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Das Auf und Ab der Umweltbewegung spiegelt sich im Schicksal der Zeitschrift natur, die 1981 von dem Journalisten Horst Stern gegründet wurde. Die finanzielle Rückendeckung lieferte der Schweizer Ringier-Konzern, der sich auf diese Weise den Einstieg in den deutschen Pressemarkt erhoffte. Die aufwendig gemachte Zeitschrift entwickelte sich tatsächlich zu einer Art Flaggschiff des deutschen Öko-Journalismus. Die geschäftlichen Erwartungen der Geldgeber konnte sie aber nicht erfüllen, weil die Zahl der umweltbewegten Käufer und Abonnenten trotz steigender Tendenz nicht zum Massenpublikum reichte. Als dann auch noch die Auflage zu sinken begann, verlor Ringier das Interesse. Eigentlich sollte die Zeitschrift Ende 1995 eingestellt werden. Auf Drängen der Redakteure, die um ihre Arbeitsplätze bangten, verkaufte Ringier sie dann einem ehemaligen natur-Redakteur, dem es gelungen war, einen neuen Geldgeber zu finden. Das ehemalige Flaggschiff des Öko-Journalismus gleicht seitdem einem Rettungsboot, das ramponiert auf den Wellen des Marktes treibt und dessen Insassen vor allem mit dem Überleben beschäftigt sind.
Die beiden Autoren des vorliegenden Buches waren von 1988 bis 1993 Chefredakteur bzw. Ressortleiter bei natur. Maxeiner übernahm damals den Posten des Chefredakteurs von Manfred Bissinger, der nach Hamburg ging, um das Reisemagazin Merian aufzumöbeln. Sein Amtsantritt wurde von Unkenrufen aus der ökologischen Szene begleitet, daß natur unter der neuen Leitung endgültig ins kommerzielle Fahrwasser steuern werde. In der Tat fehlten Maxeiner und seinem Adlatus Miersch der grüne Stallgeruch oder auch das Image eines "Linken", wie es Bissinger anhaftete. Sie hatten zwar zuvor ein Umweltmagazin namens Chancen redigiert, mit dem der Bauer-Verlag auf der ökologischen Welle zu schwimmen versuchte. Im Unterschied zu natur handelte es sich dabei aber um ein ausgesprochen "konstruktives" Umweltmagazin, mit dem die Autoren schon damals jenen "Öko-Optimismus" zu verbreiten versuchten, den sie jetzt zum Titel ihres Buches erhoben haben. In den Augen von ökologischen Fundis war diese Vergangenheit jedenfalls keine Empfehlung, und man kann sich vorstellen, daß Maxeiner und Miersch nach ihrem Wechsel zu natur außer- wie innerhalb der Redaktion einen schweren Stand hatten.
Im vorliegenden Buch schreiben sich die Autoren einiges von der Seele, was sich damals bei ihnen angestaut haben mag. Im ersten Kapitel über "Medien" widmen sie sogar etliche Seiten exklusiv dem "Fallbeispiel: Zeitschrift natur". Den Niedergang der Zeitschrift erklären sie damit, daß sie sich "zu Tode gesiegt" habe: Die Botschaft von der ökologischen Erneuerung sei so erfolgreich in die Köpfe eingesickert, daß es für ein spezielles Umweltmagazin möglicherweise gar keinen Bedarf mehr gebe. Schließlich würden sich heute praktisch alle Medien, von Bild bis zum Spiegel, der Umweltproblematik annehmen.
Besonders mache einer Umweltzeitschrift wie natur zu schaffen, daß sie ihren Lesern ständig das Gefühl moralischer Überlegenheit vermitteln müsse. Das sei anfangs relativ leicht gewesen, als die Fronten noch klar schienen und die Industrie sich verstockt zeigte. Da habe man die Auflage, die auch im Umweltjournalismus das Maß aller Dinge sei, mit Enthüllungen, Skandalen und Schuldzuweisungen erhöhen können. Mit der zunehmenden Verbreitung des Umweltbewußtseins und der Kompromißbereitschaft der Wirtschaft seien die intellektuellen Herausforderungen an Ökologiebewegung und Umweltjournalismus jedoch größer geworden. Die Vermittlung der komplexen Zusammenhänge werde immer komplizierter und erlaube keine einfachen Schuldzuweisungen mehr. Die Leser würden aber Versuche in dieser Richtung nicht unbedingt honorieren. "Insbesondere dann nicht, wenn sie den Kauf einer ökologischen Zeitschrift als Ablaßhandel begreifen. Das Abonnement dient zur inneren Reinwaschung, wenn dies nicht mehr gewährleistet wird, bestellen sie ab." Konzeptionell wie inhaltlich laufe deshalb der Versuch, eine glaubwürdige Umweltzeitschrift zu machen, auf die Quadratur des Kreises hinaus.
