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Die August-Thyssen-Werke bei Duisburg verfügten auch über eine der größten Kokereien Deutschlands (im Vordergrund rechts). Die Kokerei wurde 1897 in unmittelbarer Nähe einer Schachtanlage und einer Stahlhütte gebaut. Sie entgaste die Steinkohle, damit diese als Brennstoff für die Hochöfen (im Hintergrund) verwendet werden konnte. Mit dem dabei anfallenden Gas belieferte Thyssen ab 1905 umliegende Gemeinden. |
Wie die städtischen Gaswerke lieferten auch die Kokereien ein brennbares Gasgemisch, indem sie Steinkohle in Koks umwandelten. Die Teilverbrennung diente hier allerdings nicht der Gewinnung von Leuchtgas, sondern der Herstellung von Koks für die Hüttenwerke oder zur Befeuerung von Dampfkesseln.
Koks hat naturgemäß einen geringeren Energiegehalt als die Steinkohle, aus der er erzeugt wird. Aber er ist insofern ein höherwertiger Brennstoff, als er ohne Flamme gleichmäßig verbrennt und höhere Temperaturen ermöglicht. Und genau diese Art Brennstoff benötigte man im 19. Jahrhundert zunehmend für die Gewinnung von Eisen und Stahl. Man hätte theoretisch auch Holzkohle verwenden können, wie das bisher der Fall war. Aber schon im vorindustriellen Zeitalter war Holz als Brennstoff sehr knapp geworden. In der Praxis ließ sich der stark steigende Bedarf der Hütten nur mit Koks aus Steinkohle decken, zumal dieser wesentlich billiger war. Die Kokereien waren deshalb so angelegt, daß sie möglichst viel Koks der gewünschten Beschaffenheit erzeugten. Gas war dabei nur ein Nebenprodukt.
Zunächst war Gas sogar ein Abfallprodukt. Es entwich ungenutzt in die Umgebung oder wurde abgefackelt. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts belasteten die Meiler, die Holz oder Steinkohle in Koks umwandelten, mit ihren Abgasen die Umwelt. Auch mit Teer und anderen Nebenprodukten wußte man noch nicht viel anzufangen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die aus den Meilern entwickelten "Bienenkorböfen" von "Kammeröfen" abgelöst wurden, konnte man die brennbaren Abgase auffangen und für den Betrieb des Ofens nutzen. Zunächst verwendete man das Gas restlos für diesen Zweck. Ein Überschuß ergab sich erst nach Einführung der "Regenerativöfen" und weiteren Fortschritten bei der Feuerungstechnik.
RWE übernahm 1911 die Leitungen der Stinnes-Kokereien und erweiterte sie zu einem Ferngas-Netz, das von der Lippe bis zur Wupper reichte. 1927 verkaufte RWE dieses Netz an die neu gegründete Ruhrgas AG. |
Der Gas-Überschuß der Kokereien war zunächst bescheiden. Er konnte deshalb, soweit man ihn nicht abfackelte oder im eigenen Betrieb verwendete, in der Nachbarschaft abgesetzt werden. Den Anfang machte 1897 die Kokerei der Zeche Erin, indem sie Gas nach Castrop-Rauxel abgab. 1903 begann die Zeche Prosper mit der Belieferung von Bottrop. Ab 1905 belieferten die Stinnes-Zechen die Stadt Essen.
Der Koks-Bedarf der Hüttenwerke nahm inzwischen stark zu. Neue Verfahren wie den Siemens-Martin-Ofen gaben der Eisen- und Stahlerzeugung starken Auftrieb. So stieg die Kokserzeugung zwischen 1900 und 1913 fast um das Dreifache von 11,90 auf 34,63 Millionen Tonnen. Um die Nachfrage abdecken zu können, führten die Kokereien sogenannte Verbundöfen ein, die auch mit Gichtgas aus Hochöfen und anderem "Schwachgas" beheizt werden konnten. Bald stand ein noch größerer Teil des bei der Verkokung entstehenden "Starkgases" für andere Zwecke zur Verfügung.
Die beiden führenden Ruhr-Industriellen August Thyssen und Hugo Stinnes nutzten nun die Chance, das Kokereigas, das in ihren Firmenimperien reichlich anfiel, in einem größeren Umkreis zu vermarkten. Thyssen regierte den größten deutschen Eisen- und Stahlkonzern, während Stinnes hauptsächlich Unternehmen des Bergbaues sowie Kohlehandel und -transport beherrschte. Beide waren die einflußreichsten Mitglieder des "Rheinisch-Westfälischen Kohle-Syndikats", das 1893 von insgesamt 98 Unternehmen gegründet worden war, um die Interessen des Ruhr-Bergbaues zu bündeln und Konkurrenz zu vermeiden.
1905 nahmen Thyssen-Zechen die Belieferung von Gemeinden auf. Zuerst wurden Walsum, Hamborn und Duisburg mit Kokereigas versorgt. Zwei Jahre später folgten Mülheim und Oberhausen. 1910 errichtete Thyssen die bis dahin in Deutschland größte Ferngasleitung über 52 Kilometer von Duisburg-Hamborn nach Wuppertal-Barmen. Bis zum ersten Weltkrieg dehnte sich das Versorgungsgebiet am Niederrhein bis nach Bocholt und südlich bis zum Bergischen Land aus.
Im selben Jahr 1905 begannen die Stinnes-Zechen, die Stadt Essen und einige weitere Gemeinden mit Kokereigas zu versorgen. Sechs Jahre später wurden diese Anlagen vom "Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk" (RWE) übernommen, das ebenfalls zum Stinnes-Imperium gehörte. Zunächst strebte Stinnes die Zusammenfassung aller Ruhr-Kokereien zu einer Ferngasversorgung unter Führung von RWE an. Damit wäre neben dem Kohle-Syndikat oder unter dessen Dach eine Art Kokereigas-Syndikat entstanden. Thyssen verfolgte aber weiterhin seine eigenen Pläne. Beide Seiten einigten sich deshalb 1912 auf eine Gebietsaufteilung, die auf rechtsrheinischer Seite das Gebiet zwischen Mülheim und Barmen für Thyssen reservierte und im übrigen RWE freie Bahn ließ. Am Ende des ersten Weltkriegs reichten die RWE-Leitungen im Norden bis zur Lippe und im Süden bis zur Wupper.
Bis 1926 hatten die Leitungen von Thyssen und RWE zusammen eine Länge von 460 Kilometern erreicht, wovon zwei Drittel auf RWE entfielen. Das damit transportierte Kokereigas versorgte 69 Gemeinden.