Udo Leuschner / Geschichte der FDP (42)

15. Bundestag 2002 - 2005


In elf von 16 Landtagen

Außerdem gelingt der FDP mit der Spitzenkandidatin Koch-Mehrin zum drittenmal der Sprung ins Europäische Parlament

Die FDP sei derzeit in der besten Verfassung seit der deutschen Einheit, erklärte der Vorsitzende Westerwelle am 13. Juni 2005 mit Blick auf die überraschend angekündigten Neuwahlen zum Bundestag. Sie sei "substantiell besser aufgestellt" als zur Bundestagswahl 2002, denn inzwischen regiere sie in fünf Landesregierungen mit und sei in elf Landtagen vertreten. Vor der letzten Bundestagswahl waren es vier Landesregierungen und sieben Landtage.

Auch in den fünf ostdeutschen Bundesländern ging es nun wieder aufwärts. Hier hatte die FDP bei den ersten Landtagswahlen im Jahr 1990 weit überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, diesen Vertrauensvorschuß aber grandios verspielt. 1994 war sie deshalb mit der Verbannung aus sämtlichen ostdeutschen Landesparlamenten bestraft worden. Auch bei den folgenden Landtagswahlen blieb sie überall unter fünf Prozent. Der triumphale Erfolg in Sachsen-Anhalt, der sie im April 2002 fast wieder in die Höhen von 1990 katapultierte, signalisierte noch keine eindeutige Wende. Die zeichnete sich erst jetzt ab, als sie bei den nachfolgenden Landtagswahlen auch in Sachsen die Fünf-Prozent-Hürde übersprang sowie in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Brandenburg etliche Stufen auf der Kellertreppe nach oben kam.

Indessen wäre es voreilig, aus der Verbesserung der Landtagswahlergebnisse eine entsprechend größere Zustimmung zur Politik der FDP ableiten zu wollen. Bestimmender Faktor auch auf Landesebene war vielmehr der Niedergang der rot-grünen Koalition in Berlin, der enorme Verluste der SPD sowie einen teilweise dramatischen Rückgang der Wahlbeteiligung zur Folge hatte. In Sachsen und Brandenburg spülte die Unzufriedenheit der Wähler sogar Neonazis ins Parlament. Im Regelfall aber verschoben sich die Kräfteverhältnisse stimmungsmäßig wie numerisch fast automatisch zugunsten von CDU und FDP. Beispielsweise konnte bei den Wahlen im Saarland die CDU ihren Stimmenanteil von 45,5 auf 47,5 Prozent steigern, obwohl sie in Wirklichkeit 44.000 Wählerstimmen weniger bekam. Und im Windschatten der CDU profitierte die FDP, die mehr denn je aus demselben Wählerreservoir schöpfte und auf "Leihstimmen" zur Erfüllung ihrer Rolle als Mehrheitsbeschafferin angewiesen war. Daß diese Leihstimmen im wesentlichen nur von der CDU kommen konnte, zeigte sich in Schleswig-Holstein, wo die FDP durch ihre schwankende Koalitionsaussage die sonst mögliche Regierungsmehrheit mit der CDU knapp verfehlte.

Erholung in Mecklenburg-Vorpommern

In Mecklenburg-Vorpommern, wo die Landtags- mit der Bundestagswahl zusammenfiel, konnte die FDP am 22. September 2002 zwar erneut nicht in den Landtag einziehen, aber ihren Stimmenanteil von zuletzt 1,6 auf 4,7 Prozent steigern. Der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, der ihr bis dahin nur bei den ersten Wahlen nach der Wende gelungen war, schien damit wieder in greifbare Nähe zu rücken.

Hessische FDP verzichtet auf Regierungsbeteiligung "am Katzentisch"

In Hessen errang die FDP am 2. Februar 2003 mit einem Zuwachs von 5,1 auf 7,9 Prozent ihr bisher höchstes Wahlergebnis seit 1966. Wenn sie sich doch nicht so recht über den Erfolg freuen konnten, lag dies daran, daß die CDU die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag bekam und die neun FDP-Abgeordneten nicht zum Regieren brauchte. Der amtierende Ministerpräsident Roland Koch hatte der FDP zwar noch am Wahlabend angeboten, sie weiterhin an der Regierung zu beteiligen. Diese wollte jedoch "nicht am Katzentisch der Macht teilnehmen".