Zu welchen skurrilen Blüten das führen kann, bezeugt die Schlagzeile "Glykolskandal: Gift auch im Tabak", mit der natur einmal die Raucher vor winzigen Spuren von Glykol im Tabak warnte, als ob die eigentlichen Gifte nicht Nikotin und Teer seien. Eine andere Schlagzeile lautete "Bauminvasion gefährdet Almwiesen" - als würde der Wald mit seinem Vordringen auf unbewirtschaftete Almwiesen nicht ein erfreuliches Zeichen seiner Lebendigkeit geben und als seien Almwiesen nicht überhaupt erst durch Rodung entstanden.
Während die Leser von natur solche Ungereimtheiten schluckten oder sogar mit Wonne genossen, gerieten sie mächtig in Rage, als die Zeitschrift 1991 eine Anzeige der deutschen Kernkraftwerksbetreiber veröffentlichte. Der Publizist Robert Jungk kündigte seine Mitarbeit auf. Die baden-württembergischen Grünen beschlossen den Boykott der Zeitschrift, falls sie künftig nicht auf Anzeigen der Stromwirtschaft verzichte und dies auch noch in einem Redaktionsstatut verbindlich festlege.
Man kann Maxeiner und Miersch nachfühlen, daß ihnen diese kleinkarierte Gesinnungstüchtigkeit auf die Nerven ging und sie sich wie die Redakteure eines Bistumsblattes gefühlt haben mögen, die zwar die sinkende Auflage stoppen sollen, aber doch keinen Fußbreit vom rechten Glauben abweichen dürfen. Um so ungenierter lästern sie nun in ihrem Buch über die irrationalen Komponenten und Selbsttäuschungen des gängigen Umweltbewußtseins, die speziellen Scheuklappen der Öko-Pharisäer, die Umwelt-Exerzitien der Medien und die zahlreichen heiligen Kühe des Umweltjournalismus.
Ihr Buch gliedert sich in drei Teile. Zunächst geht es um das Umweltbewußtsein, wie es sich in Medien, Wissenschaft, Lebensstil, Prognosen und Feindbildern widerspiegelt. Anschließend werden einzelne Aspekte der Umweltproblematik behandelt, Naturschutz, Wälder, Landwirtschaft, Klima, Verkehr und Dritte Welt. Zum Schluß formulieren sie "zehn Schlüsselfragen für die Zukunft".
Das Buch ist flott geschrieben und leicht lesbar. Mit viel Witz, Ironie und Polemik werden Ungereimtheiten und Übertreibungen in Umweltfragen aufgespießt. Die Autoren zeigen an zahlreichen Beispielen, wie einseitig die Darstellungen oft sind und welche Gegenargumente sich anführen lassen.
Mitunter demonstrieren die Autoren auch nur, daß die Informationslage höchst verwirrend ist und auch sie sich überfordert fühlen, den tatsächlichen Sachverhalt zu beurteilen. So sei beim Thema Babywindeln bis heute nicht klar, welche Variante am schonendsten ist: Wegwerfhöschen kaufen, Baumwolltüchter selbst waschen oder einen Windeldienst beauftragen. Es gebe drei Öko-Bilanzen dazu, die zu drei verschiedenen Ergebnissen kommen.
Als Paradebeispiel für die Übertreibungen der Öko-Debatte dient ihnen die Auseinandersetzung um die Bohrinsel "Brent Spar": Sie fing damit an, daß Greenpeace Alarm schlug und die Risiken der geplanten Versenkung in den schwärzesten Farben malte. Politiker jeglicher Couleur stießen ins selbe Horn, um sich als Umweltschützer darstellen zu können. Zahllose Autofahrer boykottierten die Shell-Tankstellen. Seinen mediengerechten Höhepunkt erreichte das Spektakel, als ein Greenpeace-Hubschrauber die Bohrinsel anflog und per Wasserstrahl abgewehrt wurde. Alle Medien jubelten, als Shell schließlich von der Versenkung Abstand nahm. Es sah ganz danach aus, als sei der wachsamen öffentlichen Meinung die Verhinderung eines Umweltverbrechens gelungen - bis Greenpeace kleinlaut zugab, das Ausmaß der Gefahren doch arg übertrieben zu haben.
