Udo Leuschner / Geschichte der FDP (48) |
15. Bundestag 2002 - 2005 |
Noch umstrittener als der Parteivorsitzende Westerwelle war die von ihm protegierte Generalsekretärin Cornelia Pieper. Westerwelle galt zwar allgemein als "Leichtmatrose", zugleich aber als unersetzlich, bis ein richtiger Kapitän gefunden sein würde. Die innerparteiliche Kritik an Pieper gipfelte dagegen in kaum verhüllten Rücktrittsforderungen. Sie wurde schlichtweg als unbedarft und inkompetent empfunden. Letztlich verdankte sie es nur ihrem Rückhalt bei den ostdeutschen Landesverbänden, daß Westerwelle sie gegen alle Widerstände im Amt hielt.
Die gelernte Dolmetscherin für Polnisch und Russisch war als ehemalige "Blockflöte" von der ostdeutschen LDP zur FDP gekommen und 2001 auf dem Düsseldorfer Parteitag als Nachfolgerin Westerwelles zur neuen Generalsekretärin gewählt worden. Bei allen berechtigten Zweifeln an ihrem geistigen und politischen Format für diesen Posten verfügte sie sicher über die Fähigkeit, Wähler in volkstümlicher Weise anzusprechen. Bei den Landtagswahlen im April 2002 in Sachsen-Anhalt war die FDP mit ihr als Spitzenkandidatin in die traumhafte Höhe von 13,3 Prozent der Stimmen vorgestoßen. Dies blieb auch fortan ihr größter Trumpf.
Denn als Generalsekretärin spielte Pieper eher die Rolle einer politischen Frühstücksdirektorin. Schon die Organisation des Bundestagswahlkampfes war weitgehend von Möllemann und anderen besorgt worden. Auch die anschließende Abrechnung mit Möllemann übertrug die Parteiführung von vornherein Günter Rexrodt. Die Wiederwahl zur Generalsekretärin auf dem Bremer Parteitag im Mai 2003 kam nur deshalb zustande, weil Westerwelle die Stimmen der ostdeutschen Landesverbände für die eigene Wiederwahl benötigte und das Abschneiden der FDP bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nicht gefährden wollte. Cornelia Pieper bekam auch nur 60,9 Prozent der Delegiertenstimmen gegenüber den an sich schon dürftigen 74,6 Prozent vor zwei Jahren in Düsseldorf.
Als die zeitweilige Angststarre, die laute Kritik an der Parteiführung nicht erlaubt hatte, nach dem Tod Möllemanns wieder wich, war vor allem die "Pieperin" Zielscheibe eines aufgestauten Unmuts, der in Teilen sicher auch Westerwelle galt. Der schleswig-holsteinische Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki gab ihr die Schuld dafür, daß die FDP bei der aktuellen Debatte um sozialpolitische Reformen nicht wahrgenommen werde. Ihr Auftreten sei "ohne jegliche politische Substanz". Auch der hessische Fraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn machte sie "mitverantwortlich für den nicht erfolgreichen Auftritt der FDP". Aus der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion war zu hören, die Generalsekretärin schade dem Bundesvorsitzenden, wenn auch unabsichtlich. Sie bringe "keine neuen Elemente in die Partei" und vermöge es nicht, "die FDP kampagnenfähig zu machen".
Ende Oktober 2003 erschien der "stern" mit einem recht gehässigen Artikel über Cornelia Pieper und ihr häusliches Ambiente: "Sie ist extrem nett, sehr lebenslustig, ein bißchen unbedarft und hat manchmal leider keine Ahnung." Scheinbar beiläufig berichtete das Blatt auch über eine Hanfpflanze, die der 18jährige Sohn Max in einem Topf kultivierte, ohne daß die Mama daran etwas Anstößiges fand. Daraufhin durchsuchte die Staatsanwaltschaft das Haus und stellte die Hanfpflanze sicher. Kubicki nahm dies zum Anlaß, um die Generalsekretärin als naiv zu bezeichnen und ihren Rücktritt zu fordern. Cornelia Pieper ließ dem Parteifreund ausrichten, er habe "nicht den Arsch in der Hose, einem direkt ins Gesicht zu sagen, was er von einem hält".
