Themen-Auswahl | ENERGIE-WISSEN | Leitseite |
Weil sie auf den Bau eigener Erdgas-Leitungen verzichteten, durften sich die Mineralölkonzerne an der Ruhrgas AG beteiligen. Die Monopolkommission machte sich in ihrem ersten Hauptgutachten 1973/75 die Mühe, die neuen Beteiligungs- und Herrschaftsverhältnisse detailliert darzulegen. Sie gelangte zu dem Schluß, daß beim größten deutschen Ferngasunternehmen inzwischen die Öl-Interessen dominierten. |
Treibende Kraft beim Aufbau eines flächendeckenden Erdgas-Verbundnetzes wurde die Ruhrgas AG, die ursprünglich vom Ruhrbergbau gegründet worden war, um das in den Kokereien anfallende Gas zu vermarkten. Ihr Ferngasnetz war mit Abstand das größte in Deutschland und befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft der neuentdeckten Erdgasvorkommen.
Es gab noch weitere Gründe, weshalb die Ruhrgas nun zum Wegbereiter des Erdgases in Deutschland wurde. Zum einen wäre es für sie aussichtlos gewesen, mit Kokereigas gegen das billigere und energetisch hochwertigere Erdgas konkurrieren zu wollen. Zum anderen stand das holländische Erdgas in Hülle und Fülle zur Verfügung, während die bisherige Gasproduktion vom Koksabsatz abhing. Mit dem Koks ging es aber preislich und mengenmäßig eher abwärts. Das Gas-Aufkommen stagnierte. Sowohl die Ferngasunternehmen als auch die örtlichen Gasversorger waren bereits dazu übergegangen, den Mehrbedarf an Stadtgas aus Öl, Raffineriegas, Flüssiggas oder Erdgas zu erzeugen. Einer Ausweitung des Geschäfts waren damit enge Grenzen gesetzt, zumal das Gas auf dem Wärmemarkt mit Öl und zunehmend auch mit Strom konkurrieren mußte.
Das Bundeswirtschaftsministerium ließ 1957 eine Expertise zu der Frage erstellen, ob der Bergbau in der Lage sei, weiterhin den notwendigen Beitrag zur öffentlichen Gasversorgung zu leisten. Die Gutachter unterstellten dabei eine Zunahme des Rohstahlverbrauchs von jährlich 23,5 auf 39 Millionen Tonnen im Jahre 1970. Aber dennoch ergab sich dann für 1970 eine Gaslücke von 7,5 Millionen Kubikmeter täglich, die auf dem bisher üblichen Wege nicht mehr gedeckt werden konnte.
Die Abhängigkeit der Gasversorgung vom Koksbedarf war somit zu einem Hindernis für den weiteren Ausbau der Gasversorgung geworden. Die Montanindustrie, die hinter der Ruhrgas stand, konnte also nur profitieren, wenn sie anstelle der eigenen Gaserzeugung fortan auf Erdgas setzte. Sie konnte sogar doppelt gewinnen, indem sie das weiterhin anfallende Kokereigas nun an industrielle Großverbraucher verkaufte, die sich in der Nähe der Kokereien befanden.
Dennoch fiel der Ruhrgas die Erdgasverteilung nicht einfach in den Schoß. Die Erdgasförderung wurde nämlich von den Ölkonzernen beherrscht, die am liebsten ihre eigenen Pipelines gebaut hätten, um den neuen Markt auf allen Ebenen in den Griff zu bekommen. Es bedurfte erheblicher Anstrengungen der Montanindustrie, um die Ölkonzerne an der Errichtung eines eigenen Netzes zu hindern und auch die Politiker davon zu überzeugen, daß die sukzessive Umstellung der bereits vorhandenen Ferngasnetze auf Erdgas die bessere Lösung war.
"Erst nach langem, zähen Ringen ist es unter Hinweis auf die durch langfristige Verträge gesicherten Versorgungsgebiete und durch den Nachweis, daß das Ferngasnetz für den Erdgastransport geeignet ist, gelungen, den Ferngasgesellschaften ihre Absatzgebiete zu sichern", hieß es 1966 in einer Mitteilung der Eisenhütten-Branche. "Wäre dies nicht erreicht worden, so wäre das Erdgas unkontrolliert und zum Schaden des Bergbaues frei in den Markt geströmt."
Dieses zähe Ringen begann im Sommer 1963 damit, daß die Ruhrgas gemeinsam mit der Thyssengas den Bau einer neuen Sammel-Leitung beantragte, um niederländisches Erdgas in Deutschland zu verteilen. Der Ausbau sollte aber gemächlich angegangen und das Erdgas eher zur Ergänzung statt zur Ablösung des Kokereigases herangezogen werden.
