PresseBLICK-Rezensionen Kernenergie



Hans Kiefer, Winfried Koelzer

Strahlen und Strahlenschutz

Heidelberg 1992: Springer-Verlag, 177 S., DM 38.-


Bayerisches Staatsministerium für Landes-entwicklung und Umweltfragen (Hg.)

Strahlenschutz - Radioaktivität und Gesundheit

München 1992: ISBN 3-910088-82-1


Die Strahlenbelastung unserer Umwelt ist ein wichtiges und lebhaft diskutiertes Thema. Die sachliche Erörterung der damit zusammenhängenden Probleme bleibt indessen meist Experten vorbehalten. Zu schwierig ist es für Nicht-Fachleute, sich einen Reim auf "Becquerel", "Gray" und "Sievert" zu machen, die "Energiedosis" von der "Äquivalentdosis" zu unterscheiden oder Begriffe wie "Nuklide", "Isotopen" und "Transurane" richtig einzuordnen.

Die vorliegenden Bücher möchten diesem Manko abhelfen. In beiden Fällen handelt es sich nicht um Neuerscheinungen, sondern um bearbeitete Neuauflagen von allgemeinverständlichen Einführungen in das Gebiet des Strahlenschutzes. Das Buch aus dem Springer-Verlag macht äußerlich - mit Hardcover, Bindung und weißem Papier - den gediegeneren Eindruck. Dafür kostet es allerdings 38 DM. Das zweite Buch, das von der bayerischen Landesregierung herausgegeben wird, ist kleinformatig, lediglich broschiert und auf grauem Recycling-Papier gedruckt. Dafür hat es den Vorteil, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit kostenlos erhältlich zu sein.

Als Einführung in das Gebiet des Strahlenschutzes leisten beide Bücher dem Leser gute Dienste. Die Vorzüge und Schwächen der jeweiligen Darstellung dürften sich ungefähr die Waage halten. Die Autoren Kiefer und Koelzer sind als professionelle Strahlenschützer am Kernforschungszentrum Karlsruhe tätig. Die Broschüre aus Bayern ist größtenteils von Mitarbeitern des Forschungszentrums Jülich verfaßt worden. Der Gebrauchswert beider Publikationen erhöht sich noch durch die Erläuterung von Fachausdrücken und Literaturnachweise im Anhang. Ein Stichwort-Verzeichnis hat allerdings nur das bei Springer erschienene Buch.

Die Broschüre der bayerischen Landesregierung verhehlt nicht, daß sie vor allem Ängsten und Vorbehalten gegenüber der Kernenergie entgegenwirken möchte, die in Bayern etwa 60 Prozent der Stromerzeugung und damit einen fast doppelt so großen Anteil wie im Bundesdurchschnitt stellt. "Der bestimmungsmäßige Betrieb kerntechnischer Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland ist mit einem minimalen Risiko verbunden", lautet ihr Fazit. "Durch intensive wissenschaftliche Forschung und umfangreiche technische Anstrengungen ist gewährleistet, daß bei der Nutzung der Kernenergie der Vorrang der menschlichen Gesundheit gegenüber wirtschaftlichem Nutzen sicher aufrecht erhalten wird."

Die natürliche Strahlenbelastung

Beide Bücher heben hervor, daß ionisierende Strahlung kein Phänomen des "Atomzeitalters" ist, sondern zu den natürlichen Existenzbedingungen aller Lebewesen gehört. Der Mensch ist sowohl aus dem Kosmos als auch aus dem Erdinnern heraus seit jeher einer Strahlenbelastung ausgesetzt, auf die sich der Organismus eingestellt hat. Die Autoren des Springer-Buches verweisen in diesem Zusammenhang darauf, daß jeder Mensch wegen des natürlichen Kalium-40 im Körper eine bestimmte Eigenstrahlung hat. Konkret bedeutet dies, daß selbst beim friedlichen Schlaf im häuslichen Doppelbett eine jährliche Strahlenbelastung von 0,1 µSv durch den Partner entsteht (bei einem Abstand von 50 cm in 3000 Stunden entsprechend 8 Stunden täglichen Schlafes).

Flugreise bringt höhere Belastung als KKW

Dieselben Autoren rechnen weiter vor, daß die natürliche Strahlung etwa ein Drittel der mittleren effektiven Äquivalentdosis von 3,9 mSv/Jahr je Bundesbürger ausmacht. In derselben Größenordnung liege die zivilisationsbedingte, ansonsten aber ebenfalls "natürliche" Strahlenbelastung, die durch das Wohnen in Häusern entsteht. Lediglich das restliche Drittel an künstlicher Strahlenbelastung sei neueren Ursprungs - und gehe auch hier fast ausschließlich auf das Konto der Röntgendiagnostik. Die Belastung durch kerntechnische Anlagen sei demgegenüber so gering, daß selbst beim Daueraufenthalt am Zaun eines Kernkraftwerks nur etwa 10 µSv/Jahr registriert würden. Dies sei halb soviel, wie beim Flug in den Urlaub durch die Höhenstrahlung anfalle. Die Strahlendosis durch Kernkraftwerke sei sogar häufig geringer als diejenige, die durch die Radionuklide in der Flugasche von Steinkohlekraftwerken verursacht werde.

