Udo Leuschner / Geschichte der FDP (23) |
10. Bundestag 1983 - 1986 |
Noch zu Zeiten der sozialliberalen Koalition war die Flick-Affäre ins Rollen gekommen: Im Februar 1982 teilte die Bonner Staatsanwaltschaft mit, daß sie gegen mehrere Politiker von FDP, CDU und SPD ermittele, die von der Friedrich Flick KG Spenden entgegengenommen hatten. Besonders der amtierende Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff und sein Vorgänger Hans Friderichs standen im Verdacht, Spenden für die FDP als Gegenleistung für einen Amtsmißbrauch erhalten zu haben: Sie hatten dem Flick-Konzern die Versteuerung von 1,5 Milliarden Mark aus dem Verkauf von Daimler-Benz-Aktien erlassen. Das Steuergeschenk war damit begründet worden, daß die genannte Summe aus dem Verkaufserlös wieder investiert wurde und deshalb nach Paragraph 6 b des Einkommensteuergesetzes "volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig" sei. Auch der frühere nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Horst Ludwig Riemer geriet ins Visier der Ermittler, weil er Spenden für die FDP entgegengenommen hatte.
Die Flick-Affäre erhellte schlaglichtartig, wie sehr die etablierten Parteien am Tropf des Großkapitals hingen, wie unzureichend das 1967 erlassene Parteiengesetz hinsichtlich der Parteienfinanzierung war und in welch selbstherrrlicher Weise die Parteien glaubten, sich sogar über geltendes Recht hinwegsetzen zu können. Sie war auch deshalb exemplarisch, weil Flick-Chef Eberhard von Brauchitsch systematisch politische "Landschaftspflege" betrieben hatte, indem er sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien mit "Spenden" bedachte - allerdings wohldosiert, und mit einer klaren Präferenz für Union und FDP.
Einen besonderen Beigeschmack erhielt die Affäre dadurch, daß Friedrich Flick, der Vater des amtierenden Konzernchefs Friedrich Karl Flick, zu den wichtigsten Förderern Adolf Hitlers gehört hatte. Flick war deshalb 1947 von den Amerikanern in Nürnberg zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Im Zuge des Kalten Kriegs war er aber bald wieder freigekommen. Als er 1972 starb, galt er als der reichste Mann Deutschlands.
Auch der alte Flick hatte seinerzeit wohldosierte politische "Landschaftspflege" betrieben: So unterstützte er 1932 die NSDAP mit 50.000 Reichsmark, um sich für den Fall eines Wahlsiegs Hitlers Gunst zu sichern. Zugleich gab er aber die zwanzigfache Summe für die Kampagne zur Wiederwahl Hindenburgs, für die industriefreundliche DVP und die katholische Zentrumspartei aus. Erst nach der Machtergreifung flossen die Flick-Millionen ausschließlich zur Unterstützung Hitlers, der NSDAP und der SS. 1937 trat Flick auch formell der NSDAP bei und durfte sich "Wehrwirtschaftsführer" nennen.
In den Anfängen der Bundesrepublik konnte als Faustregel gelten, daß die mitgliederstarke SPD sich überwiegend aus Beiträgen finanzierte, während Unionsparteien, FDP, DP und BHE vor allem von Zuwendungen der Wirtschaft lebten. Der Bankier und Adenauer-Intimus Robert Pferdmenges baute seit 1952 in allen Bundesländern Spendensammelorganisationen auf. Großspender zahlten direkt an die "Staatsbürgerliche Vereinigung", die in der Flick-Affäre endgültig als "Spendenwaschanlage" enttarnt wurde. Von den so gesammelten Geldern erhielt die Union mehr als die Hälfte und die FDP ein Drittel. Den Rest bekamen DP und BHE. Freilich flossen die Gelder nur bei Wohlverhalten: So ließ der "Bundesverband der Deutschen Industrie" 1961 der CDU-Bundesgeschäftsstelle den monatlichen Scheck über 100.000 Mark sperren, weil Adenauer gegen seinen Willen die D-Mark aufgewertet hatte. Die FDP bekam den Geldhahn zugedreht, als sie vor den Bundestagswahlen von 1953 der CDU die Wähler von rechts her abspenstig zu machen versuchte.
