Mannheim in der Revolution I848/49

Mannheim war im 19. Jahrhundert das publizistische Zentrum des Großherzogtums Baden. Besonders im Vormärz und in den Jahren 1848/49 erlangten hier verlegte Blätter wie die "Mannheimer Abendzeitung" eine Bedeutung, die über die Stadt und das Großherzogtum hinausreichte. Diese demokratische Kampfpresse profitierte vom liberalen Klima des Großherzogtums Baden, das durch die Verfassung von 1818 zu einer konstitutionellen Monarchie geworden war und wo unter allen deutschen Staaten noch die erträglichsten Verhältnisse herrschten (der radikale Ton der badischen Presse läßt dies mitunter vergessen, wäre aber ohne diese relativ freiheitlichen Rahmenbedingungen gar nicht denkbar gewesen). Hinzu kam das besondere politische Lokalkolorit der ehemaligen kurpfälzischen Residenz Mannheim, deren Bürger sich schon 1794 dem revolutionären Frankreich anschließen wollten und dafür von den alten Gewalten hart bestraft worden waren.

Frankreich blieb vorerst der politische Schrittmacher Europas. Schon die Julirevolution 1830 fand in Baden und Mannheim begeisterten Widerhall, der im "Hambacher Fest" gipfelte und mit dem "Wächter am Rhein" kurzfristig das Erscheinen eines unzensierten Blattes ermöglichte. Als am 22. Februar 1848 in Paris die Revolution begann, sprang der Funke erneut binnen weniger Tage von Frankreich auf Deutschland über: Am 29. Februar erhoben sich die Bauern im Odenwald und Schwarzwald. Am 13. März jagten die Wiener den Fürsten Metternich davon, die verhaßte Symbolfigur des alten Systems. Am 18. März gingen die Berliner gegen das königliche Militär auf die Barrikaden. Die alten Gewalten schienen wie gelähmt, der Sturmlauf der Volksbewegung auf der ganzen Linie siegreich.

Es kennzeichnete die innere Schwäche der herrschenden Feudalgewalten, daß der badische Großherzog schon zum 1. März die Pressezensur aufhob, noch bevor der fürstliche Bundestag - überrascht und verschüchtert - den einzelnen Staaten diesen Schritt freistellte. Zum erstenmal seit dem kurzen Pressefrühling des Jahres 1832 konnten die demokratischen Blätter schreiben, wie sie wollten, und sie machten weidlich Gebrauch davon.

Der Bruch zwischen "Ganzen" und "Halben"

Mit Gustav Struve und Friedrich Hecker waren zwei prominente "Radikale" aus Mannheim mit dabei, als sich am 30. März 1848 die Mitglieder der bisherigen Ständekammern in Frankfurt als "Vorparlament" versammelten. Mit dem linken Flügel des Vorparlaments forderten sie ein demokratisch-republikanisches Deutschland unter Einbeziehung Preußens und Österreichs. Die Mehrheit sprach sich freilich für eine konstitutionelle Monarchie aus und favorisierte eine kleindeutsche Einigung unter der Führung Preußens. Struve und Hecker verließen darauf mit vierzig anderen Republikanern die Versammlung, um in Baden den bewaffneten Volksaufstand für die Republik vorzubereiten.

Der Bruch zwischen "Ganzen" und "Halben", zwischen Demokraten und gemäßigten Liberalen, hatte sich schon im Vormärz abgezeichnet. Infolge dieser Aufspaltung der liberalen Bewegung in radikale Liberale (überwiegend kleinbürgerlicher Herkunft) und gemäßigte Liberale (überwiegend großbürgerlichen Zuschnitts) schieden sich bald auch die Geister an Persönlichkeiten, die anfangs unumstrittene Volkshelden waren. Hier wären etwa Itzstein, Welcker, Bassermann, Mathy und Soiron zu nennen. Aus der Sicht der Radikalen mutierten sie nun von Volkstribunen zu "Maulliberalen" "Kammermandarinen" und "Paradedeputierten".

Der Auszug Heckers und Struves aus dem Vorparlament besiegelte diesen Bruch. Ehemalige Kampfgefährten standen sich nun als Gegner gegenüber. Symbolträchtigster Ausdruck dieser Spaltung des liberalen Lagers war die Verhaftung des Journalisten Fickler auf dem Karlsruher Bahnhof: Karl Mathy holte Fickler aus dem Zug heraus, als dieser sich der von Hecker geführten Aufstandsbewegung in Südbaden anschließen wollte.

