PresseBLICK-Rezensionen | PR, Werbung, Medien |
Der Begriff der öffentlichen Meinung taucht erstmals bei Rousseau auf. Im 24. Brief des ersten Teils der "Neuen Heloise" schreibt St. Preux an seine geliebte Julie: "Ich unterscheide bei dem, was man Ehre nennt, die, welche man durch die öffentliche Meinung erhält, von der, welche sich auf Selbstachtung gründet. Die erste besteht aus eitlen Vorurteilen, schwankender als die bewegte Welle, die zweite gründet sich auf ewige Wahrheiten der Moral."
"Eitle Vorurteile" und "schwankender als die bewegte Welle" - das würde auch heute noch mancher unterschreiben, dem die Manipulierbarkeit und Unberechenbarkeit der öffentlichen Meinung ein Graus ist. Was immer man aber von ihr halten mag: Sie ist ein Faktor, um den keiner herumkommt, dessen Tätigkeit sich im Blickfeld der Öffentlichkeit abspielt. Genauer gesagt: Im Blickfeld jener Medien, welche die Öffentlichkeit repräsentieren. Denn die öffentliche Meinung fällt nicht vom Himmel, sondern ist in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft weitgehend identisch mit der veröffentlichten Meinung.
Die öffentliche Meinung ist ein Kind der Neuzeit. Sie füllt die Lücke, die der Zerfall der Religion und anderer starrer Wertvorstellungen der ständischen Gesellschaft hinterlassen hat. Sie gewinnt zwangsläufig um so größere Bedeutung, je mehr die Gesellschaft in Partikularinteressen zerfällt. Sie tritt als Vertreterin des Allgemeinwohls und als Antagonist der individuellen Egoismen auf. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß der Begriff erstmals bei Rousseau auftaucht, der wie kein anderer die Zersplitterung der modernen Gesellschaft in tausenderlei Grüppchen, konkurrierende Einzelinteressen und verschiedene Rollenspiele derselben Person vorausempfunden hat.
Zunächst waren es vor allem die Politiker, welche die öffentliche Meinung als obersten Maßstab ihres Tuns und Lassens anerkennen mußten, um reüssieren zu können. Neuerdings gibt es aber auch kaum noch einen Wirtschaftszweig, der nicht auf die öffentliche Meinung Rücksicht zu nehmen hätte. Dies gilt in besonderem Maße in Umweltfragen. Es gibt praktisch kein Produkt, mit dessen Herstellung, Vertrieb oder Entsorgung nicht zugleich Umweltprobleme verbunden wären. Für den Erfolg am Markt kann die öffentliche Meinung über die Umweltfreundlichkeit eines Unternehmens oft wichtiger sein als der praktische Nutzen oder die tatsächliche Umweltfreundlichkeit des Produkts.
Das vorliegende Buch vereint Beiträge von 21 Autoren, die von Berufs wegen mit der Einflußnahme auf die öffentliche Meinung befaßt sind. Davon sind 15 wirtschaftsnahe PR-Fachleute, Pressesprecher oder Unternehmensberater. Für das nötige Salz in der Suppe sorgen zwei Öffentlichkeitsarbeiterinnen von Umweltschutzorganisationen sowie vier Journalisten.
Bei dieser Zusammensetzung sind kleine Kontroversen unvermeidlich. Etwa darüber, was den Unterschied zwischen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit ausmacht: "Journalismus hat einen informativen, Öffentlichkeitsarbeit hat einen manipulativen Auftrag", glaubt SR-Intendant Manfred Buchwald feststellen zu können. Da mag etwas Wahres dran sein. Aber die volle Wahrheit ist es doch nicht, wenn man bedenkt, daß die Medienunternehmen eben nicht nur einen Informationsauftrag, sondern vor allem einen Geschäftszweck zu erfüllen haben. Leben nicht gerade die auflagenstärksten Publikationen von Sex, Crime und höchst fragwürdigen "Informationen"? Und sind nicht gerade beim seriöseren Teil der Sendeanstalten das Personal und die Nachrichtengebung oft parteipolitisch gefärbt? - Da möchte man schon eher dem SDR-Fernsehchef Ernst Elitz (inzwischen Intendant des Deutschlandradios) beipflichten, dem eine überaus hübsche Formulierung gelingt: "Der Journalist steht PR-Leuten besonders kritisch gegenüber, weil er sich in ihnen wiedererkennt."
Zur Ehre der Journalisten kann aber gesagt werden, daß die Beiträge von Buchwald ("Krisen-PR in der Krise") und Elitz ("Wie glaubwürdig ist Öko-PR?") zu den Filetstücken des vorliegenden Sammelbandes gehören. So versteht es Elitz, die Notwendigkeit eines investigativen Journalismus in Umweltfragen auch mit dem Eigeninteresse der Wirtschaft zu begründen: "Gerade, weil er aufklärt und kritisiert und diese hygienische Aufgabe übernimmt, wird der Journalismus glaubwürdig. Er wäre es beim Publikum nicht, wenn er Unternehmens-Hofberichterstattung und umweltpolitische Schönfärberei betriebe. Ein Journalismus, der sich auf diese Weise desavouiert, kann für Unternehmen auch kein Partner sein, denn um Glaubwürdigkeit zu transportieren, brauchen diese glaubwürdige Partner."
Ein weiterer Ratschlag von Elitz für die Führungskräfte der Wirtschaft lautet, nicht gleich das Walten finsterer Mächte zu unterstellen, wenn ihnen der Wind der veröffentlichten Meinung ins Gesicht bläst. Es müßten endlich "jene absonderlichen Pressedienste von den Management-Schreibtischen verschwinden, in denen die Medien nur als Manipulations-Agenturen einer geheimnisvollen Links-Mafia dargestellt und verzeichnet werden".
