Udo Leuschner / Geschichte der FDP (26)

11. Bundestag 1987 - 1990


Die FDP übernimmt zwei "Blockflöten"

Der gigantische Mitgliederzuwachs durch LDPD und NDPD hält aber nicht lange an

Als Folge des Zusammenbruchs der DDR konnte die FDP ihre Mitgliederzahl schlagartig verdreifachen, indem sie die beiden ehemaligen "Blockparteien" LDPD und NDPD bzw. deren Nachfolger übernahm. Gerne hätte sie auch das Hundert-Millionen-Vermögen der beiden DDR-Altparteien übernommen. Von dem vielversprechenden Zuwachs an Mitgliedern und Vermögen blieb aber bald nur noch ein kümmerlicher Rest.

Formal hatte es in der ehemaligen DDR immer mehrere Parteien gegeben: Neben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die aus der Vereinnahmung der SPD durch die KPD entstanden war, existierten noch die Christlich-Demokratische Union (CDU), die Liberaldemokratische Partei Deutschlands (LDPD), die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD) und die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD).

Alle diese Parteien tanzten spätestens seit Ende der vierziger Jahre nach der Pfeife der sowjetischen Besatzungsmacht. Sie waren Werkzeuge der SED, um die Politik des Regimes auch solchen Bevölkerungsschichten nahezubringen, die der "marxistisch-leninistischen" Propaganda eher gleichgültig, skeptisch oder feindselig gegenüberstanden. Sie wirkten im Rahmen des sogenannten "Demokratischen Blocks" bzw. der "Nationalen Front" als politische Handlanger der SED. Man bezeichnete sie deshalb auch als Blockparteien oder abschätzig als "Blockflöten".

Die Ursprünge der vier Blockparteien

LDPD und CDU waren ursprünglich echte Parteien: Unmittelbar nach dem Krieg repräsentierten sie in der sowjetischen Besatzungszone dieselben politischen Lager wie FDP und CDU in den Westzonen. Die LDPD stand zeitweilig sogar in offener Opposition zum Regime. Erst Ende der vierziger Jahre wurde sie auf SED-Kurs gebracht und ihrer politischen Eigenständigkeit völlig beraubt.

NDPD und DBD entstammten dagegen der Retorte der sowjetischen Besatzungsmacht: Sie waren 1948 nachträglich geschaffen worden, um gemäß der Doktrin kommunistischer "Bündnispolitik" solche Bevölkerungskreise in das System einzubinden, die sich weder in der SED noch in CDU oder LDPD heimisch fühlten. Die NDPD sollte in erster Linie ehemalige Soldaten und NSDAP-Mitglieder ansprechen. Die DBD zielte auf Bauern und sonstige ländliche Bevölkerung.

LDPD und NDPD hatten dieselbe Klientel

In der Praxis entsprach die Mitgliederstruktur der Blockparteien nur wenig der Vulgär-Soziologie, die dieser kommunistischen "Bündnispolitik" zugrunde lag. Zum Beispiel hat die NDPD die ihr zugedachte Rolle eines Sammelbeckens für ehemalige Pg's auch in den Anfangsjahren kaum erfüllt. Sie war wie die LDPD eine Partei für breite Bevölkerungsschichten mit dem Schwerpunkt auf Angestellten, Handwerkern und anderen Selbständigen. Schon vor dem Ende der DDR wurde darüber gerätselt, weshalb die DDR sich den Luxus von zwei fast identischen Blockparteien leistete, und wann welche der beiden Parteien wohl zugunsten der anderen aufgelöst werden würde.

Die LDPD unterschied sich von der NDPD hauptsächlich durch den andersgearteten Ursprung. Noch Ende 1988 waren 12,7 Prozent ihrer Mitglieder der Partei bereits in der Zeit vor der Zustimmung zum "Aufbau des Sozialismus" beigetreten. Unter solchen Alt-Mitgliedern mochte es auch noch ansatzweise eine liberale Tradition geben. Ansonsten war der Liberalismus, den die Partei im Namen führte, für die Führung und die etwa zweitausend hauptamtlichen Funktionäre nicht mehr als eine Phrase oder ein historisches Relikt.

