Oskar Hörrle, der 1946 die Lizenz für den "Mannheimer Morgen" empfing, nahm später die Vereinskasse des FKK-Verbandes zu nicht minder treuen Händen. Nach neun Jahren Amtszeit als oberster Nackedei der Bundesrepublik wurde er von seinen Vereinskameraden geschaßt, weil in der Kasse eine halbe Million Mark fehlten (Ausschnitte aus "Stern", "Quick", "Welt" und "Extradienst". Zeichnung: Hachfeld)

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Frech wie Oskar

Ein "MM"-Herausgeber wird wegen Fragebogenfälschung verhaftet

Es bleibt unerfindlich, was die Amerikaner bewogen hat, die Lizenz für den "Mannheimer Morgen" dem Freiherrn von Schilling und dem "Dr." Oskar Hörrle zu verleihen. Gerade im "roten Mannheim" hätte es sicher erprobte Antifaschisten gegeben, die für eine derart verantwortungsvolle Aufgabe eher in Frage gekommen wären. Ein Jahr zuvor, bei Gründung der "Rhein-Neckar-Zeitung" in Heidelberg, hatten sie beispielsweise neben Theodor Heuss (dem späteren Bundespräsidenten) den Kommunisten Prof. Dr. Rudolf Agricola zum Lizenzträger bestellt. Vermutlich war es aber gerade die Angst vor Kommunisten, die jetzt eher farblosen Persönlichkeiten den Vorrang geben ließ. Der beginnende Kalte Krieg warf seine Schatten auch auf die Pressepolitik der amerikanischen Besatzungsmacht. Jeder bürgerliche Bewerber, der nicht gerade mit Goebbels gefrühstückt hatte, war den Amerikanern lieber als ein linker Sozialdemokrat oder gar ein Kommunist.

So glänzte auch der 42jährige Baron von Schilling nicht gerade mit einer antifaschistischen Vergangenheit, sondern hatte den Faschismus allenfalls "mit angestammter und wohl auch durch Erfahrung erworbener Zurückhaltung" an sich vorüberziehen lassen. (120) Als Sohn eines Oberstleutnants, der letzter Kommandeur des preußischen Husarenregiments König Wilhelm I. gewesen war, und Urenkel des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn, war er gegen den kleinbürgerlichen Mief der faschistischen Herrenmenschen-Ideologie hinreichend gefeit. Das war freilich weniger sein persönliches Verdienst, als eine Folge seiner sozialen Abstammung. Auch seine Lizenz für den "Mannheimer Morgen" verdankte er weniger einer untadeligen Weste als gesellschaftlichen Beziehungen. Schilling arbeitete damals für die "Deutsche Nachrichtenagentur" (DENA) in Heidelberg. Dort lernte er Theodor Heuss kennen, den damaligen Lizenzträger der "Rhein-Neckar-Zeitung", einen Hauptexponenten der bürgerlichen Kräfte in den Westzonen und erster Bundespräsident der neugegründeten BRD. Heuss genoß in besonderem Maße das Vertrauen der amerikanischen Besatzungsmacht. Dank dieser "fruchtbaren Bekanntschaft" mit Theodor Heuss, der ihn der Besatzungsmacht als Herausgeber vorschlug, gelangte Schilling zu seiner Lizenz für den "Mannheimer Morgen". (121)

Schon im Oktober 1946 sah sich das KPD-Mitteilungsblatt "Badische Volksstimme" veranlaßt, einen Leitartikel zu kritisieren, in dem sich Schilling über Protestdemonstrationen gegen die Freisprüche von Papen, Schacht und Fritzsche als Kriegsverbrecher mokiert hatte. Das KPD-Blatt hielt Schilling einen Ausspruch Robespierres entgegen: "La sensibilite, qui ne gemit que pour les assassins de la liberte nous est suspecte." Auf deutsch: "Die Empfindsamkeit, die nur um die Mörder der Freiheit klagt, ist uns verdächtig." (122)

Der andere Lizenzat, "Dr." Oskar Hörrle, war unterdessen mit verdächtigem Eifer bemüht, sich den Anschein eines Antifaschisten zu geben. Jedenfalls zog Hörrle mit viel Emphase vom Leder, als er in der Handlungsweise eines kleinen Dorfbürgermeisters nazistischen Ungeist zu entdecken vermeinte.

Wer Flecken auf seiner Weste hatte, war indessen Hörrle selbst. Sein Fragebogen, mit dem er sich die Lizenz erschlichen hatte, war gefälscht. Die Militärregierung erhielt Hinweise, daß Hörrle sich wegen ganz gewöhnlicher strafrechtlicher Beschuldigungen während des "Dritten Reiches" in Haft befunden und in Briefen sogar seiner Freundschaft mit hochstehenden Nazis gerühmt hatte. Am 29. August 1946 wurde Hörrles Karriere als Zeitungsherausgeber abrupt beendet. Die Militärregierung kündigte an, den Fragebogenfälscher vor ein Militärgericht zu stellen. 1 23

Damit verlor sich fürs erste die Spur des Herrn "Dr." Hörrle. Viele, viele Jahre später tauchte er erneut in der Öffentlichkeit auf - als Präsident des "Deutschen Verbandes für Freikörperkultur". Die neuerliche Karriere begann damit, daß er 1964 von der Ortsgruppe Mannheim des FKK-Verbandes zum Vorsitzenden gewählt wurde. Von dieser Position aus erklomm er bald die Spitze des Gesamtverbandes - diesmal freilich ohne Doktortitel.

Sonst war Oskar Hörrle noch immer der alte: Nach neunjähriger Amtszeit als oberster Nackedei wurde er von seinen Vereinskameraden Anfang 1977 geschaßt, weil in der Vereinskasse eine halbe Million Mark fehlten. Der Verband leitete zivil- und strafrechtliche Schritte gegen seinen ehemaligen Präsidenten ein. Unter anderem warf er Hörrle vor, sich für seine ehrenamtliche Tätigkeit eigenmächtig ein Gehalt von 3 000 Mark bewilligt zu haben, obwohl ihm bereits eine Aufwandsentschädigung von 1000 Mark monatlich eingeräumt worden war. (l24)

Als "Der Mann, der Nackten in die Tasche griff" ging Oskar Hörrle in die Skandalchronik ein. (125) Dabei hätte alles anders kommen können. Wäre zum Beispiel 1946 seine Fragebogenfälschung nicht ans Tageslicht gekommen, könnte er heute wohlbestallter Verleger des "Mannheimer Morgen" sein ...

So waren es ein bürgerlicher Konservativer und ein Hochstapler, die im Juli 1946 aus den Händen der amerikanischen Besatzungsmacht ihre Bestellung zu Lizenzträgern des "Mannheimer Morgen" erhielten. Bevor der Chef der Information-Control-Division, Oberst J. H. Hills, die Rotationsmaschine für den Andruck der ersten Ausgabe des "Mannheimer Morgen" einschaltete, übernahm "Dr." Oskar Hörrle, der während der Feierstunde neben Mannheims Oberbürgermeister Josef Braun saß, die Lizenzurkunde zu treuen Händen. Für die beiden neuen Herausgeber der Zeitung unterstrich er "die demokratischen Grundlagen der Presse, die sich an einen Leser wenden, in dem die nationalsozialistischen Ideologien noch fest verankert" seien. "Wir wissen", fuhr Hörrle schlitzohrig fort, "daß wir noch einen sehr langen Weg zu gehen haben, um einmal zu einer demokratischen Verfassung zu gelangen." (126)

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