PresseBLICK-Rezensionen Natur- und Geisteswissenschaften



Wolfgang Pahl

Umdenken statt Apfelbäumchen pflanzen - Plädoyer für ein evolutionäres Weltbild

Hamburg 1993: Rasch u. Röhring, 396 S., DM 44.-


Jean Guitton / Grischka u. Igor Bogdanov

Gott und die Wissenschaft - Auf dem Weg zum Metarealismus

München 1993: Artemis & Winkler Verlag, 180 S., DM 29.80


Wissenschaft und Religion galten lange Zeit als unvereinbar. Die wissenschaftliche Denkweise hat sich antithetisch zum religiösen Weltbild entwickelt. Sie hat Stück für Stück den naiven Glauben an Dogmen und Mythen zertrümmert. Freilich war die Zerstörung des religiösen Weltbildes nicht so vollständig, wie viele Aufklärer meinten. Das deterministische Räderwerk des Universums, wie es sich die hartgesottenen Materialisten vorstellten, war gleichsam nur eine säkularisierte Ausgabe jener von Gott geschaffenen und wohlgefügten Welt, die der kritische Verstand nicht mehr akzeptieren konnte. Und noch im militanten Atheisten steckte ein gut Teil jenes Gottesglaubens, den er negierte und dem er gerade durch die bloße Negation verbunden blieb.

In ihrer Opposition zur Religion geriet die Wissenschaft mitunter sogar zur Karikatur und Ersatzreligion. Das wohl eindringlichste Beispiel bietet die von Marx und Engels entwickelte Philosophie: Ursprünglich ein Stück geistigen Fortschritts, entstand daraus eine neues Zwangssystem mit Hohepriestern, Dogmen, Großinquisitoren und Ketzerverfolgungen. Was zuletzt im Osten als "wissenschaftliche Weltanschauung" galt und dort den Rang einer Staatsreligion genoß, war nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch so dröge und borniert, daß tradierte Religionen wie Christentum und Islam vergleichsweise als Labsal erschienen.

Inzwischen ist aber auch der Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten der Wissenschaft nicht mehr ungebrochen. Die gesamte Aufklärung scheint einer Art schleichenden Auszehrung und Selbstzerstörung erlegen zu sein. Es gibt keine Gewißheiten mehr. Alle Werte sind relativ geworden. Und trotz zunehmend hedonistischer Lebenseinstellung herrscht Katzenjammer allerorten. Kulturphilosophen diskutieren bereits die Frage, wie lange unser Vorrat an geistigen Werten aus der Vergangenheit, säkularisierten religiösen Normen und verinnerlichten "Selbstverständlichkeiten" noch reichen könnte, um ein völliges Auseinanderfallen des sozialen Gefüges zu verhindern. Es scheint keine Basis zu geben, auf der er sich erneuern lassen könnte.

Die "Realität" bleibt unerkennbar

Um dieses Thema einer neuen Weltsicht, aus der auch eine neue Ethik folgen könnte, geht es in den beiden vorliegenden Büchern. Die Autoren stimmen darin überein, daß Wissenschaft und Religion keine unversöhnlichen Gegensätze sind, sondern unterschiedliche, sich eher ergänzende als widersprechende Sichtweisen. Sie möchten beide die Erfahrung und Aneignung von Wirklichkeit im Wege der Wissenschaft nicht mit Erkenntnis im endgültigen Sinne gleichsetzen. Es handelt sich für sie eher um vorläufige Orientierungen, um Interpretationsversuche, um Annäherungen an etwas, das sich nie definitiv erfassen läßt. Die "Realität" im herkömmlichen Sinne bleibt für beide Autoren unerkennbar. Sie hat im Grunde die Unerkennbarkeit von Kants "Ding an sich", die hier aber sehr modern mit der Heisenbergschen Unschärferelation und anderen Überlegungen der Quantentheorie begründet wird.

Soweit die Gemeinsamkeiten. Im übrigen haben der Deutsche Wolfgang Pahl und der Franzose Jean Guitton nebst Ko-Autoren recht unterschiedliche Bücher verfaßt.

Das fängt beim Äußeren an: Pahls Buch ist ein 400 Seiten langer Essay, der sich zwar immer wieder durch Zitate von Wissenschaftlern und Philosophen inspirieren läßt, ansonsten aber die monologische Form wahrt. Dagegen haben Guitton und seine beiden Partner für ihr schmales Buch die ungewöhnliche Form eines gedruckten Gesprächs gewählt.

