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Palladianische Brücke im Park von Stowe (zum Vergrößern anklicken)

Der Garten als moralische Anstalt

Wie der englische Garten im Kopf einer Elite entstand und in der Landschaft realisiert wurde

Der englische Garten tritt seinen Siegeszug zu Beginn des 18. Jahrhunderts an. In wenigen Jahrzehnten verwandelt er die bisher geometrischen Gärten Englands von Grund auf. Er strahlt darüber hinaus in die Landschaft aus, die insgesamt parkähnliche Züge gewinnt. 1

Die Anfänge des neuen Stils zeichnen sich dadurch aus, daß zunächst mehr das symmetrische Grundkonzept als die Details revolutioniert werden. Der frühe englische Garten verbindet die neue Assymetrie von Wegführung, Bepflanzung und Gelände noch mit Elementen des Barockgartens, die zum Teil emblematischen Charakter tragen und deshalb nur verstandesmäßig zu erfassen sind. Die klassische Phase überwindet dann das Emblematische und reduziert das Geometrische auf die palladianische Villa, während der dazugehörige Park möglichst frei von architektonisch-symmetrischen Elementen bleibt. Der Park wird nunmehr expressiv. Er wirkt allein auf das Gemüt durch das sanft gewellte Gelände, den unregelmäßigen Teich, Baumgruppen, Gebüsch, Rasen und geschlängelte Wege. In der Spätphase wird diese malerische Kargheit zunehmend als langweilig empfunden. Das Expressive wird nunmehr im pittoresken Sinne umgestaltet. Die Natur erhält ein romantisch-wildes Aussehen. Außerdem wird der Park wieder mit zahlreichen architektonischen Elementen wie Ruinen, Tempeln, Eremitagen usw. durchsetzt, die als psychische Stimuli dienen sollen.

Die zuletzt beschriebene Spätform wird auf dem Kontinent am stärksten rezipiert und beeinflußt hier die fürstlichen Gärten des Rokoko. Die vorangegangene klassische Phase findet ihren stärksten Widerhall auf dem Kontinent dagegen erst nach der französischen Revolution. Beispiele sind der Muskauer Landschaftspark des Fürsten Pückler oder der Englische Garten in München.

An der Wiege der neuen Bewegung stehen Dichter, Maler, Philosophen und Ästhetiker, die politisch fast durchweg zu den Whigs als Partei der Bourgeoisie gehören. Im Garten von Stowe finden die Ideale der Whigs sogar programmatischen Ausdruck, und die Freunde des Besitzers treffen sich hier zu politischer Konspiration. Grundsätzlich kann aber der englische Garten ebensowenig als unmittelbarer Ausdruck einer politischen Gesinnung verstanden werden wie dies beim Barockgarten als Spiegelbild des fürstlichen Absolutismus der Fall ist. Bereits unter den ersten Anhängern des neuen englischen Gartenstils finden sich Vertreter der Feudalaristokratie, und seine Spätphase wird sogar hauptsächlich durch Tories repräsentiert.

Konkordia-Tempel in Stowe

Es wurde mitunter behauptet, die englischen Gärten seien aus der "Berührung" mit der ostasiatischen Gartenkunst und deren "Einwirkung" auf Europa entstanden. Tatsächlich wird die Unregelmäßigkeit der chinesischen Gärten schon von Joseph Addison (1672 - 1719) als vorbildlich hingestellt. Es hieße aber wohl Ursache und Wirkung zu verwechseln, wollte man daraus die Prägung des englischen Gartens durch chinesische Vorbilder ableiten. Es war wohl umgekehrt so, daß die neue Haltung zur Natur nach Referenz-Gärten in der Realität Ausschau halten ließ. Für William Chambers (1723 - 1796), der sich am ausführlichsten auf angebliche chinesische Vorbilder berief, diente China sogar als reines Fabelland, dem er willkürlich seine Vorstellungen über die Umgestaltung im "pittoresken" Spätstil unterstellte.

