Ausgaben der "Neuen Mannheimer Zeitung" von Mitte August bis Anfang September 1939: Dem Überfall auf Polen ging ein Trommelfeuer von Schlagzeilen voraus, in denen von "Polens Terror" oder "Polens kriegerischem Größenwahn" die Rede war. Das schwache Polen sollte als Herausforderer des Hitler-Staates erscheinen. Dann schaltete die Presse um auf "Kriegsfieber in der ganzen Welt" und "Kriegsgewitter", als käme ein Krieg wie eine Krankheit oder ein Naturereignis. Schließlich rief man "Zur Fahne des Führers, komme, was kommen wolle". Der zweite Weltkrieg konnte beginnen.

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Ein Familienkrach anno 1933

Wie die "Neue Mannheimer Zeitung" zu neuen Besitzern kam

Wenn man hört, daß die "Neue Mannheimer Zeitung" im Jahre 1933 den Besitzer wechselte, liegt es nahe, einen Zusammenhang mit der faschistischen Machtergreifung zu vermuten. Diese Vermutung trifft auch zu, jedoch auf eine recht komplizierte Weise. Um die Vorgänge in Mannheim verstehen zu können, wird man zunächst einen Abstecher nach Pforzheim machen müssen.

In Pforzheim erschien damals der "Pforzheimer Anzeiger", ein profitables Familienunternehmen, das politisch einen ähnlichen Kurs wie die "Neue Mannheimer Zeitung" verfolgte. Er gehörte einer Familie Bode. Als Anfang 1931 der Seniorchef des Hauses starb, brach unter den Erben ein Familienzwist aus. An der Spitze der beiden verfeindeten Familienflügel standen die Vettern Dr. Paul Bode und Dr. Fritz Bode.

Entschieden wurde der Familienzwist nach der faschistischen Machtergreifung. Nun konnte der Dr. Paul Bode seine vorzüglichen Verbindungen zur Nazi-Partei spielen lassen, um die anderen Erben aus derb Geschäft zu drängen. Das ging so weit, daß er seinem Vetter in der Nacht vom 31. März zum 1. April 1933 eine Meute von SA-Männern auf den Hals schickte, die den Gartenzaun vor dessen Haus demolierte. Dr. Fritz Bode und sein Schwager Hermann Bauser verließen darauf fluchtartig die Stadt.

Die beiden sahen nun wohl ein, daß sie bei dem Familienkrach den kürzeren gezogen hatten. Im übrigen gab es für sie jedoch keinen Grund, ihr Glück als Zeitungsverleger nicht ebenfalls unter dem faschistischen Regime zu versuchen.

Trost und Rat erhielten sie zunächst bei Verwandten in Sachsen, die ebenfalls Zeitungsverleger waren. Über diese Verwandten lernten sie den Zeitungsverleger Gustav Geisel kennen, der die "Wiesbadener Zeitung" herausgab. Über Geisel bekamen sie Kontakt zu Dr. Wolfgang Huck, dem Herrscher des Huck-Konzerns, der in Mannheim die "Neue Mannheimer Zeitung" besaß.

Huck verspürte wenig Lust, den bereits begonnenen und sich verschärfenden Konkurrenzkampf mit dem "Hakenkreuzbanner" aufzunehmen. Außerdem war ihm klar, daß er einiges von seinem Konzern auf dem Altar der nazistischen Mittelstands-Demagogie zu opfern haben würde. Also bot er die "Neue Mannheimer Zeitung" zum Verkauf an.

Bode und Bauser reisten nach Mannheim, um sich das Objekt anzusehen. Sie waren beeindruckt: Maschinen und Gebäude befanden sich in bestem Zustand. Die Lage am Marktplatz war ideal. Das mußte ihre Chance werden!

Bevor sie mit Huck verhandelten, holten sie sich Rückendeckung bei der Nazi-Partei. Die "Gauleitung" hatte keine Einwände. Also kam es zum Abschluß: Inventar und Verlagsrechte wechselten für 750000 Mark den Eigentümer. Grundstück und Gebäude wurden für jährlich 45 000 Mark verpachtet.

Die Mutter von Fritz Bode gewährte den beiden ein Darlehen von 250 000 Mark. Einen Betrag in gleicher Höhe steuerte Verleger Geisel bei. Huck verzichtete auf den größten Teil der Restschuld und senkte die Pacht nach zwei Jahren auf 15000 Mark.

Schon am 1. Juli 1933 - genau ein Vierteljahr nach dem Familienkrach - konnten Bode und Bauser ihren Einstand als neue Besitzer der "Neuen Mannheimer Zeitung" geben. Kurz darauf gesellte sich ein Mann namens Christian Kolb zu ihnen. Er war beim "Pforzheimer Anzeiger" wegen seiner Kontakte zum feindlichen Familienflügel gefeuert worden. Kolb erhielt sofort Prokura und wurde für den Vertrieb zuständig.

Für die Angestellten und Arbeiter der "Neuen Mannheimer Zeitung" war dieser 1. Juli 1933 eher ein schwarzer Tag. Mit eisernem Besen fegten die neuen Besitzer durch sämtliche Abteilungen. Dreißig bis vierzig Prozent der Belegschaft wurden entlassen. Die neuen "Betriebsführer" wohnten unterdessen im "Palasthotel Mannheimer Hof", ehe sie in der Carolastraße am Luisenpark eine standesgemäße Bleibe fanden.

Die rabiaten Streichungen an den Lohn- und Gehaltslisten er brachten den neuen Besitzern noch 1933 einen Reingewinn von 10700 Mark. Auch sonst ging es finanziell aufwärts. Die Verwandten in Pforzheim verpflichteten sich, dem abgehalfterten Familienflügel eine Abfindung von 650 000 Mark für das Ausscheiden aus dem "Pforzheimer Anzeiger" zu zahlen. Davon waren 100000 Mark sofort fällig, der Rest in zehn Jahresraten.

Es war für Bode und Bauser kein schlechtes Geschäft: Zwei Jahre nach der letzten Abfindungs-Rate wurde der "Pforzheimer Anzeiger" bei einem Bombenangriff völlig zerstört. Zum Erfolg trug auch die Einstellung der zweiten Ausgabe bei. Nach einer gewissen Übergangszeit erschien die "Neue Mannheimer Zeitung" nur noch einmal täglich.

Natürlich konnte die Zeitung nur deshalb florieren, weil sie vorbehaltlos auf der Linie der faschistischen Propaganda lag. Die öffentlich erklärte Bereitschaft der neuen Besitzer, "mit vorbehaltlosem Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit am Aufbau des neuen nationalen Staates mitzuarbeiten", wurde bereits zitiert. Dafür, daß dies kein leeres Versprechen blieb, sorgte unter anderen der neue Chefredakteur Dr. Alois Winbauer.

Da passierte 1935 eine unangenehme Geschichte: Gesellschafter Geisel wurde von einem seiner Redakteure in Wiesbaden als Gegner der NSDAP angeschwärzt. Geisel saß ein Vierteljahr im Gefängnis. Die Nazi-Betriebszelle bei der "Neuen Mannheimer Zeitung" forderte sein Ausscheiden als Gesellschafter. So wurden Bode und Bauser alleinige Besitzer der Zeitung. Geisel schied ab sofort als Gesellschafter aus. Erst drei Jahre später erhielt er seinen Geschäftsanteil in Höhe von 250000 Mark zurück. (112)

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