Freilich war damals, Anfang April 1848, der Ausgang der militärischen Machtprobe noch unsicher. Die revolutionäre Stimmung befand sich zumindest in Baden und Mannheim noch auf dem Höhepunkt. Mathy mußte sich deshalb für die Verhaftung Ficklers vor dem Mannheimer Gemeinderat und in einer öffentlichen Versammlung auf dem Marktplatz rechtfertigen. Aus Frankfurt eilte Soiron, der frisch gewählte Präsident des Fünfzigerausschusses herbei, um ihm dabei zu helfen.

Hecker-Aufstand und Struve-Putsch

Am 20. April erlitten dann Heckers Freischaren ihr Debakel bei Kandern. Am selben Tag rückten nassauische Truppen nach Mannheim ein. Heckers Niederlage verbreitete sich aber zunächst als falsche Siegesnachricht. Noch am 22. April animierte die "Mannheimer Abendzeitung" zum Aufstand: "Man wünscht allgemein, daß in Mannheim ein entscheidender Schlag geführt werde... Konstanz ist Republik, folgt Mannheim nicht?"

Am 27. April wurde die nassauische Besatzung durch 1300 Kurhessen verstärkt. Die Regierung fühlte sich damit stark genug, in Mannheim aufzuräumen. Da Struve und Hecker nicht greifbar waren, wurden sie erst mal aus der Advokatenliste getilgt. Am 29. April wurden die demokratischen Zeitungsverleger Heinrich Hoff und Jean Pierre Grohe wegen Hochverrats verhaftet und mit anderen Republikanern nach Bruchsal ins Gefängnis gebracht. Der Großherzog verhängte den Kriegszustand. Am 1. Mai rückten zusätzlich noch bayerische Truppen in die Stadt ein, so daß dem rebellischen Volk eine Übermacht von ca. 8000 Mann gegenüberstand.

Am 11. Mai hob der Großherzog den Kriegszustand wieder auf. Die Revolution schien sich verflüchtigt zu haben. Das "Mannheimer Journal" als Organ der Mannheimer Bourgeoisie distanzierte sich von Hecker und Struve, in deren Händen das "Banner der nationalen Freiheit" zur "Fahne des blutigen Aufstands" geworden sei. Karl Mathy durfte sich seit 28. April mit der Würde eines Staatsrats schmücken und saß - ohne eigentlichen Aufgabenbereich - im großherzoglichen Ministerium.

In der Nationalversammlung, die sich am 18. Mai in Frankfurt konstituierte, saßen mit Bassermann, Brentano, Hecker, Itzstein, Mathy, Sachs und Soiron nicht weniger als sieben Abgeordnete aus Mannheim (die in den verschiedensten Wahlkreisen Süddeutschlands kandidiert hatten). Aber auch unter den Mannheimer Abgeordneten dominierten die "Halben". Nur Hecker, Brentano und Sachs konnten zum linken Flügel gezählt werden, wobei die Wahl des flüchtigen Hecker später noch angefochten und für ungültig erklärt wurde.

Am 21. September versuchte Gustav Struve einen erneuten Aufstand, bei dem er in Lörrach die "deutsche Republik" proklamierte. Mannheim war als Sitz der provisorischen Regierung ausersehen. Badische Truppen bereiteten dem Struve-Putsch jedoch schnell ein Ende. Struve wurde gefangen genommen und nach Rastatt gebracht. Im März folgenden Jahres verurteilte ihn das Gericht in Freiburg zu fünf Jahren und vier Monaten Gefängnis wegen Hochverrats.

Die Kampagne für die Reichsverfassung

Die Revolution schwelte unterdessen weiter. Unter den badischen Demokraten griff die Überzeugung Platz, daß der Hecker-Aufstand und der Struve-Putsch erst das Vorspiel gewesen seien. "Die Reaktion hat ihren Kreislauf vollendet, und schon ist die Reihe wieder an der Revolution" schrieb die Abendzeitung. Die Einnahme Wiens und die Erschießung Robert Blums konnten die Erbitterung nur noch steigern.

Carl Schmelzer, der Herausgeber des reaktionären Morgenblatts, kapitulierte vor der Volksstimmung: Am 1. November verlieh er seinem übel beleumundeten Blatt den Titel "Badische Zeitung" und gesellte sich unaufgefordert zur Partei der äußersten Linken. Und sogar die "Deutsche Zeitung" fühlte den Boden unter ihren Füßen wanken: "Es läßt sich nicht leugnen, daß wir über einem Krater stehen, welcher jeder Augenblick loszubrechen droht", berichtete sie Ende November aus Mannheim.

