Udo Leuschner / Geschichte der FDP (29)

12. Bundestag 1991 - 1994


Es "haidert" in der FDP

Aber Deutschland ist nicht Österreich: Der "Bund freier Bürger" zieht erfolglos gegen den Vertrag von Maastricht zu Felde

Nach der Entfernung Möllemanns aus dem Kabinett konnte es als weiterer Beitrag zur politischen Hygiene gelten, daß die FDP am 22. März 1993 beschloß, die offiziellen Kontakte zur "Freiheitlichen Partei Österreichs" (FPÖ) abzubrechen. Stattdessen nahm sie Beziehungen zum "Liberalen Forum" auf, das sich von der FPÖ abgespalten hatte. Als Grund nannte Lambsdorff den Rechtskurs der FPÖ, seitdem Jörg Haider den Parteivorsitz übernommen hatte. Die FDP werde auch den Ausschluß der FPÖ aus der Liberalen Internationale (LI) beantragen.

Die FPÖ war noch nie eine wirklich liberale Partei gewesen. Bei ihrer Gründung 1956 galt sie als Sammelbecken von Alt-Nazis. Sie behielt den braunen Hautgout auch weit länger als die FDP, die in ihren Anfängen ähnlich strukturiert war. Im Unterschied zur FDP lebte die FPÖ nicht von der Beteiligung an wechselnden Regierungskoalitionen, sondern vom Unmut weiter Bevölkerungskreise über den in Österreich herrschenden schwarz-roten Filz aus ÖVP und SPÖ. Erst 1983 kam es zu einer förmlichen Regierungsbeteiligung in Wien, in einer Koalition mit der SPÖ, die aber von dieser aufgekündigt wurde, nachdem Jörg Haider 1986 ans Ruder gelangte und die FPÖ erneut auf scharfen Rechtskurs brachte. Die Trennung von einer derartigen "Schwesterpartei" wäre auch für die FDP eigentlich längst fällig gewesen. Aber noch 1991 hatte sie einen Ausschluß der FPÖ aus der Liberalen Internationale verhindert.

Die FPÖ erringt bis zu einem Viertel der Wählerstimmen

Den Hauptgrund für die Abspaltung des "Liberalen Forums" bildete Haiders Agitation gegen einen Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft (EG), nachdem die EG-Staaten am 7. Februar 1992 den Vertrag von Maastricht unterzeichnet hatten. Mit diesem Vertrag vereinbarten die zwölf Mitgliedsländer, die EG in eine vollständige Wirtschafts- und Währungsunion umzuwandeln und schrittweise zur Politischen Union auszubauen.

Unter Haider machte sich die FPÖ zum Sprecher von Bauern, Mittelständlern, Nationalisten und anderen Teilen der österreichischen Bevölkerung, die von der EG überwiegend Nachteile befürchteten. Die beiden großen Parteien und der tonangebende Teil der Wirtschaft warben dagegen für die EG. Eine Volksabstimmung im Juni 1994 ergab eine Zwei-Drittel-Mehrheit für den Beitritt, der Anfang 1995 vollzogen wurde. Es dauerte aber nicht lange, bis zwei Drittel der Österreicher sich recht enttäuscht über die Folgen des EG-Beitritts zeigten, und dies gab der FPÖ noch stärkeren Auftrieb: Sie errang bei den Wahlen bis zu einem Viertel der Stimmen, während das "Liberale Forum" seit 1996 auf keinen grünen Zweig mehr kam und zur Bedeutungslosigkeit verkümmerte.

Daß sich die FDP von ihrer bisherigen Schwesterpartei in Österreich distanzierte, die doppelt so hohe Wahlergebnisse erzielte wie sie selbst, hatte gerade mit deren Erfolg zu tun: Zum ersten Mal seit Zoglmanns "National-Liberaler Aktion" vor 23 Jahren witterten national-konservative Kräfte innerhalb der FDP wieder Morgenluft. Es "haiderte" in der FDP, roch nach Abspaltung und Palastrevolution. Zum Hauptexponenten dieser Rechtstendenzen wurde der frühere EG-Beamte Manfred Brunner.