Eigentlich waren die Parteien schon seit 1949 durch Artikel 21 des Grundgesetzes verpflichtet, über die Herkunft ihrer Mittel Rechenschaft abzulegen. Die ebenfalls vorgeschriebene Ausführung dieser Bestimmung durch ein Bundesgesetz war aber über viele Jahre hinweg unterblieben - eine glatte Mißachtung der Verfassung durch die herrschenden Parteien, die wohl Gründe hatten, ihre Finanzquellen im Dunkeln zu halten. Auch das 1967 erlassene Parteiengesetz sorgte nicht für die nötige Transparenz. Es blieb üblich, größere Gelder für die Parteien zu kaschieren, indem man sie zunächst als Spenden an parteinahe Stiftungen und ähnliche "Spendenwaschanlagen" deklarierte. Das hatte zudem den Vorteil, daß die Spenden von der Steuer abgesetzt werden konnten, bevor sie dem eigentlichen Empfänger zuflossen.
Diese heimliche Korrumpierung der Parteien und des Staats war zum großen Teil scheinlegal und deshalb nicht justitiabel. Im Falle der FDP-Politiker Friderichs und Lambsdorff ging allerdings aus den Aufzeichnungen des Flick-Chefbuchhalters Diehl hervor, daß sie mehrfach erhebliche Summen Bargeld von Flick bekommen hatten, während sie in ihrer dienstlichen Eigenschaft als Wirtschaftsminister sukzessive die Steuerbefreiung für den Spender verfügt hatten. Bei Friderichs waren es insgesamt 375.000 Mark und bei Lambsdorff 135.000 Mark. Es lag somit nahe, den Tatbestand der Bestechung anzunehmen - auch wenn beide das Geld nicht zur persönlichen Bereicherung verwendet, sondern an ihre Parteien weitergeleitet haben sollten. Aus ähnlichen Gründen ermittelte die Staatsanwaltschaft zunächst auch gegen den damaligen Bundesfinanzminister Hans Matthöfer (SPD), der in der Flick-Buchhaltung unter dem Datum 30. Januar 1980 mit "wg. Matthöfer 40 000 Mark" auftauchte, nicht aber gegen den Oppositionsführer Helmut Kohl, der unterm selben Datum mit "wg. Kohl 50 000" vermerkt war.
Die Bonner Politiker hatte sich derart an diese Praktiken gewöhnt, daß sie geradezu mit Empörung auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft reagierten. Lambsdorff und Friderichs versicherten ehrpusselig, selbstverständlich nicht bestechlich zu sein und sich nie persönlich bereichert zu haben. Die sozialliberale Bundesregierung bedauerte, daß erneut interne Vorgänge aus dem Justizbereich in die Öffentlichkeit gelangt seien. Dem CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl fiel auf, daß hier vor allem solche Politiker in Schwierigkeiten gebracht werden sollten, die auf dem rechten Flügel ihrer Parteien stünden.
So richtig brisant wurde die Flick-Affäre erst Ende 1982. Acht Wochen nach dem Sturz der Regierung Schmidt erschien der "Spiegel" mit weiteren Enthüllungen. Im Mai 1983 setzte der Bundestag einen Untersuchungsausschuß ein. Für die SPD gab es keine Gründe mehr, auf den kompromittierten Ex-Koalitionspartner Rücksicht zu nehmen. Die zuständige Staatsanwaltschaft brauchte deshalb auch nicht zu befürchten, von der nordrhein-westfälischen SPD-Landesregierung gebremst zu werden.
Ein Jahr später, am 29. November 1983, gab die Staatsanwaltschaft bekannt, daß sie gegen zwei Angestellte des Flick-Konzerns und drei FDP-Politiker Anklage erheben werde: Gegen den Flick-Bevollmächtigen von Brauchitsch und dessen Gehilfen Nemitz wegen fortgesetzter Bestechung, gegen Friderichs, Lambsdorff und Riemer wegen Bestechlichkeit. Die Verfahren gegen die übrigen Beschuldigten würden eingestellt.
Die Unionsparteien und die FDP reagierten wiederum empört und gekränkt: Justizminister Engelhard (FDP) verlangte eine Gesetzesinitiative, um künftig "Vorverurteilungen" durch Auszüge aus amtlichen Ermittlungsakten verhindern zu können (Lambsdorff hatte einschlägige Berichte im "Spiegel" und im "stern" als "Hinrichtungsjournalismus" bezeichnet). Lambsdorff beteuerte, daß er "als Minister" keine Mark von Flick bekommen habe, weshalb von Vorteilsannahme oder Bestechung nicht die Rede sein könne. Genscher sprach Lambsdorff erneut sein Vertrauen aus.
