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Mit der Umstellung auf Erdgas wurden auch kommunale Versorger mit ehemals eigener Stadtgas-Produktion zu reinen Verteilern. Sie verfügten zwar in ihrem jeweiligen Absatzgebiet weiterhin über das Gasnetz und damit über ein Monopol, waren aber selber auf die Belieferung durch eine der Ferngasgesellschaften angewiesen. 1973 existierten noch rund 500 solcher Ortsgasverteiler. In der Regel handelte es sich um Querverbundunternehmen, die auch für die Strom- und Wasserversorgung zuständig waren.
Theoretisch hätten sich diese Ortsgasverteiler ihren Lieferanten dort aussuchen können, wo die Anschlußmöglichkeit an mehrere Ferngasnetze bestand. In der Praxis war dies aber unmöglich, weil die Ferngasgesellschaften ihre Absatzgebiete durch sogenannte Demarkationsverträge sicherten. Damit war gewährleistet, daß keine der Ferngasgesellschaften ins Revier der anderen eindrang und so für Wettbewerb sorgte. Außerdem behielten sich die Ferngasgesellschaften in ihren Verträgen mit den Ortsgasverteilern oft das Recht vor, Verbraucher ab einer bestimmten Größtenordnung direkt zu beliefern.
Die Demarkationsgebiete der deutschen Gasversorger bis 1998: Die Ruhrgas AG
verfügte über fünf (räumlich getrennte) Demarkationsgebiete, die
Thyssengas über zwei. Ein Gebiet nördlich von Hannover wurde gemeinsam von
EGM und BEB beliefert. Fünf kleinere Versorgungsgebiete (um Darmstadt, in Nordbaden,
um Düsseldorf und zwei bei Bremen) wurden von regionalen Unternehmen versorgt,
die keine Demarkationsverträge abgeschlossen hatten. Die beiden Wintershall-Töchter Wingas und WIEH sowie die Mobil Erdgas-Erdöl besaßen keine demarkierten Absatzgebiete. Wingas und WIEH wurden erst zu einer Zeit gegründet, als die Absatzmärkte bereits aufgeteilt waren. Die Mobil Erdgas-Erdöl brauchte sie nicht, da sie ihr Erdgas fast ausschließlich als Vorlieferant anderer Ferngasunternehmen absetzte (VNG, EGM und EWE). Der Einfluß der Ruhrgas AG war weit größer, als diese Karte erkennen läßt. Zum einen war sie der wichtigste Importeur von Erdgas. Zum anderen war sie an sieben weiteren Gebietsversorgern maßgeblich beteiligt: An FGN mit 54%, EVG mit 50%, FSG mit 39%, VNG mit 35%, Gasunion mit 25,9%, SFG mit 20% und Bayerngas mit 10%. |
Das 1957 erlassene Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nahm solche Gebietsschutzverträge
der Gas- und Stromversorger ausdrücklich vom Kartellverbot aus, da der Bau von
konkurrierenden Leitungen nicht möglich oder zumindest nicht erwünscht war.
Die Gas- und Stromversorger unterlagen dafür einer Mißbrauchsaufsicht durch
die Kartellbehörden. Die Demarkationsverträge mußten angezeigt und
genehmigt werden. In der Regel war die Genehmigung aber nur Formsache. Die Kartellbehörden
verfolgten zwar mit wachsendem Mißtrauen, wie die vertraglich fixierten Gebietsabsprachen
den letzten Funken Wettbewerb erstickten, hatten aber doch keine wirksame Handhabe,
um sie zu untersagen. Erst mit der Neufassung des Energiewirtschaftsgestzes 1998 wurden
die Demarkationsverträge verboten.
Schon vor dieser Neuregelung untersagte das Bundeskartellamt 1994 einen Demarkationsvertrag, mit dem Ruhrgas und Thyssengas ihre Versorgungsgebiete voneinander abgrenzten und die gemeinschaftliche Belieferung von vier großen Stadtwerken vereinbarten. Da beide Unternehmen Erdgas aus den Niederlanden bezogen, glaubte das Bundeskartellamt, sich hier auf das Kartellverbot in Artikel 85 EWG-Vertrag stützen zu können. Der folgende Rechtsstreit ging bis zum Europäischen Gerichtshof. Zur Entscheidung kam es aber nicht mehr, weil die beiden Gasunternehmen die angemeldete Demarkation mit Blick auf die bevorstehende Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes zurückzogen.
Außerdem untersagte das Bundeskartellamt den Demarkationsvertrag, mit dem Ruhrgas und BASF ihre Geschäftsgebiete voneinander abgrenzen wollten. Dieser Vertrag war ein wesentlicher Bestandteil der Vereinbarungen, mit denen die beiden Erdgas-Importeure im Februar 1994 ihren dreijährigen "Gaskrieg" beilegten. Er verpflichtete die Ruhrgas-Ableger VNG und Erdgas Südsachsen GmbH (ESG) zum Bezug bestimmter Mengen Gas von den Wintershall-Unternehmen Wingas und WIEH, während diese zusicherten, in dem Versorgungsgebiet von VNG und EVG - mit Ausnahme einiger bereits bestehender Lieferverträge - nicht geschäftlich tätig zu werden. Die Liefer- und Demarkationsverträge sollten für zwanzig Jahre bis zum 30. September 2013 gelten.
