Udo Leuschner / Zur Geschichte des deutschen Liberalismus

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Die offene Spaltung der deutschen Liberalen in der Revolution von 1848/49

Als am 22. Februar 1848 in Paris die Revolution begann, sprang der Funke binnen weniger Tage von Frankreich auf Deutschland über: Am 29. Februar erhoben sich die Bauern im Odenwald und Schwarzwald. Am 13. März jagten die Wiener den Fürsten Metternich davon, die verhaßte Symbolfigur des alten Systems. Am 18. März gingen die Berliner gegen das königliche Militär auf die Barrikaden. Die alten Gewalten schienen wie gelähmt, der Sturmlauf der Volksbewegung auf der ganzen Linie siegreich.

Der Bruch zwischen "Ganzen" und "Halben"

Am 30. März 1848 versammelten sich die Mitglieder der bisherigen Ständekammern in Frankfurt als "Vorparlament". Der linke Flügel des Vorparlaments forderte ein demokratisch-republikanisches Deutschland unter Einbeziehung Preußens und Österreichs. Die Mehrheit sprach sich freilich für eine konstitutionelle Monarchie aus und favorisierte eine kleindeutsche Einigung unter der Führung Preußens. Die badischen Radikaldemokraten Struve und Hecker verließen darauf mit vierzig anderen Republikanern die Versammlung, um in Baden den bewaffneten Volksaufstand für die Republik vorzubereiten.

Der Bruch zwischen "Ganzen" und "Halben", zwischen Demokraten und gemäßigten Liberalen, hatte sich schon im Vormärz abgezeichnet. Infolge dieser Aufspaltung der liberalen Bewegung in radikale Liberale (überwiegend kleinbürgerlicher Herkunft) und gemäßigte Liberale (überwiegend großbürgerlichen Zuschnitts) schieden sich bald auch die Geister an Persönlichkeiten, die anfangs unumstrittene Volkshelden waren. Hier wären etwa Itzstein, Welcker, Bassermann, Mathy und Soiron zu nennen. Aus der Sicht der Radikalen mutierten sie nun von Volkstribunen zu "Maulliberalen" "Kammermandarinen" und "Paradedeputierten".

Der Auszug Heckers und Struves aus dem Vorparlament besiegelte diesen Bruch. Ehemalige Kampfgefährten standen sich nun als Gegner gegenüber. Symbolträchtigster Ausdruck dieser Spaltung des liberalen Lagers war die Verhaftung des Journalisten Fickler auf dem Karlsruher Bahnhof: Karl Mathy holte Fickler aus dem Zug heraus, als dieser sich der von Hecker geführten Aufstandsbewegung in Südbaden anschließen wollte.

Freilich war damals, Anfang April 1848, der Ausgang der militärischen Machtprobe noch unsicher. Die revolutionäre Stimmung befand sich zumindest in Baden und Mannheim noch auf dem Höhepunkt. Mathy mußte sich deshalb für die Verhaftung Ficklers vor dem Mannheimer Gemeinderat und in einer öffentlichen Versammlung auf dem Marktplatz rechtfertigen. Aus Frankfurt eilte Soiron, der frisch gewählte Präsident des Fünfzigerausschusses herbei, um ihm dabei zu helfen.

Hecker-Aufstand und Struve-Putsch

Am 20. April erlitten dann Heckers Freischaren ihr Debakel bei Kandern. Am selben Tag rückten nassauische Truppen nach Mannheim ein. Heckers Niederlage verbreitete sich aber zunächst als falsche Siegesnachricht. Noch am 22. April animierte die "Mannheimer Abendzeitung" zum Aufstand: "Man wünscht allgemein, daß in Mannheim ein entscheidender Schlag geführt werde... Konstanz ist Republik, folgt Mannheim nicht?"

Am 27. April wurde die nassauische Besatzung durch 1300 Kurhessen verstärkt. Die Regierung fühlte sich damit stark genug, in Mannheim aufzuräumen. Da Struve und Hecker nicht greifbar waren, wurden sie erst mal aus der Advokatenliste getilgt. Am 29. April wurden die demokratischen Zeitungsverleger Heinrich Hoff und Jean Pierre Grohe wegen Hochverrats verhaftet und mit anderen Republikanern nach Bruchsal ins Gefängnis gebracht. Der Großherzog verhängte den Kriegszustand. Am 1. Mai rückten zusätzlich noch bayerische Truppen in die Stadt ein, so daß dem rebellischen Volk eine Übermacht von ca. 8000 Mann gegenüberstand.

Am 11. Mai hob der Großherzog den Kriegszustand wieder auf. Die Revolution schien sich verflüchtigt zu haben. Am 18. Mai konstituierte sich in Frankfurt die Nationalversammlung, wobei Abgeordnete der gemäßigten liberalen Richtungen dominierten. Das Mandat des flüchtigen Hecker wurde angefochten und für ungültig erklärt.

Am 21. September versuchte Gustav Struve einen erneuten Aufstand, bei dem er in Lörrach die "deutsche Republik" proklamierte. Mannheim war als Sitz der provisorischen Regierung ausersehen. Badische Truppen bereiteten dem Struve-Putsch jedoch schnell ein Ende. Struve wurde gefangen genommen und nach Rastatt gebracht. Im März folgenden Jahres verurteilte ihn das Gericht in Freiburg zu fünf Jahren und vier Monaten Gefängnis wegen Hochverrats.

