PresseBLICK-Rezensionen Stromwirtschaft



Tagungsberichte des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln, Heft 29

Entscheidungsfindung und -steuerung bei wachsender Unsicherheit in der Energiewirtschaft

334 Seiten, DM 58.-, Oldenbourg Verlag 1997


Die Globalisierung der Märkte, Unternehmen und Dienstleistungen, wie sie Robert B. Reich in dem oben besprochenen Buch beschreibt, geht auch an der Energiewirtschaft nicht vorüber. Gerade dieser Wirtschaftsbereich war bisher nationalstaatlich geprägt. In etlichen Ländern wie Frankreich wird die Energieversorgung bis heute als staatliche Aufgabe gesehen. Und auch in Deutschland wurden der Energiewirtschaft lange Zeit quasi hoheitliche Aufgaben mit beamtenähnlichen Strukturen zugestanden. Die geplante Energierechtsreform wird mit den entsprechenden Privilegien Schluß machen. Schon jetzt sind die in vielen Jahrzehnten verfestigten Strukturen in Bewegung geraten. Noch nie gab es so viele Fusionen, Beteiligungen, Diversifizierungen, firmeninterne Umstrukturierungen und Rationalisierungen. Während sich deutsche Energieversorger reihum im Ausland engagieren, tauchen ausländische Unternehmen auf dem deutschen Energiemarkt auf und entstehen neue Konkurrenten in Gestalt der "Independent Power Producers".

Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln griff somit eine höchst aktuelle Problematik auf, als es am 23. April vorigen Jahres seine 29. Energiewirtschaftliche Tagung dem Thema "Entscheidungsfindung und -steuerung bei wachsender Unsicherheit in der Energiewirtschaft" widmete. Der vorliegende Band macht die dabei gehaltenen Referate und Diskussionsbeiträge nun einer breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich. Aus dem Bereich der großen Stromversorger beteiligten sich VIAG-Chef Georg Obermeier, EVS-Vorstand Ernst Hagenmeyer und VEAG-Vorstandssprecher Jürgen Stotz.

"Auch in der Energiewirtschaft ist der Autarkie-Gedanke nicht mehr zeitgemäß"

"Globale Marktwirtschaft bedeutet das Ende der Autarkie auch im energiewirtschaftlichen Bereich", stellt C. Christian von Weizsäcker in seinen einführenden Bemerkungen fest. Der Prozeß der politischen und wirtschaftlichen Globalisierung sowie die europäische Integration ließen es nicht mehr zu, das Selbstversorgungsprinzip in der Energiewirtschaft durchzuhalten. Auch die Rohstoffproduzenten seien auf den Absatz angewiesen, wie das inzwischen brüchige Kartell der Opec-Länder zeige. Der Golfkrieg vor fünf Jahren habe "das Prinzip der Verfügbarkeit von Energierohstoffen auf dem Weltmarkt auch von der militärischen Seite her klar beantwortet". Es gebe deshalb keinen triftigen Grund mehr, sich der Weltmarktkonkurrenz auch bei den Energierohstoffen zu entziehen: "Das Schicksal der deutschen Steinkohle ist 1991 am Persischen Golf entschieden worden."

Einen noch bedeutsameren Wendepunkt sieht der Leiter des Energiewirtschaftlichen Instituts im Jahr 1989, als mit dem Zusammenbruch des östlichen Systems das "Zeitalter der globalen Marktwirtschaft" begonnen habe. Da seitdem die Legitimation für ein anderes Steuerungssystem fehle, habe sich der Gedanke des Wettbewerbs überall durchgesetzt. Anstatt mit einem Systemkonkurrenten rivalisieren zu müssen, erweitere sich die Marktwirtschaft nunmehr selber, indem sie in bisher staatliche Wirtschaftsbereiche eindringe und den Wettbewerb auf internationaler Ebene intensiviere.

Daß es durch den verschärften Wettbewerb künftig auch in Deutschland, wie in den USA, zu geringeren Kapazitätsreserven und deshalb zu gelegentlichen Stromausfällen kommen könnte, hält Weizsäcker für kein Schreckensszenario. Im Gegenteil: Vielleicht hätten solche Stromausfälle sogar eine "heilsame Wirkung auf die Debatten in der öffentlichen Arena über die Energiepolitik", denn was man sich in dieser Hinsicht bisher in Deutschland leiste, sei "ein Luxusphänomen auf der Basis gesicherter Stromversorgung".

Stromversorger setzen auf neue Bereiche in der Nähe ihres Stammgeschäfts

VIAG-Chef Obermeier plädiert für eine behutsame Diversifikation seiner Branche, die auf der spezifischen Kompetenz der Energiewirtschaft aufbaut und somit nahe am Kerngeschäft bleibt. Sein Konzern bzw. das Bayernwerk hätten sich nach langen Überlegungen entschlossen, außerhalb des Stammgeschäfts mit Strom und Gas auf die Entsorgung und die Telekommunikation als zusätzliche Geschäftsfelder zu setzen. Bei der Entsorgung beschränke man sich auf die thermische Entsorgung, d.h. die Errichtung und den Betrieb von Abfallverbrennungsanlagen, weil dieses Geschäft dem Betrieb von Kraftwerken sehr ähnlich sei. Auch beim Einstieg in die Telekommunikation bleibe die Nähe zum Kerngeschäft gewahrt, da die Energieversorger seit jeher leistungsfähige Kommunikationsnetze betreiben.