Brunner gründet eine eigene Stiftung

Manfred Brunner war von 1983 bis 1988 Vorsitzender der bayerischen FDP gewesen. Anschließend war er in die Dienste von Martin Bangemann getreten, der damals seine unsicher gewordenen Ämter als Parteivorsitzender und Wirtschaftsminister mit der hoch dotierten Pfründe eines EG-Kommissars in Brüssel vertauschte. Brunner fungierte als Büroleiter bzw. "Kabinettschef" des EG-Kommissars Bangemann. Außerdem war er von 1988 bis 1992 Vorsitzender der Thomas-Dehler-Stiftung, eines bayerischen Pendants zur parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung.

Im Januar 1992 gründete Brunner seine eigene Stiftung namens "Demokratie und Marktwirtschaft", die er mit hunderttausend Mark dotierte. Sie sollte als propagandistische Plattform für konservative Strömungen rechts von der FDP dienen und verlieh unter anderem jedes Jahr einen "Freiheitspreis". Beispielsweise bekam diesen Preis 1995 der ostdeutsche CDU-Politiker Steffen Heitmann, der sich als Kandidat der Union für das Amt des Bundespräsidenten durch dümmliche Sprüche disqualifiziert hatte, für seine "politische Geradlinigkeit und persönliche Zivilcourage".

In der Satzung der Stiftung sicherte sich Brunner weitgehende Sonderrechte "auf Lebenszeit". In den ersten Stiftungsrat berief er neben dem CSU-Politiker Peter Gauweiler so erlauchte Geister wie den konservativen Historiker Arnulf Baring und den FAZ-Redakteur Hans-Dieter Barbier, unter dessen Leitung der Wirtschaftsteil der "Frankfurter Allgemeinen" zum Missions- und Kampfblatt für den sogenannten Neoliberalismus geworden war.

Bangemann muß Brunner als Kabinettschef entlassen

Nach Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht begann Brunner, in der Art seines Freundes Haider gegen die neue Stufe der EG vom Leder zu ziehen. Als EG-Kabinettschef durfte er mit besonderer Aufmerksamkeit rechnen, wenn er den Vertrag von Maastricht attackierte und sich in düsteren Warnungen vor einer europäischen Föderation erging, welche die nationale Souveranität untergrabe und die Stabilität der Währung gefährde.

Allerdings vertrugen sich Brunners öffentliche Äußerungen schlecht mit seiner Rolle als EG-Beamter. Im September 1992 mußte ihn Bangemann auf Verlangen der Bundesregierung entlassen - übrigens drei Monate vor Ablauf der Vier-Jahres-Frist, die Brunner die Pensionsberechtigung als hochbezahlter EG-Beamter eingebracht hätte.

Der geschaßte EG-Kabinettschef intensivierte daraufhin seine Kontakte zu konservativen Kreisen im Umkreis von Union und FDP, vom "Studienzentrum Weikersheim" über deutschnationale Burschenschaftler bis hin zu den Rechtsradikalen um das Blatt "Junge Freiheit". Besondere Anerkennung errang er sich in diesen Kreisen durch seine Klage gegen den Vertrag von Maastricht, der zur "Aushöhlung der deutschen Staatlichkeit" führe.

Bundesverfassungsgericht stellt Mindestanforderungen an die europäische Integration

Mit dieser Klage rührte Brunner an ein echtes Problem, das viel zu lange ignoriert worden war und das auch die Grundgesetzänderungen nicht restlos beseitigten, die im Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht beschlossen wurden: In der Tat war das Grundgesetz auf Deutschland als souveränen Staat und föderative Republik zugeschnitten. Es regelte zwar die Beziehungen zwischen Bund und Ländern, sah aber im Außenverhältnis an keiner Stelle eine derartige Übertragung nationaler Hoheitsrechte an überstaatliche Instanzen vor, wie dies im Zuge der europäischen Integration längst üblich geworden war. Schon gar nicht hatten die Väter des Grundgesetzes daran gedacht, die Bundesrepublik in einer europäischen Föderation aufgehen zu lassen. Hinzu kam, daß die Super-Regierung in Brüssel, die mit weitreichenden Befugnissen und Vorgaben den Spielraum der nationalen Gesetzgeber immer weiter einengte, nicht hinreichend demokratisch legitimiert war. Sowohl der Ministerrat als auch die Kommission wurden von den Regierungen der beteiligten Länder gestellt. Es gab zwar seit 1979 ein direkt gewähltes Europäisches Parlament, aber dieses verfügte nur über bescheidene Mitspracherechte, die sich ungefähr mit der Rolle des Reichstags im deutschen Kaiserreich vergleichen ließen.

Es war deshalb für das Bundesverfassungsgericht gar nicht so einfach, Brunners Klage abzuweisen. In dem am 12. Oktober 1993 ergangenen Urteil sahen die Richter zwar die Rechte der nationalen Wähler durch die EG nicht entscheidend beeinträchtigt. Zugleich stellten sie aber Mindestanforderungen an die verfassungsrechtliche Seite des europäischen Integrationsprozesses: So müßten dem Bundestag "Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht" verbleiben. Die Übertragung von Hoheitsrechten müsse genau definiert werden.

Sowohl der BFB als auch die FDP scheitern bei der Europa-Wahl

Nach dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das für ihn zumindest propagandistisch ein Erfolg war, trat Brunner aus der FDP aus und gründete eine eigene Wählervereinigung namens "Bürgerbewegung für ein Europa der Nationen". Am 23. Januar 1994 wurde aus dieser Wählervereinigung der "Bund freier Bürger" (BFB). Die achtzig Teilnehmer des konstituierenden Parteitags in Wiesbaden hatten zuvor überwiegend der Union und der FDP angehört. Sie wählten Brunner fast einstimmig zum Vorsitzenden. In ihren Leitsätzen forderte die neue Partei einen europäischen Staatenbund statt eines europäischen Bundesstaats und die Erhaltung der D-Mark anstelle einer Währungsunion. Der Rest entstammte dem üblichen Repertoire rechtsgerichteter Mittelstands-Ideologie. So verlangte der BFB mehr Härte gegenüber Gesetzesbrechern, Abstriche bei den Sozialleistungen, die Beseitigung des Tarifsystems bei den Löhnen, steuerliche Entlastungen und die Abschaffung des Asylrechts. Er buhlte damit um eine ähnliche Wählerschaft wie die noch weiter rechts stehenden "Republikaner" oder die neonazistische "Deutsche Volks-Union" (DVU). Gleichwohl legte er Wert auf bürgerliche Honorigkeit, indem der Parteitag beschloß, keine ehemaligen Mitglieder dieser Parteien aufzunehmen.

Die Gründung des "Bundes freier Bürger" erfolgte mit Blick auf die Europa-Wahlen am 12. Juni 1994. Brunner wollte die Wahl zu einer "Volksabstimmung gegen Maastricht und für die Deutsche Mark" machen und prophezeite seiner Partei ein "zweistelliges Ergebnis". Der BFB scheiterte indessen mit 1,1 Prozent. Bei den darauffolgenden Landtagswahlen in Bayern kam er nur auf 0,4 Prozent und bei der Bundestagswahl 1998 auf 0,2 Prozent.

Immerhin genügte das klägliche Ergebnis, um der FDP möglicherweise entscheidende Stimmenanteile abzunehmen. Denn diese erreichte bei den vierten Wahlen zum Europäischen Parlament nur 4,1 Prozent. Sie blieb damit zum zweiten Mal - wie schon 1984 - bei dieser bundesweiten Wahl unter fünf Prozent und konnte keine Vertreter ins Europäische Parlament entsenden. Vermutlich verdankte sie dieses schlechte Abschneiden aber nicht nur Brunner, sondern auch dem amtierenden EG-Kommissar Bangemann, der Brunner zu seinem Kabinettschef bestellt hatte und allgemein eine schlechte Figur in Brüssel machte.

