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Der Bau konkurrierender Stromnetze ist praktisch unmöglich. Die Netzbetreiber verfügen deshalb über ein „natürliches Monopol“.

Das Netz stellt ein „natürliches Monopol“ dar

Im liberalisierten Strommarkt kann grundsätzlich jeder seinen Strom dort kaufen, wo er will. Insofern funktioniert dieser Strommarkt ganz ähnlich, als würde der Kunde bei irgendeinem Brennstoffhändler eine Ladung Briketts oder eine Tankfüllung Öl bestellen.

Dennoch sollte man sich den Strommarkt nicht so einfach wie einen Brennstoffhandel vorstellen. Es können auch leicht falsche Vorstellungen entstehen, wenn man, wie dies häufig geschieht, Strom zusammen mit Gas zu den „leitungsgebundenen Energien“ rechnet. Denn Strom unterscheidet sich grundsätzlich von Gas oder Öl, und eine Pipeline ist etwas völlig anderes als eine Stromleitung:

Wenn Strom und Gas dennoch häufig unter dem Oberbegriff „leitungsgebundene Energien“ zusammengefaßt werden, hat das einen anderen Grund: Sowohl Stromleitungen als auch Gas-Pipelines können nicht beliebig durch die Landschaft verlegt werden. Erst recht gilt dies für komplette Netze mit ihren zahlreichen Verästelungen und Verknüpfungen. Es wäre eine ungeheure Umweltbelastung und Geldverschwendung, wenn jeder Energie-Anbieter sein eigenes Leitungsnetz bis zu den Kunden verlegen würde.

Das Netz gehörte zum Stromversorger wie die Schienen zur Eisenbahn

In aller Regel wird aus den genannten Gründen ein einziges Netz genügen müssen. Bei der Stromversorgung ist dieses Netz in vielen Jahrzehnten entstanden. Den Anfang machten die inselartigen Verteilnetze der ersten Stadtwerke und Überlandwerke, die allmählich zusammenwuchsen, wobei sie vom sogenannten Verbundnetz für den überregionalen Stromtransport überlagert wurden.

Die Netze der Stromversorgung haben auch längst nationale Grenzen hinter sich gelassen. Heute ist die deutsche Stromversorgung Bestandteil eines umfassenden Verbunds von Portugal bis Polen und von Jütland bis Sizilien, in dessen Leitungen der Strom überall mit derselben Frequenz schwingt. Die Verantwortung für das Funktionieren dieses Systems obliegt den großen Netzbetreibern, die sich in der UCTE zusammengeschlossen haben. In Deutschland gehören dazu die sogenannten Verbundunternehmen, die zugleich über achtzig Prozent des Stroms erzeugen und in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Stromproduktion und Nachfrage verantwortlich sind.

Zu diesem Netz der Stromversorgung, wie es sich in über hundert Jahren herausgebildet und bewährt hat, gibt es praktisch keine Alternative. Es wäre weder möglich noch wünschenswert, die Landschaft mit weiteren solcher Netze zu überziehen.

Die Ökonomen räumen deshalb dem Stromnetz den Rang eines „natürlichen Monopols“ ein. Sie wollen damit sagen, daß sich das Netzmonopol aus Sachzwängen ergibt, denen mit dem üblichen kartellrechtlichen Instrumentarium zur Beseitigung von Monopolen nicht beizukommen ist.

Die Sonderstellung der Stromwirtschaft wurde als völlig normal empfunden

In der Vergangenheit wurde aus diesem natürlichen Monopol des Netzbetriebs eine Sonderstellung der Elektrizitätswirtschaft abgeleitet, indem man ihr geschlossene Versorgungsgebiete zugestand: Der Netzbetreiber war mit dem Stromlieferanten identisch. Die Stromverbraucher innerhalb eines Versorgungsgebiets konnten also nicht zwischen mehreren Lieferanten auswählen, sondern mußten ihren Bedarf an elektrischer Energie beim jeweils zuständigen Stromversorger decken.

Zum Ausgleich waren die Stromversorger allerdings einer weitgehenden behördlichen Kontrolle unterworfen: Beispielsweise mußten sie sich sowohl ihre Preise für Tarifkunden als auch ihre Investitionsvorhaben von der Aufsichtsbehörde genehmigen lassen. Damit sollte einem Mißbrauch der zugestandenen Monopolstellung vorgebeugt werden.