Recht unterschiedlich sind auch die Personalia der beiden Autoren: Der 1960 geborene Wolfgang Pahl ist Physik-Ingenieur und arbeitet in einem Entwicklungsteam für elektronische Bauelemente bei einem Elektrokonzern in München. Er ist als Autor bisher nicht hervorgetreten. Die Philosophie betreibt er quasi als Hobby. Dagegen kann sich der 1901 geborene Jean Guitton als Schüler Henri Bergsons und professioneller Philosoph bezeichnen. Er wurde 1961 in die "Académie française" aufgenommen, pflegte mit zwei Päpsten vertrauten Umgang und gilt - so der Klappentext - als "einer der größten christlichen Philosophen unserer Zeit". Seine beiden Gesprächspartner arbeiten als Wissenschaftler im Bereich Astrophysik und Theoretische Physik.

Dennoch ist ein Vergleich der beiden Autoren und ihrer Bücher nicht unangemessen. - Der Gemeinsamkeiten wie der Unterschiede wegen. Es scheint sogar, als hätte der Physik-Ingenieur aus München manchmal mehr zu sagen als die Koryphäe der "Académie française".

Läßt sich Gott wissenschaftlich beweisen?

Guittons Buch wurde in Frankreich, wie der Klappentext der deutschen Ausgabe zu berichten weiß, "zu einem der größten Sachbucherfolge der Nachkriegszeit". Es handelt sich um einen recht anspruchsvollen Diskurs über jene Bereiche der Wissenschaften, in denen die Physik unversehens an das Transzendente stößt, die Grenze zwischen Geist und Materie verschwimmt und sich der Realitätsbegriff auflöst. Die Gesprächspartner können dabei mit vielen Fakten aufwarten, die in wohlüberlegter, sprachlich geschliffener Form präsentiert werden. Auch die Übersetzung (Eva Moldenhauer) läßt nichts zu wünschen übrig. Dennoch wirkt es kaum wie der Aufbruch zu neuen Ufern, wenn Guitton und seine beiden Gesprächspartner über "Gott und die Wissenschaft" räsonieren und nach einem "Metarealismus" suchen, der beides verbinden könnte. Vielmehr läuft ihr Gespräch sehr zielbewußt - für manchen Geschmack zu zielbewußt - auf die tröstliche Gewißheit hinaus, daß christliche Glaubensgrundsätze mit den Naturwissenschaften vereinbar sind.

Es gelingt dem Buch auf diese Weise sicherlich, "dem Leser einen fesselnden Zugang zum Glauben und zur Religion zu bieten", wie in der Einleitung versprochen wird. Die darüber hinaus versprochene "neue Kosmologie, eine vollkommen andere Art, die Realität selbst zu denken" scheint aber so neu nicht zu sein. Denn daß "die Quantenphysik auf überraschende Weise an die Transzendenz stößt", haben Physiker wie Heisenberg und Jordan schon vor Jahrzehnten zu bedenken gegeben.

Ein bißchen erinnert Guittons Buch an den Bestseller "Und die Bibel hat doch recht". Der Erfolg, den es zumindest in Frankreich erlebte, dürfte auch damit zu tun haben, daß die katholische Welt den "Gottesbeweisen" traditionell eine gewisse Bedeutung beimißt, während es die protestantische Theologie ablehnt, den Glauben mit irgendeiner rationalen Beweisführung zu verbinden. Es ist noch gar nicht so lange her, daß diese Gottesbeweise sogar in sehr scholastischer Manier verstanden wurden. Inzwischen ist man flexibler geworden: Neben den schlüssigen Beweis ist der unverbindlichere "Aufweis" getreten, daß sich christlicher Glaube auch rational nachvollziehen lasse. Gewiß: Guittons Buch verschont den Leser mit derlei theologischen Finessen. Was er aber als "Weg zum Metarealismus" bezeichnet, als "eine noch dunkle Konvergenz zwischen dem physikalischen Wissen und der theologischen Erkenntnis", die "diesseits des Spiritualismus, aber weit jenseits des Materialismus" angesiedelt sei, entspricht ziemlich genau der moderneren Auffassung des Gottesbeweises in der katholischen Theologie. Es scheint, als suche er einen Mittelweg zwischen dem alten scholastisch-rationalen Gottesbeweis und einer rein spirituellen Begründung des Glaubens, wie sie den Protestantismus auszeichnet. Ob damit, zweihundert Jahre nach Kant, wirklich eine neue Sichtweise vorliegt, muß wohl jeder Leser für sich persönlich entscheiden.

