PresseBLICK-Rezensionen Politik, Zeitgeschehen



Monika Griefahn

Weil ich ein Lied hab' - Die Politik einer Umweltministerin

München 1994: Piper Verlag, 150 S., DM 29.80


"Weil ich ein Lied hab'" - Das darf und soll natürlich metaphorisch verstanden werden. Monika Griefahn will weder den Fischer-Chören beitreten noch der rheinischen Frohnatur des seinerzeitigen Bundespräsidenten Scheel nacheifern, der mit volkstümlichem Liedgut ("Hoch auf dem gelben Wagen") einen Plattenerfolg landete. Das geht bei ihr schon tiefer, oder auch höher, wie man es nimmt: Auf der Seite 8 ist von Erich Fromm und seinem Appell zur Überwindung der Selbstentfremdung die Rede. Dann erfährt man, wie der Titel zu verstehen sei: "Selbstverantwortung in diesem Sinn ist mein Prinzip, mein Lied, das ich singe, wie Konstantin Wecker, 'weil ich ein Lied hab', nicht weil es Euch gefällt'". Anschließend führt sie noch kurz Albert Schweitzer an: "Es muß ein Prinzip geben hinter dem Alltag, und für mich ist das die 'Ehrfurcht vor dem Leben'."

Damit ist der Ausflug in die höhere Sphäre der Sinn- und Seinsfragen, auf den der Titel einstimmt, aber auch schon zu Ende. Monika Griefahn will wohl signalisieren, daß hinter ihren umweltpolitischen Vorstellungen so etwas wie eine übergreifende, ganzheitliche und eher links angesiedelte Sicht der Dinge steht. Aber sie tut es so flüchtig, als würde ein katholischer CDU-Minister eben mal kurz sein Gesangbuch vorzeigen. Oder als ob nachträglich ein zugkräftiger Titel für das Buch gesucht und gefunden worden sei, für den schnell noch eine Begründung mit rein mußte.

Ex-Greenpeacerin im Ministeramt

Wie ihren saarländischen Kollegen Jo Leinen umgibt die niedersächsische Umweltministerin trotz ihres sozialdemokratischen Parteibuchs eine Art grüne Aura. Bei Leinen spuken dabei Reminiszenzen an eine Brokdorf-Demonstration mit, bei Monika Griefahn ist es die zehnjährige Tätigkeit für Greenpeace. Als sie Ende 1989 von Gerhard Schröder im Hamburger Greenpeace-Büro angerufen und gefragt wurde, ob sie im Falle eines Wahlsiegs der SPD in Niedersachsen Umweltministerin werden wolle, gehörte sie noch keiner Partei an. Sie ist der SPD erst nach Aufnahme ihrer Amtstätigkeit und eher beiläufig beigetreten. Inzwischen wird sie gerade von den Grünen in wachsendem Maße angefeindet. Man ist auf dieser Seite enttäuscht über die Amtsführung der ehemaligen Greenpeace-Kämpin, weil sie im Vergleich mit ihrem grünen Amtskollegen Fischer, der in Hessen alle juristischen Hebel gegen die Kernenergie einsetzt, ziemlich glücklos agiere und bei ihren Aktivitäten gegen die Kernenergie gegenüber Bundesumweltminister Töpfer ständig den kürzeren ziehe.

Diesen Vorwurf möchte sie in dem vorliegenden Buch nun doch nicht auf sich sitzen lassen. Der Eindruck, daß Fischer erfolgreicher agiere, entstehe fälschlicherweise deshalb, "weil die Hessen nur zwei Atomanlagenkomplexe haben, nämlich Biblis und Alkem/Nukem - wir dagegen haben dreizehn: vier Atomkraftwerke, drei Endlager, einige Zwischenlager und die Urananreicherungsanlage ANF". Außerdem stehe ihr Ministerium in der Endlager-Frage bundesweit ohne Unterstützung da. Selbst die Hessen hätten ein Interesse daran, daß das Endlager für hochradioaktive Abfälle nach Niedersachsen komme.

Auch die Sache mit den Windrädern auf den Hochspannungsmasten will sie hier geraderücken: Technisch sei dieses Projekt keineswegs solcher Unsinn, wie Kritiker behaupten. Immerhin werde derzeit bei Emden eine Pilotanlage errichtet, die beweisen soll, daß bei der Kombination von Windrad und Hochspannungsmast ein Kostenvorteil von sechs Prozent herauskommt. Es sei sogar gelungen, die PreussenElektra in dieses Projekt einzubinden. Vom psychologischen Nutzen einer derartigen Kombination ganz zu schweigen: "Was kann es eigentlich Versöhnlicheres geben, als ein Windrad auf einem Strommast."