Der Anlaß zum Losbrechen bot sich im Frühjahr 1849. Nach langem Hin und Her hatte die Nationalversammlung endlich die Reichsverfassung verabschiedet. Sie war auf eine konstitutionelle Monarchie unter preußischer Führung zugeschnitten. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. ließ jedoch die Delegation aus Frankfurt abblitzen, die ihm untertänigst die deutsche Kaiserkrone antragen wollte. Als die preußische zweite Kammer die Annahme der Reichsverfassung empfahl, löste er sie kurzerhand auf und schickte die Abgeordneten nach Hause. Die Reaktion saß wieder fest im Sattel. Sie hatte es nicht mal mehr nötig, sich auf die Bourgeoisie zu stützen.

Obwohl die Paulskirchen-Verfassung gewiß nicht republikanischem Geschmack entsprach, betrieben die kleinbürgerlichen Demokraten nun in ganz Deutschland eine emsige Kampagne für die Annahme der Reichsverfassung. Am 3. Mai brach in Dresden der Aufstand aus. Der sächsische König flüchtete und rief preußische Truppen zu Hilfe, die den Aufstand in blutigen Straßenkämpfen niederschlugen. Auch in etlichen preußischen Städten kam es zu Unruhen. Am größten und nachhaltigsten war jedoch die bewaffnete Erhebung in Baden und der Pfalz. Der Umsturz in Baden konnte letzten Endes nur durch ausländische Intervention - nämlich durch preußisches Militär - rückgängig gemacht werden. Mit der blutigen Niederschlagung des badisch-pfälzischen Aufstandes sicherte sich Preussen die Führung in dem entstehenden kleindeutschen Obrigkeitsstaat, den dann Bismarck unter Dach und Fach brachte.

Der badisch-pfälzische Aufstand 1849

Am I2. Mai meuterten die Soldaten in der Festung Rastatt. Die eifrige Agitation der demokratischen Presse und Vereine zahlte sich jetzt aus: Die Masse der badischen Armee schloß sich der Revolution an und der Rest verhielt sich zumindest passiv. Der Großherzog flüchtete ins Elsaß. Am 14. Mai übernahm ein provisorischer Landesausschuß der Volksvereine mit Brentano an der Spitze "im Namen des abwesenden Großherzogs" die Regierung.

Mannheim folgte im Mai-Aufstand relativ spät. Man war zunächst Zaungast der Revolution in der Pfalz: Am 1O. Mai beobachteten die Mannheimer, wie die bayerische Besatzung der Rheinschanze auf dem gegenüberliegenden Ufer die Waffen streckte, als mit Trommelschlag die Bürgerwehren aus Ludwigshafen, Frankenthal und Worms anrückten. ln der eigenen Stadt wollten die Dinge nicht so recht vorangehen. Erst am I4. Mai, als schon der Regierungswechsel in Karlsruhe stattfand, gingen die Dragoner auf die Seite des Volkes über. Ein Sicherheitsausschuß wurde gebildet, an dessen Spitze Florian Mördes trat. An den beiden folgenden Tagen schworen die Dragoner den Eid auf die Reichsverfassung und die provisorische Regierung. Das Offizierskorps und einige Unteroffiziere verdrückten sich vorher. Am 19. Mai erteilte der regierende Landesausschuß Heinrich Hoff die Vollmacht, in Mannheim als Zivilkommissar die Beschlüsse der provisorischen Regierung zu vollziehen. Hoff übertrug die Vollmacht am nächsten Tag an Florian Mördes. Da Mördes als zu lasch galt, übernahm am 25. Mai Trützschler aus Gotha das Amt des Zivilkommissars.

Am Pfingstmontag, dem 28. Mai, fand eine Parade statt, die in der "Deutschen Zeitung" so geschildert wurde:

Dragoner bildeten die Spitze des Zuges, hinter ihnen das 3. und 4. Infanterieregiment und die Artillerie. Dann kamen die Turner in Leinwandjacken mit breiten Gürteln, aus denen Äxte, kurze Säbel oder Pistolen hervorragten; ein Teil dieser Turner, welche noch die weiße Fahne mit dem alten Motto 'Frisch, fromm, fröhlich, frei' wehen ließen, trug Stahlhelme, die ihnen sehr gut standen. Den Turnern mit ihrem unschuldigen Panier folgten die Arbeiter mit einer ungeheuer großen roten Fahne, welche in goldgestickten Buchstaben die Inschrift führte: 'Für Freiheit und Recht! Robert Blum!' Die demokratischen Frauen und Jungfrauen Mannheims haben diese buntfarbige Fahne dem Arbeiterverein geschenkt... Den Arbeitern folgte die Bürgerwehr, und das schöne, regelmäßig uniformierte Korps der Schützen schloß den Zug.