Es war vor allem die Landesvorsitzende und bisherige Wissenschaftsministerin Ruth Wagner, die auf Kochs Angebot nicht eingehen wollte. Sie fürchtete um das Ansehen der Partei, wenn diese gewissermaßen ihr Gnadenbrot von der CDU bekam, ohne über das notwendige Eigengewicht zur Durchsetzung politischer Positionen zu verfügen. Außerdem hatte sie bereits im Wahlkampf die prinzipielle Koalitionsaussage zugunsten der CDU mit der Ankündigung verbunden, im Falle einer absoluten CDU-Mehrheit in die Opposition gehen zu wollen. Viele Funktionäre sahen dies allerdings anders. Sie argumentierten damit, daß die Wähler die Fortsetzung der Koalition gewollt hätten und die Partei in der Opposition kaum noch wahrgenommen werde. Ruth Wagner mußte mit ihrem Rücktritt drohen, um im Landesvorstand ihre Position durchzusetzen. Beim anschließenden Landesparteitag am 27. April 2003 gab es ebenfalls Kritik wegen des freiwilligen Pfründenverzichts. Ruth Wagner wurde zwar ohne Gegenkandidat für zwei weitere Jahre wiedergewählt, erzielte aber mit nur 73,5 Prozent der Stimmen ein um zehn Prozentpunkte schlechteres Ergebnis als bei der letzten Wiederwahl.

In der selbstgewählten Oppositionsrolle profilierte sich die FDP mit einer wohldosierten Mischung aus Lob und Tadel als liberales Gewissen der CDU-Landesregierung. Zum Beispiel wandte sie sich gegen Pläne, DNA-Proben zur Überführung von Schwarzfahrern zu erlauben, verteidigte aber den Justizminister gegen Vorwürfe der SPD, auf ein Verfahren Einfluß genommen zu haben. Insgesamt blieb sie mit der CDU in freundschaftlicher Tuchfühlung. Ministerpräsident Koch hielt sich den zeitweilig nicht mehr benötigten Koalitionspartner ebenfalls warm, indem er weiterhin einen Regierungspräsidenten, den stellvertretenden Regierungssprecher und einen Staatssekretär mit FDP-Parteibuch beschäftigte.

In Niedersachsen im Landtag und in der Regierung

Rundum ein Erfolg waren dagegen die Landtagswahlen in Niedersachsen, die am selben Tag wie in Hessen stattfanden. Die FDP verbesserte sich von 4,9 auf 8,1 Prozent und konnte damit zum ersten Mal seit 1994 wieder in den Landtag einziehen. Zugleich büßte die bisher regierende SPD ihre absolute Mehrheit ein, so daß die FDP gemeinsam mit der CDU die neue Landesregierung stellen konnte.

Zuerst wollte der niedersächsische Landesvorsitzende Walter Hirche ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen. Acht Wochen vor dem Wahltermin änderte er seine Strategie zugunsten der CDU. Er begründete dies mit der von Ministerpräsident Gabriel (SPD) angefachten Diskussion um eine Erhöhung der Vermögenssteuer. Der wirkliche Grund dürfte gewesen sein, daß Gabriel weiterhin auf eine absolute Mehrheit der SPD setzte, die FDP aber nur mit Leihstimmen den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen konnte, den sie schon zweimal hintereinander verfehlt hatte. Der CDU-Spitzenkandidat Christian Wulff hatte ebenfalls keine Chancen, sich allein gegen die SPD oder ein rot-grünes Bündnis durchzusetzen. Die Koalitionsaussage zugunsten der CDU wurde unter diesen Umständen von Wulff dankbar angenommen.

Anfang März 2003 waren die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen. Walter Hirche wurde Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. Der FDP-Landtagsabgeordnete Hans-Heinrich Sander durfte das Amt des Umweltministers übernehmen. Die übrigen sieben Kabinettsposten gingen an die CDU.

Ein Mandat in Bremen

Bei den Wahlen in Bremen am 25. Mai 2003 konnte die FDP zum ersten Mal seit 1995 wieder ins Parlament einziehen. Sie errang zwar insgesamt nur 4,4 Prozent, profitierte aber von einer Besonderheit des Bremer Wahlgesetzes, wonach es ausreicht, wenn in Bremen oder in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde überwunden wird. Da sie es in Bremerhaven geschafft hatte, erhielt sie ein Mandat.

