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Die zweite Verbändevereinbarung erleichterte zwar die Durchleitung, doch bildete die Höhe der Netznutzungsentgelte eine enorme Hürde für neue Stromanbieter. Das Bundeskartellamt setzte eine Arbeitsgruppe ein, um "mißbräuchliche Praktiken" abzustellen, und leitete Verfahren gegen verschiedene Netzbetreiber ein.

Regulierungsbehörde löst Verbändevereinbarungen ab

Ab dem Jahre 2000 mehrten sich die Klagen über Behinderungen beim Netzzugang und überhöhte Netznutzungsentgelte. Viele der neuen Stromanbieter merkten immer deutlicher, daß sie unter den herrschenden Bedingungen nicht konkurrenzfähig sein konnten und fühlten sich von den Netzbetreibern über Gebühr "gemolken". Sogar der Bundeswirtschaftsminister Werner Müller - selber ein ehemaliger Strommanager und den EVU durchaus freundlich gesinnt - sah "unglaublich viel Beschiß im Spiel, schlicht Beschiß".

Wer von den neuen Stromanbietern nicht aufgab, wie Zeus Strom, Deutsche Strom AG und Euro Power Energy, überlebte nur unter Verlusten. Dazu gehörte der Branchenführer Yello, der zum Jahresende 2000 mehr als 600.000 Kunden meldete. Die Ares Energie AG, die im Juni 1999 den Wettbewerb um Haushaltskunden eröffnet hatte, zog sich knapp zwei Jahre später aus dem verlustträchtigen Geschäft zurück. Ihre über hunderttausend Kunden überließ sie den Kieler Stadtwerken, die kurz zuvor an den US-Konzern Texas Utilities verkauft worden waren und deshalb eine bundesweite Vertriebsschiene brauchen konnten. Ende 2002 meldete auch die neue TXU-Tochter "ares-energie-direkt" Insolvenz an. Kurz darauf folgte die Riva Energie AG, die ihre 50.000 Kunden zum Teil mit dubiosen "Drücker"-Methoden geworben hatte.

Entsprechend mißtrauisch beäugten die Kartellbehörden die Netznutzungsentgelte und das mitunter umständliche Verfahren beim Lieferantenwechsel. Sie setzten Ende 2000 eine Arbeitsgruppe ein, um "mißbräuchliche Praktiken" abzustellen. Grundsätzliche bestehe die Gefahr - so hieß es in einem Papier dieser Arbeitsgruppe - , daß etablierte Versorger ihre Netznutzungsentgelte möglichst hoch ansetzen, um konkurrierenden Stromhändlern das Leben schwer zu machen. Zwar entstünden ihnen dadurch selber rechnerische Verluste im Vertriebsbereich. Diese könnten sie aber in der Konzernbilanz - im Unterschied zu reinen Stromhändlern - leicht mit den Gewinnen aus den überhöhten Netznutzungsentgelten ausgleichen.

Im September 2001 verdächtigte das Bundeskartellamt gleich 22 Betreiber von Stromnetzen, überhöhte Netznutzungsentgelte zu verlangen und leitete Mißbrauchsverfahren ein. Zum Beispiel mußte die Thüringer E.ON-Tochter Teag ihre Netznutzungsentgelte senken, weil sie dem Netz sachfremde Kosten zugeordnet hatte. Andererseits dienten dem Bundeskartellamt die vergleichsweise niedrigen Meß- und Zählerkosten der Teag als Beleg dafür, daß die RWE Net AG diesen Kostenfaktor zu hoch angesetzt habe.

Vergleichsmarktkonzept läßt nur "Ausreißer" erkennen

Im September 2002 veröffentlichte der Verband der Netzbetreiber (VDN) im Internet erstmals eine Datenbank, die es ermöglichen sollte, die Netznutzungsentgelte auf einer realistischen Basis miteinander zu vergleichen. Dieses "Vergleichsmarktkonzept" entsprach einer Regelung, welche die Verbände der Stromwirtschaft Ende 2001 beschlossen hatten. Anhand der Angaben ließ sich erkennen, ob ein Netzbetreiber mit seiner Entgeltforderung über oder unter dem Durchschnitt sämtlicher Netzbetreiber lag, die vergleichbare Investitions- und Betriebskosten hatten. Gemäß der erwähnten Verbändevereinbarung mußten Netzbetreiber die Angemessenheit ihrer Forderung auf Verlangen eines Netznutzers vor einer Schiedstelle begründen, wenn das von ihnen verlangte Entgelt innerhalb der Preis-Vergleichsgruppe zu den oberen 30 Prozent gehörte.

Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft nahm sich diese Liste sogleich vor und stellte fest, daß bei Hochspannung mindestens 28 Prozent, bei Mittelspannung 9 Prozent und bei Niederspannung 13 Prozent der Netzbetreiber zu teuer seien. Ob das Preisniveau insgesamt überhöht sein könnte, ließ dieses Vergleichsmarktkonzept allerdings nicht erkennen. Es ermöglichte lediglich die Identifizierung von "Ausreißern", die das durchschnittliche Preisniveau vergleichbarer Netzbetreiber deutlich überschritten. Es bot auch keine rechtliche Handhabe, um eine Preissenkung durchzusetzen - es sei denn, das Bundeskartellamt hätte den Fall übernommen und ein Mißbrauchsverfahren eingeleitet.

"Anreizregulierung" und Vorab-Genehmigung der Netzentgelte

Im Dauerstreit mit dem Kartellamt erhielten die Netzbetreiber im Frühjahr 2003 Auftrieb durch einen Zusatz zum Energiewirtschaftsgesetz, der die Verbändevereinbarungen für Strom und Gas zur "guten fachlichen Praxis" erklärte. Obwohl dieser Passus nur bis 31. Dezember 2003 befristet war, hatte das Kartellamt fortan einen schweren Stand, wenn es die Preisfindungsprinzipien der Verbändevereinbarung in Frage stellte. Sämtliche seiner Mißbrauchsverfügungen gegen Netzbetreiber wurden vor Gericht wieder aufgehoben.

Im Juni 2003 erließ die EU-Kommission jedoch eine neue Richtlinie zur beschleunigten Öffnung der Binnenmärkte für Strom und Gas. Neben der rechtlichen Trennung des Netzbetriebs von anderen Geschäftsbereichen schrieb sie verbindlich die Einrichtung von Regulierungsbehörden vor, die es bereits in allen EU-Staaten mit Ausnahme von Deutschland gab. Damit war klar, daß die Tage der freiwilligen Verbändevereinbarungen gezählt waren und daß künftig eine Behörde über die Höhe der Netznutzungsentgelte wachen werde. Unklar blieb vorerst allerdings, wieviel "Biß" bzw. welche Vollmachten die Regulierungsbehörde erhalten würde.

Die amtierende rot-grüne Bundesregierung und ihr Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wollte zunächst lediglich die Mindestanforderungen der neuen EU-Richtlinien erfüllen und ansonsten möglichst wenig an der bisherigen Praxis ändern. Auf Drängen des Bundesrats fiel dann aber das neue Energiewirtschaftsgesetz, das am 13. Juli 2005 in Kraft trat, doch wettbewerbsfreundlicher aus: Vor allem wurde das Prinzip der "Anreizregulierung" (§ 21a) mit aufgenommen. Demnach kann die Regulierungsbehörde Höchstgrenzen für die Netzentgelte festsetzen, die sich an den Kosten der günstigsten vergleichbaren Netzbetreiber orientieren. Weniger effektive Netzbetreiber werden so zu Anpassungen ihrer Kostenstrukturen und Verbesserung ihrer Effizienz gezwungen. Bis zum Wirksamwerden dieser Anreizregulierung mit der Festsetzung von Höchstgrenzen müssen die Netzentgelte von der neuen "Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen" vorab genehmigt werden (§ 23a).

Weitere Einzelheiten des seit Juli 2005 geltende neuen Energierechts sind dem ENERGIE-WISSEN Netzzugang und Netznutzungsentgelt zu entnehmen sowie folgenden Link-Listen der ENERGIE-CHRONIK: