Udo Leuschner / Geschichte der FDP (40)

15. Bundestag 2002 - 2005


Die Strafaktion geht weiter

Walter Döring macht sich unbeliebt, weil er für Milde gegenüber Möllemann plädiert und auf die Mitschuld Westerwelles verweist

Die inquisitorische Härte, mit der die Parteiführung gegen Möllemann vorging und ihn zum Sündenbock für das enttäuschende Wahlergebnis machte, rief Ende 2002 den Widerspruch von Walter Döring hervor. Der baden-württembergische Landesvorsitzende hatte zu den schärfsten Kritikern Möllemanns gehört und war deshalb persönlicher Sympathien unverdächtig. Nun aber warnte er davor, Möllemann die Schuld an möglichen Niederlagen der Partei bei kommenden Wahlen in die Schuhe schieben zu wollen. Die FDP müsse jetzt darauf achten, Möllemann fair zu behandeln: "Jedes Nachtreten oder Triumphgeheul muß unterbleiben."

Döring bezweifelte auch die Darstellung des Parteivorsitzenden, wonach Möllemann die FDP im Alleingang zu einer populistischen Partei habe machen wollen. Mit Blick auf Westerwelle meinte er: "Wirklich ganz allein? Na, da haben ihm doch einige zu lange heftig zugejubelt." Auf dem bevorstehenden Dreikönigstreffen müsse der Parteivorsitzende "klar sagen, wie er die FDP aus dem Tal führen will".

Der baden-württembergische Landeschef und stellvertretende Bundesvorsitzende sprach damit eigentlich nur aus, was der größte Teil der Mitglieder und Funktionäre dachte. Allgemein verübelt wurde ihm jedoch, daß er es öffentlich sagte und damit den angeschlagenen Parteivorsitzenden noch mehr ins Wanken brachte. Teilweise wurde ihm sogar unterstellt, er betreibe Westerwelles Sturz, um selbst den Parteivorsitz übernehmen zu können.

Von rechts bis links, von Wolfgang Gerhardt bis Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stieß Dörings Kritik deshalb auf Ablehnung. Unabhängig von den Fehlern und Schwächen des "Leichtmatrosen" Westerwelle, die man nur zu gut kannte, wollte man nicht zusätzlich zur Affäre um Möllemann auch noch eine Krise der Parteiführung. Noch immer war es nicht gelungen, Möllemann aus der Partei zu drängen. Falls er nach dem Ausschluß seine Drohung verwirklichen würde, eine eigene Partei zu gründen, war es erst recht notwendig, den parteiinternen Kämpfen Einhalt zu gebieten und Geschlossenheit nach außen zu demonstrieren.

Auch Dörings eigener Landesverband sah das so. Der Westerwelle-Kritiker bekam deshalb bei den Vorstandswahlen der Südwest-FDP Anfang Januar 2003 nur noch 77 Prozent der Delegiertenstimmen, während er 1999 mit stolzen 91,3 Prozent wiedergewählt worden war.

Möllemann läßt Frist für den Parteiaustritt verstreichen

Das traditionelle Dreikönigstreffen am 6. Januar 2003 in Stuttgart verlief in eher gedrückter Stimmung. Westerwelles Rede wurde als schwach empfunden. Sogar sein rhetorisches Talent schien ihn verlassen zu haben. Mehr Beifall bekam der sonst als farblos geltende Gerhardt für Sätze wie "Wir wollen nicht unseren Charakter ändern, um Stimmen zu werben" und "Wir wollen größer werden, aber mit Haltung".

Möllemann hatte inzwischen die auf den 2. Dezember gesetzte Frist zum Austritt aus der Partei verstreichen lassen. Sowohl der Bundesvorstand als auch die beiden Parlamentsfraktionen leiteten daraufhin förmliche Ausschlussverfahren ein. Möllemann versprach zunächst, sich einer Anhörung durch die Bundestagsfraktion zu stellen, spielte dann aber auf Zeit, indem er zwei angesetzte Termine aus angeblich gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagte. Offenbar wollte er erst die Anhörung durch den Vorstand der Landtagsfraktion hinter sich bringen, die für den 21. Januar angesetzt war, und bei der er weit bessere Chancen hatte. Tatsächlich wurde bei der Abstimmung in der Landtagsfraktion am 4. Februar die erforderliche Zweidrittelmehrheit für den Ausschluß knapp verfehlt.