"Parteifreund" zu sein war einfacher als "Genosse"

Allgemein bestand die Attraktivität der Blockparteien nicht in ihrer Programmatik, die sowieso von der SED vorgegeben wurde, sondern in ihrer Ersatzfunktion als kleineres Übel: Sie vereinnahmten ihre "Parteifreunde" nicht in so strapaziöser Weise wie die SED ihre "Genossen" und boten doch die unumgängliche Einbettung in das herrschende Machtgefüge. Zum Beispiel konnte ein Lehrer durch Mitgliedschaft in der LDPD den Eintritt in die SED vermeiden und doch den unumgänglichen Loyalitätsnachweis erbringen - sofern er dafür in Kauf nahm, nicht Schulleiter zu werden, sondern allenfalls einen Stellvertreter-Posten zu bekommen. Und der Handwerker konnte als Mitglied von LDPD oder NDPD schon mal bei der Partei vorstellig werden, um etwa die Chancen für eine Genehmigung oder die Beschaffung von Material zu erhöhen.

Auch in den Tagen der "Wende", als die Bevölkerung bereits auf den Straßen demonstrierte, bekannte sich die LDPD-Führung weiter zum herrschenden System. Daß der seit 1967 amtierende Vorsitzende Manfred Gerlach im September 1989 vorsichtig auf Distanz zur SED ging ("Widerspruch ist nicht Opposition"), hätte noch ein paar Wochen davor Aufsehen erregt. Unter den veränderten Verhältnissen wirkte es aber wie der Versuch, den Part des Vasallen auch in stürmischen Zeiten zu erfüllen.

Gründung einer "FDP der DDR"

Während die unrühmliche Vergangenheit der "Blockflöten" vor allem aus Sicht der FDP ein Hindernis war, sofort mit LDPD und NDPD zu fusionieren, gab es aus deren Sicht handfestere Probleme, die einer Verschmelzung im Wege standen: Beide Parteien beschäftigten tausende von Funktionären und besaßen umfangreiches Vermögen, das sie der FDP, die vergleichsweise ein armer Schlucker war, nicht einfach preisgeben wollten.

So kam es am 4. Februar 1990 erst mal zur Gründung einer "FDP der DDR". Der ostdeutsche Ableger der FDP besaß aber kaum eigene Substanz, war mehr Briefkastenfirma als echte Filiale. Am Gründungsparteitag in Ostberlin nahmen führende westdeutsche FDP-Politiker teil, unter ihnen der Parteivorsitzende Lambsdorff, Bundesaußenminister Genscher und der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick.

LDPD nennt sich wieder LDP

Eine Woche später fand - wiederum in Anwesenheit von Lambsdorff, Genscher und Mischnick - ein Parteitag der LDPD statt: Die Delegierten beschlossen, mit der eben gegründeten Ost-FDP und der Deutschen Forumspartei (DFP) über ein gemeinsames Wahlbündnis zu den bevorstehenden Volkskammerwahlen im März und zu den Kommunalwahlen im Mai zu verhandeln. Das Wahlbündnis sollte seinerseits die Vorstufe eines Zusammenschlusses bilden.

Ferner beschlossen die Delegierten die Umbenennung der LDPD in LDP. Unter dieser Abkürzung hatte die Partei bis Oktober 1951 firmiert, als ihr das zusätzliche D für Deutschland im Zuge der damaligen gesamtdeutschen Propaganda der SED verordnet worden war. Als weiteres Zeichen einer Kursänderung stellte sich der Parteivorsitzende und amtierende DDR-Staatsratsvorsitzende Manfred Gerlach nicht mehr zur Wahl. An seine Stelle rückte der unbelastete Rainer Ortleb.

"Bund Freier Demokraten" als Wahlbündnis

Das geplante Wahlbündnis wurde bereits am nächsten Tag, dem 12. Februar 1990, unterzeichnet, wobei auch Lambsdorff und Mischnick mit unterschrieben. Es war somit beschlossen, daß FDP, LDPD und DFP zu den Volkskammerwahlen gemeinsam als "Bund Freier Demokaten" (BFD) antreten würden.

Wie die "FDP der DDR" war die "Deutsche Forumspartei" (DFP) erst wenige Tage alt: Sie entstand Ende Januar aus einer Abspaltung der Oppositionsgruppe "Neues Forum" (NF), die als basisdemokratische politische Vereinigung maßgeblich an der Herbeiführung der "Wende" beteiligt gewesen war. Die Abspaltung umfaßte etwa ein Viertel der Anhänger, vor allem aus den südlichen Bezirken der DDR. Die Mehrheit des "Neuen Forums" schloß sich dagegen im Februar 1990 mit anderen Oppositionsgruppen im "Bündnis 90" zusammen.