Auch in anderen Fällen sei die Beteiligung an Öko-Ritualen für viele wichtiger als wirklich umweltbewußtes Verhalten. So habe eine Studie des Europäischen Tourismusinstituts gezeigt, daß Sympathisanten der Grünen weit häufiger um den Globus düsen als der Rest der Bevölkerung. Dabei sei doch bekannt, "daß wir bei einem Flug nach Amerika und zurück soviel Sprit verbrennen wie irgend so ein mieser Autofetischist, der 10 000 Kilometer lang seinen niederen Instinkten nachgeht".
Der moderne "Ökochonder" werde von der fixen Idee beherrscht, daß er tausenderlei Umweltgiften ausgesetzt sei und daß der eigene Körper bereits eine wandelnde Sondermülldeponie darstelle. Eine 23jährige Frau habe deshalb genauso umweltbewußt sterben wie leben wollen und eine Öko-Zeitschrift um Rat gebeten: "Wo kann ich meinen vergifteten Körper einmal begraben lassen, ohne Boden und Grundwasser zu verseuchen?"
Zum eingebildeten Leiden des Ökochonders passe die Wertschätzung der sogenannten sanften Medizin, deren Wirkung ebenfalls auf Einbildung beruhe: "Natürlich, alternativ, biologisch, ganzheitlich oder zumindest sanft soll die Behandlung heute sein. Modebewußte Kranke hören auch gern, daß die Therapie irgend etwas mit Energiefeldern zu tun hat, böse Schlacken aus dem Körper treibt oder negative Schwingungen abstellt. Wenn die ganze Dienstleistung dann auch noch chinesisch, indisch oder gar im Indianerkostüm daherkommt, ist die Heilung so gut wie gesichert. Doch wehe, solche Zauberformeln fehlen. Ein Doktor, der mit rückständigem Zeug wie Blutwerten oder EKG hantiert, muß sich auf größtes Mißtrauen gefaßt machen."
Andererseits gebe es auch viel blindes Vertrauen gegenüber allem, was sich den weißen Kittel des Wissenschaftlers übergezogen hat. Akademischer Jargon sei kein automatischer Ausweis hoher Kompetenz, sondern bestehe in der Regel aus "schlechtem Deutsch und verschrobener Grammatik". Ebensowenig dürfe man einer Untersuchung vertrauen, nur weil sie von irgendeinem Institut durchgeführt wurde. Schließlich dürfe sich jeder Massagesalon als Institut bezeichnen. Und akademische Titel besagten auch nicht viel: "Keine Angst vor Professoren. Schon beim ersten Nachfragen stellt sich mitunter heraus, daß sie zwar Professoren sind, aber leider auf einem anderen Fachgebiet".
"Wer einen Effekt findet, ist im Geschäft, wer keinen findet, ist draußen" glossieren sie das Dilemma des Wissenschaftlers, der sich heute mit Umweltfragen befaßt, von denen möglicherweise seine Karriere abhängt. In der Folge habe sich eine florierende Analyseindustrie entwickelt, die Gesundheitsgefahren und Umweltanklagen in Serie produziere. Wer nur lange genug mit Hilfe des Computers den Konsum bestimmter Lebensmittel mit bestimmten Krankengruppen vergleiche, habe gute Chancen, irgendwann einen scheinbar auffälligen Zusammenhang zu finden, etwa zwischen Milchkonsum und Frühgeburten, Rotkohl und grünem Star, Leberkäse und Hühneraugen.
Auf diese Weise sei auch jene schwedische Studie entstanden, die für Kinder in der Nähe von Hochspannungsleitungen ein höheres Leukämie-Risiko ermittelte. Aus demselben Zahlenmaterial könne man ebenso den Schluß ziehen, daß die Nähe zu Stromleitungen vor Gehirntumor schütze. Ein Befund sei so fragwürdig wie der andere, doch werde der zweite wohlweislich nicht erwähnt.
Überhaupt: Wer durchschaue schon das Geflecht von Interessen, das hinter einzelnen Studien oder Tests stecken mag? - So schlug die Zeitschrift Ökotest einmal Alarm, weil im Babybrei der Drogeriekette Schlecker Pestizid-Rückstände gefunden worden seien. Den Hintergrund bildete, daß Schlecker den Babybrei des Herstellers Hipp aus dem Regal genommen hatte, weil man sich nicht über den Preis einigen konnte und ein anderer Anbieter billiger war. Anscheinend hat sich Hipp darauf an Ökotest gewandt und gezielte Tips gegeben, wo bei dem Konkurrenten eine Achillesferse zu finden wäre. - Daß die Pestizid-Rückstände tausendfach unter der Schwelle lagen, ab der Toxikologen gesicherte Aussagen über ein Risiko treffen können, spielte keine Rolle. Das ZDF-Heute-Journal garnierte seinen Bericht über die Enthüllung sogar mit Bildern von Kindern, die an einer schweren Form der Hautkrankheit Neurodermitis erkrankt waren.