"Jürgen Möllemann hat den Haken gefunden, der seinen Fall ins politische Nichts aufhält", kommentierte die "Frankfurter Allgemeine" den Ausgang der Düsseldorfer Abstimmung. "Die Landtagsfraktion ist für ihn der Ast, an dem sich sein zerrissener Fallschirm kurz vor einem harten Aufschlag auf dem Boden doch noch verfangen hat."

In Berlin hatte Möllemann allerdings nach wie vor keine Chancen, dem Ausschluß aus der Fraktion zu entgehen. Die zweimal geplatzte Anhörung durch die Bundestagsfraktion war mit Rücksicht auf die Wahlen in Niedersachsen und Hessen auf den 11. Februar verschoben worden. Auch jetzt sagte er wieder sein Erscheinen zu. Drei Tage vor der Anhörung schrieb er dann dem Fraktionsvorsitzenden Gerhardt, daß er sein Bundestagsmandat im März niederlegen werde, womit die Sitzung überflüssig geworden sei. Gerhardt wollte sich aber nicht ein weiteres Mal narren lassen. Er verlangte umgehend, daß Möllemann die Niederlegung seines Mandats in rechtsverbindlicher Form dem Bundestagspräsidenten mitteile. Dazu war Möllemann wiederum nicht bereit. So tagte die Fraktion ohne Möllemann und billigte mit 39 von 45 Stimmen den beantragten Ausschluß.

Dunkle Andeutungen über angebliche Erpreßbarkeit Westerwelles

Möllemann sah nun wohl ein, daß er verloren hatte und daß auch die Mitgliedschaft in der FDP-Landtagsfraktion nicht mehr lange dauern würde. Er nahm jedenfalls keine Rücksicht mehr auf innerparteiliche Empfindlichkeiten und veröffentlichte im März 2003 ein Buch mit dem Titel "Klartext", in dem er viel Häme über seine politischen Widersacher ausgoß. So schrieb er über Lambsdorff, daß dieser seinen Rücktritt wegen der Parteispendenaffäre im Juni 1984 solange hinausgezögert habe, bis er die nächsthöhere Stufe seiner Politikerpension erreicht hatte. Von Genscher will er beauftragt worden sein, diesem den Friedensnobelpreis oder wenigstens den Aachener Karlspreis zu verschaffen, was aber in beiden Fällen nicht geklappt habe. Zur Person des "Dr. Westerwelle" deutete Möllemann an, daß dieser wegen geheimnisvoller dunkler Punkte in seinem Leben - offenbar eine Anspielung auf die damals schon weitgehend bekannte, aber noch nicht öffentlich eingestandene Homosexualität des Parteivorsitzenden - durch den israelischen Geheimdienst Mossad erpresst werde.

Die Illustrierte "stern" sprach von einem "Buch der Rache und Abrechnung, das erstaunliche Einblicke in die ungemachten Betten der Liberalen erlaubt". Zugleich sei es "das Gründungsdokument einer neuen Partei". Die "Frankfurter Allgemeine", die dem Buch zwei volle Text-Seiten widmete, wollte darin auch die Handschrift des früheren FDP-Bundesgeschäftsführers Fritz Goergen erkennen, der bereits vor Möllemann die Partei verlassen hatte und nun gemeinsam mit diesem die Gründung einer neuen Partei betreibe.

Im Grund enthielt das Buch aber nichts wesentlich Neues. Es war ein Pamphlet voller gezielter Boshaftigkeiten, das den hauptamtlichen Apparat der Partei als eine Ansammlung von Selbstdarstellern, Karrieristen und Intriganten charakterisierte. Daß da etwas dran war, verbürgte schon die Person des Autors, der jahrzehntelang wie kein anderer FDP-Politiker diese Charaktereigenschaften verkörpert hatte. Zugleich warf aber eben diese Zwielichtigkeit des Autors die Frage auf, wieweit man ihm trauen durfte, wenn er nun ehemalige politische Weggefährten als Halunken porträtierte...