Der englische Garten entsteht auch nicht aus der praktischen Arbeit des Landschaftsgärtners, sondern im Kopf einer Elite. Er ist zunächst ein geistiges Gebilde, eine Fiktion, die sich vom Unbehagen am geometrisch-symmetrischen Barockgarten nährt. Schon Francis Bacon, der Begründer des englischen Empirismus, plädiert in seiner 1625 veröffentlichten Abhandlung On Gardens für die Erweiterung des geometrischen Gartens um ein Stück Rasen im vorderen und ein Stück Gebüsch oder Wildnis (heath or desert) im hinteren Teil. 2 Schon Shaftesbury wendet sich gegen die steife Geziertheit (formal mockery) der fürstlichen Gärten. Und schon 1712 schildert der Whig-Publizist John Addison, wie seiner Ansicht nach der Idealgarten aussehen müßte: nämlich wie ein Gemisch von Küchen- und Parterre, Baum- und Blumengarten, das zunächst für eine natürliche Wildnis und für einen von den unkultivierten Plätzen unseres Landes gehalten werden könnte.

Die Abkunft dieses Gartens vom Sensualismus Lockes und Shaftesburys wird deutlich, wenn Addison schreibt:

Ein Garten war der Wohnsitz unserer ersten Aeltern vor dem Fall. Er füllt natürlicher Weise die Seele mit Ruhe und Heiterkeit, und besänftigt alle ihre stürmischen Leidenschaften. Er gibt uns Gelegenheit, die Künstlichen Anordnungen und die Weisheit der Vorsehung kennen zu lernen, und biethet uns unzählige Gegenstände zum Nachdenken und zur Betrachtung dar. Ich kann daher nicht umhin, schon das bloße Wohlgefallen und Vergnügen, welches der Mensch an diesen Werken der Natur findet, für eine löbliche, wo nicht für eine tugendhafte Gemüthsbeschaffenheit zu halten. 3

In einem anderen Artikel, den er 1710 in seinem Wochenblatt abdruckte, entwarf Addison die Phantasie eines Gartens, dessen Wege und Gebäude als Embleme eines moralischen Weltbildes dienen. Es fängt damit an, daß junge, mittlere und alte Generation ihren eigenen Weg haben. Von den drei Hauptwegen zweigen etliche Wege ab, die teilweise zurückführen, zum Teil aber auch Irrwege sind. So läßt Addison einen Pfad ins "Labyrinth of Coquettes" abzweigen, in das die betörten Jünglinge den Frauen folgen und aus dem nur Paare den Rückweg finden. Andere Abzweigungen führen zum Tempel der tugendhaften Liebe (Ehe) oder zum Tempel des Lasters. Vor dem Eingang des ersteren, der aus ionischen Säulen errichtet ist, wacht der Hochzeitsgott Hymen darüber, daß ihn nur Paare mit Ringen an den Fingern betreten. Der Tempel des Lasters ist aus korinthischen Säulen errichtet und ohne Rückkehrmöglichkeit.

Entsprechend wandelt die mittlere Generation in Addisons Phantasie zum Tempel der Tugend, zum Tempel der Ehre oder zum Tempel der Eitelkeit. Im Tempel der Tugend stehen die Statuen von Gesetzgebern, Helden, Staatsmännern, Philosophen und Dichtern. Hinter ihm erhebt sich, zunächst unsichtbar, der Tempel der Ehre. In Sichtweite davon, äußerlich ähnlich, aber auf morschem Fundament gebaut, steht der Tempel der Eitelkeit, dem auf besonderen Pfaden die Heuchler zustreben. Die Alten erblicken am Ende ihres Weges den Tempel der Habgier usw. 4

Addison geht davon aus, daß alle Menschen von Wünschen oder Trieben (desires) beherrscht würden, die bei den Jungen die Form der sinnlichen Leidenschaft (lust), bei der mittleren Generation des Ehrgeizes (ambition) und bei den Alten der Habgier (avarice) annähmen. Entsprechend beschaffen sind die Wege der drei Generationen. In seiner Phantasie nimmt Addison so ein gutes Stück des Triebkonzepts der späteren Psychoanalyse vorweg, in dem die "Libido" entweder ihre sinnliche Erfüllung findet, auf höhere kulturelle Ziele gelenkt wird oder zu purer Habgier regrediert. Früher wäre es ausschließlich Aufgabe der Kirche gewesen, die Pfade zu bestimmen, die zu Tugend und Laster führen. Für den Engländer zu Anfang des 18. Jahrhunderts ist aber die Kirche keine unerschütterte Autorität mehr. Er muß nicht unbedingt ein geschworener Anhänger der Philosophie Lockes zu sein, um sich das, was er als sein moralisches Weltbild im Kopf hat, gern in dinglicher Gestalt bestätigen zu lassen.