Die bizarrste Leistung bei der Wehklage über die verfolgte Unschuld vollbrachte CSU-Generalsekretär Gerold Tandler: Bei ihm kam "fast der Verdacht auf, daß hier bewußt oder unbewußt in einem anderen Bereich so gehandelt wird, wie's andere mit der Exekution von Schleyer und Ponto vorgenommen haben". Er verglich also die Verfolger von Lambsdorff und Co. mit Terroristen, was die Justiz umgehend zu einem Strafantrag wegen Beleidigung veranlaßte.
Unter diesen Umständen verwunderte es fast, daß der Bundestag am 2. Dezember einstimmig die Immunität Lambsdorffs als Abgeordneter aufhob, damit die beabsichtigte Anklage erhoben werden konnte. Auch Lambsdorff stimmte zu. Den Rücktritt von seinem Amt als Wirtschaftsminister lehnte er aber nach wie vor ab.
Um nicht noch mehr in die Bredouille zu kommen, widerrief Lambsdorff Ende 1983 die Steuerbefreiung für einen Teilbetrag von 450 Millionen Mark, mit dem sich Flick am US-Konzern Grace beteiligt hatte: Inzwischen habe sich herausgestellt, daß aus der ursprünglich geplanten Kooperation nichts geworden sei und es sich um eine reine Finanzbeteiligung handele.
Nachdem die Anklage vom Bonner Landgericht zugelassen worden war und er offiziell den Status eines Angeklagten hatte, trat Lambsdorff am 27. Juni 1984 zurück. Neuer Wirtschaftsminister wurde Martin Bangemann, der frühere baden-württembergische Landesvorsitzende (1974 bis 1978) und FDP-Generalsekretär (1974 bis 1975), der in beiden Ämtern nicht gerade eine gute Figur gemacht hatte und innerparteilich umstritten war. Vorübergehend begnügte sich Bangemann mit der Rolle eines Abgeordneten im Europäischen Parlament (seit 1973), wo er ab 1979 der Fraktion der liberalen Parteien vorsaß. Die Gunst des Parteivorsitzenden Genscher blieb ihm aber erhalten. Nachdem die FDP bei den Europa-Wahlen des Jahres 1984 kläglich eingebrochen war - es war das erste Mal, daß sie bei einer Abstimmung auf nationaler Ebene unter fünf Prozent blieb - nahm Genscher den Spitzenkandidaten Bangemann in Schutz und schrieb das schlechte Ergebnis dem Erscheinungsbild der Gesamtpartei zu. Es fügte sich gut, daß im selben Monat, in dem Bangemann seinen Posten im Europa-Parlament verlor, Lambsdorff den Rücktritt erklärte: So konnte Bangemann im fliegenden Wechsel das Amt des Wirtschaftsministers übernehmen.
Als weiteres prominentes Opfer der Flick-Affäre gab am 25. Oktober 1984 der Bundestagspräsident Rainer Barzel seinen Rücktritt bekannt: Er hatte von Flick auf Umwegen über einen Beratervertrag 1,7 Millionen Mark erhalten, die ihn finanziell dafür entschädigen sollten, daß er zugunsten von Helmut Kohl auf den CDU-Parteivorsitz verzichtet hatte. - Der Weg Kohls an die Spitze der CDU war also gewissermaßen "von Flick freigekauft" worden, wie es der grüne Abgeordnete Jürgen Reents am 18. Oktober im Bundestag formulierte. Der amtierende Bundestagspräsident Stücklen (CSU) sah in dieser Feststellung allerdings eine Beleidigung und schloß Reents von der Debatte aus. Dem grünen Abgeordneten Joschka Fischer entfuhr daraufhin das berühmt gewordene Wort "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!", was Stücklen wenigstens halbwegs berechtigte, nun auch Fischer wegen Beleidigung auszuschließen.
Wohl auch mit Rücksicht auf die Wahlen zum 11. Bundestag, die am 25. Januar 1987 stattfanden, dauerte es bis zum 16. Februar 1987, ehe das Bonner Landgericht die Urteile verkündete: Der Flick-Manager von Brauchitsch bekam wegen Steuerhinterziehung zwei Jahre Gefängnis, die gegen Zahlung eine Geldbuße von 550.000 Mark auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Lambsdorff und Friderichs wurden ebenfalls wegen Steuerhinterziehung zu Geldstrafen von 180.000 Mark bzw. 61.500 Mark verurteilt.