In der Diskussion um die Nachfolge von Bundespräsident Rau verärgerte die Generalsekretärin ihre Parteifreunde, indem sie sich ohne Absprache für eine Frau auf diesem Posten stark machte. In vertrauter Runde soll sie auch die ehemalige Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach als würdige Kandidatin genannt haben, obwohl die eher nach dem Geschmack der SPD war.
Ende 2004 setzte Pieper sich erneut in die Nesseln, indem sie in einem Strategiepapier mehr bildungspolitische Kompetenzen des Bundes forderte. Und zwar sollte die Kultusministerkonferenz durch einen nationalen Bildungsrat unter Beteiligung des Bundes ersetzt werden. Der hessische Fraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn warf Pieper vor, sich über einen gemeinsamen Beschluß der FDP-Fraktionen von Bund und Ländern hinweggesetzt zu haben, wonach Schulpolitik ausschließlich Sache der Länder ist. "Ich gehe davon aus, daß sie nach dem nächsten Bundesparteitag nicht mehr Generalsekretärin ist", meinte Hahn.
Mit Rücksicht auf ostdeutsche Empfindlichkeiten wollte Westerwelle seine Generalsekretärin aber nicht einfach in die Wüste schicken. Da traf es sich gut, daß Walter Döring wegen einer Korruptionsaffäre inzwischen als stellvertretender Bundesvorsitzender zurückgetreten war. Diesen Posten sollte Pieper auf dem nächsten Bundesparteitag als Entschädigung bekommen. Allerdings mußte dann noch ein gleichwertiger Posten für Birgit Homburger gefunden werden, die als neue Chefin des südwestdeutschen Landesverbandes für Döring nachgerückt war.
Die Korruptionsaffäre um die FDP-Politikerin Ulrike Flach eröffnete zudem im Januar 2005 die Möglichkeit, Pieper sofort zur Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu machen. Daß die Forderung nach ihrer Ablösung als Generalsekretärin eben erst mit Unfähigkeit auf bildungspolitischem Gebiet begründet worden war, schien dabei keine Rolle zu spielen.
Als neuen Generalsekretär hatte Westerwelle den niedersächsischen Fraktionschef Philipp Rösler in Aussicht genommen, der als eines der hoffnungsvollsten Nachwuchstalente der Partei galt. Rösler wollte aber lieber in Niedersachsen bleiben. Daraufhin entschied sich Westerwelle für den Bundestagsabgeordneten Dirk Niebel. Dies enthob ihn zugleich der Notwendigkeit, die Südwest-FDP für die Abtretung ihres Stellvertreter-Postens an Pieper zu entschädigen, denn Niebel gehörte zum Landesverband Baden-Württemberg.
Mit dem Kölner Bundesparteitag vom 5. bis 7. Mai 2005 fand die personalpolitische Rochade ihren Abschluß: Die Delegierten honorierten den endlich vollzogenen Wechsel im Amt des Generalsekretärs mit einem Vertrauensvorschuß von 92,5 Prozent für Dirk Niebel. Er erhielt damit erheblich mehr Stimmen als Parteichef Westerwelle, der ihn vorgeschlagen hatte (80,1 Prozent). Cornelia Pieper wurde vereinbarungsgemäß neben Rainer Brüderle (81,0 Prozent) und Andreas Pinkwart (76,6 Prozent) zur dritten stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt, erzielte aber mit 60,5 Prozent ein denkbar schlechtes Ergebnis. Weitere Mitglieder des Präsidiums wurden Schatzmeister Hermann-Otto Solms (90 Prozent), die bayerische Landesvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (76 Prozent), die baden-württtembergische Landeschefin Birgit Homburger (77 Prozent) sowie der niedersächsische Fraktionschef Philip Rösler, der die traumhaft hohe Zustimmung von fast 95 Prozent erzielte.
