PresseBLICK-Rezensionen Elektrotechnik



Jörg Schlaich

Das Aufwindkraftwerk

Stuttgart 1994: Deutsche Verlags-Anstalt, 55 S., DM 29,80


Jörg Schlaich ist Bauingenieur und Professor an der Universität Stuttgart. Außerdem ist er Mitinhaber eines Ingenieurbüros, das die Konzeption des Aufwindkraftwerks in den letzten fünfzehn Jahren entwickelt hat. Dabei handelt es sich nicht - wie der Name vermuten lassen könnte - um eine der üblichen stromerzeugenden "Windmühlen", die in letzter Zeit dank der massiven staatlichen Fördermaßnahmen einen Boom erlebten. Das Aufwindkraftwerk gehört vielmehr in den Bereich der solarthermischen Stromerzeugung. Sein idealer Standort ist nicht die windreiche Küste, sondern ein Stück Sahara oder sonst ein Fleck der Erde, wo es am heißesten ist.

Die Grundidee ist einfach: Man nehme ein Stück sonnendurchglühter Wüste, errichte darüber ein Glasdach und baue in der Mitte einen hohen Kamin. Die Luft unter dem Glasdach wird dann - von der Sonne aufgeheizt - zur Mitte strömen und eine oder mehrere Windturbinen drehen, die an der unteren Öffnung des Kamins angebracht ist.

Daß die Sache auch praktisch funktioniert, zeigte eine 50-kW-Versuchsanlage, die Schlaich und seine Mitarbeiter 1981/82 mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums bei Manzanares in Südspanien errichten konnten. Die überdachte Fläche war 45000 Quadratmeter groß. Der Kamin hatte einen Höhe von 195 Metern bei einem Durchmesser von 10 Metern. Nach Abschluß der Experimentierphase erzeugte diese Anlage im vollautomatischen Dauerbetrieb jährlich bis zu 44 Megawattstunden Strom.

Bisher blieb es aber bei diesem Pilotprojekt. Trotz beharrlicher Bemühungen ist es Schlaich nicht gelungen, Geldgeber für den Bau einer größeren Demonstrationsanlage zu gewinnen. Nach seinen Vorstellungen müßte dies eine 30 -MW-Anlage sein, was eine Kollektorfläche mit einem Durchmesser von 2,2 Kilometer und eine Kaminhöhe von 750 Metern voraussetzen würde. Ein Energieversorgungsunternehmen in Sri Lanka war interessiert, sofern die Bundesrepublik die Hälfte der Kosten übernommen hätte. Beim Bundesforschungsministerium sah man aber keinen weiteren Forschungsbedarf.

In seinem 1991 erschienenen Buch "Erneuerbare Energien nutzen" hat Jörg Schlaich den Prototyp von Manzanares bereits kurz vorgestellt und einen Ausblick auf größere Projekte gegeben (siehe PB 8/91). Allerdings vergaß er, das traurige Finale zu erwähnen: Im Frühjahr 1989 zerstörte ein Orkan die Anlage in Manzaranes.

In der vorliegenden Neuerscheinung kommt Schlaich beiläufig auf den Orkanschaden zu sprechen: Die 15 Millionen Mark Fördergelder hätten nicht ausgereicht, um die 195 Meter hohe Blechröhre mit den üblichen Abspannseilen zu sichern. Stattdessen habe man preisgünstige dünne Stahlstangen genommen. Nach einer Standzeit von acht Jahren seien diese stark verrostet gewesen, so daß sie dem Sturm nicht mehr standhielten. Ursprünglich sei man nur von einer dreijährigen Betriebszeit ausgegangen und habe deshalb auf den Rostschutz verzichtet. Immerhin habe die Blechröhre aber acht Jahre lang gestanden, bevor der Sturm sie umwarf.