Dank solcher Konzentration auf die Kernkompetenzen hofft Obermeier dann auch die Kostensenkungen bewältigen zu können, die der Wettbewerb den Energieversorgern aufzwingt. Kostenmanagement werde in den nächsten Jahren die deutsche Energiewirtschaft genauso beherrschen wie das schon bisher in der Industrie der Fall war.

Eher skeptisch sieht Obermeier den vieldiskutierten "shareholder value". Wie so vieles andere, das als vermeintliche Neuheit bei uns Aufsehen errege, stamme dieser Ansatz aus den USA, wo jedoch eine andere Struktur der Kapitalmärkte und ihrer Teilnehmer gegeben sei. Nach dem reinen "Shareholder value"-Denken müsse der Unternehmensgewinn den Aktionären möglichst schnell und vollständig zufließen. Für Energieunternehmen würde dies bedeuten, daß sie zwar ihr Stammgeschäft mit allen Wachstumsmöglichkeiten verfolgen, darüber hinaus aber nicht tätig werden dürften. Soweit sich internationale Anleger von dieser kurzfristigen Gewinnorientierung leiten ließen, sei das "shareholder value"-Denken aber auch für deutsche Energieversorger von großer Bedeutung, da sie zunehmend auf internationales Kapital zurückgreifen müßten.

Gigantischer Markt, aber auch neue Probleme durch Erweiterung des Stromverbunds

EVS-Vorstand Hagenmeyer skizziert die Erweiterungsmöglichkeiten, die sich für den westeuropäischen Stromverbund nach allen Himmelsrichtungen ergeben: Vor allem im Osten hätten sich durch den Fall des Eisernen Vorhangs Dimensionen eröffnet, die einen "nahezu schwindelig" machen. Kurz nach dem ostdeutschen Verbundnetz wurden 1995 auch Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn dem UCPTE-Netz angeschlossen. Noch während der Probetrieb mit diesen sogenannten Centrel-Ländern läuft, wird bereits über die Einbeziehung der Ukraine, Bulgariens und Rumäniens diskutiert. Zugleich erweitern neue Gleichstrom-Kabelverbindungen nach Schweden, Norwegen und Finnland die Möglichkeiten des Stromaustauschs mit Skandinavien. Im Süden ist ein Ring geplant, der von Spanien über Marokko, Algerien und Tunesien nach Italien führt. Ferner soll eine Direktverbindung zwischen Italien und Griechenland innerhalb des UCPTE-Netzes hergestellt werden. Noch in diesem Jahrzehnt wird so ein gigantischer Markt mit etwa 500 Millionen Menschen entstehen, der etwa 5000 Kilometer von Norden nach Süden reicht und eine Ost-West-Ausdehnung von etwa 7000 Kilometern hat.

Hagenmeyer gibt zu bedenken, daß bei dieser Erweiterung des UCPTE-Netzes politisch und wirtschaftlich stark differierende Staaten sowie sehr unterschiedliche Umweltstandards aufeinanderprallen werden: Man brauche nur daran zu denken, daß in der Ukraine noch vier Kernkraftwerke vom Tschernobyl-Typ in Betrieb seien. Ebenso würden pluralistische Marktstrukturen wie bei uns mit Staatshandels-Monopolen wie in den Centrel-Ländern zusammenprallen. Als neue Konkurrenten am Markt träten unabhängige Stromerzeuger auf. Am Ende werde dies alles dazu führen, daß Stromkontingente wie Waren an Börsen, mit Termingeschäften usw., gehandelt werden. Das einheitliche Preisniveau für Strom in Stadt und Land werde sich unter dem Druck des Wettbewerbs nicht länger halten lassen. Auch die Versorgungssicherheit werde nicht mehr den gewohnten Standard haben können.

Die EVS, die inzwischen mit dem Badenwerk zur Energie Baden-Württemberg AG fusioniert hat, diversifiziert ebenfalls kräftig. Hagenmeyer hebt wie Obermeier hervor, daß die neuen Geschäftsfelder eine gewisse Nähe zum Stammgeschäft aufweisen: Außer der Telekommunikation und der Abfallwirtschaft nennt er die Wasserwirtschaft, das Contracting bei Energiedienstleistungen sowie den Service- und Consulting-Bereich.

Als weiterer Vertreter der Verbundwirtschaft umreißt VEAG-Vorstandssprecher Stotz die Chancen und Unsicherheiten, die sich für sein Unternehmen aus dem Wettbewerb ergeben: Positiv hat sich die elektrische Wiedervereinigung der deutschen Netze sowie der Anschluß der Centrel-Länder ausgewirkt. Die VEAG ist dadurch in der Lage, Stromhandel mit allen Nachbarn in Nord, Ost und West treiben zu können. Negativposten sind dagegen der ununterbrochene Rückgang beim Stromabsatz in den neuen Bundesländern und die Probleme, die sich aus der politischen Verpflichtung zur Braunkohleverstromung ergeben.

Weitere Beiträge zu dieser Tagung beleuchten die Perspektiven des Wettbewerbs für die Bereiche Mineralöl (Veba Öl, Shell), Steinkohle (Ruhrkohle), Braunkohle (Rheinbraun, Mibrag), Erdgas (Ruhrgas) sowie die Kommunalwirtschaft (Stadtwerke Düsseldorf). - Nicht gerade eine leichte Lektüre, aber doch sehr aufschlußreich für Leser, die in den angesprochenen Bereichen tätig sind. Wer sich durch den Tagungsband hindurchgearbeitet hat, findet am Ende noch einen 30 Seiten umfassenden Artikel zur Entstehung, Bedeutung und Berechnung des Begriffs "shareholder value", den vorsorglich zu lesen nicht schaden kann...

(PB September 1997/*leu)