In Bayern weiterhin ohne Chancen

Die Hoffnung, auch in Bayern den Wiedereinzug ins Parlament zu schaffen, erfüllte sich dagegen nicht. Die FDP war hier 1962 zum letzten Mal an einer Regierung beteiligt gewesen und seit 1994 nicht mehr im Landtag vertreten. Bei den Wahlen des Jahres 1998 hatte sie mit 1,7 Prozent das schlechteste Ergebnis seit ihrem Bestehen erzielt und drohte in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Auf einem Landesparteitag im Dezember 2000 war daraufhin die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegen den glücklosen Hermann Stützer angetreten und mit knapper Mehrheit zur neuen Landesvorsitzenden gewählt worden. Zumindest mitgliedermäßig ging es mit der Partei seitdem wieder aufwärts. Der folgende Landesparteitag bestätigte die Vorsitzende mit großer Mehrheit. Unter Verweis auf die 4,5 Prozent bayerischen FDP-Stimmen bei den vergangenen Bundestagswahlen gab Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sich zuversichtlich, dieses Ergebnis auch bei den Landtagswahlen halten und übertreffen zu können.

Das war freilich Zweckoptimismus, denn diese 4,5 Prozent basierten größtenteils auf den "Leihstimmen" von CSU-Wählern. Bei Landtagswahlen gab es für diese keinen Grund, ihre Zweitstimme der FDP zu geben, da die CSU keinen Koalitionspartner benötigte. Im übrigen hatte die FDP auch bei den Bundestagswahlen in Bayern ihr schlechtestes Ergebnis erzielt. So schnitt sie dann zwar bei den Landtagswahlen am 21. September 2003 mit 2,6 Prozent etwas besser ab als 1998, blieb aber weit unter fünf Prozent. Von der SPD, die von 28,7 auf 19,6 Prozent der Zweitstimmen abstürzte, gab es offenbar nichts zu erben. Die Grünen, in deren Wählerschaft die Linksliberale Leutheusser-Schnarrenberger ebenfalls einzudringen hoffte, verbesserten sich dagegen von 5,7 auf 7,7 Prozent der Zweitstimmen. Triumphaler Sieger war die CSU, die nun ihre absolute Mehrheit sogar zur Zwei-Drittel-Mehrheit ausbauen konnte. Zugleich sank allerdings die Wahlbeteiligung auf einen historischen Tiefstand von 57,3 Prozent, so daß nicht einmal die CSU behaupten konnte, von der Mehrheit der Wahlberechtigten legitimiert zu sein...

In Hamburg nur noch 2,8 Prozent

Die erste Landtagswahl des folgenden Jahres war eine noch größere Enttäuschung, denn in Hamburg kam die FDP am 29. Februar 2004 nur noch auf 2,8 Prozent. Sie schied damit sowohl aus dem Parlament als auch aus der Regierung aus. Dies schmerzte auch deshalb, weil gleichzeitig die CDU einen triumphalen Wahlsieg errang und fortan allein regieren konnte. Auch die Grünen konnten sich verbessern. Nur die FDP hatte vom Zerfall der populistischen Schill-Partei und dem Niedergang der SPD nicht nur nicht profitiert, sondern sogar Wähler verloren.

Einer der Gründe war die wenig gute Figur, welche die FDP im Senat machte. Im November 2003 hatte Bildungssenator Rudolf Lange wegen einer Finanzierungslücke von fast 40 Millionen Euro bei den Kindertagesstätten zurücktreten müssen. Sein Nachfolger, der FDP-Landesvorsitzende Reinhard Soltau, wirkte noch blasser und war in dem bröckelnden Bündnis von CDU, Schill-Partei und FDP von vornherein nur eine Übergangslösung.

Mit einer hübschen Lobbyistin ins Europaparlament

Die Katerstimmung, die sich nach der Hamburg-Wahl in der Parteiführung breitmachte, wich heller Begeisterung, als die FDP bei den Europawahlen am 13. Juni 2004 auf 6,1 Prozent kam. Sie konnte damit sieben Sitze im Europaparlament erringen, in das sie bisher nur 1979 und 1989 den Einzug geschafft hatte.

Der Erfolg war allerdings weniger der politischen Ausstrahlung der FDP als der persönlichen Attraktivität der Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin zu verdanken. Die 33jährige, die seit 1991 der FDP und seit 1999 dem Bundesvorstand angehörte, war von Parteichef Westerwelle protegiert und gegen parteiintern bekanntere Kandidaten durchgesetzt worden. Eine renommierte Werbeagentur bekam den Auftrag, die Spitzenkandidatin ins gebührende Licht zu rücken.

Europarteitag mußte wegen Formfehlers und drohendem Ausschluß von der Wahl wiederholt werden

Das hübsche Gesicht auf den Plakaten gehörte einer Lobbyistin, die in Brüssel ihr Geld damit verdiente, Unternehmen die Türen der EU-Bürokratie zu öffnen. Dieser kleine Schönheitsfehler der attraktiven Kandidatin schien in der FDP niemanden zu stören. Schließlich hatten es führende FDP-Politiker von Rexrodt bis Bangemann noch nie als anstößig empfunden, wahlweise als Volksvertreter, Regierungsmitglied und Lobbyist tätig zu sein.

Nur einen störte es: Das Berliner FDP-Mitglied Peter Landauer verlangte beim Europarteitag der FDP am 17. Januar 2003 in Saarbrücken von allen Kandidaten für die Europawahl-Liste der Partei eine Erklärung, daß sie als Abgeordnete keine bezahlte Lobbyisten-Tätigkeit ausüben würden. Andernfalls werde er - quasi als Alternative - ebenfalls seine Kandidatur für die Liste anmelden.

Vor lauter Eifer, Silvana Koch-Mehrin alle Steine aus dem Weg zu räumen, beging das Tagungspräsidium den Fehler, Landauers Intervention in allen Punkten vom Tisch zu wischen. Westerwelle fand es "würdelos", die Spitzenkandidatin Koch-Mehrin mit einer so profanen Frage zu belästigen. Und auch Landauers Kandidatur für die Europawahl-Liste der Partei wurde abgelehnt, weil sie - so die Begründung - nicht noch von anderen Delegierten unterstützt worden sei. Als Landauer den Europaparteitag deshalb nachträglich anfocht, kamen der Parteiführung aber doch Bedenken, ob ihr Verhalten einer juristischen Überprüfung standhalten würde. Schlimmstenfalls wäre die FDP von der Europawahl ganz ausgeschlossen worden. Am 8. März beschloß der Bundesvorstand deshalb, den Europaparteitag am 28. März in Bonn zu wiederholen.

Bei dieser Sachlage hatte Parteichef Westerwelle allen Grund zur Erleichterung, als die ersten Hochrechnungen der FDP den Wiedereinzug ins Europaparlament verhießen: "Ein wunderbarer Erfolg, ein großartiger Erfolg, ein fabelhaftes Ergebnis" jubelte er immer wieder und strahlte mit der frisch zur Volksvertreterin gekürten Lobbyistin um die Wette...

"Achtungserfolg" in Thüringen

Nicht so erfreulich war das Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen, die am selben Tag wie die Europawahl stattfand. Die FDP war hier bisher nur bei den ersten Wahlen nach dem Ende der DDR ins Parlament gelangt. Nun scheiterte sie mit 3,6 Prozent ein weiteres Mal, konnte sich aber immerhin um 1,1 Prozentpunkte verbessern. Guido Westerwelle sprach von einem "Achtungserfolg". Spitzenkandidat Uwe Barth tröstete sich damit, daß das Ergebnis von 1999, als die FDP auf 1,1 Prozent abgestürzt war, immerhin verdreifacht worden sei.

Der Thüringer Landesverband litt noch immer unter internen Streitigkeiten, die in persönlichen Anfeindungen gegipfelt und im Juni 2002 zur Ersetzung des Landesvorsitzenden Andreas Kniepert durch den Bundestagsabgeordneten Karlheinz Guttmacher geführt hatten. Ein Mitglied des Vorstandes soll sogar versucht haben, einem anderen pornographische Bilder auf den Computer zu spielen. Einem weiteren Vorstandsmitglied soll man eine außereheliche Affäre angedichtet haben. Noch auf dem Landesparteitag im März 2003 hatte Kniepert eine Entschuldigung für ihm angetanes Unrecht verlangt, doch entschieden die Delegierten mit Zweidrittelmehrheit auf Nichtbefassung und zogen damit einen Schlußstrich unter das "Seuchenjahr 2002". Seit November 2003 führte Uwe Barth den Landesverband. Im September 2004 bestätigte ihn ein Landesparteitag mit 72,1 Prozent der Delegierten. Sein Gegenkandidat Kniepert erhielt 25,3 Prozent.

