze Begriff verliert damit seinen eigentlichen Sinn. Er wird so mißverständlich und mehrdeutig, als würde man aus dem "New Testament" ein bloßes "Testament" oder gar "Testimonial" machen.
Weshalb das passiert ist, bleibt weiterhin rätselhaft. Hat die EU-Kommission etwa Angst vor der eigenen Courage bekommen? Wollte sie den Mund nicht zu voll nehmen angesichts der vielen Probleme, die es schon bisher mit der Erreichung der europäischen CO2-Minderungsziele gibt? Oder waren es diplomatische Überlegungen? Wollte sie vielleicht das angespannte Verhältnis mit den USA nicht noch mehr belasten, indem sie sich zum Zentrum des weltweiten Widerstands gegen die Klimaschutz-Bremser in Washington erklärt? Oder bangte ihr speziell davor, den Halbirren im Weissen Haus und dessen Republikanische Partei allzusehr zu reizen, wenn sie eine glorreiche Parole aus dem Fundus der Demokratischen Partei übernimmt?
Wie auch immer: Sie hätte die gedankliche Anleihe bei
Roosevelts "New Deal" entweder konsequent durchführen oder ganz darauf
verzichten müssen. Was jetzt dabei herauskam, ist nur
sprachlich-begrifflicher Schrott.