Diese Sonderstellung der Elektrizitätswirtschaft wurde lange Zeit als ganz normal empfunden. Die Stromversorgung gehörte ohnehin größtenteils der öffentlichen Hand. Obwohl sie im Unterschied zu Post und Eisenbahn privatrechtlich verfaßt war, wurde sie wie diese als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge gesehen.

Historisch waren die Netze als notwendiges Anhängsel der Kraftwerke entstanden, um die erzeugte elektrische Energie an die Verbraucher verteilen zu können. Sie gehörten so untrennbar zur Stromversorgung wie die Schienen zur Eisenbahn.

Außerdem gab es noch keine elektronische Datenverarbeitung und Kommunikationstechnik, um die umfangreichen Meßvorgänge und Abrechnungs-Probleme zu bewältigen, die mit der Öffnung der Netze verbunden sind. Die Benutzung der Netze durch Dritte bedeutete ein Störpotential, das sich nur durch unverhältnismäßigen Aufwand an Meß-, Rechen-, Steuer- und Regeltechnik hätte eingrenzen lassen.

Bis in die neunziger Jahre wehrte sich die Stromwirtschaft hartnäckig gegen die Vorschläge der Deregulierungskommission – hier in einer Ausgabe der von der „Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft“ (IZE) herausgegebenen Reihe StromDISKUSSION.

Die Stromversorgung gerät ins Visier der Deregulierungs-Kommission

Diese Sichtweise begann sich erst in den achtziger Jahren zu ändern, als weltweit in Politik und Wirtschaft ein ökonomischer Paradigma-Wechsel einsetzte, der noch andauert und dem „Neoliberalismus“ zum Durchbruch verhalf. Vor allem übte eine Ende 1987 von der Bundesregierung eingesetzte „unabhängige Expertenkommission zum Abbau marktwidriger Regulierungen“ scharfe Kritik an den Gebietsmonopolen der Stromversorger, die bisher kartellrechtlich erlaubt und zusätzlich durch Demarkations- und Konzessionsverträge abgesichert waren. In einem abschließenden Gutachten, das die Deregulierungskommission im März 1991 vorlegte, bezweifelte sie ausdrücklich auch die technisch-wirtschaftlichen Zwänge, die bisher seitens der Stromwirtschaft geltend gemacht wurden, um ihre Ausklammerung vom Wettbewerb zu begründen. Sie schlug vor, die Betreiber von Stromnetzen einer allgemeinen Durchleitungspflicht zu unterwerfen, wozu es erforderlich sei, den Netzbetrieb als eigenständige Dienstleistung von den sonstigen Geschäften der Stromversorger zu trennen.

Im Juni 1992 billigte das Bundeskabinett die meisten Vorschläge der Deregulierungskommission, nachdem sich eine Arbeitsgruppe der Koalition aus Union und FDP eineinhalb Jahre damit befaßt hatte. Insbesondere gehörten dazu auch die einschneidenden Vorschläge zur Deregulierung der Stromwirtschaft. Im übrigen wartete man aber erst mal ab, was sich auf europäischer Ebene ergeben würde.

Die EU-Richtlinie zur Liberalisierung

In Brüssel hatte die EG-Kommission im Januar 1992 zwei Richtlinienentwürfe vorgelegt, die Großabnehmern von Strom und Gas ab Anfang 1993 den Zugang zu den Netzen anderer Mitgliedsstaaten erleichtern und 1996 in eine vollständige Liberalisierung münden sollte. Ihr Konzept fand grundsätzlich den Beifall der stromverbrauchenden Industrie, wurde aber von der Stromwirtschaft heftig abgelehnt und auch von den meisten Regierungen als unausgereift empfunden. Die Brüsseler Pläne für einen „Netzzugang Dritter“ („third party access“) stießen vor allem auf den hartnäckigen Widerstand Frankreichs, das die Idee des „service public“ bzw. die monopolistische Stellung des staatlichen Stromkonzerns EDF nicht preisgeben wollte. Nach langem Hin und Her einigten sich die Wirtschafts- und Energieminister der Europäischen Union im Juni 1996 auf eine Richtlinie zur Liberalisierung des Strommarktes, die Anfang 1997 in Kraft trat und von den Mitgliedsstaaten der EU binnen zwei Jahren in geltendes nationales Recht umgesetzt werden mußte. Die speziellen Wünsche Frankreichs wurden dabei durch das sogenannte Alleinabnehmer-Modell berücksichtigt, für das sich jedes Mitgliedsland alternativ zum verhandelten Netzzugang entscheiden konnte.