Ähnliche Verkrustungen beseitigen möchte Manfred Buchwald, wenn er die Unternehmen zu einer "investigativen Öffentlichkeitsarbeit" ermuntert. Die tatsächlich erreichte Wirkung müsse wichtiger sein als die gesinnungsfeste Verkündung irgendeines Credos, das keiner hören will. Der erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeiter dürfe sich nicht als bedingungsloser Propagandist der Wünsche (und Illusionen) seines Auftraggebers verstehen, sondern müsse in geeigneter Form auf die Wünsche und Bedürfnisse jener Zielgruppen eingehen, die jener ansprechen möchte. Dies setze die Bereitschaft voraus, "sich in den argumentativen Streit einer pluralistisch verfaßten Gesellschaft zu begeben". Im Bereich der politischen PR sei diese Zwei-Wege-Kommunikation schon heute ausgeprägte Praxis. Aber auch in anderen Bereichen, etwa in der Elektrizitätswirtschaft, lasse sich eine Wende von der Propaganda zum Dialog beobachten.
Die solchermaßen angesprochene Elektrizitätswirtschaft wird in dem vorliegenden Band durch Hugo Jung, den Geschäftsführer der IZE, vertreten. Jung erläutert, welche besondere Funktion die IZE als PR-Einrichtung einer Branche hat, die von Stadtwerken bis zum Verbundkonzern sehr unterschiedliche Unternehmensgrößen, -strukturen und -strategien umfaßt. Die IZE müsse "die in der Branche als kontrovers empfundenen Themen integrativ, umsichtig und ausgeglichen behandeln und dadurch die Glaubwürdigkeit des Wirtschaftszweiges in der Öffentlichkeit zu erhöhen suchen". Öffentlichkeitsarbeit dürfe nicht erst dann beginnen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen sei. Wer erst im Störungs- oder Katastrophenfall aktiv werde, also ausschließlich "Krisen-PR" betreibe, müsse scheitern. Deshalb sei die Öffentlichkeitsarbeit der IZE langfristig konzipiert. Man komme auch nicht weit mit Verschweigen oder Vertuschen, mit Teilinformationen und dem einseitigen Hervorheben des Positiven. Ein solcher PR-Ansatz werde schnell als Manipulation und Täuschung entlarvt. Wer bei der Öffentlichkeitsarbeit davon ausgehe, "nur keine schlafenden Hunde zu wecken" , verkenne, daß die Hunde schon immer wach seien...
Wie wach die Hunde tatsächlich sind (falls die Weiterführung dieser Metapher ohne beleidigende Absicht gestattet ist), zeigen die Beiträge der beiden Umweltschützerinnen. Die stellvertretende BUND-Vorsitzende Angelika Zahrnt rechnet mit dem "allgemeinen Umweltbekenntnisbrei" ab, der einem vor allem aus Anzeigen der Automobilbranche entgegenquelle. Aber so dumm sei die Öffentlichkeit nicht, wie sich das offenbar manche Werbestrategen vorstellten: "Die neue S-Klasse von Mercedes als umweltschützendes Recycling-Mobil läßt die Öffentlichkeit nicht mehr durchgehen." Was den BUND angehe, so sei dieser aufgeschlossen für eine Zusammenarbeit mit Unternehmen, "deren Umweltengagement nicht vorrangig auf Umwelt-PR, sondern vor allem auf konkrete Verbesserungen von Produktion und Produkten ausgerichtet ist".
Greenpeace-Pressesprecherin Claudia Sieg freut sich über die erfolgreiche PR-Aktion, die ihrer Organisation mit der Propagierung des FCKW-freien Kühlschranks aus dem ostdeutschen Foron-Werk gelungen sei. Die anderen Gerätehersteller hätten sich mit der chemischen Industrie schon auf das klimafeindliche FKW 134a als Ersatzstoff für FCKW geeinigt gehabt und deshalb versucht, den ostdeutschen Öko-Kühlschrank zu ignorieren und madig zu machen. Es habe ihnen aber nichts genützt: "Die industriellen Hardliner sind in die Defensive geraten."
Auch anderen Beiträgen lassen sich Anregungen für die Öffentlichkeitsarbeit entnehmen. Manche zeigen allerdings auch, daß sich die Wende von der Propaganda zum Dialog noch nicht überall durchgesetzt hat. So verteidigt Detlef Frank den BMW-Anzeigenslogan "CO2 schützt unsere Erde", den Angelika Zahrnt einige Seiten vorher als Beispiel für die Verharmlosung des Klimaproblems an den Pranger stellt. Gewiß mag dieser Slogan - da hat Frank schon recht - sachlich unangreifbar sein. Aber ebenso sicher ist, daß er im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion um die Folgen eines erhöhten Treibhauseffekts von umweltbewußten Zeitgenossen als Provokation empfunden werden muß.
Bücher über PR-Arbeit sind manchmal eine recht zähe Lektüre. Das vorliegende Buch kann zum interessanteren Teil des Genres gerechnet werden. Den meisten Beiträgen liegen Vorträge zugrunde, die bei drei Foren der "Reporter"-Unternehmensgruppe zwischen Januar und November 1992 gehalten und diskutiert wurden. Die drei Herausgeber und Mitautoren sind Repräsentanten dieses PR-Unternehmens. - Ganz nebenbei ein gelungenes Beispiel dafür, wie sich PR-Arbeit in eigener Sache betreiben läßt.
(PB 3/94/*leu)