An der Saar wieder im Landtag

Im Saarland schaffte die FDP nach zwei vergeblichen Anläufen am 5. September 2004 den Wiedereinzug in den Landtag: Mit 5,2 Prozent durfte sie drei Abgeordnete entsenden. Die etwas großspurige Ankündigung des Landesvorsitzenden Christoph Hartmann - "bei der Landtagswahl werden wir die absolute Mehrheit der CDU brechen" - erfüllte sich aber nicht. Die CDU konnte vielmehr ihre bis dahin knappe absolute Mehrheit beträchtlich ausbauen und benötigte die FDP in keiner Weise zum Regieren.

Die sächsische FDP kommt mit "Herz statt Hartz" ins Parlament

Zwei Wochen später, am 19. September 2004, konnte die FDP auch in Sachsen wieder die Fünf-Prozent-Hürde überspringen und mit sieben Abgeordneten in den Landtag einziehen. Die 5,9 Prozent entsprachen zwar nicht ganz den "7,3 Prozent plus X", die der Landesvorsitzende Holger Zastrow offiziell angepeilt hatte, waren aber unter den gegebenen Verhältnissen ein recht gutes Ergebnis.

Wie in den anderen ostdeutschen Ländern war die FDP auch in Sachsen nur bei den ersten Landtagswahlen im Jahr 1990 ins Parlament gewählt worden. Sie profitierte dabei von den alten Mitgliedern, Wählern und Strukturen der LDP, die einmal die liberale Opposition zum SED-Regime vertreten hatte, bevor Ulbricht sie völlig gefügig machte und dem Herrschaftssystem eingliederte. Vor allem in Sachsen-Anhalt und Sachsen war die LDP traditionell ähnlich stark verankert wie die FDP/DVP im Südwesten Deutschlands. Aber auch die sächsischen Wähler hatten die FDP gnadenlos die Kellertreppe hinabgestürzt, nachdem sie sich als typisch westdeutsche Partei mit ausgeprägtem Faible für "Besserverdienende" entpuppte.

Der neue sächsische Landesvorsitzende Holger Zastrow führte deshalb seinen Wahlkampf mit deutlich anderen Tönen, als sie vom Bundesvorstand und dem Bundesvorsitzenden Westerwelle zu hören waren. "Es war ein Fehler, daß die Ost-FDP sich so lange das Konzept der West-FDP übergestülpt hat", erkannte der Werbefachmann, dessen Agentur praktischerweise zugleich die FDP-Wahlwerbung verantwortete. Mit dem Slogan "Herz statt Hartz" schien sich die sächsische FDP nicht nur von den sogenannten Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung zu distanzieren, sondern auch von der Bundespartei, die an dem umstrittenen "Hartz"-Katalog allenfalls auszusetzen hatte, daß die sozialen Einschnitte nicht tief genug seien. Ein andere populistische Forderung lautete "Diäten runter!"

Das Wahlergebnis enthob die sächsische FDP der Peinlichkeit, die Formel "Herz statt Hartz" präzisieren zu müssen. Denn auch die Grünen schafften knapp den Wiedereinzug in den Landtag. Die FDP-Mandate (7) reichten deshalb nicht aus, um der CDU (55) eine Mehrheit gegenüber PDS (31), SPD (13), Grünen (6) und NPD (12) zu sichern. Der CDU-Vorsitzende Georg Milbradt, der die FDP ohnehin nicht sonderlich mochte und sie schon mal als "Spontitruppe" bezeichnete, gründete unter diesen Umständen seinen Amtsantritt als Ministerpräsident auf eine Große Koalition mit der SPD.

In Brandenburg leichte Zunahme

Am selben Tag wie in Sachsen wurde auch in Brandenburg gewählt. Hier konnte sich die FDP von 1,9 auf 3,3 Prozent verbessern und damit wie in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen neue Hoffnung schöpfen, daß die vierte Wahlperiode zugleich die letzte Etappe der seit 1994 währenden Durststrecke sei. Selbst beim Einzug in den Landtag wäre in Brandenburg eine Regierungsbeteiligung nicht in Sicht gewesen, da die CDU mit 20 Sitzen nur die drittstärkste Kraft nach SPD (33) und PDS (39) bildete.