Riesige Kollektor-Fläche mit kilometerhohem Kamin

Für künftige Aufwindkraftwerke seien Betonröhren am zweckmäßigsten, die mit Seilen abgespannt werden, um mit geringen Wandstärken auszukommen. Denn ein solches Bauwerk wäre gigantisch: Für eine 100-Megawatt-Anlage, die jährlich 305 Gigawattstunden Strom erzeugt, müßte nach Schlaichs Berechnungen eine Fläche mit einem Durchmesser von 3,6 Kilometer überdacht werden; der Kamin müßte bei einem Durchmesser von 115 Metern eine Höhe von 950 Metern erreichen. Dabei wird eine extrem günstige Sonneneinstrahlung von 2300 kWh/m2 zugrundegelegt, wie sie allenfalls in der Sahara vorkommt.

Die Kosten einer solchen Anlage veranschlagt Schlaich mit rund 270 Millionen Mark - "südeuropäisches Kostenniveau" vorausgesetzt. Fast die Hälfte der Gesamtkosten beanspruche dabei das Kollektordach. Die Stromgestehungskosten beziffert er bei zwanzigjähriger Nutzungsdauer und 8 Prozent Zins nach der nominalen Berechnungsmethode mit 0,209 DM/kWh. Dies sei sicherlich mehr als die von den VDEW ermittelten Stromgestehungskosten von 0,168 DM für Steinkohlekraftwerke und von 0,125 DM/kWh für Kernkraftwerke. Allerdings könne ein Aufwindkraftwerk länger genutzt werden. Es verursache auch keine CO2-Emissionen und andere externen Kosten. Wenn man eine vierzigjährige Nutzungsdauer annehme, seien die Stromgestehungskosten mit 0,110 DM/kWh bereits geringer als bei Kernkraftwerken. Noch günstiger schneide das Aufwindkraftwerk ab, wenn anstelle der nominalen die reale Berechnungsmethode gewählt werde, die den Geldwertverlust berücksichtigt.

Strom aus der Sahara für das UCPTE-Netz?

Schlaich sieht ein, daß eine solare Stromproduktion - mit welcher Technologie auch immer - unter mitteleuropäischen Verhältnissen unwirtschaftlich ist. Eine "globale solare Energiewirtschaft" sei dagegen technisch wie wirtschaftlich realisierbar. So könne das Aufwindkraftwerk mit einem Pumpspeicherkraftwerk kombiniert werden und z.B.in Afrika den Betrieb eines Inselnetzes mit einer kontinuierlichen Stromversorgung ermöglichen. Aber auch die Einspeisung ins westeuropäische Verbundnetz sei möglich, wenn - wie in Aussicht genommen - demnächst Nordafrika über Spanien an das Netz der UCPTE angekoppelt wird. Ersatzweise biete sich die Hochspannungsgleichstromübertragung an, wobei die Transportverluste von der Sahara nach Deutschland weniger als 15 Prozent betragen würden. Nicht sinnvoll sei hingegen die elektrolytische Umwandlung des Solarstroms in Wasserstoff, um diesen dann zu transportieren und wieder zu verstromen. Diese Wasserstofftechnologie sei nur für den mobilen Einsatz in Autos oder Flugzeugen vorstellbar.

Soweit die recht optimistischen Darlegungen, mit denen Schlaich in diesem schmalen Büchlein allgemeinverständlich und doch technisch fundiert für den Bau eines großen Aufwindkraftwerks wirbt. Alles in allem gewinnt man aber nicht den Eindruck, als würde hier ein aktuell lohnendes Investitionsobjekt für die Energiewirtschaft beschrieben. Am ehesten käme eine Durchführung wohl für die Eigenversorgung von sonnenreichen Entwicklungsländern in Betracht, sofern von den Industrieländern die notwendige finanzielle Unterstützung gewährt wird. Man darf gespannt sein, ob es dem Ingenieur Schlaich gelingt, sein Projekt ein weiteres Mal und in noch größerem Maßstab in die Realität umzusetzen.

(PB 11/95/*leu)