Nach Wahl-Debakel tritt auch die NDPD bei

Die NDPD war in diesem Wahlbündnis nicht vertreten. Ein Antrag, sich daran zu beteiligen, war auf ihrem Parteitag am 11. Februar 1990 abgelehnt worden. Anscheinend glaubten die NDPD-Funktionäre, noch eine Chance als eigenständige Partei zu haben, nachdem sie ihren seit 1972 amtierenden Vorsitzenden Heinrich Homann am 10. Dezember 1989 abgesetzt und aus der Partei ausgeschlossen hatten.

Bei der ersten freien Wahl zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 erzielte der "Bund Freier Demokraten" mit 5,28 Prozent der Stimmen ein eher bescheidenes Ergebnis. Unvergleichlich schlechter schnitt allerdings die NDPD ab: Mit 44.292 Stimmen (0,38 Prozent) konnte sie weniger Wähler gewinnen als sie nominell Mitglieder hatte. Nach diesem Debakel trat die NDPD am 28. März 1990 geschlossen der LDP bei, die sich in "Bund Freier Demokraten - Die Liberalen" umbenannte und bei den folgenden Kommunalwahlen am 6. Mai auf 6,6 Prozent der Stimmen kam.

FDP schluckt die mitgliederstärkeren Ost-Parteien

Der letzte Akt der Parteien-Fusion fand am 12. August 1990 in Hannover statt: Auf einem Vereinigungsparteitag verschmolzen der "Bund Freier Demokraten" als Nachfolger von LDP und NDPD sowie die "Deutsche Forumspartei" und die "FDP der DDR" mit der westdeutschen FDP.

LDPD und NDPD zählten zu DDR-Zeiten jeweils etwa hunderttausend Mitglieder. Noch zum Zeitpunkt ihrer Vereinigung mit der FDP gaben die ostdeutschen Parteien etwa 135.000 Mitglieder an. Sie waren damit mehr als doppelt so stark wie die FDP mit 65.485 Mitgliedern und hätten den Vereinigungsparteitag in Hannover majorisieren können, wenn sich die Delegiertenzahl - wie üblich - nach der Mitgliederstärke gerichtet hätte. Da die FDP die ostdeutschen Parteien schlucken wollte und nicht umgekehrt, einigte man sich auf einen komplizierten Delegiertenschlüssel, der in besonderen Maße die Wahlerfolge der Parteien berücksichtigte und so der FDP die maßgebliche Rolle sicherte.

Anfang Oktober 1990 - zeitgleich mit der Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik - vollzog auch die CDU ihre Vereinigung mit der Ost-CDU, die sich kurz davor die "Demokratische Bauernpartei Deutschlands" (DPD) einverleibt hatte. Die CDU konnte durch die Übernahme der beiden "Blockflöten" ihre Mitgliederzahl kurzfristig um etwa ein Viertel erhöhen.

Mitglieder und Vermögen verflüchtigen sich wieder

Nach dem Vereinigungsparteitag von Hannover hatte die FDP 178.625 Mitglieder in der Kartei. Sie war damit fast dreimal so stark wie zuvor, wobei fast zwei Drittel der Mitglieder aus der DDR bzw. den neuen Bundesländern stammten. Der gigantische Zuwachs hielt aber nicht lange an. Schon ein Jahr später waren es 24.000 weniger, und 1996 verfügte die FDP gerade noch über 81.200 Mitglieder.

Ähnlich enttäuschend entwickelte sich der Vermögenszuwachs. Den Hintergrund dabei bildete, daß die SED ungleich größere Vermögenswerte besessen hatte als die Blockparteien. Die Rechtsgrundlage des Erwerbs war hier wie dort größtenteils fragwürdig. Man konnte aber nicht der PDS die Ansprüche auf das SED-Vermögen verwehren, wenn man das Vermögen der Blockparteien ungeschoren ließ. Von den drei Milliarden Mark, auf die das Gesamtvermögen der DDR-Altparteien und Massenorganisationen geschätzt wurde, entfielen etwa hundert Millionen Mark auf LDPD und NDPD. Nach jahrelangem Streit mit der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des DDR-Parteienvermögens kam es Ende 1995 zu einer Einigung: Die FDP durfte zwei Grundstücke im Ostseebad Zinnowitz und in Dresden im Wert von rund 1,5 Millionen Mark behalten. Außerdem erhielt sie - unter anderem als Ausgleich für die Instandsetzung einer Immobilie - 4,8 Millionen Mark in bar.

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