Kubicki verfehlt in Schleswig-Holstein knapp die Regierungsbeteiligung

Die ersten Landtagswahlen des Jahres 2005 fanden am 20. Februar in Schleswig-Holstein statt. Sie bescherten der FDP den erneuten Einzug in den Landtag, aber nur noch mit 6,6 anstelle von 7,6 Prozent. Mit nur 745 Wählerstimmen mehr hätte die FDP fünf statt vier Mandate errungen und mit der CDU (30) eine knappe Regierungsmehrheit gegenüber SPD (dann 28 statt 29), Grünen (4) und Südschleswigschem Wählerverband (2) bilden können.

Der Bundesvorsitzende Westerwelle und der Landesvorsitzende Koppelin verlangten eine Neuauszählung der Stimmen und behaupteten, dies sei "eine Frage der politischen Legitimation". Sie eiferten damit den Grünen nach, die 1992 das Ergebnis der Kieler Landtagswahl anzufechten versuchten, weil sie mit 4,97 Prozent knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben waren. Hier wie dort gab es jedoch keine stichhaltigen Gründe, die eine Überprüfung des Wahlergebnisses gerechtfertigt hätten.

Der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki hatte als Zielmarke für die Wahl "zehn Prozent plus" angegeben und sich zunächst klar für eine Koalition mit der CDU ausgesprochen, um die rot-grüne Landesregierung von Heide Simonis (SPD) abzulösen. Kurz vor der Wahl war er dann aber schwankend geworden, weil der Niedergang der SPD ebenfalls die Chance einer Regierungsbeteiligung zu bieten schien. In einem Zeitungsinterview kritisierte Kubicki die Landes-CDU und ließ die Möglichkeit einer Koalition mit der SPD offen. Den Wahlforschern zufolge hat er dadurch mehr Leihstimmen-Geber von der CDU verprellt als von der SPD gewonnen. "Die FDP hatte den Wahlsieg des bürgerlichen Lagers in der Hand - und hat ihn leichtfertig verspielt", kommentierte die "Frankfurter Allgemeine".

Zunächst versuchte Heide Simonis, die rot-grüne Koalition unter Duldung des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) weiterzuführen, was aber schon in der konstituierenden Sitzung des Landtags an einem Dissidenten aus den eigenen Reihen scheiterte. Daraufhin kam es zu einer Großen Koalition, in der die CDU als stärkste Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Peter Carstensen den Ministerpräsidenten stellte.

Nach Bremen, Sachsen und Brandenburg war dies die vierte Große Koalition auf Landesebene. In weiteren fünf Ländern - Hessen, Bayern, Hamburg, Thüringen und Saarland - regierten die Unionsparteien mit absoluter Mehrheit. Lediglich in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen wurde die FDP von der CDU zum Regieren benötigt. Außerdem saß sie in Rheinland-Pfalz weiterhin mit der SPD am Kabinettstisch.

In Düsseldorf mit der CDU am Kabinettstisch

Die Landtagswahl am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen vermehrte die Zahl der CDU/FDP-Regierungen dann auf fünf und verdrängte so vorübergehend das Schreckgespenst Großer Koalitionen, das die FDP noch mehr fürchtete als die bloße Oppositionsrolle. Es war allgemein erwartet worden, daß die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf vor allem aus Unzufriedenheit mit der Politik der rot-grünen Bundesregierung in Berlin von den Wählern "abgewatscht" werden würde. Umfragen signalisierten der FDP einen Stimmenanteil von etwa sieben Prozent, womit die künftige Koalition mit der CDU als gesichert gelten konnte.

Tatsächlich erhielt die FDP dann 6,2 Prozent. Das war deutlich weniger als die 9,8 Prozent bei den Wahlen vor fünf Jahren, die aber ein von Möllemann erzielter Ausreißer vom langjährigen Mittel waren, das bis dahin vier Jahrzehnte lang bei rund sechs Prozent gelegen hatte. In Anbetracht der eher farblosen Spitzenkandidaten und der schweren Turbulenzen, die der von der Möllemann-Affäre geschüttelte Landesverband durchgemacht hatte, war es sogar erstaunlich viel. Offenbar hatten viele CDU-Wähler der FDP ihre Zweitstimme aus rein taktischem Kalkül gegeben, um einen Regierungswechsel zu ermöglichen.