Sehnsucht nach "ganzheitlichem" Denken

"Die Philosophie aber muß sich hüten, erbaulich sein zu wollen", hat Hegel einmal bemerkt. Pahls Buch dürfte dieser Forderung eher gerecht werden. Es ist das Buch eines Querdenkers ohne orthodoxe Bindungen. Es artikuliert das Unbehagen von Wissenschaftlern und Technikern, die auf eine "ganzheitliche" Sicht der Welt nicht verzichten wollen, ohne ihre Skepsis gegenüber tradierter Religiosität aufzugeben. Die Vorstellung eines göttlichen Weltenbewegers ist für Pahl "mehr als problematisch". Er will nicht die Beschränktheit religiöser Dogmen überwinden - was für seinesgleichen längst kein Thema mehr ist - , sondern die Borniertheit eines naturwissenschaftlichen Reduktionismus, der jeder Erscheinung die Existenzberechtigung abspricht, die nicht in seine verengte Sichtweise paßt.

Pahl widersteht zum Glück der Versuchung, das Kind mit dem Bade auszuschütten und nur noch "ganzheitliches" Denken gelten lassen zu wollen (die schon so manchen modernen Schwärmer in die Gefilde von "new age" und "Esoterik" geführt hat). Er will den naturwissenschaftlichen Reduktionismus nicht verdammen, sondern lediglich in die Grenzen verweisen. Sein "evolutionäres Weltbild" läßt verschiedene Formen der Annäherung an die Wirklichkeit gelten. Zum Beispiel kann er sich mühelos mit dem Zen-Buddhismus befreunden. Eines der erkenntnistheoretischen Paradigmen, die er anführt, ist der enge Horizont der Zecke, die dennoch für ihren Entwicklungsstand ein vollkommenes Weltbild besitzt, wenn sie ihre Umgebung in warmblütige Säugetiere und Nicht-Säugetiere einzuteilen vermag. Dem Menschen steht natürlich ein erheblich differenzierteres Sensorium zur Verfügung. Im Prinzip bleibt aber die Erfahrung immer so beschränkt, wie es dem aktuellen Stand der Evolution entspricht, gleichgültig ob man sich die Naturkräfte in Gestalt von Dämonen, Göttern, "Yin und Yang" oder physikalischen Gesetzen vorstellt. Jeder ernsthafte Versuch, die Welt ganzheitlich zu erfassen, kann durch die spätere Entwicklung wohl modifiziert, aber nicht grundsätzlich falsch werden. Deshalb sind auch alle ganzheitlichen Ansätze miteinander kompatibel, soweit sie nicht der - freilich fast regelmäßig eintretenden - dogmatischen Erstarrung erliegen. - So ungefähr läßt sich Pahls "Plädoyer für ein evolutionäres Weltbild" verstehen, und man wundert sich ein bißchen, unter den vielen Zitaten seines Buches nicht auch den berühmten Aphorismus aus Goethes "Zahmen Xenien" zu finden, der sich hervorragend als Leitmotiv eignen würde: "Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, der hat auch Religion, wer jene beiden nicht besitzt, der habe Religion."

Luthers Apfelbäumchen und das Prinzip Hoffnung

Pahl will sein Buch als Antwort auf ein Werk des verstorbenen Hoimar von Ditfurth verstanden wissen, das 1985 unter dem Titel "So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen" erschienen ist und recht pessimistische Prognosen enthält. Das Gleichnis stammt eigentlich von Martin Luther, der sich im unbedingten Glauben an den Erlöser so gut aufgehoben wußte, daß er selbst am Tag vor dem Weltuntergang noch ein Apfelbäumchen gepflanzt hätte. Bei Ditfurth dient das Apfelbäumchen als Symbol für seine pessimistische Sicht der Zukunft. Die lutherische Glaubensstärke schrumpft zur trotzigen Geste des Aufgeklärten, der wenigstens aufgeklärt zugrunde gehen will. Pahl teilt erklärtermaßen Ditfurths "Ausdeutung der wesentlichen Fakten", will ihm aber nicht "in diese leidenschaftslose Schicksalergebenheit folgen". Er gründet seine Zuversicht darauf, "daß überraschenderweise ausgerechnet die âharten' Naturwissenschaften in den letzten Jahren angetreten sind, um dem Menschen wieder eine bedeutsame Rolle im Kosmos zuzuweisen".

Guitton wie Pahl plädieren letzten Endes für das, was Ernst Bloch als das "Prinzip Hoffnung" umschrieben hat. Der eine hat dabei den christlichen Glauben im Blick, der andere eine unorthodoxe "ganzheitliche" Denkweise, die den Ansprüchen des Gemüts und des Verstands gleichermaßen zu entsprechen vermag. Zugleich scheinen die Autoren zwei unterschiedliche nationale und geistige Traditionen zu repräsentieren: die eine mehr französisch und katholisch, die andere mehr deutsch und protestantisch. Denn dem Apfelbäumchen pflanzenden Luther ist Pahl weit näher, als der Titel seines Plädoyers wider die Resignation am Ende der Aufklärung vermuten lassen könnte.

(PB 8/93/*leu)