Mit dem Fiasko bei den Europa-Wahlen war das Schicksal des BFB eigentlich schon besiegelt und klar, daß Haiders politische Rezeptur in Deutschland nicht so ankam wie in Österreich. Die enge Anlehnung an die FPÖ und die persönliche Freundschaft zwischen Brunner und Haider waren im BFB von Anfang an umstritten. Die Wahlniederlage gab der Kritik Auftrieb. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei und zu Austritten führender Mitglieder. Nachdem die Haider-Fraktion gesiegt hatte, ergänzte sie den Parteinamen nach FPÖ-Vorbild um den Zusatz "Die Freiheitlichen". Es gab anscheinend auch Pläne zur Fusion mit rechten Splittergruppen wie der "Deutschen Sozialen Union" und der Riege um den früheren Generalbundesanwalt Alexander von Stahl. Anfang 1998 fusionierte der BFB mit der "Liberalen Offensive" des aus der FDP ausgetretenen hessischen Landtagsabgeordneten Heiner Kappel. Der Niedergang war aber nicht aufzuhalten. Ein Jahr später verließ Brunner selber die von ihm gegründete Partei und kam so seinem Ausschluß zuvor. Sein Nachfolger Kappel löste die Partei zum Ende des Jahres 2000 auf.

Die trüben Geldquellen des BFB - Brunner wird wegen Steuerhinterziehung verurteilt

Die bescheidenen Wahlerfolge bescherten der Partei insgesamt knapp fünf Millionen Mark aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Der größte Teil des Geldes, mit dem sie ihre Kampagnen finanzierte, stammte aber aus einer anderen Quelle: Der Milliardär August von Finck ließ Brunner von 1992 bis 1998 etwa 8,5 Millionen Mark zukommen. Schon ein Teil des Geldes, mit dem Brunner die Stiftung "Demokratie und Marktwirtschaft" gründete, stammte von dem erzkonservativen Bankier-Erben. Auch die Kosten des Rechtsstreits vor dem Bundesverfassungsgericht bezahlte Brunner zum Teil mit Geld, das er von Finck erhielt.

Allerdings wurden diese Millionen-Zuwendungen nie als Parteispenden ausgewiesen. Finck ließ das Geld vielmehr durch einen Vertrauten von seinem Privatkonto abheben und direkt Brunner aushändigen. Dieser verfügte darüber nach Gutsherrenart, indem er es - nach Abzweigung einer größeren Summe zur Tilgung privater Schulden - als zinsloses persönliches Darlehen dem BFB zur Verfügung stellte. Auf diese Weise sicherte er sich auch die finanzielle Herrschaft über die Partei, deren Gründer und Vorsitzender er war.

Als die Staatsanwaltschaft hellhörig wurde und aufgrund der Ergebnisse einer Betriebsprüfung in Brunners Kanzlei wegen Untreue ermittelte, behauptete Brunner, er habe die Gelder von Finck nicht als Parteispenden, sondern zu seiner freien Verfügung erhalten. Zum Teil versuchte er sich auch damit herauszureden, daß es sich um Honorar für anwaltliche Leistungen oder um einen privaten Kredit gehandelt habe. Finck ließ dagegen verlauten, daß die Gelder selbstverständlich für den BFB bestimmt gewesen seien. Die Affäre endete im August 2002 mit einem Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung: Brunner erhielt ein Jahr Haft auf Bewährung und mußte 6000 Euro zahlen. Er akzeptierte den Strafbefehl ohne Murren - so konnte er immerhin vermeiden, daß die trüben Geldquellen des BFB und seine persönlichen finanziellen Machenschaften vor Gericht ausführlicher durchleuchtet wurden.

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