Westerwelle lobte bei der Vorstellung des neuen Generalsekretärs dessen „lebensbejahendes, fröhliches Wesen“. Der 42jährige Niebel war acht Jahre Fallschirmjäger bei der Bundeswehr und anschließend Arbeitsamtsvermittler in einer kleinen Außenstelle des Arbeitsamtes Heidelberg, bevor er die Politik zum Beruf machte. In der Bundestagsfraktion war er bisher als Arbeitsmarktexperte hervorgetreten. Besonders gern attackierte er den Einfluß der Gewerkschaften bei der Bundesanstalt für Arbeit. Im Bundestag zählte er zu den eifrigsten Zwischenrufern. Auch sonst verfügte er über eine unerschütterliche Kondition als Redner, womit er eine ganz wesentliche Voraussetzung für Politiker erfüllte. Ein wirklich liberales Profil ließ er aber bisher ebensowenig erkennen wie Westerwelle und andere FDP-Größen.
Bei seinem früheren Arbeitgeber war Niebel schon 1994 unangenehm aufgefallen,
weil er Sonderrechte beanspruchte, die ihm nicht zustanden. Niebel kandidierte damals
für die FDP im Bundestagswahlkreis Heidelberg-Schwetzingen. Die Bundesanstalt
für Arbeit gewährte ihm dafür, wie jedem anderen Arbeitsamtsbediensteten,
unbezahlten Wahlvorbereitungsurlaub. Doch das genügte dem forschen Nachwuchspolitiker
nicht: Er wollte persönlich darüber entscheiden, zu welcher Zeit er seiner
Arbeit nachgehen oder Wahlkampf führen würde. Als der Präsident der
Bundesanstalt für Arbeit sein Ansinnen ablehnte, weil es eine Verletzung von
Dienstvorschriften und des Grundsatzes der Chancengleichheit bedeutet hätte,
aktivierte Niebel seine Parteifreunde: Zuerst ließ er den baden-württembergischen
Wirtschaftsminister Walter Döring beim Landesarbeitsamt in Stuttgart intervenieren.
Als Döring keinen Erfolg hatte, wandte er sich sogar an den damaligen Bundesaußenminister
Klaus Kinkel, damit dieser beim Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit
oder beim Bundesarbeitsminister die Ausnahmeregelung für ihn durchsetze. Auch
dieser Versuch der Ämterpatronage schlug jedoch fehl.
Der kleine Arbeitsamtsangestellte verstieß ferner gegen die Dienstvorschriften,
als er sich selber im Computersystem der Bundesanstalt für Arbeit als „arbeitsuchend“
eingab. Den Mitarbeitern der Arbeitsverwaltung ist es untersagt, sich selbst oder
Familienangehörige intern auf diese Weise zu bevorzugen. Angeblich wollte er
damit seine Unzufriedenheit mit dem Arbeitgeber zeigen. Andererseits schien er einen
sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst doch sehr zu schätzen, denn
er hat sein Arbeitsverhältnis mit der Bundesanstalt auch dann nicht aufgelöst,
sondern ruhen lassen, als er hauptberuflich als Bundestagsabgeordneter der FDP in
die Politik eingestiegen war. In Kreisen von Ex-Kollegen wird sogar erzählt,
er habe bei der Bundesanstalt nachgefragt, ob er bei der Rückkehr aus der Politik
dort mit einem höher dotierten Posten rechnen könne...
Anscheinend war die Antwort auf diese Nachfrage negativ gewesen. Das könnte erklären,
weshalb Dirk Niebel sofort nach seinem Amtsantritt als Generalsekretär die Forderung
nach der Auflösung seines Ex- Arbeitgebers, der seit 2004 als „Bundesagentur
für Arbeit“ firmierte, ins Wahlprogramm der FDP hineinschrieb...