Konfliktstoff-Katalog der Kartellbehörden
Im einzelnen benannte die Arbeitsgruppe der Kartellbehörden in ihrem Bericht
folgende Konfliktpunkte, um die es zu Musterprozessen mit Netzbetreibern kommen könnte
(der vollständige, 72 Seiten umfassende Bericht kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden):
- Wechselgebühren: Sie sind nach Auffassung der Kartellbehörden
in erster Linie am "Behinderungsverbot" zu messen. Soweit dem Netzbetreiber
tatsächlich eine Mehrbelastung durch den Kundenwechsel entsteht, darf
er diese nicht einseitig dem wechselnden Kunden aufbürden. Vielmehr
muß das Interesse der nicht wechselnden Kunden hinter dem Interesse
der Allgemeinheit an einem unbeschränkten Wettbewerb sowie den Interessen
der wechselnden Kunden zurückstehen.
- Abschluß von Netznutzungsverträgen: Es sei kartellrechtswidrig,
wenn der Netzbetreiber auf dem separaten Abschluß von Netznutzungsverträgen
mit Endkunden besteht. Die Wettbewerber würden dadurch ungerechtfertigt
benachteiligt, weil sie ihren Kunden kein umfassendes - d.h. die Netznutzungsentgelte
miteinschließendes - Stromlieferungsangebot machen können. Besonders
groß werde die "Abschreckung", wenn der Netzbetreiber die wechselwilligen
Kunden auch noch mit unüberschaubaren, komplizierten Vertragstexten
konfrontiere.
- Kritisch sahen die Kartellbehörden auch sogenannte Doppelverträge.
Bei diesen Doppelverträgen erbringt der Netzbetreiber die Leistung "Netznutzung"
gegenüber dem Händler, der den Kunden mit Strom beliefert. Der
Lieferant hat dadurch die Möglichkeit, ein "Alles-inbegriffen-Angebot"
vorzulegen. Der Netznutzungsvertrag mit dem Kunden ruht unterdessen, um nach
Ende der Belieferung wiederaufzuleben. Nach Meinung der Kartellbehörden
wird mit dieser juristischen Konstruktion dem Kunden "das Insolvenzrisiko
des Händlers über das gebührende Maß vor Augen geführt".
Er werde "zum Vertragspartner des Netznutzungsvertrags für einen Eventualfall
gemacht, ohne daß er den Umfang seiner Rechte und Pflichten genau kennt".
In jedem Fall sei es kartellrechtswidrig, wenn Lieferanten und Kunden keine
andere Wahl bleibt als der Abschluß solcher Doppelverträge.
- Regelenergie: Hier hielten es die Kartellbehörden für ungerechtfertigt,
daß gemäß Verbändevereinbarung II den Bilanzkreisen
ein zusätzlicher Regelleistungspreis in Rechnung gestellt wird, sobald
ihre Einspeisungen unter das sogenannte Toleranzband (plus/minus fünf
Prozent des Sollwerts) absinken. Die Netzbetreiber hätten dadurch unbegründete
Mehrerlöse, da ihre tatsächlichen Kosten für die Bereitstellung
von Regelleistung aufgrund des Durchmischungseffektes sämtlicher Mehr-
und Mindereinspeisungen im Netz geringer seien und sogar gegen Null tendieren
könnten. Besonders behindernd sei diese Praxis für kleine Händler,
die nur wenig Kunden zu einem Bilanzkreis zusammenfassen können.
Weiter wurde beanstandet, daß die Netzbetreiber einen Einspeisungs-Überschuß
deutlich unter dem Marktpreis vergüten, während sie Fehlmengen
deutlich über dem Marktpreis verrechnen. Stromhändler hätten
dadurch von vornherein eine höhere Kostenbasis als integrierte Netzbetreiber/Lieferanten,
mit denen sie konkurrieren.
- Lastprofile: Hier stellten die Kartellbehörden den Zuschlag in
Frage, der bei der Anwendung synthetischer Lastprofile berechnet wird. Der
Zuschlag stelle "eine pauschale Belastung für die Netznutzer dar, ohne
daß der Mehraufwand für die Netzbetreiber bereits konkret bezifferbar
ist".
- Schwachlast-Strom: Nach Ansicht der Kartellbehörden sind die Netzbetreiber
verpflichtet, auch Dritten die Belieferung von Kunden mit verbilligtem Schwachlast-Strom
für Nachtspeicherheizungen u.ä. zu ermöglichen. Das Gebot
der Gleichbehandlung werde hier derzeit sichtlich nicht erfüllt, da
die Stromhändler für alle Lieferungen - unabhängig von der
Tageszeit und der Versorgungslage - dieselben Netznutzungsentgelte zahlen
müssten.
- Konzessionsabgabe: Ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung
sahen die Behörden darin, daß Stromhändlern hier genau jene
Konzessionsabgabe berechnet wird, die am Standort des Kunden erhoben wird,
während ansonsten in den Strompreisen der integrierten Versorgungsunternehmen
die Konzessionsabgabe regelmäßig als Mischsatz enthalten ist,
der sich aus den unterschiedlichen Konzessionsabgaben innerhalb des Versorgungsgebiets
ergibt.
- KWK-Gesetz: Bei der Überwälzung der Belastungen aus dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz
(KWKG) wurde nach Ansicht der Kartellbehörden der in § 3 Abs. 1
KWKG genannte Begriff "Mehraufwendungen" von den Netzbetreibern zu weit ausgelegt.