Als der Dichter Alexander Pope 1718 in Twickenham eine Villa an der Themse erwirbt, legt er den Garten nach den Grundsätzen Addisons an: Die Wege verlaufen kreuz und quer, der ganze Garten wirkt asymmetrisch. Geschlängelte Wege sind allerdings noch die Ausnahme. Auf einem hinterlassenen Plan des Gartens sind Bäume und Sträucher auch nicht einzeln, sondern als Masse zwischen den Wegen eingetragen. Die Mitte nimmt ein rundes Rasenstück ein, an das sich ein Hain anschließt. Von einem Aussichtshügel reicht der Blick über Hain und Rasen zum Obelisken am Ende das Gartens, der von zwei Amphoren flankiert wird und an Popes Mutter erinnern soll. Barockes Vorbild verrät auch die Anlage der Orangerie, auf die mehrere kurze Wege sternförmig zulaufen. Solche symmetrisch-geometrischen Elemente bleiben jedoch Einsprengsel. Sie werden immer schnell vom Unregelmäßigen gebrochen. Es gibt keine wirklich durchgehenden Achsen und Perspektiven. Der besondere Stolz des Besitzers ist ein Tunnel, der das Haus und die daran vorbeiführende Landstraße unterquert, um den hinter dem Haus gelegenen Hauptteil des Gartens mit dem schmalen Vordergarten am Ufer der Themse zu verbinden. Pope hat diesen Tunnel mit seltenen Mineralien als Grotte und den Eingang als Ruine ausgestalten lassen.

Erdmauern in Stowe

Um 1720 läßt sich Lord Cobham den Garten von Stowe anlegen. Hier erfolgt der Übergang zum neuen Stil in mehreren Etappen. Das ursprüngliche Konzept ist noch weitgehend dem Barock verpflichtet, mit langen, geraden Alleen und einer Zentralachse, die vom Schloß zu einem oktogonalen Wasserbecken führt. Allerdings wird die Zentralachse schräg von einer Allee geschnitten, an deren Ende ein Rundtempel einen eigenen Schwerpunkt setzt. Auch sonst wird die Symmetrie der Anlage beiderseits der Zentralachse vielfach durchbrochen. Neu ist ferner die visuelle Einbindung des Parks in die umgebende Landschaft durch Erdmauern und andere Barrieren, die ein Eindringen des Viehs in den Park verhindern und dennoch für das Auge unsichtbar bleiben.

In den dreißiger Jahren legt William Kent in Stowe die Elysischen Gefilde an. Er läßt sich dabei von der bereits zitierten Vision Addisons vom Garten als moralischer Anstalt leiten. Ein Teil der alten barocken Anlage wird in ein sanft gewelltes Gelände verwandelt, über das sich Bäume und Gebüsch in malerischer Unregelmäßigkeit verteilen. Das Gelände wird von einem künstlich gegrabenem Flußbett duchzogen, der sinnigerweise den Namen Styx erhält. Beiderseits dieses Wassergrabens errichtet Kent jene Tempel, die in Addisons Phantasmagorie vorweggenommen wurden. Aus dem Tempel der Tugend wird der "Tempel der alten Tugend" mit Statuen berühmter Männer des alten Griechenland. Den Tempel der Ehre verwandelt Kent in einen "Ehrentempel der edlen Briten" mit den Büsten Francis Bacons, Lockes, Miltons und anderer Whig-Idole. Den Tempel der Eitelkeit führt er als Ruine aus, um die Verderbtheit des gegenwärtigen Zeitalters mit seinem Tory-Regime zu symbolisieren. Schließlich errichtet er noch einen "Tempel der Freundschaft" mit den Büsten der wichtigsten Oppositionspolitiker, in dem sich Lord Cobham mit seinen Gesinnungsfreunden zu politischen Gesprächen trifft.

"Ehrentempel der edlen Briten"  im Garten von Stowe

Diese frühen allegorischen Elemente des englischen Gartens waren noch sichtlich dem barocken Garten mit seiner Symbolik verpflichtet. Sie waren ein erster Versuch, Addisons Vision in die dreidimensionale Realität umzusetzen. Im Reich der Gedanken hat ein Tempel als Symbol der Tugend aber einen anderen psychologischen Stellenwert als die Materialisierung dieser Phantasie in einem Gebäude. Den angemessenen Ausdruck des neuen Bewußtseins bildeten deshalb nicht so sehr die demonstrativen Statuen und Büsten der Whig-Idole als die eher diskrete, ans Gefühl statt an den Intellekt appellierende Revolution in der gärtnerischen Gestaltung der "Elysischen Gefilde".

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