Die Ölkonzerne Esso und Shell, denen die niederländische Vertriebsgesellschaft NAM gehörte, wollten das Erdgas jedoch möglichst schnell in den deutschen Markt drücken, bevor ihnen möglicherweise billiger Strom aus Kernenergie oder die Kohlevergasung mittels Hochtemperaturrekatoren einen Strich durch die Rechnung machen würden. Sie kauften deshalb 1964 für viel Geld die Hälfte der Anteile an der Thyssengas und schlossen mit dieser ein separates Abkommen über die Lieferung großer Mengen Erdgas.
Die Ruhrgas erwog daraufhin vorübergehend den Bau einer eigenen Leitung, die sie mit Erdgas aus deutscher Förderung zu beschicken gedachte. Diese inländischen Vorkommen waren damals allerdings noch mehr Hoffnung als Realität und erwiesen sich auch später als relativ gering.
Am Ende beugte sich deshalb die Ruhrgas dem Verlangen der beiden Ölkonzerne, den deutschen Gasmarkt möglichst schnell auf Erdgas umzustellen und die Lieferanten auch am Transport und Vertrieb zu beteiligen. Wie bei Thyssengas hielten nun auch bei Ruhrgas die Erdgaslieferanten als neue Miteigentümer ihren Einzug. Aus der vorübergehenden Konfrontation entstand eine neue Koalition aus Montanindustrie und Ölkonzernen.
Bei der Ruhrgas sah dies am Ende so aus, daß die von Esso, Shell, Mobil Oil und anderen Unternehmen repräsentierten Öl-Interessen über die Gewerkschaft Brigitta und die Schubert KG insgesamt 40 Prozent des Aktienkapitals hielten. Die Steinkohlezechen, die 1968 in der Ruhrkohle AG zusammengefaßt wurden, sowie etliche andere Unternehmen, die früher im Bergbau tätig waren, bündelten ihre Interessen in der Bergemann KG, die 31,1 Prozent besaß. Der Rest der Anteile gehörte dem 1965 teilprivatisierten Staatskonzern Veba über die Gelsenberg AG (25 Prozent) sowie zu einem kleinen Teil direkt (3,71 Prozent). Die Stimmrechte der Gelsenberg AG wurden allerdings von der Bergemann KG wahrgenommen. Im Zweifelsfall verfügte die Kohle-Fraktion also noch immer über mehr Stimmen als die Öl-Fraktion, wobei aber zugleich der Bund ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hatte.
"Die Ferngaswirtschaft wird im wesentlichen von den Ölkonzernen Esso und Shell, der Ruhrgas AG und der öffentlichen Hand kontrolliert", konstatierte die neu berufene Monopolkommission, als sie 1976 ihr erstes Hauptgutachten vorlegte. "Zwar ist der Einfluß der Ölgesellschaften auf die westdeutsche Ferngaswirtschaft geringer als im Bereich des Gasaufkommens, er ist jedoch so hoch, daß auch auf dieser Marktstufe keine Entwicklung eingeleitet werden kann, die dauerhaft und grundlegend ihren Unternehmensinteressen zuwiderläuft."
Besonders deutlich wurde dieser Einfluß der Ölkonzerne in der nunmehr praktizierten Bindung des Gaspreises an den Ölpreis. Die offizielle Begründung dafür lautete, daß die enormen Investitionen der Erdgas-Verteiler in den Aufbau eines Erdgas-Verbundnetzes langfristig gesichert werden müßten. In Wirklichkeit profitierten davon die Ölkonzerne, die nunmehr auf beiden Seiten des Verhandlungstischs saßen und deshalb mühelos solche Klauseln in die langfristigen Lieferverträge hineinschreiben konnten. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Ölpreise in den Keller rutschen sollten, galten Mindestpreise, die unabhängig vom Ölpreis zu bezahlen waren.
Mit derselben Begründung hätte man den Strompreis ans Öl koppeln können, denn der Bau von Kraftwerken und Hochspannungsleitungen ist auch sehr kapitalaufwendig. Die Willkür, mit der hier für einen wichtigen Energieträger die Preisbildung am Markt einfach außer Kraft gesetzt wurde, stand in krassem Gegensatz zu den ansonsten hochgepriesenen Grundsätzen der freien Marktwirtschaft. Das Öl konnte nun teurer werden, ohne deshalb in solchen Bereichen, in denen es leicht durch Gas ersetzt werden konnte, an Marktanteilen zu verlieren.