Von dieser ganzen schönen Streitmacht war allerdings nur auf die Arbeiter Verlaß. Franz Raveaux, der provisorische Stadtkommandant, traute weder dem Militär noch der Bürgerwehr, sondern stützte sich hauptsächlich auf das Arbeiterbataillon unter Führung von Carl Jacoby. Trotz Parade und Verbrüderungsfest spitzte sich die Lage in der Stadt bald so zu, daß Raveaux sogar die Kanonen von der Rheinspitze auf die Stadt richten ließ, "um der Bürgerwehr in Mannheim zu zeigen, was die Glocke geschlagen hat". Außerdem beauftragte er Jacoby, sein Arbeiterbataillon zum Eingreifen bereitzuhalten.

Am 21./22. Mai hielten sich Karl Marx und Friedrich Engels in Mannheim auf. Sie fanden die badisch-pfälzischen Truppen untätig und kritisierten den Mangel an Führung. Vergebens versuchten die beiden Radikaldemokraten, maßgebliche Vertreter der badischen Bewegung davon zu überzeugen, daß die Revolutionsarmee jetzt die Offensive ergreifen und unaufgefordert zum Schutz der Nationalversammlung nach Frankfurt marschieren müsse, um der Konterrevolution zuvorzukommen und eine gesamtdeutsche Erhebung einzuleiten.

Am 30. Mai wurden die badischen Truppen zwischen Heppenheim und Hemsbach von den Hessen geschlagen. Aufgelöste Trupps von Wehrmännern und Soldaten überschwemmten die Stadt und schufen Unruhe. Die Bourgeoisie konspirierte mit den Dragonern. Grohe schlug bereits vor, die Geschütze mit der Eisenbahn nach Heidelberg oder Karlsruhe zu bringen, um sie nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen. Nur mit Hilfe des Arbeiterbataillons gelang es Raveaux, die kritische Situation zu meistern.

Wenige Tage darauf übernahm der Pole Mieroslawski den Oberbefehl über die badisch-pfälzische Revolutionsarmee und machte Mannheim zu seinem Hauptquartier. Am 11. Juni stellte er sich im Beisein Trützschlers seinen Streitkräften in Mannheim vor. Insgesamt standen Mieroslawski zwischen zwanzig- und dreißigtausend Mann zur Verfügung, wovon es der Hälfte jedoch an der nötigen Ausrüstung und Ausbildung mangelte. Die Preußen, die in drei Korps anrückten, verfügten dagegen über mindestens 52000 Mann.

Am 15. Juni eroberten die Preußen Ludwigshafen auf dem anderen Rheinufer und begannen mit der Beschießung Mannheims. Die Revolutionäre rollten alle verfügbaren zwölf Geschütze ans Rheinufer und deckten die Preußen vier Tage lang mit einem Feuerhagel ein. Ludwigshafen ging in Flammen auf. Die Beschießung leitete Otto von Corvin, der vor allem als Verfasser des "Pfaffenspiegel" bekannt geworden ist. Als die Preußen sahen, daß in Mannheim nichts auszurichten war, überschritten sie am 20. Juni bei Germersheim den Rhein. Mieroslawski sollte in die Zange genommen werden, indem gleichzeitig die Truppen der Konterrevolution von Hessen über den Neckar vorstießen. Am 21. Juni unterlag die Revolutionsarmee trotz tapferen Kampfes der feindlichen Übermacht bei Waghäusel. Mieroslawski gab darauf am 22. Juni den Befehl zum Rückzug nach Mittelbaden.

Noch am gleichen Tag, an dem Mieroslawski den Rückzug antrat, kam es in Mannheim zur Konterrevolution. Die Bourgeoisie sah sich zum Handeln gedrängt, weil der Zivilkommissar Trützschler die Kasse der Kreisregierung mit 80000 Gulden mitnehmen wollte. Ihr Liebeswerben um die Dragoner hatte endlich Erfolg. Die 200 Mann starke Truppe besetzte Bahnhof, Schloß und die Ausgänge der Stadt. Corvin und andere Offiziere konnten noch mit knapper Not per Eisenbahn nach Heidelberg entkommen. Trützschler dagegen wurde verhaftet.

Nach getanem Werk zog eine Delegation des Gemeinderats über den Rhein, um die Stadt unter den Schutz der bayerischen Truppen zu stellen. Sie erhielt aber keine schlüssige Antwort. Bei ihrer Rückkehr bereiteten die Preußen bereits den Einmarsch vor.

Im Saal des Kaufhauses am Paradeplatz tagte dann das preußische Standgericht. Bei denen, die unter den Salven des Erschießungs-Pelotons ihr Leben ließen, befanden sich der Zivilkommissar Trützschler und Carl Jacoby, der Führer des Mannheimer Arbeiterbataillons. Viele andere wurden zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt oder in die Emigration gezwungen.

Der Weg zur kleindeutschen Einigung unter preußischer Fuchtel war damit frei: Über die Leichen von Demokraten und Republikanern, die ein freieres und größeres Deutschland ersehnt hatten.