Ähnlich argumentiert die Bayern-Broschüre. Hier findet man vorgerechnet, daß ein mittlerer Raucher sich im Laufe von 25 Jahren einer Strahlenbelastung von etwa 200 mSv aussetzt und der Genuß radiumreicher Mineralwässer bei 60 Litern jährlich bereits zu Knochendosen von mehr als 3 mSv führen kann. Es fehlt auch nicht der Hinweis auf das Radium-Heilbad Badgastein, wo schon normale Einwohner eine Bronchialzellendosis von bis zu 80 mSv/Jahr erhalten und das in einem "Heilstollen" tätige Personal sogar mit Dosen von bis zu 1600 mSv/Jahr rechnen muß.

Strahlenkranke Bergarbeiter im 16. Jahrhundert

Heute tun sich Mediziner schwer damit, die Wertschätzung von Radon als Therapeutikum noch einigermaßen plausibel zu begründen. Schon im 16. Jahrhundert grassierte unter Bergleuten des Erzgebirges eine geheimnisvolle "Schwindsucht", die sich inzwischen mit den hohen Radon-Konzentrationen in uranhaltigen Stollen erklären läßt. Später forderten der sorglose Umgang mit den neuentdeckten Röntgen-Strahlen und radioaktiven Leuchtstoffen etliche Todesopfer. Selbst nach dem Abwurf der ersten Atombomben wurde mit den Risiken ionisierender Strahlung noch immer sehr leichtfertig umgegangen. Bis zum Teststopp-Vertrag belasteten die Weltmächte durch zahlreiche oberirdische Atombomben-Tests die Atmosphäre. Noch heute wollen einige Staaten nicht von dieser vorsätzlichen Umweltverseuchung lassen.

Begrenzte Fähigkeit zur Selbstreparatur?

Seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 sind für eine breite Öffentlichkeit allerdings die Risiken von Kernkraftwerken in den Vordergrund der Befürchtungen getreten. Beide Bücher berücksichtigen diesen Umstand, indem sie jeweils ein besonderes Kapitel dem Unfall von Tschernobyl und seinen Auswirkungen widmen.

Der Streit darüber, ob jede Art und Dosis von ionisierender Strahlung bereits ein Gesundheitsrisiko bedeutet, ist noch nicht entschieden. Beide Bücher neigen zu der Auffassung, daß der Organismus innerhalb bestimmter Grenzen die Fähigkeit besitzt, die im molekularen Zellgewebe entstandenen Schäden zu reparieren. Dies wäre angesichts der seit jeher bestehenden natürlichen Strahlenbelastung plausibel (was nicht heißen muß, daß die natürliche Strahlenbelastung ungefährlich oder sogar lebensnotwendig sei). Es verhält sich auch sicher so, daß die bloße Radioaktivität eines Stoffes noch keinen hinreichenden Maßstab für dessen Gefährlichkeit bietet. Zum Beispiel macht es bei gleichen Becquerel-Werten einen großen Unterschied, ob Krypton-85 oder Jod-131 in die Biosphäre entweicht.

Es hängt nach Ansicht der Autoren von der jeweils zu errechnenden Äquivalentdosis ab, ob ionisierende Strahlung unterhalb der Schwelle akuter Strahlenerkrankung sogenannte "stochastische" (weil im Einzelfall nicht mit Sicherheit voraussagbare) Spätschäden hervorzurufen vermag. Die Bayern-Broschüre glaubt sogar schon jetzt voraussagen zu können, daß sich als Folge der erhöhten Strahlenbelastung durch Tschernobyl in den nächsten drei Jahrzehnten in Deutschland keine Zunahme an Krebstodesfällen, Erbschäden und anderen Effekten feststellen lassen werde.

Beiden Büchern ist deutlich zu entnehmen, daß die Emissionen aus Kernkraftwerken einen äußerst geringen Teil der effektiven Strahlenbelastung ausmachen. Dieses Ergebnis wird manchen überraschen. Für grundsätzliche Kritiker der Kernenergie dürfte deshalb allerdings noch kein Grund zur Entwarnung gegeben sein: Sie werden unter anderem ins Feld führen, daß Wirkungen und Wege ionisierender Strahlen noch lange nicht ausreichend geklärt seien und daß sich Katastrophen wie in Tschernobyl immer wiederholen könnten.

(PB 10/92/*leu)