Deutschland ist Vorreiter und Schlußlicht zugleich

Die EU-Richtlinie verpflichtete die Mitglieder der Europäischen Union zur schrittweisen Öffnung ihrer nationalen Strommärkte; und zwar bis 1999 um mindestens 23 Prozent, bis zum Jahr 2000 um ca. 27 Prozent und bis 2003 um ca. 33 Prozent. Die deutsche Neuregelung ging indessen über die Vorgaben aus Brüssel hinaus: Sie begnügte sich nicht mit einer abgestuften, zunächst auf Großverbraucher beschränkten Öffnung des Marktes, sondern entließ die Stromwirtschaft von einem Tag auf den anderen in den Wettbewerb.

Das entsprechende Artikelgesetz zur Novellierung des Energierechts wurde vom Bundestag im November 1997 verabschiedet und trat am 29. April 1998 in Kraft. Es ersetzte das bisher geltende Energiewirtschaftsgesetz und beseitigte die geschlossenen Versorgungsgebiete, die bis dahin einem Wettbewerb bei den leitungsgebundenen Energieträgern Strom und Gas entgegenstanden. Die Netzbetreiber sind seitdem verpflichtet, den Strom anderer Anbieter durch ihre Netze zu leiten. Sie dürfen die Durchleitung nur verweigern, wenn keine Kapazitäten vorhanden sind oder wenn dadurch erneuerbare Energien oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen gefährdet würden. Die Kommunen dürfen keine exklusiven Wegerechte mehr vergeben, können aber weiterhin Konzessionsabgaben verlangen.

Allerdings litt das neue Energiewirtschaftsgesetz unter einem argen Geburtsfehler, der die radikale Marktöffnung zu einer genauso pompösen wie inhaltsleeren Geste machte: Es ging nämlich vom Modell des „verhandelten Netzzugangs“ aus, wonach die beteiligten Wirtschaftsgruppen die Einzelheiten des Netzzugangs selber regeln dürfen und können.

Der verhandelte Netzzugang war in Artikel 17 der ersten EU-Richtlinie, die im Februar 1997 in Kraft trat, tatsächlich noch als Normalfall vorgesehen gewesen. Alternativ konnten sich die Mitgliedsstaaten für ein „geregeltes Netzzugangssystem“ (Absatz 4) oder für das „Alleinabnehmersystem“ (Artikel 18) entscheiden.

Volkswirtschaftlich gesehen handelte es sich beim verhandelten Netzzugang („negotiated third party access“) aber von Anfang an um eine Mißgeburt: Sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission hätten wissen müssen, daß sich ein „natürliches Monopol“ wie der Netzbetrieb nur neutralisieren läßt, wenn es einer strengen staatlichen Aufsicht unterworden wird. Es war schlicht naiv, die Regelung der Netznutzung den beteiligten Wirtschaftsgruppen zu überlassen und die Diskriminierung von Wettbewerbern durch eine nachträgliche Mißbrauchsaufsicht der Kartellbehörden verhindern zu wollen.

Alle anderen EU-Staaten sahen das auch ein und entschieden sich für den „geregelten Netzzugang“, bei dem eine Regulierungsbehörde von vornherein die Modalitäten der Netznutzung und die Höhe des Netzentgelts festlegt. Sogar Frankreich ließ sein schwer erkämpftes Alleinabnehmermodell links liegen. Nur die die deutsche Regierung beschritt konsequent den Holzweg des „verhandelten Netzzugangs“. Sie bescherte damit der deutschen Stromwirtschaft eine vom neuen Energierecht an sich verbotene, faktisch aber jahrelang andauernde Diskriminierung neuer Marktteilnehmer, bis am Ende doch eine Regulierungsbehörde für den Netzbetrieb eingeführt werden mußte.



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