Die Verurteilungen bezogen sich auf eher periphere Punkte der Anklage, die bei Lambsdorff seine Tätigkeit als Schatzmeister der FDP Nordrhein-Westfalen und bei Friderichs seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Dresdener Bank betrafen. Den Kernpunkt der Anklage - den Vorwurf der Bestechung bzw. der Bestechlichkeit - sah die Strafkammer nicht als erwiesen an: Sicher bestehe "der nicht unerhebliche Verdacht", daß Lambsdorff und Friderichs zur Zeit ihrer Ministertätigkeit Zahlungen von Flick erhalten hätten. Ein direkter Zusammenhang dieser Zahlungen mit der Steuerbefreiung für Flick im Sinne einer "Unrechtsvereinbarung" sei aber nicht nachweisbar.
Lambsdorff erklärte zum dem Urteil, er könne damit leben: "Für mich ist das ganz Entscheidende der Freispruch in Sachen Bestechlichkeit." Steuerhinterziehung sei dagegen ein weit verbreiteter Vorgang.
Sein Nachfolger Martin Bangemann nahm das Urteil sogar "mit großer Zufriedenheit" zur Kenntnis. Bangemann sprach in diesem Fall als FDP-Vorsitzender: Seit dem FDP-Parteitag am 23. Februar 1985 in Saarbrücken hatte er auch die Nachfolge seines Mentors Hans-Dietrich Genscher als Parteivorsitzender angetreten.
Eindeutig kriminell war dagegen, wie der frühere Landesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende der FDP im rheinland-pfälzischen Landtag, Hans-Otto Scholl, seine persönlichen finanziellen Probleme zu lösen versuchte. Er tat dies nämlich mit vorgehaltener Pistole in einem Juweliergeschäft.
Der promovierte Jurist Scholl war seit 1967 sowohl Landtagsabgeordneter als auch Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der pharmazeutischen Industrie. Im Mai 1974 wurde er überdies Landesvorsitzender der rheinland-pfälzischen FDP. Im Juni 1980 verlor er seinen hoch dotierten Posten bei der Pharma-Lobby wegen Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung. Wenig später leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung von Verbandsgeldern ein. Obwohl es zu keiner Anklage kam, blieben soviel Verdachtsmomente an Scholl hängen, daß er im Juli 1981 auch vom Amt des FDP-Landesvorsitzenden zurücktrat. Aber schon im Februar 1982 wählte ihn die FDP-Fraktion im Mainzer Landtag überraschend zu ihrem Vorsitzenden. Die weitere Karriere des ehemaligen Pharma-Lobbyisten schien gesichert.
Dann aber stürzte die FDP bei den Landtagswahlen am 6. März 1983 von 6,4 auf 3,5 Prozent ab. Für Scholl war das auch persönlich eine Katastrophe, weil er den Fraktionsvorsitzenden-Posten samt Einkünften verlor. Er war jetzt nur noch Beisitzer im Landesvorstand, Delegierter zum Bundesparteitag und Schatzmeister des FDP-Kreisverbands Ludwigshafen - alles brotlose Ämter, die eher Geld kosteten als welches einbrachten. Da er hoch verschuldet war, nahm er einen Kredit auf, der angeblich für eine "Liberale Aktion" bestimmt war, in Wirklichkeit aber in die eigene Tasche floß. Die Staatsanwaltschaft leitete deshalb im Mai 1984 Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue ein.
Der FDP-Politiker setzte nun alles auf eine Karte: Am 28. Dezember 1984 überfiel er ein Juweliergeschäft in Baden-Baden, wobei er Gegenstände im Wert von 2,3 Millionen Mark erbeutete. Die Polizei kam ihm jedoch bald auf die Spur. Am 5. Januar 1985 wurde Scholl festgenommen. Ein Teil der Beute fand sich in einem Züricher Bankfach, das ihm gehörte. Ferner belasteten ihn die Aussagen von Tatzeugen. Auch die Tatwaffe konnte ihm zugeordnet werden. Obwohl Scholl die Tat weiterhin leugnete und sie einem angeblichen Doppelgänger in die Schuhe zu schieben versuchte, verurteilte ihn das Landgericht Baden-Baden am 27. Dezember 1985 zu acht Jahren Haft.
"Mein lieber Scholli!" entfuhr es dem Parteivorsitzenden Hans-Dietrich Genscher, als er von dem Gangsterstück seines Parteifreundes hörte. Der rheinland-pfälzischen FDP hat die Affäre aber seltsamerweise kaum geschadet: Bei den nächsten Landtagswahlen im Mai 1987 konnte sie ihren Stimmenanteil sogar mehr als verdoppeln und wieder in den Mainzer Landtag einziehen - zu spät freilich für den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Scholl, der inzwischen im Gefängnis statt im Parlament saß.