Die Kampagne für die Reichsverfassung

Die Revolution schwelte unterdessen weiter. Unter den badischen Demokraten griff die Überzeugung Platz, daß der Hecker-Aufstand und der Struve-Putsch erst das Vorspiel gewesen seien. "Die Reaktion hat ihren Kreislauf vollendet, und schon ist die Reihe wieder an der Revolution" schrieb die radikaldemokratische "Mannheimer Abendzeitung". Die Einnahme Wiens und die Erschießung Robert Blums konnten die Erbitterung nur noch steigern.

Der Anlaß zum Losbrechen bot sich im Frühjahr 1849. Nach langem Hin und Her hatte die Nationalversammlung endlich die Reichsverfassung verabschiedet. Sie war auf eine konstitutionelle Monarchie unter preußischer Führung zugeschnitten. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. ließ jedoch die Delegation aus Frankfurt abblitzen, die ihm untertänigst die deutsche Kaiserkrone antragen wollte. Als die preußische zweite Kammer die Annahme der Reichsverfassung empfahl, löste er sie kurzerhand auf und schickte die Abgeordneten nach Hause. Die Reaktion saß wieder fest im Sattel. Sie hatte es nicht mal mehr nötig, sich auf die Bourgeoisie zu stützen.

Obwohl die Paulskirchen-Verfassung gewiß nicht republikanischem Geschmack entsprach, betrieben die kleinbürgerlichen Demokraten nun in ganz Deutschland eine emsige Kampagne für die Annahme der Reichsverfassung. Am 3. Mai brach in Dresden der Aufstand aus. Der sächsische König flüchtete und rief preußische Truppen zu Hilfe, die den Aufstand in blutigen Straßenkämpfen niederschlugen. Auch in etlichen preußischen Städten kam es zu Unruhen. Am größten und nachhaltigsten war jedoch die bewaffnete Erhebung in Baden und der Pfalz. Der Umsturz in Baden konnte letzten Endes nur durch ausländische Intervention - nämlich durch preußisches Militär - rückgängig gemacht werden. Mit der blutigen Niederschlagung des badisch-pfälzischen Aufstandes sicherte sich Preussen die Führung in dem entstehenden kleindeutschen Obrigkeitsstaat, den dann Bismarck unter Dach und Fach brachte.

Der badisch-pfälzische Aufstand 1849

Am 12. Mai meuterten die Soldaten in der Festung Rastatt. Die eifrige Agitation der demokratischen Presse und Vereine zahlte sich jetzt aus: Die Masse der badischen Armee schloß sich der Revolution an und der Rest verhielt sich zumindest passiv. Der Großherzog flüchtete ins Elsaß. Am 14. Mai übernahm ein provisorischer Landesausschuß der Volksvereine mit Brentano an der Spitze "im Namen des abwesenden Großherzogs" die Regierung.

Am 21./22. Mai hielten sich Karl Marx und Friedrich Engels in Mannheim auf. Sie fanden die badisch-pfälzischen Truppen untätig und kritisierten den Mangel an Führung. Vergebens versuchten die beiden Radikaldemokraten, maßgebliche Vertreter der badischen Bewegung davon zu überzeugen, daß die Revolutionsarmee jetzt die Offensive ergreifen und unaufgefordert zum Schutz der Nationalversammlung nach Frankfurt marschieren müsse, um der Konterrevolution zuvorzukommen und eine gesamtdeutsche Erhebung einzuleiten.

Am 30. Mai wurden die badischen Truppen zwischen Heppenheim und Hemsbach von den Hessen geschlagen. Wenige Tage darauf übernahm der Pole Mieroslawski den Oberbefehl über die badisch-pfälzische Revolutionsarmee und machte Mannheim zu seinem Hauptquartier. Insgesamt standen Mieroslawski zwischen zwanzig- und dreißigtausend Mann zur Verfügung, wovon es der Hälfte jedoch an der nötigen Ausrüstung und Ausbildung mangelte. Die Preußen, die in drei Korps anrückten, verfügten dagegen über mindestens 52000 Mann.

Am 15. Juni eroberten die Preußen Ludwigshafen und begannen von dort aus mit der Beschießung Mannheims. Die Revolutionäre rollten alle verfügbaren zwölf Geschütze ans Rheinufer und deckten die Preußen vier Tage lang mit einem Feuerhagel ein. Ludwigshafen ging in Flammen auf. Die Beschießung leitete Otto von Corvin, der vor allem als Verfasser des "Pfaffenspiegel" bekannt geworden ist. Als die Preußen sahen, daß in Mannheim nichts auszurichten war, überschritten sie am 20. Juni bei Germersheim den Rhein. Mieroslawski sollte in die Zange genommen werden, indem gleichzeitig die Truppen der Konterrevolution von Hessen über den Neckar vorstießen. Am 21. Juni unterlag die Revolutionsarmee der feindlichen Übermacht bei Waghäusel. Mieroslawski gab darauf am 22. Juni den Befehl zum Rückzug nach Mittelbaden. Die Reste der Revolutionsarmee verschanzten sich in der Festung Rastattt, wo sie sich am 23. Juli 1849 der preußischen Übermacht ergaben.

Der Weg zur kleindeutschen Einigung unter preußischer Fuchtel war damit frei: Über die Leichen von Demokraten und Republikanern, die ein freieres und größeres Deutschland ersehnt hatten.