Themen-Auswahl | ENERGIE-WISSEN | Leitseite |
Einen wesentlichen Teil seines Erfolgs verdankte RWE-Gründer Stinnes der Strategie, den Kommunen außer der Stromversorgung auch eine Kapitalbeteiligung am RWE anzubieten, wodurch sich das RWE allmählich vom privaten zum gemischtwirtschaftlichen Unternehmen wandelte. Dennoch gelang ihm die Expansion nicht nach allen Seiten: Im Norden und Osten stieß er auf den Widerstand der westfälischen Kommunen sowie von Beamten der preußischen Verwaltung, welche eine so wichtige Aufgabe wie die Stromversorgung lieber der öffentlichen Hand anvertrauen wollten. Während das RWE entlang des Rheins von der niederländischen Grenze bis zum Hunsrück eine Gemeinde nach der anderen ins Boot holte, kam es im Nordosten praktisch nicht über die Gemarkung der Stadt Essen hinaus.
Einer der hartnäckigsten Widersacher des RWE war der Bochumer Landrat Karl Gerstein, auf dessen Betreiben 1906 in Bochum das "Electricitätswerk Westfalen" gegründet wurde. Es handelte sich um ein gemischwirtschaftliches Unternehmen, an dem neben verschiedenen Kommunen maßgeblich die Bergwerksgesellschaft Hibernia und der Elektrokonzern AEG beteiligt waren. Erster Aufsichtsratsvorsitzender war AEG-Präsident Walther Rathenau. Als Stellvertreter amtierte Gerstein, dessen Name bis heute im Kraftwerk Gerstein fortlebt.
Auch die Stadt Dortmund weigerte sich, ihr städtisches Elektrizitätswerk ins Imperium des RWE einzubringen. Das war für Stinnes besonders fatal, weil er 1906 in Kruckel bei Dortmund mit dem Bau eines weiteren großen RWE-Kraftwerks begonnen hatte, das nun eine Fehlinvestition zu werden drohte. Er trat deshalb den Rückzug an und überließ das Kraftwerk Kruckel dem 1908 neu gegründeten "Westfälischen Verbands-Elektrizitätswerk", das mehrheitlich den Gemeinden Dortmund und Hörde sowie dem Elektrizitätswerk Westfalen gehörte. Das RWE begnügte sich mit einer Minderheitsbeteiligung. Der Landrat Gerstein und die anderen Kontrahenten des RWE hatten ein weiteres Mal gesiegt.
Der preußische Landrat war indessen kein Dogmatiker. Nach dem ersten Weltkrieg, als die Franzosen ihre Hand auf die Ruhrkohle legten und das RWE durch die sichere Basis des Braunkohlestroms eine noch machtvollere Position besaß, warb Gerstein sogar eifrig für einen Zusammenschluß des von ihm gegründeten Elektrizitätswerks Westfalen mit dem RWE. Die westfälischen Kommunen versagten ihm aber dieses Mal die Gefolgschaft – wohl auch deshalb, weil für die mehrheitlich in den Rathäusern regierenden Sozialdemokraten der RWE-Herrscher Hugo Stinnes so etwas wie der kapitalistische Beelzebub in Person war. Auch Stinnes zeigte sich nicht erkenntlich, sondern schnappte dem Elektrizitätswerk Westfalen eine fast schon sichere Erwerbung vor der Nase weg. Der verärgerte Gerstein brachte daraufhin das Elektrizitätswerk Westfalen in den neu gegründeten Kommunalen Elektrizitäts-Verband Westfalen-Rheinland ein, dem insgesamt zehn überwiegend kommunale Elektrizitätswerke beitraten.
Dieser 1920 gegründete kommunale Elektrizitäts-Verband verstand sich als Schutz- und Trutzbündnis von selbständigen Unternehmen, die selbständig bleiben wollten. Ein derart lockerer Zusammenschluß genügte aber auf Dauer nicht, um die Herausforderungen zu meistern, denen sich die Mitglieder gegenübersahen. Deshalb schritten 1925 die Elektrizitätswerke Westfalen in Bochum und die Stadt Dortmund zur Gründung der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen GmbH (VEW) mit Sitz in Dortmund. Bis Ende der zwanziger Jahre schlossen sich die meisten anderen Mitglieder des Kommunalen Elektrizitätsverbandes sowie weitere Gemeinden der Neugründung an.
Nominell gab es mit dem Westfälischen Verbands-Elektrizitätswerk in Dortmund-Kruckel insgesamt drei Gründungsgesellschafter. Die ehemalige RWE-Gründung in Kruckel gehörte aber schon seit Jahren mehrheitlich der Stadt Dortmund bzw. zur 1923 entstandenen „Dortmunder und Verbands-Elektrizitätswerk GmbH“ als Dachgesellschaft. Da auch die Bochumer Partner inzwischen ihre gemischtwirtschaftlichen Anfänge abgestreift hatten, starteten die VEW als rein kommunales Unternehmen.
Als 1930 die VEW die Rechtsform einer Aktiengesellschaft annahmen, reichte ihr Versorgungsgebiet von Lingen an der Ems bis zur KreisstadtBerleburg am Südhang des Rothaargebirges (200 km) sowie von Bochum bis Gütersloh (100 km). An diesem Versorgungsgebiet hat sich bis zur Aufhebung der Demarkationsverträge im Jahr 1998 grundsätzlich nichts mehr geändert.