Gegen die "Dinosaurier-Technologie"

Im übrigen enthält das Buch vor allem programmatische Ausführungen, mit denen die niedersächsiche Umweltministerin die Grundlinien der von ihr verfolgten Umweltpolitik darlegt. Einige der Stichworte lauten vernetztes Denken, zukunftsfähige Produkte, biologische und technische Kreisläufe, Ausstieg aus der Atomenergie, Naturschutz. Nach Ansicht von Monika Griefahn wird "die Energieerzeugung der Zukunft in kleinen, anpassungsfähigen und äußerst effizienten Einheiten erfolgen". Sie will "weg von der Dinosaurier-Technologie", zu der sie in erster Linie die Kernkraftwerke zählt. Als Ministerin hat sie deshalb gleich ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem erwarteten Ergebnis kam: "Der Ausstieg aus der Atomkraft ist technisch und ökonomisch machbar." Auf der Habenseite ihrer bisherigen Amtstätigkeit verbucht sie auch die Gründung der niedersächsischen Energie-Agentur, die bisher 70 Projekte abgeschlossen habe.

Im Unterschied zu grünen Fundis will sich Monika Griefahn nicht auf den "Latzhosen-Ökotrip" begeben. Viele Umweltschützer verträten "eine asketische Ideologie, die so unattraktiv und nach Verzicht und Einschränkung klingt, daß niemand, der auch nur ein bißchen Lebensfreude empfindet, sich damit ernsthaft anfreunden mag". Sie dagegen will zeigen, "daß Umdenken Spaß machen kann und mit Gewinn an Lebensqualität möglich ist".

Das Programmatische wird gewürzt mit Anekdotischem aus dem Alltag einer Ministerin, die nebenbei auch noch Mutter geworden ist: Etwa, wie ihr der Amtsvorgänger Remmers von der CDU zum Abschied seine gelben Gummistiefel vermacht hat; wie sie als frischgebackene Ministerin vor fast leeren Regalen gestanden habe, weil fast alle Unterlagen aus 13 Jahren CDU-Umweltpolitik im Aktenvernichter gelandet seien; wie schwierig es war, mit dem alten Beamtenapparat einen neuen umweltpolitischen Kurs zu steuern; wie sie zu einem Treffen mit Bundesumweltminister Töpfer erst nicht vorgelassen wurde, weil man sie für Jutta Ditfurth hielt, und befürchtete, sie wolle die Veranstaltung stören; welches Aufsehen ihre Niederkunft im Februar 1992 erregte, und wie sie es als Ministerin mit dem Stillen und Wickeln gehalten hat. Wer noch genaueres wissen will, darf sie im vorletzten Kapitel durch "Eine Woche Ministerinnen-Alltag" im Tagebuch-Stil begleiten.

Kostprobe: "Eigentlich hätte ich noch weiterschlafen können, als Michael, der um 5.20 Uhr einen Zug erreichen muß, aufsteht. Aber dann kommt Jonas herein, wir kuscheln und reden - dadurch wacht Nora auf. Ein sehr früher, aber ein gemütlicher Vormittag, bevor um 10.15 Uhr der Landtag beginnt.".

Genau so stellt man sich das vor, wenn eine Frau von Greenpeace aus dem Schlauchboot ins Ministeramt umsteigt: Nicht unbedingt in Turnschuhen, aber doch irgendwie ungezwungener, bei allem Termindruck lässiger und der Selbstverwirklichung näher als die alten drögen Polit-Köppe.

Große Enthüllungen, schonungslose Authentizität oder schriftstellerische Glanzleistungen darf man nicht erwarten, wenn amtierende politische Würdenträger ein Buch schreiben. Zumal dann, wenn sie uns gleichzeitig Einblick in ihr Privatleben versprechen. Mit diesem Privatleben ist es nämlich so ähnlich wie mit der Heisenbergschen Unschärferelation: Sobald man das Ding zu erspähen vermeint, befindet es sich schon an einem anderen Ort. Das Privatleben von Politikern ist jedenfalls eine hochpolitische Angelegenheit. Gleichgültig, ob sich ein konservativer Politiker zufällig mit Gamsbart und Sepplhosen beim Wandern fotografieren läßt, oder ob uns ein Grün-Alternativer spontan seine Beziehungskiste öffnet.

Außerdem muß bedacht werden, daß politische Würdenträger in den seltensten Fällen die Zeit und das Talent haben, tatsächlich jene Bücher zu schreiben, die unter ihrem Namen erscheinen. Üblicherweise besorgt das ein ghost writer. Auch Monika Griefahn scheint einen solchen dienstbaren Geist bemüht zu haben. Darauf läßt der verschämte Hinweis schließen, daß das Buch "in Zusammenarbeit mit Anne Buhrfeind" entstanden sei.

"Viele Fragen sind offengeblieben, manche Themen wurden nur gestreift oder ganz ausgeklammert", bekennt sie zum Schluß. Zu den ausgeklammerten Themen gehört die harsche Kritik des Landesrechnungshofes, der ihr schon seit über einem Jahr Geldverschwendung bei der Öffentlichkeitsarbeit vorwirft. Da kann man nur hoffen, daß nicht auch dieses Buch im nächsten Bericht des Landesrechnungshofs auftaucht.

(PB 5/94/*leu)