"Es gibt ein Leben nach diesem Kerl aus Münster"

Inzwischen hatte die FDP Anfang Februar bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen erstaunlich gut abgeschnitten. Die Parteiführung durfte dies auch als Bestätigung ihres harten Kurses gegenüber Möllemann werten. Mit seinem Pamphlet "Klartext" hatte Möllemann sich selber der letzten Sympathien innerhalb der FDP beraubt. Er beschäftigte die Partei zwar nach wie vor, war aber von einem internen zu einem externen Problem geworden.

In einem Interview mit der Illustrierten "stern" tönte Westerwelle Anfang Mai 2003: "Es ist uns gelungen, eine der schwierigsten Phasen der FDP-Geschichte ohne Spaltung der Partei zu bewältigen. Wir haben wieder Tritt gefaßt. Der Wirbelsturm ist vorbei."

Sicher werde Möllemann jetzt eine neue Partei gründen, meinte Westerwelle auf eine diesbezügliche Frage. Aber diese Gründung werde "ausgehen wie das Hornberger Schießen".

Westerwelle deutete an, daß er Möllemann mit dessen eigenen Methoden entgegentreten werde. Die Strategie des "Projekt 18" sei im Ansatz richtig gewesen. Er wolle grundsätzlich daran festhalten, "auch durch ungewöhnliche Auftritte Wähler zu gewinnen, die sich von der Politik abgewendet haben".

"Ohne Jürgen Möllemann schaffen Sie das doch gar nicht", gab der Interviewer zu bedenken, worauf der Dialog wörtlich so weiterging:

Westerwelle: Gerade haben wir in Hessen das beste Wahlergebnis seit 30 Jahren erreicht, in Niedersachsen das beste seit 40 Jahren. Sie sehen, es gibt ein Leben...

stern: ...nach dem Tod.

Westerwelle: .... nach diesem Kerl aus Münster.

Der "Kerl aus Münster", dessen Namen Westerwelle nicht mehr in den Mund nahm, war in der Tat nicht tot. Er war unsichtbar auch beim nun folgenden Bundesparteitag zugegen, der vom 16. bis 18. Mai 2003 in Bremen stattfand und mit dem die FDP versuchte, einen Schlußstrich unter die Affäre Möllemann zu ziehen. Westerwelle räumte in seiner Rede ein, Möllemann zu sehr und zu lange vertraut zu haben. Die Delegierten ließen es bei einer milden Maßregelung bewenden, indem sie den Parteivorsitzenden mit nur noch 79,8 Prozent wiederwählten. Zwei Jahre davor hatte er 88,9 Prozent erreicht - so wie jetzt sein Stellvertreter Rainer Brüderle, der mit 88,8 Prozent das beste Ergebnis bei den Vorstandswahlen erzielte.

Döring fällt im ersten Wahlgang durch

Weit härter als Westerwelle wurde der baden-württembergische Landesvorsitzende Walter Döring bestraft, der Milde gegenüber Möllemann gefordert und auf die Mitschuld des Parteivorsitzenden an der Affäre hingewiesen hatte. Bei der Wahl des dritten stellvertretenden Parteivorsitzenden fiel er mit weniger als fünfzig Prozent der Stimmen ohne Gegenkandidaten durch. Erst im zweiten Anlauf schaffte er mit 56,8 Prozent den Sprung ins Präsidium.

Im Vorfeld der Wahlen gab es einen bizarren Streit zwischen Döring und dem nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Andreas Pinkwart darüber, wer für den Posten des zweiten und dritten stellvertretenden Parteivorsitzenden kandidieren dürfe. Formal verfügen beide Amtsinhaber über dieselben Rechte. Dennoch wollte keiner dem anderen die niedrigere Stellvertreterzahl überlassen. Der Streit wurde schließlich durch das Werfen einer Zwei-Euro-Münze entschieden. Pinkwart erhielt ebenfalls nur magere 61,7 Prozent.

Obwohl Döring es letztlich einer Intervention Westerwelles zu verdanken gehabt hatte, daß er doch noch ins Präsidium gewählt wurde, beklagte er sich anschließend über die schnöde Behandlung, die ihm als "einzigem Landespolitiker von Rang im Präsidium" auf dem Bundesparteitag widerfahren war: "Die gesamte Führungsspitze, einschließlich Westerwelle, hat es entweder einfach laufen lassen oder aktiv gegen mich agiert."

Weiter