Das Bundeskartellamt erklärte diese Gebietsabsprache am 7. März 1995 für unwirksam, weil Wintershall und Ruhrgas über konkurrierende Leitungen zur Belieferung von Kunden verfügten. Denn Wintershall hatte inzwischen fast parallel zur neuen Verbundleitung der Ruhrgas-Gruppe durch Thüringen und Sachsen ihre Erdgas-Pipeline "Stegal" mit Stichleitungen zu Großkunden gebaut. Nach Feststellung des Kartellamtes waren Demarkationsverträge nur dann vom Kartellverbot ausgenommen, wenn der Netzbetreiber über ein "natürliches Monopol" verfügte, weil der Bau konkurrierender Leitungen nicht möglich oder sinnvoll war. Diese Voraussetzung sei aber im Verhältnis zwischen Ruhrgas und BASF/Wintershall entfallen. Der zwischen beiden Konzernen abgeschlossene Demarkationsvertrag bewirke lediglich die Unterbindung von Wettbewerb und Nachteile für die Kunden.
Das Berliner Kammergericht beurteilte den Sachverhalt allerdings anders und hob die Verfügung des Kartellamts am 14. Februar 1996 wieder auf. Der daraufhin vom Bundeskartellamt angerufene Bundesgerichtshof gab der Beschwerde am 28. September 1999 statt und verwies den Fall an das Kammergericht zurück. Dieses entschied daraufhin zugunsten des Bundeskartellamts, wobei es die seit 1998 veränderte Rechtslage berücksichtigte. Denn mittlerweile war das neue Energiewirtschaftsgesetz in Kraft getreten, das den Strom- und Gasmarkt grundsätzlich liberalisierte und Demarkationsverträge nicht mehr zuließ.
Obwohl der Streit also inzwischen historisch geworden war, riefen VNG und EVG nun den Bundesgerichthof an. Sie argumentierten, daß die Gebietsabsprache im Rahmen einer Mindesabnahmeverpflichtung erfolgt sei, die vor Inkrafttreten des neuen Energierechts erfolgte und nicht eingehalten werden könne, wenn sich nun durch den Wegfall des Gebietsschutzes die Absatzmöglichkeiten verringern würden. Aber auch der Bundesgerichtshof wollte endlich einen Schlußstrich unter diese Art Verträge ziehen. Am 18. Februar 2003 befand er, daß die Vereinbarung in jedem Falle ein verbotenes Kartell sei. Die Gebietsabsprachen seien für die abgeschlossenen Energielieferverträge nicht funktionsnotwendig. Zwar bestehe zwischen Gebietsabsprache und Mindestabnahmeverpflichtung ein Zusammenhang. Dies dürfe aber nicht dazu führen, daß die Gebietsabsprache hinzunehmen sei. Vielmehr werde unter Umständen die Mindestabnahmeverpflichtung von der Unwirksamkeit der Gebietsabsprache erfaßt.
Mit der Untersagung des Demarkationsvertrags zwischen Ruhrgas und BASF griff das Bundeskartellamt erfolgreich einer Neuregelung vor, die erst mit Inkrafttreten des neuen Energiewirtschaftsgesetzes 1998 allgemeine Gültigkeit erlangte. Erfolglos blieb dagegen sein Versuch, auch die "Durchleitung" vorab zu ermöglichen, indem es die VNG und die Erdgas Südsachsen GmbH (ESG) am 29. Juni 1992 verpflichtete, der WIEH eine vier Kilometer lange Pipeline zur Versorgung der Papierfabrik Weißenborn zur Verfügung zu stellen.
Die Papierfabrik hatte den Gasbezug bei der ESG gekündigt und wollte einen günstigeren Liefervertrag mit der WIEH abschließen. Um die Papierfabrik wirklich beliefern zu können, hätte die WIEH aber große Leitungsstrecken der konkurrierenden Verbundnetz Gas (VNG) sowie eine vier Kilometer lange Stichleitung der ESG benutzen müssen. Eine solche Durchleitung wäre zwar technisch möglich gewesen, wurde aber bisher nur auf freiwilliger vertraglicher Basis praktiziert. Die beiden Ruhrgas-Unternehmen verweigerten deshalb erwartungsgemäß die Zustimmung.
In der nun folgenden Auseinandersetzung mit dem Bundeskartellamt erhielten die beiden Ruhrgas-Ableger sogar den Beistand der sächsischen Landeskartellbehörde, die im November 1992 die Ansicht vertrat, daß der WIEH angesichts ihrer Finanzkraft der Bau einer eigenen Leitung zuzumuten sei. Auch entstehe der ESG ein Wettbewerbsnachteil, wenn ein anderes Unternehmen lukrative Verträge aquiriere und damit eine "gesunde Durchmischung" der Kundenstruktur unmöglich mache.
Der Kartellsenat des Berliner Kammergerichts hob dann am 9. Juni 1993 die Verfügung des Bundeskartellamts auf. Er war der Meinung, daß das Bundeskartellamt kein Energieunternehmen generell verpflichten dürfe, Verhandlungen über eine Durchleitung aufzunehmen). Im November 1994 wies auch der Bundesgerichtshof in letzter Instanz die Beschwerde des Bundeskartellamts gegen dieses Urteil zurück.