PresseBLICK-Rezensionen Politik, Zeitgeschehen



Christian Nürnberger

Die Machtwirtschaft

278 S., DM 26.-, Dt. Taschenbuch Verlag, 1999


"Wer mischt sich da in Sachen ein, von denen er nichts versteht?" - So fragte vor knapp einem Jahr der "Capital"-Chefredakteur Ralf-Dieter Brunowsky, und er meinte damit den Autor des vorliegenden Buches. Christian Nürnberger hatte sich erdreistet, am Nimbus des "Capital"-Autors André Kostolany zu kratzen, indem er den Erkenntniswert von dessen Börsen-Kolumnen mit einer alten Bauernregel verglich: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich die Börse, oder sie bleibt so, wie sie ist.

Genüsslich zitiert Nürnberger in seinem Buch die Schelte des "Capital"-Chefredakteurs, der anscheinend nicht wusste, dass der Gescholtene unter seinem Vorgänger Ludolf Hermann selber einmal Redakteur bei "Capital" gewesen war. Eigentlich wollte Nürnberger Theologe werden, nachdem er eine Lehre als Physiklaborant absolviert hatte. Er verlor dann aber, wie so mancher angehende Priester, schon während des Studiums den rechten Glauben. Und dieser rechte Glaube fehlt dem heutigen Journalisten Nürnberger ebenfalls, wenn er die neueste Heilsbotschaft hört, wonach die reine Marktwirtschaft schon alles richten werde.

Am liebsten, so Nürnberger, würden die neoliberalen Ökonomen die Wirtschaft zur staatsfreien Zone erklären, die sich jeder Kontrolle entzieht. Wer als Nicht-Ökonom mitreden wolle, bekomme zu hören, dass er sich da raushalten solle, weil er davon nichts verstehe. Man brauche jedoch nicht das Handwerk eines Kochs erlernt zu haben, "um zu erkennen, dass die panierte Ledersohle, die uns der Wirt auftischt, kein Wiener Schnitzel ist". Genauso müsse man "kein Huhn sein, um zu riechen: Das Ei ist faul."

In diesem Sinne will der abgebrochene Theologe und ehemalige "Capital"-Redakteur alle Laien ermuntern, die "Priesterherrschaft der Ökonomen zu beenden". Die Wirtschaft sei viel zu wichtig, "um sie allein den Klerikern des Marktes zu überlassen". Jedes ökonomische Modell und jedes Expertengutachten enthalte politische und ideologische Präferenzen, die naiven Fachleuten gar nicht bewusst seien oder von den zynischeren Vertretern des Fachs bewusst verschwiegen würden. Das gelte zum Beispiel auch für das Jahresgutachten der sogenannten "Weisen", die mit anmaßendem Gehabe Noten an die Politiker verteilten, als ob diese Schulbuben wären.

Es wird sicher dem Urteil des Lesers überlassen bleiben müssen, ob er Nürnbergers Polemik seinerseits als anmaßend empfindet oder als befreienden Rundumschlag gegen eine neu aufgeputzte Ideologie des Manchester-Liberalismus. Gut geschrieben ist diese Polemik gegen den "Wirtschaftstotalitarismus" jedenfalls. Der Plural "Polemiken" wäre vielleicht angebrachter, denn Nürnberger hat hier verschiedene Beiträge neu bearbeitet und in Form eines Buches zusammengefügt. Vor allem den Lesern der "Süddeutschen Zeitung" wird etliches bekannt vorkommen. Natürlich erschienen Nürnbergers Attacken gegen Neoliberalismus und Shareholder-Value-Manie auch dort nicht im Wirtschaftsteil (der sich in dieser Hinsicht kaum von den neoliberalen Gralshütern bei der FAZ unterscheidet), sondern im Feuilleton. Aber so ist nun mal die Arbeitsteilung zwischen Geld und Geist ...

(PB 9/99/*leu)