Jedenfalls wurde die FDP nicht wegen, sondern eher trotz ihres Personals gewählt. Der Spitzenkandidat Ingo Wolf machte hauptsächlich als hochdotierter Kostgänger des Staates von sich reden, der neben der dreifachen Abgeordnetendiät als FDP-Fraktionsvorsitzender eine Pension von mehr als 6000 Euro als ehemaliger Oberkreisdirektor erhielt und damit mehr als 200.000 Euro jährlich kassierte. Daß er schnell noch eine Stiftung für sozial benachteilige Kinder gründete und mit einer sechsstelligen Summe zu unterstützen versprach, konnte das Bild von "Florida-Wolf" nicht mehr nachhaltig ändern. Die FDP machte sich selber keine Illusionen über die Zugkraft ihres Spitzenkandidaten und plakatierte an seiner Stelle lieber den Bundesvorsitzenden Westerwelle, obwohl dieser in Nordrhein-Westfalen gar nicht zur Wahl stand.

Hinzu kamen weitere Peinlichkeiten. Noch unvergessen war eine Dienstreise der FDP-Landtagsfraktion im Frühjahr 2004, bei der verschiedene Abgeordnete ihrem Kollegen Friedrich Wilke geholfen hatten, sechs Stangen Zigaretten über die deutsch-polnische Grenze zu schmuggeln. Einer der Beteiligten war der innenpolitische Sprecher Horst Engel, der von Beruf Polizeihauptkommissar war und mehrfach hartes Durchgreifen gegen Kleinkriminelle gefordert hatte.

Noch mehr Befremden löste der Abgeordnete und frühere Landesvorsitzende Joachim Schultz-Tornau aus, als er auf seiner Internetseite den Mörder Magnus Gäfgen gegen den Vorwurf in Schutz nahm, ein "unbarmherziger Killer" zu sein. Gäfgen hatte einen Bankierssohn entführt und umgebracht, um mit dem von den Eltern erpreßten Geld weiterhin den gutbetuchten Jüngling spielen zu können. Schultz-Tornau besuchte den mörderisch Gescheiterten mehrfach im Gefängnis. Auf seiner Internetseite beschrieb er ihn als "hochbegabt, hochsensibel, mit sympathischen Zügen, aber fast grenzenloser Torheit". In der Tat hätte Gäfgen vor dem Verbrechen von seinem ganzen Habitus her als Muster eines neoliberalen Yuppie gelten können. Soviel Sympathie vermochte sonst aber niemand aufzubringen. Vor allem nicht, nachdem die "Bild-Zeitung" Schultz-Tornaus "Plädoyer für einen Mörder" genüßlich ausgewalzt hatte. Die Parteifreunde waren hell entsetzt über die grenzenlose Torheit, mit der Schultz-Tornau unmittelbar vor den Landtagswahlen den Einzug in den Landtag gefährdete.

Da traf es sich gut, daß unbekannte Gönner der FDP wenige Tage vor der Wahl die kostenlose Plakatierung auf über 1700 Großflächen ermöglichten. Angeblich handelte es sich um eine Aktion von Unternehmen der Werbewirtschaft. Zum Teil sei die Plakataktion auch durch eine normale Großspende ermöglicht worden, gab die Landesgeschäftsführung an. Der Gesamtwert der Aktion wurde auf 200.000 Euro geschätzt. Das war immerhin ein Fünftel des gesamten bisherigen Wahlkampfbudgets, das mit rund einer Million Euro beziffert wurde.

Der Landesvorsitzende Andreas Pinkwart, der im Dezember 2002 die Nachfolge Möllemanns angetreten hatte, durfte nun im Kabinett des neuen CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie übernehmen. Zugleich wurde er stellvertretender Ministerpräsident. Der frühere Fraktionschef Ingo Wolf bekam das Innenministerium.

Bisher hatte die FDP fast immer das Wirtschaftsministerium gefordert und auch erhalten. Sie verwaltete dieses Ressort in fünf der insgesamt sechs Regierungskoalitionen, die sie seit Kriegsende in Nordrhein-Westfalen mit CDU und SPD eingegangen war. Unter Rüttgers bekam sie es nicht. Anscheinend hielt dieser es für zu riskant, seine Wirtschaftspolitik durch die Partei der neoliberalen Ultras repräsentieren zu lassen.

Die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen blieben die letzten im Rahmen der 15. Legislaturperiode des Bundestags. Denn als Konsequenz aus dem Siechtum der SPD, das sich bei den für März 2006 anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sicher fortgesetzt hätte, zog Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Schrecken ohne Ende ein Ende mit Schrecken vor, wodurch die 15. Legislaturperiode vorzeitig endete.

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