Viel heiße Luft sei auch bei anderen Umweltthemen mit drin, die täglich durch die Medien geistern: Ob Artensterben, Regenwälder, Bevölkerungsexplosion, Ozonbelastung, Klimagefahren, Asbestentsorgung oder Chlorchemie - bei näherer Betrachtung erwiesen sich die Kassandra-Rufe oft als übertrieben oder gar als unbegründet.
Sicher habe mancher alte Schmutzfink nur Kreide gefressen und warte unbelehrbar darauf, bis die "Umweltspinnerei" endlich aufhört. Der größere Teil der Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik habe jedoch eingesehen, daß für die Umwelt tatsächlich etwas getan werden muß. Deshalb sei jetzt anstelle der Konfrontation die Kooperation nötig.
Daß die Zeit der bloßen Glaubensbekenntnisse vorbei sei, habe schon 1992 der "Deutsche Umwelttag" gezeigt, der mit viel Aufwand vorbereitet wurde, aber kaum Besucher anlockte. - Keine Folge des Desinteresses am Umweltschutz, sondern vielmehr seiner allgemeinen Akzeptanz. Längst werde das Thema quer durch alle Parteien diskutiert, werde von Medien, Industrieverbänden, Gewerkschaften, Kirchen oder Sportvereinen aufgegriffen. Selbst Bild geriere sich inzwischen als Kämpfer für Ökologisches und kuschele publikumswirksam mit Umweltorganisationen. Und der Schlagersänger Heino - mit sicherem Instinkt fürs Volkstümliche - habe sich sogar als Sympathisant der Grünen geoutet.
Während sich viele Umweltschützer noch immer als unterdrückte Minderheit fühlten, seien sie so längst zum Meinungsführer geworden: "Die Schattengefechte der vermeintlich Schwachen geraten zum Ritual und zur Farce. Anstatt die ausgestreckten Hände vieler Unternehmer zu ergreifen, rennen sie lieber mit theatralischem Kampfgeschrei offene Werkstore ein."
Das Buch erschien in der Reihe "Zukunftsbibliothek" des Metropolitan-Verlags, die bis vor kurzem von dem Zeitgeist-Experten und Trendforscher Matthias Horx herausgegeben wurde (er ist inzwischen zum Econ-Verlag zurückgekehrt). Es fand viel Zustimmung. Eine Initiative der Zeitschrift bild der wissenschaft erkor es gar zum Wissenschaftsbuch des Jahres 1996. Auch Bundesumweltministerin Angela Merkel fand lobende Worte.
Eher gereizt reagierte dagegen die Umwelt-Szene: Für sie haben die beiden Autoren ein ziemlich oberflächliches und sophistisches Elaborat verfaßt, das sich schon durch seinen flapsig-flachen Stil diskreditiere. Selbst da, wo ihre Kritik berechtigt sein möge, liefere sie letzten Endes nur Wasser auf die Mühlen derer, die den Umweltschutz noch mehr in den Hintergrund drängen möchten als dies durch die Verschärfung der wirtschaftlich-sozialen Probleme ohnehin schon der Fall sei. - Es seien deshalb in Wirklichkeit die beiden Autoren, die als notorische "Trend-Hopper" mit theatralischem Kampfgeschrei offene Tore einrennen würden.
In der Tat bedarf es heute keines allzu großen Mutes mehr, den heiligen Kühen der Öko-Szene den Respekt zu verweigern. So erschien der Spiegel - dem Zeitgeist immer hart auf den Fersen - kurz nach der Brent-Spar-Affäre mit einer Titelgeschichte zum "Öko-Wahn".
Sicher wird man auch nicht alles, was Maxeiner und Miersch in diesem Buch pointiert und polemisch vortragen, auf die Goldwaage legen dürfen. Beispielsweise bezweifeln sie die Umweltfreundlichkeit des Elektroautos unter Verweis auf eine amerikanische Studie, wonach Elektroautos sogar 60mal so stark die Umwelt belasten wie konventionelle Fahrzeuge. - Hier, so scheint es, wird keiner Legende am Zeug geflickt, sondern vielmehr einer neuen Legendenbildung Vorschub geleistet.
Zumindest aber demonstriert dieses Buch, daß die Dinge oft viel komplizierter sind, als es sich die ökologische Schulweisheit träumen läßt. Es lockert damit ideologische Fixierungen und regt zum selbständigen Denken an. Außerdem ist es so leicht und amüsant geschrieben, daß es allein dadurch ein Lesevergnügen darstellt.
(PB 6/97/*leu)